Lena Uphoff
15.11.2010

Sudoku - wer mir vor ein paar Jahren erzählt hätte, dass ich mal ganze Bahnfahrten von Berlin nach Frankfurt damit verbrächte, Zahlen zwischen 1 und 9 in 81 Kästchen zu sortieren, dem hätte ich Boshaftigkeit unterstellt. Nun bin ich dieser japanischen Knobeldisziplin tatsächlich verfallen. Zunächst mehr zufällig hatte ich auf einer meiner Reisen aus Mangel an Lesestoff begonnen, die enstprechenden Felder auf der Unterhaltungsseite einer Gazette auszufüllen. Es fiel mir nicht allzu schwer.

Inzwischen werden es einige Tausend dieser Raster geworden sein, die ich gefüllt habe. Da ich die Allerweltsaufgaben in den meisten Zeitungen und Magazinen in wenigen Minuten zu lösen vermag, muss ich in Zeitschriftenläden und an Bahnhofskiosken nach schwerer bis schwerster Rätselkost stöbern.

Je nach Tagesform und Lust liegt meine Sudoku-Herausforderung zwischen "schwierig" und "sehr schwierig". Es kommt so gutwie nie vor, dass ich an "schwierigen" Rätseln scheitere, an "sehr schwierigen" habe ich manchmal lange zu knacken, eines von geschätzten fünfzig gebe ich auf. Die in den einschlägigen Heften angegebenen Schwierigkeitsgrade stimmen in den allermeisten Fällen ungefähr. Dennoch weiß ich natürlich, dass sie sich von den Prädikaten am "Hau-den-Lukas" auf dem Jahrmarkt kaum unterscheiden. Wenn man dort als "Preisboxer" oder "Superstar" vom Gerät geht, hält dieses Lob vielleicht zwei Runden Bier aus. Alles nur Spaß! Wirklich?

Neulich habe ich mir eine Rätselsammlung gekauft, die auf "schwer" die Kategorie "teuflisch" folgen ließ. Als ich den Bleistift spitzte, um mich an die erste diabolische Herausforderung zu wagen, kribbelte es wie bei einem Bergsteiger angesichts einer noch nie bezwungenen Wand. Ich hielt inne - und legte los. Zu meiner Überraschung hatte ich nach vier, fünf Minuten alle Zahlen erfolgreich eingetragen. Glück gehabt. Das Nächste. Wieder in kürzester Zeit gelöst. Und noch eins. Erneut kein Problem. Was mir als "teuflisch" angekündigt war, hätte eigentlich unter "lächerlich" firmieren müssen. Ich fühlte mich regelrecht verschaukelt.

Futter für das Selbstwertgefühl, Rückfutter für die Kasse

Als ich meinem alten Freund Joe, der mich gerade anrief, meinen Ärger mitteilte, sagte der: "Komm, tu nicht so! Du bist einfach zu schlau. Das willst du doch jetzt hören, oder?" Das war nun völlig daneben. Ich weiß, was ich kann und was nicht. Ich habe mich nicht über Nacht in einen unschlagbaren Sudoku-Crack verwandelt. Ich bin gut, aber nicht sehr gut. Und ich habe es nicht nötig, nach billigen Komplimenten zu fischen. Die machen mich nämlich genauso verdrießlich wie fehlende Anerkennung. Aber was mich beleidigt und empört, ist die Erkenntnis: Da testiert dir jemand, teuflisch schwere Rätsel zu lösen, nur weil er möchte, dass du als "Könner" und "Kenner" seine Hefte wieder kaufst. Futter für dein Selbstwertgefühl, Rückfutter für seine Kasse - eine abgefeimte Marketingstrategie, die zumindest bei mir nicht funktioniert.

Wer eine Technik übt, eine Sportart regelmäßig betreibt, wer ein Instrument spielt, wer schreibt oder malt, der lernt sich einzuschätzen. Je mehr man kann, desto deutlicher wird einem, wie viel zur Meisterschaft noch fehlt. Je mehr Zusammenhänge man durchschaut, je tiefer man in die Materie vordringt, desto klarer sieht man, welche Berge von Nichtwissen vor einem liegen. Zur sokratischen Einsicht "Ich weiß, dass ich nichts weiß", zur Demut sind Wissen und Kenntnis erforderlich. Wer etwas kann, weiß, wann ein Urteil über sein Können gerecht ist und wann nicht.

Gerechte Anerkennung, gerechter Lohn - wer darüber nachdenkt, wird "ungerecht" in der Regel mit "zu wenig" gleichsetzen, mit Zukurzkommen. Aber auch Überhäuftwerden, Übertreibung ist ungerecht. Wir sprechen dann jedoch lieber von "unverdient". Als Sudoku-Freund fühlte ich mich unterfordert und überbewertet. Beides hatte ich nicht verdient. Der Herausgeber dieser Serie "teuflischer" Rätsel wird jedenfalls an mir nicht mehr allzu viel verdienen.

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