Lena Uphoff
15.11.2010

Als die Deutschen sich ihre Kneipe ins Haus holten, wähnten sie sich auf dem Gipfel des Glücks. Rustikale Romantik zog in den Keller oder ins Wochenendhaus ein. Ein Tresen musste her, Barhocker, abwaschbare Tischdecken. Die Inszenierung in den eigenen vier Wänden machte den Gang ins Wirtshaus überflüssig. Das Bier aus dem Getränkemarkt war zudem allemal billiger. Die Deutschen saßen abendelang in ihren Imitaten und spielten Wirt und Gast in einer Person. Und draußen verödete die Kneipenkultur.

Irgendwann entdeckten die Deutschen die Freuden des Saunierens. Einige Wohlhabendere unter ihnen hatten das Schleppen schwerer Taschen mit feuchten Badetüchern bald über und schenkten sich zu Weihnachten die eigene Holzkabine. Raus mit der Kellerbar, rein mit dem Fitnesszentrum in Miniatur. Da hockten sie nun und schwitzten. Mussten sich nicht über die anderen Schweißjünger ärgern, über den Aufguss zur falschen Zeit. Aber alleine oder zu zweit vor sich hin leiden bei 90 Grad erwies sich auch nicht als der große Hit. Und die Freunde schlugen spätestens die zweite Einladung aus. Was auf neutralem Boden lustig und gesellig schien, war ihnen zu Gast auf fremdem Terrain zu intim. Die Sauna wurde, was der Raum, in dem sie stand, ursprünglich mal war: eine Abstellkammer.

Tennisplätze oder einen Reitstall auf eigenem Grund konnten sich die kleinen Leute nie leisten. So viel Raum ist Luxus und bleibt es. Sein Vorhandensein oder Nichtvorhandensein spaltet die Schichten. Die Reichen konnten sich Konsum und Unterhaltung privat organisieren. Normalbürgern blieb nur, sich vergleichbaren Genuss in öffentlichen Einrichtungen zu verschaffen: im Freibad, im Kino, auf dem Fußballplatz.

Der Siegeszug der Unterhaltungselektronik ist gleichbedeutend mit sozialen Fortschritt

So gesehen ist der Siegeszug der Unterhaltungselektronik gleichbedeutend mit dem sozialen Fortschritt an und für sich. Das Radio, das Fernsehgerät, das Kassettendeck, immer kleinere Geräte mit immer größerer Leistung holten die Welt ins Wohnzimmer. Die Sehnsucht nach dem vollständig privaten Leben ohne Konsumverzicht konnte nunmehr auch in einer Zwei-Zimmer-Wohnung gestillt werden. Allerdings ­ und das blieb ein nicht unerheblicher Rest von Klassengesellschaft ­ mussten die Normalverdiener dabei Qualitätseinbußen hinnehmen, Spielfilme im Fernsehen, Musik aus der heimischen Stereoanlage wirkten mickrig, gemessen an den Seh- und Klangwelten der Kinotempel und Konzertarenen.

Doch auch das ist nun endlich Vergangenheit. Das DVD-Heimkino mit "leistungsstarkem Equipment", mit "souveräner Tiefenbassentfaltung" dank Subwoofer und Surroundlautsprechern und mit Beamern fürs große Bild macht die Illusion perfekt. Man zieht sich die original italienische Tiefkühlpizza vor der Leinwand rein oder das original chinesische Mikrowellen-Menü, wähnt sich im Cinemaxx und flätzt doch gemütlich und in Socken auf der eigenen Couch.

Jeder bleibt für sich.

Das Wichtigste von allem: Die lästigen Zeitgenossen, die einem das Leben schwer machen, bleiben vor der Wohnungstür. Man muss nicht in langen Schlangen an der Kinokasse anstehen. Keine Sitzriesen in der Vorderreihe, keine knutschenden Liebespaare im Nebensitz, keine Popcorn verstreuenden Teenager stören den Genuss. Es ist ein Stück vom Paradies, ein Stück vom Himmel. Die Befreiung des Menschen von der Gesellschaft fremder Artgenossen ist nahe. Jeder bleibt für sich.

Und dann lesen wir in einer schwedischen Studie, mangelnder Kontakt mit anderen Menschen erhöhe das Risiko von Altersdemenz um 60 Prozent.

Schade. Aber alles hat halt seinen Preis, auch das stille Glück. Bitte nicht stören! Oder doch?

 

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