Sven Paustian
Bio zu bio, Müll zu Müll!
Bio zu bio, Müll zu Müll! Anständige Menschen machen das einfach!
Lena Uphoff
26.03.2014

„Ja, er hat den Müll wieder nicht getrennt!“ Mein Freund Siggi hat einen neuen Nachbarn. „Ich hab nichts gegen ihn. Im Gegenteil. Als er vor drei Monaten einzog, haben wir ihn freundlich begrüßt.“ Siggis Frau Marlene stellte ihm gar einen Korb mit selbst gemachter Marmelade, anderen kleinen Köstlichkeiten und einem Herzlich-willkommen-Schild vor die Wohnungstür.

Der Nachbar revanchierte sich und lud die beiden auf ein ­Gläschen Wein ein. „Er hat uns erzählt, dass er gerne Musik höre; wenn es uns zu laut sei, sollten wir ihm Bescheid sagen. Alles gut, alles easy“, berichtet Marlene. „Nur dass er den Müll nicht trennt“, stöhnt Siggi. Meine Frage, ob das denn so wichtig sei, in unserer Jugend hätte man gar nicht gewusst, was Mülltrennen bedeute, bringt der beiden Blut in Wallung. „Na, hö ma!“, rufen sie synchron (sie stammen aus dem Ruhrgebiet). „Na, hö ma, das geht doch nicht! Für den Müll im schwarzen Eimer zahlen wir. Dann haben wir noch die Biotonne. Der gelbe Sack ist gratis.“ Also, das ist der Grund. Der Nachbar verteuert die Müllabfuhr.

Ich solle keinen solchen Quatsch erzählen, faucht Siggi. Es gehe nicht um Geld. Es gehe um die Umwelt und um einen nicht ­dauernd übervollen Eimer. Und ­Marlene – sie sind gut eingespielt – setzt drauf: „Da muss man doch gar nicht drüber diskutieren. Das ist eine Frage des Gewissens. Ich könnte gar nicht ruhig einschlafen, wenn ich meinen Müll nicht sortieren würde. Als anständiger Mensch macht man das einfach. Punkt.“

„Moral predigen ist leicht, Moral begründen schwer.“

Es wurde dann doch noch ein schöner Abend mit den beiden. Eines immerhin haben sie erreicht. Die Beziehung zwischen der Mülltrennung und dem guten Gewissen beschäftigt mich nachhaltig – im wahrsten Sinne des Wortes. „Moral predigen ist leicht“, soll der Philosoph Arthur Schopenhauer geschrieben ­haben, „Moral begründen schwer.“ In diesem Sinne hallte in mir Marlenes Satz noch weit nach Mitternacht, während ich mich auf meinem Lager wälzte: Als anständiger Mensch macht man das einfach. Punkt.

Mein Urgroßvater bellte meine Mutter, seine Enkelin, an: „Du liest zu viel! Das verdirbt den Charakter. Anständige Mädchen tun so was nicht.“ Mein Onkel wollte dem Teenager Arnd mit der Schere an die langen Haare: „Anständige Buben haben die Haare kurz!“ Übrigens derselbe Onkel, der gerne und häufig posaunte: Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen!

Was heißt das? Was bedeutet: Ich kann dies nicht mit meinem Gewissen vereinbaren? Und der andere, der böse Müllmischer, ist gewissenlos? Wenn er wenigstens ein schlechtes Gewissen hätte? Was hatte Siggi noch geraunzt: „Der schämt sich nicht, vor unseren Augen Glasflaschen, Joghurtbecher und Salatabfall in die Mülltonne zu stopfen! Schämt sich nicht!“ Schamlos. Schlimmer als gewissenlos? Das Schlimmste ist die Kombination zwischen beiden Losigkeiten. Halt! Am bösesten ist „schamlos-gewissenlos-rücksichtslos“. Auf los geht’s los!

Die Gedanken dieser Nacht waren auch am Morgen, nach ein paar Stündchen Schlaf, noch nicht verflogen. Es gibt einen ­Konformitätsdruck in jeder Art von menschlicher Gemeinschaft: Leute wie wir tun so was nicht! Unsereins macht das so und nicht anders! Man muss ein Signal der Zugehörigkeit setzen. Gerade als Hinzukommender.

Eine Vielfalt der Lebensstile, des Umgangs mit Müll, mit Lautstärke von Musik, mit Tag und Nacht, ist die größte Herausforderung für nachbarschaftliches Miteinander. Gedankenverloren leerte ich den Kaffeefilter – natürlich in den Biomüll.

Dann ist mir Marlene im Supermarkt begegnet. „Du kaufst nicht bio?“, fragte ich. „Hö ma: So viel Geld haben wir nicht. Das können nur reiche Leute. Dat is viel zu teuer!“ Mhmmm. Und wie geht es dem neuen Nachbarn? „Super!“ Er hat ihnen seine Lebensgefährtin vorgestellt. „Die ­zieht nächste Woche bei ihm ein. Und rat mal, wat sie gleich im ersten Gespräch gesagt hat?“ Marlenes Grinsen ist immer filmreif. ­„Sie bringe Ordnung in sein Leben. Das fängt beim Mülltrennen an. Deine Nachbarn, habe sie ihm gesagt, die zeigen, wie man das macht. Eine anständige Person! Und er stand daneben und lächelte ganz lieb.“ Na also!

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