Lena Uphoff
22.06.2012

Gustl O. wohnt in einem schönen Haus, nicht zu groß und nicht zu klein. Gerade so, dass seine Frau Lilli und er – beide in Rente – es in Schuss halten und sich daran freuen können. Die Rente der O.s ist gut. „Wir kommen zurecht“, ist die gleichlautende Lieblingsantwort von Lilli und Gustl auf alle Fragen in diese Richtung.  Reichtümer besitzen sie wohl nicht. Halt! Falsch! Sie sind reich.

Lilli wäscht für die Nachbarin, „weil der immer alles wehtut“. Anerkennende Worte erleiden dasselbe Schicksal wie neugierige Fragen: Wieso? Die Arbeit macht doch die Waschmaschine. „Das bissel Tragen, Ein- und Ausräumen und Aufhängen“ sei doch nicht der Rede wert. Und das Bügeln? Na ja, „das mach ich beim Fernsehen“.

Seine knurrige Stimme meldete sich

Gustl war Ingenieur. Auch mit 70 ist er elektronisch noch ausgesprochen fit. Wenn jemand – und das ist ja keine Seltenheit –Probleme mit dem Netz, mit dem Druckertreiber oder anderen PC-Absonderlichkeiten hat – Gustls Telefonnummer hängt in der Siedlung an mancher Pinnwand.

Neulich habe ich ihn auch angerufen. Erst als sich seine knurrige Stimme meldete, habe ich auf die Uhr gesehen: 12.10 Uhr! Da sitzen doch Rentner am Mittagstisch. Meine Entschuldigung kam in denselben Sack wie Neugier und Lob: „Kein Problem. Der Salat wird nicht kalt. Wo brennt’s denn?“ Unter keinen Umständen ließ mich Gustl auf eine genaue Beschreibung des Fehlers „Kein Netz“ verzichten. „Lassen Sie mich nachdenken“, antwortete er und bot an, gleich einmal vorbeizuschauen. „Wenn es Sie nicht stört?“ Der Mann hat Nerven. Nichts würde mich weniger stören, als dass er mir hilft.

Mein Nothelfer wehrte sich

Er kam, kroch unter meinen Schreibtisch, schraubte den PC auf, murmelte etwas, ging kurz nach Hause, kam nach ein paar Minuten mit einem Elektronikteil zurück: „Ist nicht mehr ganz neu, löst aber Ihr Problem.“ Er baute es ein. Alles funktionierte wieder tadellos. „Schenk ich Ihnen“, grinste Gustl. Ich flitzte in den Keller und holte eine Flasche Wein. Mein Nothelfer wehrte sich, als würde ich ihm „fürs Nasenputzen“, wie er seine Arbeit nannte, einen unziemlichen Goldklumpen aufdrängen. Erst als ich ihn zitierte – „Schenk ich Ihnen“ – nahm er an. Immerhin raunte er nach Lektüre des Etiketts: „Hechtsheimer – den trinken wir in unserer Familie gern.“

Als der kleine Supermarkt im Ort aufzuamseln drohte, wer ließ einen Flyer – „Flugzettel“, sagt Gustl – drucken? Blöde Frage! ­Lilli: „Wenn man einen Laden im Ort will, sollte man dort auch einkaufen. Das steht auf dem Flugzettel.“ Dem Ladenbesitzer, so ist zu hören, hat Gustl dringend geraten, seine Kunden nicht dafür zu beschimpfen, dass sie bei ihm nur einkaufen würden, was sie in  der Stadt vergessen haben. „Da musst du deine Geschäftsidee draus entwickeln: Bei mir kriegst du, was du woanders vergessen hast.“ Die Ohren, die Zeuge von Gustls Laden-Coaching wurden, haben es in der gesamten Siedlung herumgetragen.

Sie helfen jeder und jedem

Gustl ist das gar nicht recht. „Ich hab die Weisheit auch net mit dem Löffel gefressen. Die Leut sollen net so übertreiben. Ich habe ihm halt gesagt, was man so denkt.“ Aber dass der Umsatz des Kleinhändlers um 20 Prozent gestiegen ist und „der jetzt zurechtkommt“, das ruft doch dann wenigstens ein kleines, zufriedenes Grinsen, ein geringes Heben der Gustl-Mundwinkel, hervor. So sieht er also aus, wenn er zufrieden einen Erfolg verbucht.

Gustl und Lilli üben aus, was man in Sonntagsreden gerne Bürgertugenden nennt. Sie helfen jeder und jedem, ohne Ansehen der Person, wenn sie es können. Sie sind reich, sehr reich: hilfreich. Und das Schlimmste ist: Sie halten dies für völlig „normal“.

Natürlich hat man den beiden auch schon Ämter in Vereinen oder Listenplätze bei kommunalen Wahlen angeboten. Logisch. Die beiden kennt man schließlich im ganzen Ort und drum herum. Heute würde man sagen, sie sind hervorragend vernetzt. Gustl und Lilli haben noch immer abgelehnt. „Das ist zu viel für zwei alte Leut. Wir brauchen Ruhe.“ Tja, was so alles „Ruhe“ genannt werden kann.

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