15.11.2010

 "Lass mich mal machen", sagt die Ehefrau und schiebt ihren Mann aus der Küche, "ich kann das schneller." Sie stürzt sich auf die Vorbereitungen für das Abendessen, schnippelt einen Salat, erfindet einen zweiten, kocht ein delikates Süppchen. "Eigentlich könntest du ja auch mal was machen", meint sie zum Herzallerliebsten, als sie mit ihm am Tisch Platz nimmt. Der weiß nicht so recht, wie ihm geschieht. "Aber du hast doch gesagt ..." "Ja, ja, lass mal", antwortet sie freundlich. "Ich mach's ja gerne. Das meiste bleibt halt immer an mir hängen." Als er zaghaft andeutet: "Ich könnte ja mal versuchen, was zu kochen", meint sie nur: "Ist schon gut. Schmeckt's dir?" Eine klassische Szene mit den Fallstricken eines in Vorzeiten schon so angelegten Ehelebens.

Was mache ich da eigentlich?

Denn wenn es gut läuft zwischen den beiden, dann halten sie inne und fragen: "Was mache ich da eigentlich?" Die Ehefrau merkt, dass ihre Mutter früher mit ihr genauso umgegangen ist, wie sie jetzt den Partner behandelt - als einen lieben Tölpel, dem man gerne vorführt, wie man Sachen richtig anpackt. Ihre Freude am Haushalt kombiniert auch sie geschickt mit Vorwürfen. Zugleich schafft sie, dass der Ehemann sich schuldig fühlt und dauernd bemüht ist, ihre Gunst zu erobern. Woher er das hat? Das muss er herausfinden. Wenn zwei Menschen sich lieben, kann es Freude machen, allein und gemeinsam mit ein bisschen feiner Selbstironie zu entdecken: Warum bin ich, wie ich bin? Was hat in die Vergangenheit hineinreichende Wurzeln, was habe ich mir selbst angewöhnt?

Es gibt aber auch Lebenssituationen, in denen ein Mensch unglaubliche Wut und Hass in sich spürt, weil alles nicht so läuft, wie er möchte: Kollegen kritisieren ihn, Informationen werden von ihm ferngehalten, seine Hinweise auf Missstände nicht beachtet. Er wird krank; immer wieder fehlt er. Schließlich muss er den Arbeitsplatz wechseln, der ihm dann wegen neuer psychischer Beschwerden verlorengeht. In der Familie wird er nicht so anerkannt - die anderen Brüder sind scheinbar alle erfolgreicher als er selbst und sich stets des Beifalls der Eltern sicher. Immer mal wieder blitzt es in Gesprächen auf: Von klein auf war er der "Versager". Der, der nur Probleme macht.

Wenn die Biografie einen einholt...

Eine grausame Erfahrung. Aber auch eine, die man nicht lebenslang anderen vorhalten kann und sich damit freisprechen von jeder eigenen Verantwortung. Wenn die Biografie einen einholt und Schatten der Vergangenheit jede Lebensfreude verdunkeln, ist es höchste Zeit, sich Hilfe zu holen - von seelsorglich fähigen Menschen, von Therapeuten und Therapeutinnen, die einem alle Zeit und Aufmerksamkeit schenken. Es braucht ausreichend Raum, Licht ins Dunkel zu bringen, um wahrzunehmen, wer und was man ist. Es braucht Raum für die Klage über das, was man erlebt hat, was einem angetan wurde. Schmerzen, die man als Kind gespürt und lange mit sich herumgetragen hat, müssen heraus, Tränen geweint und Vorwürfe lauthals artikuliert, manchmal herausgeschrien werden. Das dauert.

Genauso, wie es dauert, eigenes Fehlverhalten anzuschauen und sich klarzumachen: Es wird Zeit, aus alten Mustern auszubrechen, die Weichen neu zu stellen und eingefahrene Schienen zu verlassen. Jedem Menschen, den alte Lasten plagen, ist zu wünschen, dass er oder sie erkennt: Ich muss nicht ewig abhängiges Kind sein. Ich mag nicht Opfer von lieb- und rücksichtslosen Haltungen anderer bleiben. Ich möchte endlich der Herr, die Herrin meines eigenen Lebens werden und frei, nachdenklich und selbstkritisch bestimmen, was ich tue - als der einmalige Mensch, der ich in Gottes Augen bin.

 

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