Netter Klatsch. Doch was treibt Menschen, rücksichtslos den Ruf anderer zu beschädigen und Angst zu machen?
15.11.2010

Eine neue Chefin wird erwartet. "Da werdet ihr euch wundern", sagt jemand aus einer anderen Abteilung. "Die ist hart drauf. Da gibt es nur Arbeit, Arbeit, Arbeit. Und in was für einem Tempo. Na, ich beneide euch nicht." Eine der Sekretärinnen kriegt es mit der Angst zu tun. Wenn sie nun nicht mehr genügt? Muss sie innerhalb des Betriebs wechseln? Raus aus der Firma? Nächtelang kann sie nicht schlafen. Dann kommt sie, die Neue. Und ist ganz anders, als der Klatsch sie geschildert hat: ziemlich schnell, ja, und voller Energie, aber freundlich. Verständnisvoll. Manchmal ausgelassen und mit Freude am Feiern: Vor Weihnachten gibt es ein Fest, an Geburtstagen kleine Geschenke. "Ihr habt wohl nix zu tun?", heißt es jetzt in der Firma. "Früher, bei der Vorgängerin, gab's das alles nicht. Ihr seid jetzt wohl was Besseres?"

Wer böse klatscht, hat sonst nicht viel, womit er oder sie Staat machen kann.

Was treibt Menschen, rücksichtslos den Ruf anderer zu beschädigen oder durch ihr Geschwätz Angst zu machen? Manchmal ist es Verunsicherung: Da gibt es jemanden, der so ganz anders ist als man selbst, der einen mit seiner Art zu leben infrage stellen könnte. Am besten, man erwehrt sich solcher Menschen, indem man sie "herunterputzt", sie "ausrichtet" an dem, was man selber für allein richtig hält. Oft steckt hinter giftigen Wortpfeilen die Sehnsucht, etwas zu gelten und darzustellen - also handfeste Minderwertigkeitsgefühle. Wer böse klatscht, hat sonst nicht viel, womit er oder sie Staat machen kann.

Da ist die Versuchung groß, mit vermeintlichem Wissen zu prahlen, sich im Mittelpunkt erstaunter und erschreckter Neugier zu sehen. Selten wird hinterfragt, woher die angeblichen Informationen kommen, dass die Kollegin ein Verhältnis mit dem Chef der Cafeteria habe. Es genügt, dass sie nach einem Empfang an seinem Arm übers Kopfsteinpflaster gestöckelt ist. Wen schert's, dass er ihr nur galant über den holprigen Weg helfen wollte ... Von üblem, beleidigendem Gerede zu unterscheiden ist die Lust, sich auszutauschen über Menschen, an denen man echtes Interesse hat: die Freundin, die verzweifelt überlegt, wie sie Kinder und Beruf unter einen Hut bringen soll; der Kollege, um den man sich sorgt, weil er in letzter Zeit tatsächlich zu viel trinkt.

Könnte ich das ihm oder ihr auch genauso ins Gesicht sagen?

Und mal ganz unter uns: Ist es nicht einfach schön, nach der Familienfeier oder dem Klassentreffen davonzufahren und schon im Auto oder daheim auf dem Sofa zu "ratschen"? Durchaus auch mal mit spitzer Zunge zu kommentieren, dass der Schwager schon mal schlanker und der ehemalige Mitschüler noch nie besonders munter war? Das ist dann kein böser Klatsch, wenn man damit nicht in Anspruch nimmt, den anderen abschließend beurteilen zu können. Man weiß doch, dass andere immer mehr sind als alles, was man von ihnen kennt. Will man sich selber prüfen, ob das, was man gerade äußern möchte, keine ätzende Gemeinheit ist, braucht man sich nur zu überlegen: Könnte ich das ihm oder ihr auch genauso ins Gesicht sagen?

Ist man dabei, wenn jemand vor den Ohren Dritter verbal hingerichtet wird, hilft die kräftige Erinnerung an Luthers Auslegung des achten Gebotes. Er sagt: "Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren." Natürlich ist sachliche Kritik an einem Menschen, seinem Verhalten und seinen Fähigkeiten möglich, auch wenn er oder sie einmal nicht dabei ist. Aber das heißt nicht, mit Dreck zu schleudern, sondern liebevoll jeden guten Gedanken aufzuheben, der einem in den Sinn kommt, und ihn zart wie eine Feder mitten ins Gespräch schweben zu lassen ...

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