Und die Angst wird schon mal kleiner, wenn man auf sie zugeht
15.11.2010

"Ein ordentlicher Mensch hat sein Leben lieb und ein Mensch, der sein Leben lieb hat, hat keine Courage" ­ heißt es bei Georg Büchner ironisch. Es geht in Situationen, in denen man Mut braucht, keineswegs immer um Leben und Tod. Aber eines ist unmissverständlich an diesem Satz: Mut ist nicht umsonst zu haben. Man muss bereit sein, etwas herzugeben, etwas zu opfern. Ein Mädchen, das Partei ergreift für den kleinen Bruder, weil der eben nicht die letzten Kekse aus der Dose gemopst hat; ein junger Mann, der entgegen den elterlichen Wünschen lieber Handwerker werden will, als zu studieren; Kollegen, die eine Mitarbeiterin gegen den Chef in Schutz nehmen, weil der einen Verbesserungsvorschlag abgekanzelt hatte: Sie alle riskieren ihre eigene Seelenruhe, manchmal auch die sichere Position, opfern Zeit und Mühe, um anderen und sich selbst weiterzuhelfen. Das ist nicht selbstverständlich, das muss man lernen.

Und die Angst wird schon mal kleiner, wenn man auf sie zugeht

Wer mutig ist, der traut sich, um der Gerechtigkeit und der Wahrheit willen aufzustehen -­ statt wegzuschauen, den Mund zu halten, passiv zu bleiben. Was braucht man dazu? Zunächst einmal das Gespür dafür, dass etwas nicht stimmt, dass man selbst oder ein anderer nicht angemessen, ungerecht oder gemein behandelt wird. Es braucht die Einsicht, dass es nicht bleiben kann, wie es ist ­ weil sonst ein respektvolles Miteinander in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz oder insgesamt in der Gesellschaft gefährdet ist. Es kann natürlich sein, dass man dieses Gespür durchaus besitzt, aus Angst aber nicht wagt, etwas zu sagen oder zu tun. In solchen Fällen hilft es, zunächst einmal ganz genau auf die eigene Angst zu schauen. Was kann mir schlimmstenfalls passieren, wenn ich eingreife? Furcht, die man mikroskopisch betrachtet, der man einen Namen gibt, verfügt dann schon mal über deutlich weniger Macht ­- etwa die Angst, auf einmal selbst im Mittelpunkt zu stehen oder unangepasst zu erscheinen, ungeliebt zu sein.

Wer spürt, wie ihm beim Gedanken an die Folgen einer mutigen Tat flau wird oder der Schweiß ausbricht, der bespricht das am besten in aller Ruhe ausführlich unter Freunden. Da lernt man sein eigenes Gefühl besser kennen und kann sich in den guten Absichten ermutigen lassen ­ wenn sie denn sinnvoll sind.

Es empfiehlt sich weiter, sorgfältig zu bedenken, was im Zweifelsfall zu tun ist ­ und mit welchem Ziel. Einfach loszureden oder zu handeln, womöglich blind vor Wut, ist dumm, nicht mutig. Sich allein einer Horde betrunkener Hooligans entgegenzustellen oder ohne Beistand jemandem helfen zu wollen, der in der U-Bahn von einer körperlich überlegenen Mehrheit angegriffen wird, wäre eine zweifelhafte, unüberlegte Heldentat; man sollte sich eher "Verbündete" suchen, die einem tatkräftig zur Seite stehen, oder das Handy zücken, um Hilfe zu rufen.

Wer mutig handelt, kann sicher sein, dass nicht alle davon begeistert sind.

Auch wenn andere mit Worten erniedrigt und beleidigt werden, hilft es, sich gegenseitig zu bestärken und gemeinsam zu handeln. Doch was tun, wenn der Schulterschluss nicht zustande kommt oder sich ehemalige Mitstreiter feige zurückziehen? Dann ist ein freier Geist nötig, der sich nicht an den Mumm oder den Kleinmut anderer bindet, sondern davon unabhängig ist. Nötig ist das Selbst- und Gottvertrauen, dass man dort, wo anderen oder einem selbst übel mitgespielt wird, sehr wohl Paroli bieten kann. Allein: Wer mutig handelt, kann sicher sein, dass nicht alle davon begeistert sind. Schließlich hat man gezeigt, dass jemand zu Unrecht verdächtigt wurde, dass die Chefin sich geirrt hat oder unsachlich war, schließlich hat man andere in ihre Schranken verwiesen. Kaum jemand findet es großartig, wenn er Fehler, Versagen oder schäbiges Verhalten zugeben muss ­ womöglich vor Publikum.

Aber was soll's? Wer erlebt hat, wie ihn sein Gewissen und schlaflose Nächte quälen, weil er einen Freund oder eine Kollegin, einen wildfremden oder einen vertrauten Menschen feige im Stich gelassen hat, der wird die Konsequenzen seines Handelns tragen. Die Bibel erzählt übrigens, dass der verzagte Josef die Absicht hatte, Maria und ihr Kind sitzen zu lassen. Weil ihn tagsüber die Furcht vor einer unsicheren Zukunft plagte, erschien ihm im Traum ein Engel. Der machte ihm Mut, sich für ein zwar nicht bequemes, aber verantwortungsbewusstes Leben zu entscheiden.

Mut hat viel zu tun mit einer Sensibilität für die Würde von Menschen und für ihre Verletzlichkeit. Wer so empfindsam ist, dass er weiß, wann die eigene Würde und die anderer angegriffen wird, der wird gar nichts anderes wollen, als sich dagegen zu wehren. Schließlich will man aufrecht in den Spiegel schauen können. Mut kann man lernen, wenn man sein Feingefühl pflegt, sich einübt darin, seinen Beobachtungen und Wahrnehmungen zu trauen. Mut lernt man, wenn man ­ in Respekt vor sich und anderen ­ einen selbstbewussten, eigenen Weg geht und dabei merkt, wie wohltuend so viel Freiheit ist. Und manchmal, wenn einem unsicher zumute ist, hilft es schon, eine Nacht über das zu schlafen, was zu tun ist.

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