Tag der Ruhe oder Tag des Putzens?
Warum die Woche einen Anfang und die Seele Pausen braucht
15.11.2010

Es war sechs Stunden vor dem Ende des Sabbats, mitten in München. Tausende von Menschen hatten sich versammelt, um gegen Gewalttaten von Neonazis zu demonstrieren. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde und Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland, stand schweigend auf dem Podium, auf dem sich die Redner und Rednerinnen abwechselten. Der Sabbat hielt sie davon ab, ebenfalls ans Mikrophon zu treten und laut zu den Versammelten zu sprechen.

Dann, nach beredtem Schweigen, ertönte lang anhaltender Beifall.

Die Demonstration ging ihrem Ende zu. Da schritt Charlotte Knobloch langsam an den Rand des Podiums. Ganz vorne blieb sie stehen. Es wurde atemberaubend still unter den Tausenden. Ohne Verstärker, leise und mit großer Bewegung in der Stimme sagte sie, nun sei sie wieder zu Hause in München. Dann trat sie ruhig zurück. Nur die Menschen in den vordersten Reihen der Demonstranten hatten sie verstehen können, den anderen wurden ihre Worte in Windeseile, ganz ohne Lärm, weitergesagt. Dann, nach beredtem Schweigen, ertönte lang anhaltender Beifall.

Was das alles mit dem Putzen am Sonntag zu tun hat, damit, dass wir den Feiertag heiligen (oder eben auch nicht heiligen)? Eine ganze Menge.

Der Sabbat lehrt, innezuhalten, aufzuhören mit dem, was man gemeinhin macht, aufzuhören auch mit der ganzen Hausarbeit; und er lehrt, sich von dem Wahn zu verabschieden, man sei allmächtig. "Wisse, dass du kein Schöpfer bist, und zeig, dass du es weißt", heißt es bei einem Rabbi. Solch weise Selbsterkenntnis bewirkt geistige Befreiung und körperliche Ruhe. Auch der Sonntag, von Christen schon früh anstelle des Sabbats als Tag der Ruhe und des Gottesdienstes verstanden, setzt eine notwendige Zäsur im Alltag. Oft wird er fälschlich als Ende der Arbeitswoche verstanden. Tatsächlich beginnt mit ihm die Woche: Er erinnert an die Auferstehung Christi, daran, dass alles wirklich neu anfangen kann.

Natürlich gibt es auch ein Leiden am Sonntag. Generationen von Kindern und Jugendlichen haben sich bei Mittagessen und nachfolgendem Spaziergang gelangweilt. Man zeigt sich genervt, wenn obendrein unliebsamer Besuch kommt. Und wer allein ist, spürt besonders am Sonntag, dem Familientag, dass er jetzt stundenlang auf sich selbst zurückgeworfen ist. Was liegt näher, als in den Keller zu schleichen und zu waschen, von den Nachbarn ungesehen Unkaut zu jäten oder die Lohnsteuererklärung zu machen? Ganz "Mutige" reißen sogar den Bohrer aus der Werkzeugkiste und jagen Dübel in die Wand ­- es dauert ja nur ein paar Minuten. Andere behaupten, nur am Sonntag richtig Zeit zu haben für die fällige Hausarbeit.

Jeder muss selbst die Grenzen ziehen zwischen dem, was ihm gut tut oder schadet

Man kann für all das viel Verständnis aufbringen. Jeder muss selbst die Grenzen ziehen zwischen dem, was ihm gut tut oder schadet. Aber ist es nicht bezeichnend, dass es für das Wochenende so viele Angebote gibt, den Stress loszuwerden? Warum entwickeln Frauenzeitschriften ganze Programme für erholsame Wochenenden daheim? Es fehlt eben etwas, wenn der Sonntag als Ruhetag verschwindet. Nichts gegen Anti-Stress-Kuren, Orangen-Grapefruit-Bäder und "Workouts" zu Hause ­ gönnen Sie sich so was ruhig! Mich jammert nur, wenn geistvolle und sinnliche christliche Traditionen auf den Müll geworfen werden, um dann krampfhaft nach teurem Ersatz für das Verlorene zu suchen.

Die Sehnsucht ist ja da, aus dem Gewohnten heraus und endlich zu sich selbst zu kommen. Das zeigen all die Angebote, die man uns macht, und man spürt es selber auch: Raus aus dem Trott, mal was anderes sehen und hören, frische Luft schnappen, vielleicht sogar neue Horizonte entdecken ­ das wär's. Das ist es! Der Sonntag setzt einen heilsamen Akzent in der stellenweisen Gleichförmigkeit des Lebens, er wehrt einer Betriebsblindheit, die einen wie den berühmten Hamster im Rad agieren und auch noch in der letzten Oase mit dem Staubwedel herumfuchteln lässt. Der Sonntag und seine Rituale machen es erst möglich, erleichtert bei sich selbst zu landen und zu anderen zu finden.

"Lazy Sunday afternoon, I got no mind to worry", fauler Sonntag, ich hab keine Lust, mir Sorgen zu machen ­ das haben die Small Faces in meiner Jugend gesungen und wir mit ihnen. "I close my eyes and drift away", ich schließe meine Augen und treibe dahin: Süßes Nichtstun, leise Töne pflegen und spüren, welche Wirkung sie haben, einen Film anschauen, ein Konzert hören oder den Gottesdienst besuchen ­ man merkt, wie sich Muskeln und Nerven entspannen. Die Seele labt sich am Sonntag. Aus Arbeitssklaven werden freie Menschen, die eine Mischung aus Wehmut und Tatendrang beim Abschied des Sonntags fühlen, wenn die Ahnung des sorgenfreien Paradieses dem Herannahen neuer irdischer Hast weicht.

Der Sonntag steht nicht als Belohnung am Ende der  Woche. Er ist der Start in die Woche

Der Sonntag steht nicht als Belohnung am Ende einer betriebsamen Woche. Er ist der Start in die Woche -­ ein Sinnbild dafür, dass Menschen weitaus mehr sind als alles, was sie zu leisten vermögen. Den Sonntag freizuhalten von allen Tätigkeiten, die besser zu einem Werktag passen, schärft das Bewusstsein dafür, dass man sich Erholung, Muße und vor allem den Wert der eigenen Person nicht erwerben muss. Erst kommt die sonntägliche Zusage, unabhängig von allen Erfolgen ein wertvoller Mensch zu sein, dann die Leistung: So herum wird ein großartiges Lebensgefühl daraus.

 

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