15.11.2010

In dem James-Bond-Film "Golden Eye" läuft Bonds Exkollege "006" zu einer russischen Mafia-Gruppe über ­ nachdem er Freund James böse getäuscht und sein Vertrauen missbraucht hat. James Bond nimmt unerbittlich die Verfolgung des Verräters auf ­ alte Freundschaft hilft hier natürlich nicht weiter. Die beiden haben sich so auseinander entwickelt, dass es kein Miteinander mehr geben kann. Der eine lässt den anderen fallen, weil der es schon vor ihm getan hat. Feindschaft heißt jetzt die Devise, natürlich um der jeweils vermeintlich guten Sache willen.

Früher war man meist der gleichen Meinung

Nun geht es nicht in jeder Freundschaft um Leben und Tod oder den Fortbestand der ganzen Erde. Aber ein kleiner Kosmos kann schon ins Trudeln geraten, wenn zwei alte Freunde einander nicht mehr verstehen. Früher war man meist der gleichen Meinung, dieselbe Musik gefiel einem, man hat unisono gelacht und geweint. Und dann? Auf einmal findet der eine Urlaub in Südtirol wunderbar, am besten auf einer spartanisch eingerichteten Berghütte. Der andere zieht 6-Sterne-Hotels auf den Seychellen vor.

Die eine Freundin bleibt am liebsten vergnügt zu Hause und kleidet sich wegen der Kinder nur noch in Jogginghose und Maxi-Shirt, die andere eilt vom Theater ins Gourmetrestaurant und kennt die besten Cocktails der Stadt. Es kann sein, dass solche Freundschaften keinen Bestand mehr haben, weil es nichts mehr zu reden gibt. Das spüren alle, und es spricht Bände, dass man sich immer seltener trifft, obwohl man eigentlich Zeit füreinander hätte. Die Freundschaft "vertröpfelt", und keinem ist es richtig leid darum. Man kommt gut ohneeinander aus.

Solche lautlosen Abschiede kann und muss es geben. Nicht jede Schul- oder Jugendfreundschaft muss fortgeführt werden. Auch Urlaubsbekanntschaften, die von Wohnmobil zu Wohnmobil oder in der Hotelbar geschlossen wurden, brauchen nicht ewig zu währen. Stellt man fest, dass die Gemeinsamkeiten nicht ausreichen, sollte Schluss damit sein. Loriots berühmter Sketch um zwei Ehepaare, die sich treffen, um Urlaubserinnerungen aufzufrischen, dann wegen eines Desserts mit Namen "Kosakenzipfel" aneinander geraten und sich schließlich unter gegenseitigen Beschimpfungen wie "Campingziege" oder "Winselstute" voneinander trennen, präsentiert ein solches Auseinandergehen auf umwerfend komische Weise.

Soll man einander "fallen lassen", weil der Lebensstil sich völlig unterschiedlich entwickelt hat?

Aber was ist mit Freundschaften, die nicht zu den vergänglichen Beziehungen aus Jugend oder Urlaub zählen? Zu denen eine lange Geschichte mit Höhen und Tiefen gehört, mit Liebeskummer und höchstem Glück, mit Trennungen, Krankheiten und hoffnungsvollen Neuanfängen? Soll man einander "fallen lassen", weil der Lebensstil sich völlig unterschiedlich entwickelt hat? Fallen lassen heißt loslassen, den anderen aus der Höhe der Freundschaft ernüchtert auf den Boden stürzen lassen. Du bist nicht, wofür ich dich gehalten habe, sagt man damit, du bist nicht mein anders gestaltetes Selbst, sondern ein mir fremder Mensch: Geh weg.

Das tut weh und fügt einem selbst möglicherweise einen Schaden zu, den man nicht gleich erkennt. Ich würde mir sehr überlegen, ob ich eine intensive gemeinsame Geschichte mit einem Federstrich beende. Ein echter Freund, eine wahre Freundin, das ist ein Mensch, den man lieb hat ­ so sagt es die germanische Wurzel des Wortes. Freundschaft, das meint die Gesamtheit der Verwandten, alle Beziehungen, die man zu anderen freundschaftlich unterhält. Man verpasst der eigenen Biographie einen Bruch, wenn man einst liebe Menschen einfach hinauskippt, statt Neues miteinander zu versuchen.

"Freundschaft heißt nicht zusammenhängen und zusammensitzen, Freundschaft ist groß und frei und liegt im Gedanken, für den jeder Raum gleich nah ist", hat Clemens von Brentano gesagt, deutscher Schriftsteller der Romantik. Thomas Mann verstand Freundschaft als Glaube an die Lauterkeit des anderen und als die Bereitschaft, ihn oder sie nicht zu verlassen, auch dann nicht, wenn man den anderen im Irrtum weiß. Kann schon sein, dass das schwierig ist, wenn sich die Ansichten der Freundin von den eigenen weit entfernt haben. Erst recht kostet es Kraft, wenn ein Paar sich trennt und man mit beiden und den neuen Partnern befreundet bleiben will.

Aber, noch mal Film, noch mal ernste Heiterkeit: Jack Lemmon und Walter Matthau, die wunderbaren Schauspieler, haben mehrfach "Ein seltsames Paar" dargestellt, Freunde, die so verschieden sind, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Trotzdem kommen sie auf verrückte Weise miteinander aus. Ich selbst habe in meiner Kindheit, von Häuptling Winnetou begeistert, mit einer Freundin echte Blutsbrüderschaft geschlossen und sie nach vielen gemeinsamen Jahren lange Zeit aus den Augen verloren. Wir haben uns inzwischen ab und zu wieder gesehen und festgestellt: Unsere Geschichte und unsere Erinnerungen sind zu kostbar, um die Verbindung ­ trotz aller Fremdheit ­ aufzugeben.

Wenn Freunde sich auseinander gelebt haben, können sie sich erst einmal seltener treffen. Man kann die Distanz nutzen, um am anderen etwas Neues, Überraschendes zu entdecken, sich vom Freund oder der Freundin bereichern lassen durch ihre ganz eigene, dann nicht mehr vertraute Sicht der Dinge. Dazu braucht man offene Ohren und einen wachen Geist. Man braucht Neugier ­ die Lust am anderen Leben, das gerade deshalb so aufregend ist, weil es mit dem eigenen nicht deckungsgleich ist.

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Alles viel zu hoch aufgehängt. Hier wird eine jämmerliche feminine Wehleidigkeit auf den Tisch des Hauses gelegt. Die kreischenden weiblichen Teenager zu den Füssen der Pop-Stars sind die Vorbedingung. Das monatliche Bachblütenfest und die esotherische Kerzeneuphorie sind auch nicht weit. Da fehlt dann nur noch, dass nach die Trennung eine posttraumatische Belastungsstörung als Notfall vor dem Psychologen landet. Natürlich auf Staatskosten. Gefühle ja, aber bitte keine, die dem Lauf der Dinge unterzuordnen sind. Dann doch bitte lieber die Konzentration auf den Nächsten als auf eine Phantom..

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"Fallen gelassen" wurde ich von meiner besten Freundin nach ca. 25 Jahren. Bekam eine überraschende"Kündigung" via email. Kein Gespräch! Es hat mich tief verletzt, war wie Sterben.
Ich konnte sie in jeder ihrer Lebensphasen annehmen und und unterstützen, nie stand für mich unsere Freundschaft in Frage, sie war so elementar. Freundschaft hat für jeden eine andere Wertigkeit. Inzwischen verteile ich meine Aufmerksamkeit an mehrere Kandidaten und engagiere mich weniger.

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