Die Theologin Susanne Breit-Keßler
Lieber deutlich: Die Theologin Susanne Breit-Keßler antwortet auf Fragen, die uns bewegen
Monika Höfler
Wahrheit, hübsch verkleidet
Wer sich ironisch ausdrückt, fällt nicht mit der Tür ins Haus. Geistreich! Aber manchmal sagt man besser schlicht, was Sache ist
15.09.2015

„So früh schon auf?“, sagt Eric zu seinem Sohn, der sich mittags um zwölf ins Bad schleppt. „Mann, ey, es war spät gestern“, grummelt der. – Elke geht in ihr Lieblingsgeschäft und sagt, weil sie ausnahmsweise nicht anstehen muss: „Hui, heute ist es aber voll!“ „Nein, nein“, meint der Besitzer leicht verwundert, „Sie haben heute Glück, der Ansturm kommt noch.“ – Die Angestellten drehen ihren Kopf nach der umstrittenen Chefin um. „Eins muss man ihr lassen“, sagt eine spitz, „topschick ist sie.“

Susanne Breit-Keßler antwortet auf Fragen, die uns bewegen. Diesmal: Wie gehen wir mit Ironie um und wann setzen wir sie ein? Wann Ironie das richtige Mittel zur richtigen Zeit ist und wo sie nichts verloren hat, erklärt die Münchner Regionalbischöfin.

Wer ironisch ist, nimmt von den Dingen der Welt Abstand. Er verkehrt die Tatbestände ins Gegenteil, versucht, mit einer gewissen Leichtigkeit zu interpretieren, was er sieht. Natürlich ist Erics Sohn spät dran – das könnte ihm der Vater direkt sagen. Aber er kleidet sein Missvergnügen lieber in einen Satz, der ihm Distanz ermöglicht. Ironie hilft, nicht in unmittelbaren Gefühlen unterzugehen, sondern Herr oder Frau der Lage zu bleiben.

Wer zur Ironie fähig ist, schafft sich Luft, befreit sich von dem Druck, zu emotional zu reagieren. Er fällt nicht mit der Tür ins Haus. Trotzdem kann nicht jeder solche sprachlichen Kapriolen nachvollziehen. Eric hat Glück: Sein Sohn versteht ihn und ist froh, dass er nicht mehr Tadel abkriegt. Deshalb reagiert er – und erklärt sich kurz, aber deutlich. Ironie funk­tioniert, wenn alle Beteiligten wissen, was eigentlich gemeint ist. Das denkt Elke auch – und irrt.

Der Besitzer des Geschäftes ist so erleichtert, dass seine Stammkundin mal nicht warten muss, dass er ihre Ironie irritiert zur Kenntnis nimmt. Klüger wäre gewesen, Elke hätte auf betont lockere Anspielungen verzichtet und ganz einfach gesagt: „Wie schön, dass ich heute gleich dran bin!“ Unverschlüsselte Botschaften kommen bei manchen Menschen bestens an. Sie mögen es nicht um die Ecke, sondern denken lieber geradeaus. Das ist eine hohe Qualität.

Der bitteren Wirklichkeit ein ­Lächeln abtrotzen

Bei der eleganten Chefin muss man genau hinschauen oder hinhören. Denn der Satz könnte pure Anerkennung ausdrücken. Tolle Frau! Er tut es nicht, wenn ein Unterton mitschwingt, eine hochgezogene Augenbraue oder eine wegwerfende Handbewegung das Gesagte konterkariert. Man ahnt: Die Chefin ist attraktiv – aber nach Meinung ihrer Angestellten macht sie Fehler. Sachliche, konstruktive Kritik wäre hier besser als bloße Ironie – dann würde nicht getuschelt, sondern gehandelt.

Wer Ironie verstehen will, muss zwischen den Zeilen lesen, muss Mimik und Gestik deuten können. Ironie, und deswegen tun sich vor allem Kinder damit schwer, verkleidet die Wahrheit. Entscheidend ist, dass alle Bescheid wissen. Ein Mädchen, das seine Kleidung verdreckt und zu hören bekommt, „Wir haben es ja!“, muss wissen, dass sich die Familie mit Ausgaben schwertut. Sonst kann es mit so einem Satz nichts anfangen und ist verstört. 

Verstörend ist es sicher zu hören: „Schön, dass dir unsere Freundschaft so wichtig ist“ – nur, weil man ausnahmsweise eine Verabredung verpasst hat. Ironisch zu sein macht schon Freude, aber es ist nur dann richtig geistreich, wenn man sich dabei nicht verstellt. Und andere nicht gemein vorführt.

Ironie ist die hohe Kunst, der oft bitteren Wirklichkeit ein ­Lächeln abzutrotzen. Aber man muss vorsichtig mit dieser Kunst umgehen. Manchmal ist es schlicht und einfach besser, unverblümt und unverstellt die Wahrheit zu sagen. Oder Gefühl zu zeigen. Echt jetzt.  
 

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Genau diese Einstellung kommuniziert "Homeland", bei der Immigration jedes US-Airports, wie jede weiß, die sich schonmal einen Scherz bei der Einreise erlaubt hat. Der Heimatschutz wäre sicher glücklich, hier einen so stringenten "theologischen" Überbau für seine Haltung zu finden.
Im Klartext: Ironie ist genau wie Satire die Waffe der Stimm- und Machtlosen gegen physische, verbale oder strukturelle Gewalt. Viele bei uns aus den ehemaligen Sovjet-Staaten oder DDR-Bürger geben davon Zeugnis. Dieses Blog ist Ausruck dessen, dass evangelische Kirche nicht verstanden hat, das sie als Gate-Keeper in einer funktional-differenzierten Gesellschaft dysfunktional ist -sowohl medial als auch moralisch.
"Manchmal ist es einfach besser, unverblümt und unverstellt die Wahrheit zu sagen": kann es sein, dass hier noch sehr reaktionäres schleiermachereskes Kirchenfürsten-Denken waltet?
Ironie on: und lag nicht auch diese BND-Zentrale, die wegen ihres Nebenjobs bei der NSA von den Kollegen ausspioniert werden musste, auf königlich-bayrischem Boden?

Inge Kuhn schrieb am 8. Oktober 2015 um 10:49: "..reaktionäres schleiermachereskes Kirchenfürsten-Denken..." Aber nicht doch! Zur Erklärung des modernen Ratschlägerinnenwesens braucht man nicht die Vorlesungen zur Praktischen Theologie des Herrn Professor Schleiermacher gelesen zu haben. Wie heißt es so schön in der Anpreisung des Beitrages: "Susanne Breit-Keßler antwortet auf Fragen, die uns bewegen." Also, liebe Leserin und lieber Leser, reihen Sie sich ein in das "Uns". Schon werden Sie wohlig von Fragen bewegt. Das tut gut und ist nicht zu verwechseln mit der seltenen Unart mancher Zeitgenossen, die Verhältnisse in Frage zu stellen und dadurch gar die Wirklichkeit in Bewegung setzen zu wollen.
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Und wenn man dann von der Frage "Wie hältst Du es mit der Ironie" bewegt ist, kriegt man auch gleich die Antwort mitgeteilt. "Wann Ironie das richtige Mittel zur richtigen Zeit ist und wo sie nichts verloren hat, erklärt die Münchner Regionalbischöfin." Alles hat seine richtige Zeit und die besten Absichten taugen nichts, wenn zum falschen Mittel gegriffen wird. Aber mit dem gekonnten Einsatz von und dem wohlüberlegten Verzicht auf Ironie wird alles gut. Die Kundin ist zufrieden und gibt weiter ihr Geld aus, sowohl die umstrittene wie auch die unumstrittene Chefin können weiter Chefin bleiben und Vater und Sohn können ohne Blutvergießen zu unterschiedlichen Zeiten das Bad benutzen. Sollten doch noch irgendwelche Fragen offen bleiben, keine Sorge! Die Ratschläge kommen als Serie ohne absehbares Ende.

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