chrismon-Chefredakteurin Ursula Ott
Foto: Katrin Binner
Erledigt: Frau Otts endgültige Ablage.
Tim Wegner
02.07.2015

Wenn ich das Wort „Metropole“ höre, denke ich: London! Hamburg! New York! Ich denke eher nicht: Oldenburg! Offenburg! ­Magdeburg! Das ist ja doof, sagen sich offenbar die Menschen, die Oldenburg, Offenburg oder Magdeburg vermarkten wollen. Da geht noch was.

Erledigt

Mehr erledigt-Kolumnen finden Sie unter chrismon.de/erledigt

Offenburg ist, laut Eigenwerbung, bereits „Messe- und Medienstadt, Kultur- und Einkaufsstadt“. Das reicht doch eigentlich. Warum muss es dann auch Teil einer „Metropolregion Oberrhein“ sein, ein „Exzellenzraum mit Modellcharakter“. Das steht so in der „Offenburger Erklärung“. Kennen Sie nicht? Ich auch nicht, aber ich war neulich zufällig auf dem Bahnhof in Offenburg. Gestrandet, auf dem Rückweg von Frankreich um 22 Uhr. Alles dunkel, alles sehr geschlossen außer einem ­altertümlichen Fotofix-Automat. Kein Kiosk, kein Café, kein Bahnschalter. Ich kann das beweisen, ­meine Kinder haben aus Verzweiflung Fotofix-Fotos ­gemacht, mit doofen Grimassen, weil es nix zu essen gab. Nicht schlimm, aber sieht so eine Metropole aus? Zappenduster um 22 Uhr?

###autor### Ähnlicher Befund in Magdeburg. Schöne Stadt, coole Kneipen, ehrwürdiger Dom, da tagte mal die EKD-Synode. Und offenbar gibt es, wie überall, einen Volkslauf. Drum hat ein Sponsor Magdeburg jetzt zur „Laufmetropole“ geadelt. Na ja. Rund 1400 Sportler laufen da jedes Jahr im Mai über die Elbbrücken, ich stelle mir das großartig vor. Aber ist man deshalb gleich eine Metropole? Zumal schon Dresden, die Stadt Hannover sowie die Städtchen Oldenburg und Bludenz um die Wette laufen um das Prädikat „Laufmetropole“.

Bludenz? Wo das ist? In Vorarlberg, einem der schönsten Flecken Europas. 14 000 Einwohner, Bodensee rechts und Alpenpanorama links. Wer da hinläuft, ob mit Wander- oder mit Turnschuhen, sucht definitiv keine ­„Metropole“, was der Duden mit „Weltstadt“ übersetzt. Der fährt zum London-Marathon. Und danach zum Chillen nach Bludenz.

Permalink

Sehr geehrte Frau Ott,
diese Zeilen müssen nicht veröffentlicht werden, sollen lediglich dazu dienen, Ihrer nächtlichen Erfahrung eine andere Perspektive anzufügen. Was so großspurig klingt und in Ihnen den Verdacht nährt, die Provinz will auch mal groß sein (welch eine Anmassung! Sie muss ja scheitern, oder wie mein Großvater immer sagte: mit den großen Hunden pinkeln gehen aber dann das Bein nicht hochkriegen), hat - leider - ganz handfeste Hintergründe. Und zwar in zweierlei Hinsicht.
Zum einen politisch-administrativ. In den vergangenen zwei Jahrzehnten, und v.a. nach der Wende von 1990, hat in vielen Bereichen (Ländern, Bund, v.a. in Europa) ein Umdenken dahingehend eingesetzt, dass nicht mehr die Ränder (Grenzregionen, Zonenrandgebiete) gefördert werden, sondern mit Blick auf die Globalentwicklungen die Zentren. Stichwort: die Starken stärken für den globalen Wettbewerb. Da könnte ich jetzt viele Beispiele nennen.
Damit einhergehend wurden nach 2000 in Europa Metropolregionen gebildet, übrigens im Zuge einer sog. Regionalförderung (ein ganz anderer Aspekt: zu erkennen, wie tatsächliche Aktivitäten durch Begriffe verschleiert werden). In Deutschland waren das 11, unter anderem meine Heimatregion, die drei Länder berührende "Metropolregion Rhein-Neckar" (Nord-Baden, Pfalz, Südhessen). Der nächste Schritt war, Euro-Regionen zu bilden, z.B. entlang der Region Ober-Rhein. Um anzugeben? Nein, es geht - wie so oft - um den Mammon, hier um Fördergelder aus dem EU-Topf, der sich - Sie werden es ahnen - an 'Metropolregionen' orientiert. Definiert und ausgestattet von Politikern, die darauf achten müssen, dass auch alle etwas abbekommen.
Nun zum zweiten Punkt, und das betrifft Ihre Profession.
Auch der aktuelle Journalismus reagiert - ob bewußt oder unbewußt und eigentlich schon immer - auf solche Etiketten. Und sei es - wie in Ihrem Fall - negativ. Es gibt eine Untersuchung, dass das Label 'Metropolregion' einhergeht mit größerer Aufmerksamkeit im weitesten Sinn: Unternehmen, Arbeits-, Führungs- und Nachwuchskräfte, potente Rentner - alle wollen dahin, wo es boomt. Getreu dem Motto (ein weiteres meines Großvaters): der Teufel (ich bitte um Entschuldigung) scheißt auf den größten Haufen.
Was sollen die armen Kommunalpolitiker (Bürgermeister, Landräte, Abgeordnete) denn tun? Ganz im Zuge der Zeit mitschwimmen: so wie jede Region versucht, eine 'Metropole' zu werden (übrigens unterstützt von der neuesten Variante, den Titel "europäische Kulturhauptstadt" einer Region zuzuordnen), so jeder einigermaßen passable Wanderweg ein "Steig".
So ist das. In der Hoffnung, dass Sie sich bereichert fühlen, und nicht belehrt.
Eberhard Petri
Bürgermeister a.D., 13 Jahre Mitglied der Verbandsversammlung der Metropolregion Rhein-Neckar, Südhesse

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Skateboard aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.