Foto: Dorothee Hörstgen
Tim Wegner
19.09.2011

Was haben Immobilien, der deutsche Lokaljournalismus und der Naturschutz gemeinsam? Sie sind sexy. Oder sie sollen sexy werden. Oder sie machen sexy. Hilfe, hechel, haben wir was verpasst? Liegen die erogenen Zonen der Deutschen zwischen dem Gewerbegebiet Neuperlach-Süd und dem Naturschutzgebiet Braderuper Heide?


Hallo, Jungs und Mädels vom Bundesfreiwilligendienst im Naturzentrum Braderup. Lasst das mal lieber mit diesem Altherrenmotto „Naturschutz macht sexy“. Ihr seid doch noch jung, wir gehen mal davon aus: Ihr habt doch noch Sex! Und ihr habt echte Feuchtgebiete! Wer heute seine Ware als „sexy“anpreist – und das machen vom Banker über die Stadt Berlin bis zum Gabelstaplerhersteller ziemlich viele – der hat’s meistens nötig.

Sexy Immobilien? Die führten in die Finanzkrise!


Fangen wir mit dem Investmentbanker an. Ist schon ein paar Jahre her, August 2006, als der Investmentchef des weltgrößten Gewerbe­immobilien-Dienstleisters CB Richard Ellis verkündete, Immobilien seien jetzt sexy. Das irritierte die Leserin nicht nur, weil sie Vokabeln wie „Verzinsungserwartung“ und „Liquiditätsüberhang“ bislang nicht zu ihrem Dirty-Talking-Vokabular zählte. Es irritierte auch, weil ein Immobilien­banker alles Mögliche sein soll – seriös, smart, sicherheitsorientiert. Aber ein Sexgott? Die Folgen sind bekannt. Die Erregungskurve am Immo­bilienmarkt führte geradewegs in die weltgrößte Finanzkrise. Tausende von Amerikanern fanden eigene Häuser extrem sexy, aber hatten im Rausch der Hormone vergessen, dass man sie auch abbezahlen muss.


Ähnlich tragisch wirkte neulich die Aufforderung an die deutschen Zeitungsverleger, der Lokaljournalismus müsse endlich wieder „sexy“ werden. Schon klar, was gemeint ist: Das gute alte Lokalblatt muss wieder attraktiv werden, vor allem für die junge Internetgemeinde. Vor ein paar Jahren hätten die total aufgeschlossenen Verleger noch „toll“ gesagt und dann „cool“. Genutzt hat das Rangewanze an die Jugend nix. Die Auflagen sinken weiter, und  wenn die Kids Sex suchen, finden sie den eh im Internet. Wer dem deutschen Lokaljournalismus was Gutes tun will, muss Autoren besser bezahlen, Anzeigenkunden in Schach halten, eine gute Zeitung machen. Klingt unsexy. Stimmt aber.

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Liebe Frau Ott, ich stimme Ihnen zu! Als ich Ihre Ablage gelesen habe, habe ich gemerkt, dass ich auf so einen Beitrag schon gewartet hatte. Vor zweieinhalb Jahren habe ich auf einem Workshop zu Friedensjournalismus das erste Mal von "sexy Beiträgen" gehört. Man mache das jetzt so beim ZDF und die Rednerin wolle bei sich schließlich keine Ausnahme machen. Warum denn nicht? In einem Unternehmen, in dem ich kürzlich Praktikum machte, war es ähnlich: Der Abteilungsleiter äußerte sich über ein Angebot mit den Worten "Das sei doch sehr sexy - wie man ja heute sagen würde." Muss man aber zum Glück nicht! Und es hat meiner Meinung nach dort auch nichts zu suchen!
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Zitat aus dem Artikel: "Die Erregungskurve am Immobilienmarkt führte geradewegs in die weltgrößte Finanzkrise. Tausende von Amerikanern fanden eigene Häuser extrem sexy, aber hatten im Rausch der Hormone vergessen, dass man sie auch abbezahlen muss." ------------------------ Zu einer soliden Sprache, die den übermäßigen Gebrauch von Unterleibswörtern vermeidet, schrecklichen englischen überdies, passt eine ebenso solide ökonomische Sichtweise. Die Finanzkrise lag also an der Gier und Unbeherrschheit amerikanischer Normal- und Niedriglöhner. Da bleibt in der Tat kein Auge trocken. Aber das ist schon wieder so ein anzüglicher Feuchtgebietshinweis....

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