Erfolgreich, weiblich, jung
Sanna Marin ist 34 Jahre 
alt und Ministerpräsidentin 
von Finnland. Endlich nehmen sich Frauen die Macht, die ihnen zusteht.
Irmgard SchwaetzerJulia Baumgart
30.01.2020

Vorgelesen: Auf ein Wort "Erfolgreich, weiblich, jung"

Seit Mitte Dezember regiert in Finnland die jüngste Ministerpräsidentin der Welt: die 34-jährige Sanna Marin. Darüber freue ich mich sehr! Denn ich habe ja selbst erlebt und beobachtet, wie ­schwierig es für Frauen ist, in Bereiche der Gesellschaft und der Macht vorzustoßen, in denen Männer domi­nieren. Marins Berufung ins höchste Regierungsamt ist da ein echter Sprung nach vorne. In Sanna Marins ­Kabinett sind außerdem elf von 17 Mitgliedern Frauen.

Irmgard SchwaetzerJulia Baumgart

Irmgard Schwaetzer

Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin a. D., war von November 2013 bis Mai 2021 Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Heraus­geberin des Magazins chrismon.

In der Vergangenheit gelangten Politikerinnen oft dann in ein hohes Amt, wenn die männlichen Vorgänger versagt hatten oder das Handtuch warfen. Ich wurde 1982 Generalsekretärin der FDP, nachdem Günter Verheugen zur SPD übergetreten war. Nun ging es darum, die zerstrittene Partei zusammenzuführen und die kurz danach anstehende Bundestagswahl vorzubereiten. Das geht nur mit hohem persönlichen Einsatz, Entschlossenheit und Einfühlungsvermögen. Es gelang.

Vielleicht habe ich aber auch zu oft abgewartet, bis die Männer mir einen interessanten Posten zugeteilt ­haben. Ich finde es toll, dass sich die jungen Frauen nun nehmen, was ihnen zusteht. Sie haben ganz sicher den Machtansprüchen (auch den manchmal übergriffigen) von Männern etwas entgegenzusetzen!

Die Frauen sind selbstbewusster

Denn noch etwas hat sich verändert: Das Selbst­bewusstsein der Frauen ist gewachsen. Sanna Marin ist zwar auch erst Ministerpräsidentin geworden, nachdem ihr Vorgänger zurückgetreten war, weil er eine mehr­wöchige Krise um Reformen der finnischen Post schlecht gemanagt hatte. Aber Marin hat schon früher nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie sich große Aufgaben ­zutraut. Und sie hat bewiesen, dass sie es kann: Als stellvertretende Parteivorsitzende hat sie den jüngsten Wahlkampf erfolgreich geführt und als Verkehrsministerin gute Arbeit geleistet. Deshalb trauen ihr nun viele zu, eine komplizierte Koalition zu leiten.

Auch in der Wirtschaft steigen deutlich mehr Frauen in Führungspositionen auf und endlich vermehrt bis in die Aufsichtsräte großer Unternehmen. Es wurde Zeit. Dass Frauen gleichermaßen talentiert sind wie Männer, haben Leistungsvergleiche oft genug ergeben. Die Vermutung, dass sich nur wenige Mädchen für Technik und Naturwissenschaften interessieren würden, ist spätestens seit der jüngsten Ausschreibung der Stiftung "Jugend forscht" ­widerlegt: Die Stiftung schreibt jedes Jahr einen Wett­bewerb zu den besten Forschungsideen unter Jugendlichen aus. 2019 lag der Anteil der Bewerberinnen bei über 40 Prozent. Die Mädchen reichten vor allem Themen aus der Biologie ein.

Die Frauenbewegung ist noch lange nicht am Ziel

Sanna Marin ist verheiratet und hat eine kleine Tochter. Auch in dieser Hinsicht ist sie typisch für ihre Generation: 
Junge Frauen wollen Karriere und Kinder verbinden und fordern selbstbewusst ein, dass ihnen das ermöglicht ­werden muss. Auch das ist eine erfreuliche Entwicklung. Doch Gesellschaften verändern sich langsam, und leider sehen es nach wie vor viele Männer als Sache der Frauen an, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Männer, die diese Verantwortung scheuen, wissen oft gar nicht, um welche bereichernde Erfahrung sie sich bringen.

Und leider, das muss man auch sehen, feiern gegenwärtig gerade Politiker Wahlerfolge, die ein traditionelles Frauen- und Männerbild propagieren und einen ausgeprägten ­Machismo vor sich hertragen. Auch viele Frauen geben ihnen ihre Stimmen. Die Frauenbewegung ist also noch lange nicht am Ziel. Die Generation der selbstbewussten jungen Frauen macht dennoch Hoffnung.

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Frauen sind in Politik und Ökonomie unterrepräsentiert. Die Vorgabe des Grundgesetze nach gleicher Bezahlung für gleiche Leistung wird nicht oder nur teilweise erfüllt. Ich höre die Klage, allein mir fehlt eine der Ursachen. Liege ich falsch in der Voraussetzung, dass, wer was will, auch daran Interesse haben sollte? Weibliche „Leuchttürme“ gibt es in den Naturwissenschaften zuhauf. Wie steht es mit anderen Frauen und Themen? Nahe am „Volk“ und damit auch an den Interessen sind die Tageszeitungen. Die Zahl der Leserbriefe ist zwar kein Beweis, aber sie taugt zu einer Vermutung für die Gründe der Unterbewertung und des favorisierten Interesses der weiblichen Leser. In der hiesigen Tageszeitung habe ich gezählt. Es waren in mehreren Ausgaben 103 Leserbriefe, davon offensichtlich 80 von Männern und 23 von Frauen. Der Schwerpunkt der Frauenzuschriften betraf u. a. Tiere, persönliche Schicksale, grüne und soziale Themen. Zu nationalen und internationalen politischen Artikeln und Kommentaren gab es so gut wie keine Leserbriefe von Frauen. In den letzten 10 Ausgaben des SPIEGEL waren es 170 -123-47. Die Zahlen gleichen sich. Die Tendenz von nur ca. 25% ist bestätigt. Sollten die Redaktionen wegen der auch ihnen bekannten Zahlen weibliche Leserbriefe auch nur leicht bevorzugen (was verständlich wäre), dann würde der Anteil der Frauen vermutlich sogar unter 20% sinken. Warum ist das so? Spiegelt sich in diesen Zahlen auch das Interesse an Öffentlichkeit, Politik und der Bereitschaft zur eigenen Meinung? Das sind Fragen, die Soziologen und Gesellschaftswissenschaftler beantworten sollten. Mit einer Antwort wäre dann auch die Frage der Frauenquote leichter zu beurteilen. 102 zu 25. Die Zahlen gleichen sich. In beiden Fällen unter 25% weibliche Zuschriften. Sollten die Redaktionen wegen der auch ihnen bekannten Struktur weibliche Leserbriefe auch nur leicht bevorzugen, was verständlich wäre, dann würde der Anteil der Frauen sogar unter 20% sinken. Warum ist das so? Spiegelt sich in diesen Zahlen auch das Interesse an Öffentlichkeit und Politik und der Bereitschaft zur eigenen öffentlichen Meinung? Das sind Fragen, die Soziologen und Gesellschaftswissenschaftler beantworten sollten. Mit einer Antwort wäre dann auch die Frage der Frauenquote in allen Bereichen leichter zu beurteilen.

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