15.11.2010

Einen Schritt auf neues Terrain wagen. Eine Schwelle überschreiten. Ein neues Kapitel aufschlagen. Darauf freuen wir uns, wenn ein neues Jahr beginnt. Es geht um Wünsche, eine Sehnsucht. Darum, Beziehungen zu stabilisieren. Um die Hoffnung auf Neubeginn, auf eine frische Chance. Doch nicht immer verbinden sich damit Lust und Freude. Für manche ist jeder Aufbruch ins Neue oder sogar jeder neue Tag mehr als ein Wagnis, ein schwerer Schritt, eine große Belastung.

Gerade die Morgenstunden sind für viele Menschen, die unter depressiven Stimmungen oder unter einer krankhaften Depression leiden, die dunkelste Zeit. Wenn die anderen sich aufmachen in den neuen Tag, wenn um sie herum alles auf die Höhe des Tages zustrebt, verkriechen sich Menschen mit Depressionen in ihr Schneckenhaus. Auch der bevorstehende Frühling, die Vorfreude der Nachbarn, Freunde und der Familie auf die länger werdenden Tage, der erste Frühjahrsputz und Planungen für den Sommerurlaub . . . Das ist schwer, das kann so manchen regelrecht abhängen, das kann einsam machen.

Im Dreißigjährigen Krieg schrieb Georg Neumark (1621-1681), der Dichter und Komponist das bis heute beliebte Lied "Wer nur den lieben Gott lässt walten". Darin die eindrücklichen Zeilen: "Was helfen uns die schweren Sorgen? Was hilft uns unser Weh und Ach? Was hilft es, dass wir alle Morgen beseufzen unser Ungemach? Wir machen unser Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit."

Wenn sich grund- und bodenlose Traurigkeit über einen Menschen senkt

Modernen Therapiemethoden entspricht der Ton dieser Fragen und Mahnungen wohl kaum. Aber wer so spricht, versteht immerhin, was es bedeutet, wenn die grundlose und bodenlose Traurigkeit einen im Griff hat. Wer so spricht, rührt immerhin an dem bleiernen Vorhang, der unsichtbar die Tatendurstigen und Lautstarken von denen trennt, die sich lautlos quälen und es nur ganz schwer schaffen, dem Leben unbeschwerte Stunden abzuringen.

Am 10. November 2009 hat sich Nationaltorwart Robert Enke das Leben genommen. Die Trauer trug viele Gesichter. Seine Familie hatte ihn getragen in all den schweren Stunden und ihn doch nicht halten können. Seine Fans hatten den sympathischen, besonnenen, erfolgreichen Fußballer und Torwart vor Augen. Sie fragen: Warum? Viele waren betroffen von Robert Enkes Tod, weil sie das eigene Schicksal oder das eines Freundes, der Partnerin wiedererkannten. Verzweifelt darüber, dass es so weit kommen kann, wenn Traurigkeit keinen Ort mehr im Leben haben darf. Wütend darüber, dass Stress und Atemlosigkeit unserer Zeit, aber auch Leistungsdruck und Karrierewahn täglich Menschen in die Enge und in den Tod treiben.

Georg Neumarks Liedverse kennen nur noch wenige Menschen als tröstliche Antwort auf dunkle Stunden in der Depression. Aber das, wovon er spricht, wenn er dichtet: "Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit", kann, übersetzt, wohl ein Anhaltspunkt für Heilung und Lichtblick in der Krankheit sein: Gott schaut auf dich, er sieht dich an, unter seinem Blick kann sich etwas verändern. Dass Gott die Tiefe deiner Gedanken und die Abgründe deiner Seele, die Dunkelheit deiner Tage kennt, kann dich mit dir und deinem Leben versöhnen.

Solches Gottvertrauen kann tragen auch am Beginn eines neuen Jahres!

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