20.10.2010

Flughafen Charles de Gaulle in Paris. Wer hier zwischenlandet, muss Zeit genug zum Umsteigen mitbringen -­ so wie an anderen großen Drehkreuzen, in Frankfurt am Main oder Schiphol. So bleiben manchmal zwei, drei Stunden für einen Imbiss, einen Einkaufsbummel oder ein paar Telefonate. Vielleicht auch für den Besuch der Flughafenkapelle. In Paris liegt sie auf der unteren Etage zwischen Ankunfts- und Abflughalle ­ im Bauch des Flughafens. Ich landete dort in der Mittagspause auf dem Weg von Hannover nach Kairo. Es war nicht schwer, dieses so genannte "Spirituelle Zentrum" zu finden. Die Tür stand offen, eine große Menge muslimischer Männer drängte herein. Eine Moschee? Das Schild am Eingang wies untrüglich aus: Dies ist ein Zentrum für Christen, Juden und Muslime. Vom Innenraum gingen offenbar drei Türen ab; die mittlere führte zu der kleinen Moschee, die beiden anderen zu Kirche und Synagoge.

In die Moschee hineinzukommen war unmöglich. Die Tür stand zwar offen, aber nur damit die Männer davor mitbeten konnten. Denn im Innern herrschte drangvolle Enge, und auch draußen breitete sich ein Gebetsteppich an den anderen, bis an die Wand, wo sich die Schuhe der Besucher stapelten. Vorsichtig bahnte ich mir meinen Weg. Jemand fuhr mich an; ich war auf einen Gebetsteppich getreten. Nein, wer die Schuhe nicht auszog, hatte selbst im Vorraum keine Chance. Die Synagoge war übrigens leer, auch die christliche Kapelle. Nur die Eintragungen ins Fürbittbuch, das dort ausliegt, ließen erkennen, dass an diesem Tag zwei Menschen hier gewesen waren. Aber ob der Stapel Gesangbücher je genutzt wird?

Was Religionsfreiheit bedeutet, weiß nur der, der sie nutzt.

Auf dem Weg von Paris nach Kairo hat mich diese Beobachtung weiter beschäftigt. Sie schien mir ein Bild zu sein für andere Fragen des Zusammenlebens. Was Religionsfreiheit bedeutet, weiß nur der, der sie nutzt. Und die neutralen Zwischenräume werden schnell besetzt, wenn wir sie nicht verteidigen. In diesem Gebetszentrum jedenfalls hatte ich gestört, als ich zwischen den Betenden den Weg zur christlichen Kapelle suchte. Immerhin: Zwei, drei Männer hatten ihre Teppiche beiseite gerückt und Platz gemacht. Dass einer dem anderen Raum gibt, ist keinesfalls selbstverständlich. Die Diskussion um islamischen Religionsunterricht oder um islamwissenschaftliche Fakultäten ist tatsächlich ein Ringen um das Entree in diese Gesellschaft. Und der Streit um Rechtsfragen vom Schächten bis zum Schleier, vom Eheverständnis bis zur Verfassung ist ein Kampf um den säkularen Raum. Er konstituiert sich aus Überzeugung und aus Toleranz, zwischen Religionsfreiheit und Glaubensbindung. Werden wir gleichgültig, geht er verloren.

Vor kurzem habe ich eine Auswanderergemeinde an der türkischen Riviera besucht. Deutsche, die fast alles hinter sich gelassen hatten, suchten eine religiöse Heimat. Als bei Antalya der "Garten der Religionen", ein Begegnungszentrum von Juden, Christen und Muslimen, eröffnet wurde, gründeten sie einen Verein und mieteten ein Ladenlokal, um dort Gottesdienste zu feiern. Es ist nicht selbstverständlich, als christliche Gemeinde in der Türkei zu leben, rechtlich nicht und auch praktisch nicht. Manche würden am liebsten eine alte Kirchenruine wieder aufbauen. Denn der Glaube braucht einen Ort, eine Gemeinschaft und einen Raum des Rechts und der Freiheit. Cornelia Coenen-Marx

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