Kaum war den Bundesländern die Zuständigkeit für die gesetzliche Regelung der Ladenschlusszeiten übertragen, versuchten sich manche Länder an die Spitze des vermeintlichen Fortschritts zu stellen. Ganz vorne das Land Berlin: Hier dürfen an bis zu zehn Sonntagen im Jahr alle Läden ab 13 Uhr geöffnet sein. In Schleswig-Holstein sind es vier Sonntage. Viele Menschen scheinen darauf nur gewartet zu haben. Einkaufsmöglichkeiten rund um die Uhr: Das verspricht ein besonderes Lebensglück für Menschen, denen aus dem Blick geraten ist, was dem Leben wirklich Qualität gibt. Und kaum einer von ihnen bedenkt: Wer morgen sonntags einkaufen will, der muss übermorgen sonntags arbeiten. Ganz schnell wird dann auch er zu einem Rädchen im Rechenspiel von Maschinenlauf- und Dienstleistungszeiten.

"Du sollst den Feiertag heiligen!"

Die Kirchen und Gewerkschaften protestieren gegen diese unnötigen und für Individuen und Gesellschaft nachteiligen Öffnungszeiten. Sie wollen, dass möglichst viele Menschen einmal in der Woche gemeinsam arbeitsfrei haben, Zeit für ihre Familien und Freunde. Für die Kirchen geht es dabei sogar noch um mehr. Sie haben nicht nur die Gottesdienstbesucher vor Augen, denn die normalen Gottesdienstzeiten sind weiterhin in allen Bundesländern geschützt. Ihre Einstellung zum Sonntag wird vom dritten der Zehn Gebote geprägt: "Du sollst den Feiertag heiligen!"

Die Christen haben den wöchentlichen arbeitsfreien Tag von den Juden übernommen. Zwar begehen sie diesen Feiertag nicht mehr wie die Juden am siebenten, sondern am ersten Tag der Woche, deshalb nämlich, weil sie am Sonntag der Auferweckung Jesu gedenken. Aber sie können, was die Wichtigkeit dieses Tages betrifft, viel von den Juden lernen.

Zu den nachhaltigsten Erlebnissen jener sechs Jahre, in denen ich als Pfarrer in Jerusalem arbeitete, gehört die Art und Weise, wie Juden den Sabbat feiern. Die frommen Juden, die die Sabbatgebote ganz streng nehmen, arbeiten nicht, kochen nicht, bereiten keine Speisen vor, gehen oder fahren nicht mit dem Auto ­ außer allenfalls zum Gottesdienst in die Synagoge. In Jerusalem sind am Sabbat traditionell auch die Restaurants und Kinos geschlossen.

Ich erinnere mich an eine heftige Auseinandersetzung. Ein Kino hatte mit regelmäßigen Vorstellungen nach Beginn des Sabbats begonnen, also nach Einsetzen der Dämmerung am Freitagabend. Daraufhin demonstrierten Woche für Woche zahlreiche fromme Juden gegen diese Veranstaltungen. Ich war nicht wenig erstaunt über das Engagement, mit dem das Ruhegebot des Sabbats verteidigt wurde. Solches Engagement sollte uns zu denken geben.

Die Sabbatruhe durchbricht die Hektik des Alltags

Die Sabbatruhe durchbricht die Hektik des Alltags. Sie relativiert, was im alltäglichen Leben wichtig zu sein scheint. Der wöchentliche Feiertag ist ein Geschenk Gottes an die Welt: Er dient dem Wohl der Menschen. Er ist nichts, was reglementiert. Ganz im Gegenteil: Er hebt die Reglements, denen wir uns im Alltag unterwerfen, auf ­ für einen ganzen Tag der Woche.

Es ist leider allzu offensichtlich: Der Sonntag ist in Gefahr. Es gibt schon jetzt fast keinen Rhythmus von Arbeit und Ruhe mehr, der die Gesellschaft insgesamt bestimmt. Ohne einen allgemein geschützten Sonntag zerfällt die Woche in ewig gleiche Tage. Ohne Sonntage gibt's nur noch Werktage. Johannes Friedrich

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