Multiresistente Keime
Personalschleuse Aufschrift auf einer Glastür im Krankenhaus
Sandra Finger / chromorange / picture alliance
Wenn Antibiotika nicht mehr wirken
Ja, was dann? Michael Ebenhoch, Infektiologe an der BG Unfallklinik Murnau, spricht über Hintergründe und warnt vor Panik.
Tim Wegner
29.04.2019

chrismon: Weltweit breiten sich multiresistente Erreger aus, man sagt auch MRE. Was ist so gefährlich daran?

Michael Ebenhoch: Multiresistente Erreger sind nicht, wie häufig beschrieben, aggressiver als sensible Bakterien, sondern schwieriger oder gar nicht mehr mit Antibiotika behandelbar. Schwere Infektionen mit MRE führen deutlich häufiger zum Tod als zu der Zeit, als es noch Antibiotika dagegen gab. Wir steuern auf eine sogenannte Post-antibiotic-Ära zu.

Trotzdem nimmt der Antibiotikaverbrauch weltweit zu, vorn dabei die Tiermast – dort werden tonnenweise Antibiotika eingesetzt, die eigentlich Reservemittel sind. Ein Verbot der EU tritt erst 2021 in Kraft. Warum geht das so langsam?

Das Thema ist komplex und weitläufig. Vor allem sind Infektionen mit MRE nicht so öffentlichkeitswirksam wie zum Beispiel die Schweinegrippe oder Ebola. Sie entwickeln sich schleichend und treffen selten junge, gesunde Menschen, sondern Immungeschwächte, Alte und schwer vorerkrankte Patienten. Es mangelt an Aufklärung, wie Antibiotika wirken.

Wer muss besser aufgeklärt werden?

Fast alle. Die Kliniken sind mittlerweile gut dafür sensibilisiert, Antibiotika maßvoll einzusetzen. Trotzdem wird noch zu häufig und zu lange behandelt. Laut Statistiken werden 80 Prozent der Antibiotika von niedergelassenen Ärzten verschrieben. Mit den Niedergelassenen muss ein viel engerer Austausch entstehen. Auch bessere Diagnoseverfahren wären nötig.

Privat

Dr. Michael Ebenhoch

Dr. Michael Ebenhoch, 46, war als Anästhesist und Intensivmediziner schon viele Jahre in der BG Unfallklinik Murnau tätig, als ihm bewusst wurde, dass fast die Hälfte aller schwer kranken Patienten auf Intensivstationen Gefahr laufen, früher oder später an einer Infektion zu erkranken. Er qualifizierte sich in einer zweijährigen Ausbildung zum Infektiologen und später zum Krankenhaushygieniker.

Wie könnten die aussehen?

Einige gibt es schon. Mit Bluttests kann man auch bei Erkältungen schnell feststellen, ob sie von Viren oder von Bakterien kommen. Eine Alternative wäre, im Zweifel abzuwarten und den Patienten für den nächsten Tag wieder einzubestellen. Im Klinikalltag beobachten wir oft zunächst. Aber das ist im deutschen Gesundheitssystem nicht grundsätzlich vorgesehen. Und auch der Patient hat so seine Vorstellungen.

Sie meinen, dass viele sich Antibiotika wünschen, weil sie denken, so würden sie am schnellsten gesund?

Ja. Das ist oft ein Trugschluss. Die meisten Erkältungen werden durch Viren ausgelöst, die nicht auf Antibiotika reagieren. Da sind die Hausärzte gefragt. Die ehrliche Antwort lautet in solchen Fällen: Mit meiner Verschreibung dauert es sieben Tage. Ohne: eine Woche.

Jeder, der in den Niederlanden ins Krankenhaus eingeliefert wird, wird sofort auf MRE getestet. Wie verfährt die BG Unfallklinik Murnau?

Wir haben Risikogruppen identifiziert, die wir bei der Ankunft auf multiresistente Bakterien untersuchen: Patienten aus anderen Krankenhäusern, Alten- oder Pflegeheimen und Reisende, vor allem wenn sie in asiatischen Ländern unterwegs waren. Zudem haben wir erkannt, dass auch Landwirte öfter mit multiresistenten Keimen - häufig MRSA - besiedelt sind, überraschenderweise auch aus kleinen Betrieben. Seit 2017 koordinieren wir das von der Stabsstelle für Hygiene, klinische Infektiologie und Mikrobiologie. Wir sind zwei Ärzte und vier Hygienefachkräfte, die Hygienebeauftragten - vier Ärzte und 38 Pfleger - fungieren als Schnittstelle zu den einzelnen Stationen.

Welche Maßnahmen haben Sie außerdem ergriffen?

Wir haben unsere Klinik in Risikobereiche unterteilt: Die Intensivstation gehört dazu. Dort werden die Risikogruppen isoliert, bis die Ergebnisse vorliegen. Wichtig: Wir haben ein eigenes mikrobiologisches Labor, dank dem wir schnell und hochwertig diagnostizieren können. Das ist ein enorm wichtiger Vorteil gegenüber anderen Kliniken.

Viele Krankenhäuser arbeiten mit externen Laboren zusammen.

Im Bestreben, wirtschaftlicher zu sein, hat man den Wert eines eigenen Labors unterschätzt. Oft holen die Lieferdienste die Proben erst am nächsten Tag ab. Diese Krankenhäuser verlieren bis zu drei Tage, bis Ergebnisse eintreffen. Da freuen sich Keime.

Unterscheidet sich Ihre Klinik bei den Hygienemaßnahmen von anderen Krankenhäusern?

Wir können in unserem Klinikverbund zum Beispiel mit Hygiene- oder Antibiotikateams schnell schlagkräftige Strukturen schaffen. Wir behandeln unsere Patienten mit allen geeigneten Mitteln, dies ist ein Grundsatz der berufsgenossenschaftlichen Unfallkliniken. Aber die meisten Krankenhäuser sind mittlerweile hygienisch gut aufgestellt. Inzwischen haben alle Bundesländer relativ weitreichende Vorgaben für Hygienemaßnahmen und zum Bedarf an Fachpersonal.

Der Status des Fachpersonals wird von manchen Experten kritisiert: Es stehe zu weit unten in der Hierarchie.

Das trifft in unserer Klinik nicht zu, denn als Stabsstelle sind wir direkt der Geschäftsführung zugeordnet. Das zeigt, dass der Stellenwert, Infektionserkrankungen zu vermeiden und zu behandeln, sehr hoch ist. Das Problem ist: Deutschland bräuchte überhaupt genug Fachkräfte, dafür mehr Ausbildungsstellen und dafür mehr Gelder. Denn das Wissen um die Keime und die Behandlung sind komplex, zumal bei MRE. Da reicht kein Blockkurs mehr.

Wie ist denn die Lage im Moment?

In Deutschland haben wir es geschafft, die Zahlen stabil zu halten. Wenn Sie nach Indien reisen, bringen Sie ziemlich sicher einen resistenten Keim mit. Länder im Südosten Europas, wie Griechenland oder Italien, haben ein Problem mit diesen Erregern. In manchen Gegenden Griechenlands wirkt gegen bestimmte Erreger kein Reservepräparat mehr.

Muss ich überdenken, ob ich Überträgerin eines Keims sein könnte?

Bei aller Brisanz sollten wir doch Ruhe bewahren. Die Keime sind zwar gegen Antibiotika hochgerüstet, für einen gesunden Menschen stellen sie aber keine akute Gefahr dar. Häufig verlieren wir die Keime bald wieder. Übertragungen erfolgen fast immer durch direkten Kontakt, ließen sich also in vielen Fällen vermeiden.

Auch im Krankenhaus?

Theoretisch ja. Die Umgebung eines infizierten Patienten ist schnell kolonisiert, also besiedelt. Aber nur, weil man ihn anfasst und sich dann auf dem Bett abstützt, den Lichtschalter bedient oder schnell etwas in den Computer tippt. Die wichtigste Regel ist nicht ohne Grund: immer die Hände desinfizieren – Handfläche, Handrücken, die Fingerspitzen und auch die Zwischenräume. Das A und O in unserer täglichen Arbeit. Würden alle das immer sofort machen, müssten wir die meisten Patienten nicht isolieren. Nur: Das bei allen alltäglichen, teils unbewussten Bewegungen durchzuhalten, ist fast unmöglich.

Entwickeln sich gegen Desinfektionsmittel nicht auch Resistenzen?

Das ist unwahrscheinlich. Desinfektionsmittel bestehen fast nur aus Alkohol und wirken über eine unspezifische Zerstörung von Eiweißmolekülen. Das ist, als würde man mit einem Hammer auf eine Nuss hauen.

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