Fulbert Steffensky, Theologe am Vierwaldstättersee in Luzern fotografiert.Sophie Stieger
29.04.2011
1. Sonntag nach Epiphanias
Stellt euch nicht dieser Welt gleich!
Römer 12,1-3

Wir sind, wie Meister Eckhart sagt, „nicht zu Kleinem geschaffen“. Alle Aufforderungen, Gebote, Verbote und Ermahnungen der Bibel arbeiten an der Größe und Freiheit des Menschen; wo sie dies nicht tun, sind sie unerheblich.

Auch die Ermahnung oder besser die Ermunterung, mit der das zwölfte Kapitel des Römerbriefes beginnt, hat die Würde des Menschen im Auge. Zu dieser Würde gehört die Fähigkeit, sich zu ändern und sich zu erneuern. Sich „der Welt gleichstellen“ heißt, in fataler Kontinuität bei sich selber zu bleiben und sich fortzusetzen bis zur Selbstverholzung.

Alle Würdezumutungen rechnen mit der Notwendigkeit, sich zu unterbrechen. „Ein zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten“, heißt es im 51. Psalm. Das „zerschlagene Herz“ ist das Herz des Menschen, der den Bruch mit sich selber gewagt  hat. Das „neue Herz“ und der „neue Geist“ sollen das Herz aus Stein ersetzen, verspricht der Prophet Hesekiel (36,26).

Welche Schönheit und welche Zumutung: Ein Mensch wird aus „dieser (seiner) Welt“ weggelockt. Er folgt dem Lockruf und versteift sich nicht auf seine alte und verkommene Identität; auf seine bisherigen Ansichten und Lebensentwürfe und wird neu. Er bleibt sich selber nicht Mittelpunkt, er denkt neu und er handelt neu.

Es gibt eine falsche Form der Selbsttreue

Die „Erneuerung des Sinnes“ ist eine große Lebensleistung. „Was, meinst du, ändert sich leichter, ein Stein oder deine Ansicht darüber?“, fragt Brecht. Man handelt nur neu, wenn man gelernt hat, neu zu sinnen und neu zu denken.

Es gibt eine falsche Selbsttreue derer, die Fortsetzung und Kontinuität als das einzige Mittel kennen, am Leben zu bleiben. Ich war kürzlich an einem Morgen auf einem großen Bahnhof und sah dort Stöße von Holzteilen aufgestapelt. Ich wusste nicht, wozu
sie dienen könnten. Am Abend war ich wieder in diesem Bahnhof, und die Holzteile waren in Windeseile zu vielen völlig gleichen Holzhütten aufgebaut. Keine Hütte hatte eine eigene Handschrift und ein eigenes Gesicht. Sie waren vorfabriziert.

So geht es Menschen und Institutionen manchmal. Sie denken in vorfabrizierten Gedanken, und diese Gedanken lassen die Handschrift des Lebens nicht mehr erkennen, sie spiegeln kein Leben wider. Sie sind zu mächtigen, aber toten Gedanken geworden, die ins Nichts gebaut sind und in denen Gottes Wille unkenntlich geworden ist. Das Denken ist zum eigenen Gefängnis geworden und oft genug zum Gefängnis der Menschen, mit denen wir leben.

Wie lernt man es, vor der Katastrophe neu zu denken?

Jede „Erneuerung des Sinnes“, jedes Neu-denken-Lernen ist ein Wagnis und ein Schritt ins Offene und noch nicht Gekonnte. Im alten morschen Denkgebäude war man vor dem Gröbsten geschützt, und man weiß ja nicht, wohin der neue Geist führt. Die
Angst flüstert uns zu, sich ins alte schlechte Haus zu kauern und sich tot zu stellen.

Gelegentlich lernt man, durch Katastrophen und Untergänge neu zu denken, wie unser Volk durch Krieg und Vernichtung einiges gelernt hat. Aber wie lernt man es vor der Katastrophe und zur Vermeidung der Untergänge? Man muss wohl an Gott glauben, wenn man den Schritt ins Freie wagen soll; an den Gott, der durch die Brüche hindurch unser Herz hält.

Unsere Kontinuität liegt nicht bei uns selbst, bei den immer schon gedachten Gedanken und den immer schon gegangenen Wegen. Sie liegt bei dem, der uns über die Abgründe hinweg hält.

Am Ende noch einmal Bert Brecht aus den Keunergeschichten: „Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ‚Sie haben sich gar nicht verändert.‘ ‚Oh!‘, sagte Herr K. und erbleichte.“

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