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Christoph Johannes MarkschiesThomas Meyer/OSTKREUZ
17.09.2013
Michaelis - Tag des Erzengels Michael und aller Engel
Die Jünger traten zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich? Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.
Matthäus 18,1-10

„Wer ist der Größte?“. Für die Antwort auf diese Frage gibt es in unserer Gesellschaft zuverlässige Indikatoren. Einige kennen wir: „Mein Haus – mein Auto – mein Boot“. Auf andere werden wir eher unsanft ge­stoßen. „Sie sind der jüngste Professor und haben die meisten Fenster in Ihrem Büro“, sagte ein Kollege vor Jahren zu mir, als ich mir eine, wie ich fand, ziemlich bescheidene und gemütliche Dachkammer als Dienstzimmer ausgewählt hatte. Sie war zwar deutlich kleiner als andere Zimmer, aber besaß in der Tat die meisten Fenster – drei kleine Dachfensterchen.

Die Kollegen und Kolleginnen hatten in ihren hohen Räumen nebenan meist nur ein einziges großes Doppelfenster. Aber der Rang eines Menschen in einer öffentlichen Institution wird nun einmal nach der Zahl und weniger nach der Größe der Bürofenster bemessen.

Nicht immer sind die Indikatoren für die Antwort auf die Frage, wer der Größte ist, so erkennbar lächerlich wie in diesem Falle. Und es schmerzt, wenn man beim alltäglichen Wettbewerb um das schönste Haus, das schnellste Auto und das schnittigste Boot noch nicht einmal ein Boot sein eigen nennen kann.

Jesus von Nazareth hat die uns so einge­fleischte, bange Frage, ob wir denn wenigstens auf einem Gebiet die Größten sind – Männer fragen sich auch gern besorgt, ob sie den Größten haben – in einer sehr radikalen Weise ad absurdum geführt. Da fragen die Jünger: „Wer ist doch der Größte im Himmelreich?“ Und bekommen zur Antwort: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Es wird also nicht nur die Frage, wer der Größte ist, mit einer ziemlich radikalen Antwort abgefertigt – der Größte ist der Kleinste –, sondern auch noch gesagt, dass die nach irdischen Maßstäben Größten, die, die allein auf Haus, Auto und Boot vertrauen, gar nicht dahin kommen werden, wohin eigentlich alle einmal hinwollen, ins Himmelreich.

Im Himmelreich gelten also komplett andere Maßstäbe, als sie bei der Frage gelten, wer nach irdischen Maßstäben der Größte genannt zu werden verdient. Während bei uns die Kinder erst erwachsen werden müssen, um im Wettbewerb um die größte Größe mitspielen zu können, sind sie für Jesus von Nazareth schon jetzt die Größten.

Natürlich geht es in diesen Worten nicht nur um Kinderpädagogik, die sich sehen lassen kann. Man erfährt aus der harschen Antwort vielmehr, dass man in den Augen Jesu erst dann groß wird, wenn man wieder klein zu werden lernt. Wenn einem Haus, Auto und Boot herzlich egal werden, weil man irgendwann ahnt, dass es auf ganz andere Dinge im Leben und im Sterben ankommt. Wenn wir beispielsweise begreifen, wie sehr wir auf Vergebung angewiesen sind – darauf, dass der Partner und die Partnerin uns verzeihen, aber auch darauf, dass Gott uns allein aus Gnaden und nicht aufgrund von Leistungen sein Himmelreich schenkt.

Manche werden denken: „Der Herr aus Nazareth hat ja gut reden. Meine Welt funktioniert nun einmal ganz anders.“ Ich hoffe sehr, dass wir im Vorfeld des Reformationsjubiläums 2017 möglichst vielen Menschen vermitteln können, wie entlastend es ist, aus dem Rennen und Hetzen um das größte Haus, Auto und Boot auszusteigen und sich wie die Kinder an den kleinsten Dingen zu freuen – das ist nämlich eine Kernbotschaft der Männer und Frauen, die im 16. Jahrhundert zur Kirchen- und Theologiereform aufriefen. Dann könnte nämlich hier und da zeichenhaft das Himmelreich mitten unter uns sein, und wir würden im glücklichen Kinderlachen das freundliche Gesicht Jesu von Nazareth entdecken.

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