Christoph Markschies
Christoph Markschies ist Professor für Ältere Kirchengeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin
Thomas Meyer/OSTKREUZ
Christoph Johannes MarkschiesThomas Meyer/OSTKREUZ
28.06.2015
7. Sonntag nach Trinitatis
. . . Spricht zu Jesus einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: „Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; aber was ist das für so viele?“ Jesus sprach: Lasst die Leute sich lagern . . . Da lagerten sich etwa fünftausend Männer . . . Als sie aber satt waren, sammelten sie die übrigen Brocken, damit nichts umkommt . . . und füllten . . .  zwölf Körbe mit Brocken . . 
Johannes 6,1-15

Auf meinem Balkon brütete ein Amselpaar. Zwei junge Amseln sind geschlüpft. Im Zeitraffer sah ich vieles, was mich an meine Jugend erinnert – darunter dies: In der Sorge, nicht genügend zu fressen zu bekommen, hackten sie mit den kleinen Schnäbeln nach dem Schnabel des anderen, wenn Mutter oder Vater kamen, sie zu füttern. Das erinnerte mich daran, wie ich mit meinem Bruder darum stritt, wer die Nachtischschüssel leer machen durfte. Futterneid nicht nur im Nest, Futterneid auch am Küchentisch im Elternhaus. Sorgfältig waren Kompromisse festgelegt. An geraden Tagen hatte ich die Schüssel, er den Löffel, an ungeraden umgekehrt.

Leider gibt es mehr ungerade als gerade Tage im Jahr. Essen gibt es nur im Schlaraffenland überreichlich. In ganzen Landstrichen hungern die Menschen, während wir am vollen Buffet stehen. Damit unser Fleisch billig bleibt, werden Tiere unter unmöglichen Umständen gehalten und die Landwirte der Entwicklungsländer in die Mono­kultur gezwungen. Reicht es nicht für alle? Eher zaghaft wenden sich Menschen einem gerechteren und nachhaltigen Ernährungsstil zu. Immer noch verhungern so viele.

Die Evangelisten erzählen eine Gegengeschichte zum Elend, was wir da anrichten – die Geschichte von der Brotvermehrung im Neuen Testament. Johannes steigert das Geschehen fast in die Groteske, das entspricht dem Erzählstil der Evangelien. Es ist sehr wenig da und trotzdem reicht es für sehr viele, fünf Gerstenbrote und zwei Fische für „fünftausend Mann“. Da in der Antike gern nur die Männer gezählt wurden, rund zehntausend Personen.

###autor### Natürlich kann man es sich leicht machen ­und über diesen bunten, märchenhaften Erzählstil schmunzeln – eine orientalische Geschichte eben! Märchenhaft, kaum vorstellbar, dass eine solche logis­tische Katastrophe mit so gerin­gem Einsatz abgewendet werden kann: Heerscharen von Menschen am See Genezareth und nicht im Ansatz genug Essen da.

Aber bevor wir lachen: Im Orient gibt es tatsächlich eine solche Gastfreundschaft. Das wenige, was man hat, wird mit den Gästen so geteilt, dass sich alle beschenkt fühlen und dass auch mit wenigem alle satt werden. Und wer nie das Glück hatte, so etwas zu erleben, kann beim syrischstämmigen Schriftsteller Rafik Schami viele Geschichten über Gastfreundschaft lesen – darüber, dass Teilen bei der Mahlzeit viel mehr Freude macht als Futterneid und Balgerei um die Nachtischschüssel.

Wessen Herz voll ist von solchen Er­fahrungen, dem geht bekanntlich der Mund über, und in grotesker Übersteigerung wird aus einer größeren Gruppe, die mit Jesus umherzog und auf ihn hörte, eine unübersehbare Schar – auch hier Vorsicht vor altklugem Lächeln: Bekanntlich schaffen es bis heute die, die Demonstra­tionen veranstalten, und die, die vonseiten der Staatsmacht Demonstrationen beobachten, nicht, gemeinsame Angaben über Zahlen von Teilnehmenden zu machen.

Gott macht es mir leicht. Vor meiner Tür lagern nicht Zehntausende. Und im Kühlschrank sind zwar nicht fünf ­Gers­tenbrote und zwei Fische, aber ­Butter, Aufstrich und Marmelade. Ich könnte Flüchtlinge aus Krisenregionen einladen, von denen sich in Berlin ge­nügend über eine Einladung freuen würden, um den bescheidenen Unterkünften und dem Kan­ti­nen­essen zu entkommen. Oder ich könnte die einladen, mit denen ich schlimm gestritten habe: Es gibt so viele Gelegenheiten, die elementare Wahrheit der Geschichte von der Brotvermehrung zu erleben und darüber zu staunen, dass wenig da ist und es trotzdem für viele reicht.

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