Christoph Johannes MarkschiesThomas Meyer/OSTKREUZ
21.05.2012
Pfingstsonntag - Tag der Ausgiessung des Heiligen Geistes
Wir reden nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen.
1. Korinther 2,13

Während meines Studiums schloss sich ein Mitstudent der charismatischen Gemeinde an und berichtete, dass er seit einem bestimmten Nachmittag „in Zungen reden“ könne. „Da fiel die Sonne erstmals direkt auf meinen Schreibtisch und es redete aus mir heraus.“ So beschrieb er, was ihm widerfahren war.

Ich bin in einer liberalen Berliner Großstadtgemeinde aufgewachsen, dachte: „Da hätte er einfach den Schreibtisch in seinem Wohnheimzimmer ein wenig umstellen sollen und ihm wäre mindestens das Erlebnis mit der Sonne deutlich früher widerfahren.“

Da ich aber auch ziemlich neugierig bin, besuchte ich am Studienort auf Einladung dieses Studenten einen Gottesdienst seiner neuen charismatischen Gemeinde. Wie auf ein geheimes Kommando hoben da hin und wieder viele Gemeindeglieder den Arm und begannen, teils Verständliches, teils Unverständliches zu rufen. Und wie auf ein geheimes Kommando hörten sie auch alle wieder auf.

„Zungenrede“ nannten die das. Und mein Mitstudent sagte mir im Anschluss, dass in den Gottesdiensten, die ich normalerweise besuchte, etwas fehle, wenn da nicht in Zungen geredet würde. Schließlich gehe der Apostel Paulus ganz selbstverständlich davon aus, dass in christlichen Gottesdiensten „in Zungen geredet“ würde, und dazu auch prophetisch.

Bitte nicht auf Kommando lallen!

Mein verehrter neutestamentlicher akademischer Lehrer sagte mir freilich, dass es ganz unklar sei, ob diese neuzeitliche Form der „Zungenrede“ auch die sei, die der Apos­tel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth beschreibe.

Und die Formen von prophetischer Rede, die ich aus dem Stu­dium kannte, überzeugten mich auch nicht sonderlich: Auf der Neckarbrücke in Tübingen stand während all der Jahre, in denen ich in der beschaulichen schwäbischen Universitätsstadt lebte, ein Mann mit einem Schild, auf dem geschrieben stand: „Jesus kommt bald wieder. Es ist soweit.“ Inzwischen steht er nicht mehr da. Wahrscheinlich ist er gestorben. Die politischen Unheilspropheten auf den Kanzeln mochte ich auch nicht sehr gern hören.

Eine Zeitlang las ich daher, wenn ich ehrlich bin, die Kapitel, die der Apostel Paulus im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt, mit etwas gemischten Gefühlen. Und das änderte sich erst dann, als ich bemerkte, wie wichtig diesem urchristlichen Theologen die Verständlichkeit der christlichen Gottesdienste gewesen ist.

In unseren Gottesdiensten, so schreibt der Apostel, soll nicht auf Kommando ge­lallt werden. Vielmehr sollen traurige Menschen sich angenommen fühlen und getröstet werden, zerschlagene Existenzen wieder Kraft empfangen, übermütige Figuren, die sich und anderen schaden, auf rechte Wege hingewiesen werden.

Bitte immer verständlich reden!

Und es soll klar gesagt werden, was die Stunde geschlagen hat – christliche Verkündigung vermeidet nicht ängstlich die politische Dimension religiöser Rede, aber versucht auch nicht, einer politischen Rede Konkurrenz zu machen. Sie deutet die Zeit vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens.

Besonders freut mich, dass der Apostel Paulus so große Stücke auf das Verstehen hält: „Im Verstehen seid vollkommen.“ Niemand muss den Verstand an der Kirchentür abgeben und seine Bedenken oder Ideen draußen lassen. „An Verstand seid mündig“, übersetzt ein Neutestamentler: Gottesdienste wollen nicht Opium des Volkes oder gar Opium fürs Volk verteilen, sondern Christenmenschen zur Mündigkeit befähigen.

Natürlich erschöpfen sich gute Gottesdienste nicht darin, den Verstand anzuregen, schließlich handelt es sich ja nicht um universitäre Vorlesungen. Aber wirklicher Trost, ehrliche Ermahnung und wirkungsvoller Aufbau haben immer auch etwas mit Verstehen einer Situation zu tun, neben aller emotionalen Zuwendung. Die freilich darf auch nicht fehlen.

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