Christoph Johannes MarkschiesThomas Meyer/OSTKREUZ
16.01.2012
Estomihi - Quinquagesimae
Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. (...) Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder.
Amos 5,21-24

Gottesdienstkritik ist en vogue. So, wie wir alles evaluieren – zu Deutsch: überprüfen –, evaluieren wir inzwischen auch Gottesdienste.

In diesem Magazin werde ich seit mehr als zehn Jahren da­rüber informiert, ob in Flensburg-Harrislee oder sonstwo die Liturgie sehr gut (fünf Sterne) oder schlecht ist (ein Stern).

Inzwischen lese ich sogar in meiner höchst säkularen Berliner Tageszeitung montags eine Gottesdienstkritik.

Früher besorgte das noch eine sogenannte Visitationskommission mit dem Superintendenten (Frauen gab es damals noch nicht in solchen Posten) alle paar ­Jahre, und sie empfahl meist freundlich, doch auch mal einen wissenschaftlichen Kommentar zum Predigttext zu konsul­tieren.

Heute schreiben Journalisten und Journalistinnen solche Gottesdienstkriti­ken, aber eigentlich immer noch ziemlich freundlich. Wirklich scharfe Worte fallen selten, vielleicht auch deswegen, weil viele Theologinnen und Theologen den Umgang mit Kritik nie wirklich lernen konnten.

Noch schärfere Kritik? Das geht kaum

Freundlich kann man die Gottesdienstkritik, die der Prophet Amos überliefert, im Unterschied zu dem, was wir uns heute meist leisten oder zu leisten glauben, ­eigentlich nicht nennen. Im Gegenteil: Schärfer geht es kaum.

Da stinkt etwas zum Himmel, und der, für den der ganze Zinnober veranstaltet wird, mag es daher nicht riechen. Statt Musik ist nur Geplärr zu hören – hinweg damit.

Nirgendwo sonst steht in der Bibel zu lesen, dass Gott die Gottesdienste seines Volkes hasst und verachtet. Warum reagiert er so scharf? Weil offenbar die tägliche Ungerechtigkeit im Lande Israel die feierlichen Hymnen an den Gott der Gerechtigkeit dementiert, weil die Ausbeutung der Armen und die Bedrängung der Fremden dem feierlichen Bekenntnis zum Gott des Rechtes hohn- sprechen.

Nicht, dass ich missverstanden werde: Es ist gut, dass wir seit einiger Zeit mehr auf die Qualität unserer Gottesdienste ­achten, dass wir sie professioneller evalu­ieren als noch vor Jahren und besser lernen, mit Kritik umzugehen.

Gottesdienstkritik muss tiefer gehen

Aber wenn wir den Propheten Amos ernst nehmen und nicht nur für eine längst abgetane Provokation ­in besonderen historischen Situationen halten, darf es bei solchen Anfangser­folgen nicht bleiben. Die kritischen Fragen müssen tiefer gehen: Was haben denn ­unsere Gottesdienste mit dem Alltag draußen vor den Kirchentüren zu tun? Wie sehr klaffen gottesdienstliches Reden über gerechte Gesellschaft und unser Handeln in dieser Gesellschaft an den Wochentagen auseinander?

Zahlen wir in Kirche und ­Diakonie beispielsweise allerorten selbstverständlich den Mindestlohn, zu dem wir uns sonntags feierlich im Namen des Herrn bekennen?

Spüren die, die selten in die Gottesdienste kommen, dass wir unter den Perücken und Kostümen einer religiösen Sprache, die nicht mehr die unsere ist, schwitzen?

Spüren sie, dass wir die großen Hoffnungen der biblischen Autoren mit unendlich kleiner Münze weitererzählen? Erinnern sie sich vielleicht sogar an Bon­hoeffers Satz, dass nur gregorianisch singen darf, wer auch für die Juden schreit?

Kein Palaver, sondern offen und ehrlich

Gelegentlich tut es gut, sich von anderen solche höchst provozierenden Fragen stellen zu lassen und sie nicht von vornherein für erledigt zu halten. Schließlich geht es beim Gottesdienst nicht um ein beliebiges Palaver.

In seiner programmatischen Einweihungspredigt für die Torgauer Schlosskapelle, die Martin Luther am 5. Oktober 1544 in dem sächsischen Residenzstädtchen hielt, sagte der Reformator unmissverständlich deutlich: In einem Kirchengebäude habe nichts anderes zu geschehen, „als dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang“.

Verlogen sollen wir nicht mit ihm reden. Sondern offen und ehrlich und authentisch.

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"Was haben denn ­unsere Gottesdienste mit dem Alltag draußen vor den Kirchentüren zu tun?"
Manchmal oder meistens haben Gottesdienste mit der Realität nicht viel zu tun - und Bibelstunden schon gar nicht. (Noch schlimmer: Wenn eine Bibelstunde - außerhalb der Kirchentür durch eine unrealistische Frömmigkeit - zur Ideologie wird.)
Oft ist es die Tradition die uns in Treue zur Kirche hält.
Amos ein beliebter (mein geliebter) Prophet. Leider liest man nur direkt in der Bibel von ihm.

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