Christoph Markschies in den Kolonnaden auf der Museumsinsel in Berlin - Foto: Thomas Meyer/Ostkreuz
Christoph Johannes MarkschiesThomas Meyer/OSTKREUZ
15.01.2013
Aschermittwoch
Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: „Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt, (...) böse Geister ausgetrieben (...) und viele Wunder getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie gekannt; weicht von mir, ihr Übeltäter!
Matthäus 7,21-23

Da meine Eltern in Leipzig aufgewachsen sind, beginnt seit Kindertagen für mich der Sonntag mit einer der für diesen Tag bestimmten Kantaten Johann Sebastian Bachs. Als ich Kind war, wurden Schallplatten mit Interpretationen Karl Richters aufgelegt. Heute höre ich nach einer längeren Rilling-Phase in Studententagen besonders gern (aber nicht nur) Philippe Herreweghe und das Bach Collegium Japan unter Masaaki Suzuki.

Weil ich seit vielen Jahren biblische Texte in der Interpretation des Thomaskantors höre, eines klugen Laientheologen, bekomme ich bei manchen Passagen die Musik gar nicht mehr aus dem Kopf. Und gelegentlich wundere ich mich beim Lesen ziemlich über einen biblischen Text, der mir in seiner Vertonung eigentlich ganz vertraut vorkommt.

Zu den seit Kindertagen vertrauten Kantatensätzen gehört ein lebhaftes Arioso, mit dem der Solobass den zweiten Teil der Kantate „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“ aus dem Jahre 1726 eröffnet. Die lebhafte, tänzerische Streichermusik mit ihren kühnen Intervallsprüngen und reichen Koloraturen gehört zu den Stücken, die ich besonders mag. Erst jetzt, beim Blick in die Noten, ist mir aufgefallen, dass die schwungvolle Melodie eigentlich nur aus jähen Abstürzen besteht, aus wiederholten, aber gescheiterten Versuchen, sich aufzurichten, und aus langsamen, kunstvoll verzögerten Abwärtsbewegungen. Der drängende Lauf der Noten hält nur an, wenn der Solobass singt: „Herr, Herr“.

Ich mag das schwungvolle Stück. Dabei ist der Text, der hier vertont wird, schrecklichen Inhalts. Da sind viele Menschen (bei Bach wimmelt es geradezu vor Noten), die offenbar ein ganzes Leben lang in Jesu ­Namen prophetisch geredet, Kranke geheilt und anderes getan haben. Zu denen sagt eben der Herr, den sie so drängend anrufen, dass er sie überhaupt nicht kennt, und weist sie in schroffer Form von sich: „Weichet alle von mir, ihr Übeltäter.“

"Es reicht eben doch nicht. Viel geredet, aber nicht genug getan"

Nun mag es ja so sein, dass Jesus da Menschen zurückweist, die mit dem Evangelium bloß Geschäfte machen wollten, die ihren Bezug auf ihn nie wirklich ernst meinten, sondern nur aus politischen oder rein konventionellen Gründen so taten als ob. Aber wenn ich nur den Text höre und nicht Bachs geliebte Vertonung, dann befürchte ich immer, dass es um mich geht: Jahrzehntelang im Dienste des Herrn gearbeitet – und dessen Urteil am Ende lautet: Es reicht eben doch nicht. Viel geredet, aber nicht genug den Willen des Herrn getan. Zu viel Eigensinn im Leben umgesetzt. Einer von den vielen, die „Herr, Herr“ sagen und nicht ins Himmelreich kommen. Dabei verfüge ich (im Unterschied zu einigen der ersten christlichen Missionarinnen und Missionare) nicht einmal über besondere Krankenheilungskompetenzen. Und von regelrechten Wundern wollen wir gar nicht reden. Prophetisch zu weis­sagen vermeide ich als Kirchenhistoriker auch tunlichst.

Eigentlich hoffe ich, dass Jesus Christus am Ende anders mit meinem Leben, mit meinen Fehlern und Versäumnissen umgehen wird, als es mir der Evangelist Mat­thäus androht, gnädiger. „Gerettet wie durch Feuer“, hat das einer meiner Lehrer einmal genannt. Meint: dass er wegbrennen wird, was ich gar nicht an mir mag, aber mich nicht verleugnen wird. Ich traue also eher der schwungvollen, tänzerischen Melodie bei Bach als den drohenden Worten bei Matthäus. Aber ich bin dem Evangelisten Matthäus auch für die Warnung dankbar, es mir mit der Gnade nicht zu einfach zu machen und meine Fehler nicht zu leicht zu nehmen.

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aus, ach, so berufenem Munde ! Die Beseelung von falschen Propheten, davon berichtet auch das Evangelium, ist dafür symptomatisch ! Sie vergassen die Selbstgefälligkeit.
Meine Kindheit war von anderen Dingen beseelt, nicht minder wertvoll, im Gegenteil, doch um der Vielfalt Willen, sollte das allzu Persönliche weichen. Vielen Dank. Wenn der kulturelle verbindende Hintergrund schwindet, schwindet auch das Interesse. Wie also kann man die Menschen interessieren ? Kirchenhistorisch Wissenswertes ?

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