Sexualisierte Gewalt: Frauenrechtlerinnen in der Ukraine
Hilfe für die Helferinnen
In jedem Krieg sinken die Hemmschwellen für Gewalt, auch für ­sexualisierte Gewalt. Medica Mondiale unterstützt Frauen in der Ukraine, die sich um die Opfer kümmern.
Mutter mit Kind und zwei großen Hunden kniet auf einem Bahnsteig. Der Zug hinter ihnen hat Geflüchtete aus Mariupol
Wie kann man traumatisierte Menschen unterstützen – ohne selbst unterzugehen?
Sopa Images/Getty Images
Sebastian DrescherPrivat
23.11.2022

Beleidigen, begrapschen, verprügeln, vergewaltigen: In jedem Krieg sinken die Hemmschwellen für Gewalt, auch für ­sexualisierte Gewalt. Was die Frauen in der Ukraine jetzt erleben, lässt sich nicht fassen, schon gar nicht in Zahlen. Die UN berichteten im Mai von 108 Vorfällen, bei denen überwiegend russische ­Soldaten die Täter gewesen sein sollen.

Viele Übergriffe aber werden gar nicht angezeigt oder dokumentiert. Ukrainische Hotlines, bei denen Frauen um Hilfe bitten können, erreichen manchmal über tausend Anrufe pro Monat. Oft sind Ehemänner, Verwandte, Fremde in den Luftschutzkellern oder auf der Flucht die Täter.

Die Frauen, denen das passiert ist, bekommen Hilfe: Seit Monaten kümmern sich Aktivistinnen und Frauenrechtlerinnen in sozialen Organisationen, Frauenhäusern und ­speziellen Hotlines um die Opfer. Sie schaffen Schutzräume, beraten, dokumentieren und hören zu – und sind von der Menge der Fälle und dem Ausmaß der Gewalt überfordert.

Und dann sind es die Helferinnen selbst, die Hilfe ­brauchen. Denn wer wirklich Anteil nimmt und Mitgefühl entwickelt, wer ständig Geschichten von Leid und Schmerz hört, ist irgendwann erschöpft. Die natürliche Reaktion darauf ist: Abstumpfung.

Sebastian DrescherPrivat

Sebastian Drescher

Sebastian Drescher ist Redakteur beim JS-Magazin, der evangelischen Zeitschrift für junge Soldaten, und chrismon.

Deshalb unterstützt die deutsche Frauenrechtsorga­nisation Medica Mondiale Hilfs- und Menschenrechts­organisationen in der Ukraine und Nachbar­ländern wie Polen, Ungarn und der Slowakei.

Die Traumaexpertin Pia Frohwein gehört dazu. "Die Aktivis­tinnen können sich oft nicht abgrenzen, weil sie sich verpflichtet fühlen", erklärt sie. Zur psychischen Belastung komme die Be­drohung im Kriegsalltag. "Während der ­Gespräche heulen draußen plötzlich die Sirenen und alle müssen in den Luftschutzkeller."

Frohwein und ihre Kolleginnen bieten online Einzel­gespräche und Gruppentrainings an. Dabei geht es auch um die Ursachen der Gewalt. Etwa dass in Kriegszeiten die sexualisierte Gewalt in Familien und in der Gesellschaft zunimmt, weil geltende Regeln außer Kraft gesetzt ­scheinen oder von anderen Zielen überlagert werden. Und dass es noch schwieriger für die Betroffenen wird, sich Gehör zu verschaffen, wenn der Täter vielleicht Soldat ist, der das eigene Land an der Front verteidigt.

Ganz praktisch will Pia Frohwein in den Trainings vermitteln, wie sich Helfende auf traumatisierte oder schwer belastete Menschen einstellen können. Und wie sie bei all dem gut für sich selbst sorgen können. "Es geht nicht darum zu funktionieren, sondern die Grenzen der eigenen Belastbarkeit anzuerkennen und damit umzugehen", sagt Frohwein. Die Aktivistinnen sollen gestärkt aus den ­Gruppentreffen gehen. Mit dem Bewusstsein, dass sie nicht allein sind mit ihrem Mitgefühl.

Spendeninfo

Die Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale unterstützt seit 1993 Frauen und Mädchen in Konfliktgebieten und Nachkriegsgesellschaften.

Spendenkonto:

Sparkasse Köln-Bonn
IBAN: DE92 3705 0198 0045 0001 63
BIC: COLSDE33
Stichwort: Nothilfefonds / chrismon

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Unterstützung und Hilfe, damit die Überforderug nicht Überhand nimmt.
Es ist schön, zu lesen, dass es Menschen gibt, die helfen, aber auch, die helfen können.
Ich denke immer wieder daran, dass ich mich, seinerzeit, zu wenig behauptet habe, behaupten konnte, und auch keine adäquate Hilfe erhalten habe, keine Unterstützung, statt dessen wurde ich auf die Opferrolle verwiesen. Und das hauptsächlich aus Missgunst, nicht aus Nächstenliebe.
Ich sehe daher auch diese vielfältige Hilfe aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Mitgefühl macht sehr verletzlich, und es sind nicht nur solche Krisenzeiten, wie heute, die strukturelle Gewalt herausfordern.
Es macht mich zornig, wenn Mtgefühl instrumentalisiert wird, womit ich aber nicht den aktuellen Bericht meine.
Es ist eine gute Sache, wenn den Helfenden auch geholfen wird, und sie nicht nur sich selbst überlassen bleiben.
Liebe ist stärker als Tod und Gewalt.

Selensky muss den Krieg beenden.

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