Sprachstunde - Folge 24 'Sexarbeit'
Lena Gerlach, PR
Podcast "Sprachstunde"
Ist "Sexarbeit" Arbeit?
Ursula Ott diskutiert mit Silvia Reckermann vom Nord-Süd-Forum, ob der Begriff "Sexarbeit" verharmlosend ist
Tim Wegner
02.02.2022

Ist es ein ganz normaler Nebenjob, wenn sich Studentinnen prostituieren, um ihr Studium zu finanzieren? Nein, sagt Silvia Reckermann vom Nord-Süd-Forum. "Wenn junge Frauen denken, sie können ihren Körper verkaufen, müssen sie immer daran denken, dass sie auch ihre Psyche verkaufen", sagt Reckermann.

Privat

Silvia Reckermann

Silvia Reckermann ist im Vorstand des Nord-Süd-Forums München e.V. für eine solidarische Welt. Außerdem sitzt sie im Lenkungskreis des Bündnisses Nordisches Modell und ist Mitglied der Frauenrechtsbewegung Terre des Femmes.

Sie kritisiert die Arbeitsbedingungen in der Prostitution und dass darunter vor allem diejenigen Frauen leiden, die nicht freiwillig anschaffen gehen. "Wenn der Staat das zulässt, versagt er in seiner Fürsorgepflicht für die schwächsten Menschen in unserem Land." Reckermann findet, dass der Begriff "Sexarbeit" verharmlost: "Arbeit ist immer auch ein Dienst an der Gesellschaft. Prostitution ist das nicht. Es ist ein Dienst am Patriarchat", sagt sie.

Wird Prostitution aufgewertet oder gar verharmlost, wenn man sie "Sexarbeit" nennt? Wie ist die Gesetzeslage in Deutschland? Was ändert die Bestrafung von Freiern? Diese Fragen und andere diskutieren Silvia Reckermann und chrismon-Chefredakteurin Ursula Ott in der 24. Folge der Sprachstunde.

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Danke, dass Sie über die menschenunwürdigen Verhältnisse der Prostitution aufklären!

Es ist einer der heftigsten Blinden Flecken unserer Gesellschaft: Die einen sehen weg, die anderen diskutieren es "weg", die Betroffenen leiden und haben kaum Fürsprecher.

Es ist höchste Zeit, dass der Bundestag dem guten Beispiel Schwedens und Frankreichs folgt und das Nordische Modell einführt.

Je weniger Männer für "Sex" bezahlen, desto weniger lohnt sich der Menschenhandel für di Mafia.

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Am Anfang war ich noch optimistisch, einen sachlichen Dialog zu hören. Aber die zwei Versuche von Frau Ott, über die Studierenden zu sprechen, wurden von Frau Reckermann immer ganz schnell in Richtung Zwangsprostitution abgebügelt. Das ließ schlimmes ahnen.
Zuhälterei ist nach wie vor verboten, siehe Paragraph 181a des StGB. Wer behauptet, Zuhälterei wäre legal, hat es nicht verdient, als "Expertin" bezeichnet zu werden.
Es stimmt, dass lediglich 40.400 von den 250.000 Prostituierten registriert sind. Dass Frau Reckermann daraus den Schluss zieht, dass alle Nichtregistrierten ausgebeutete Osteuropäerinnen wären, ist völlig realitätsfern.
Am Anfang war von 70.000 Studierenden in Großbritannien die Rede, die ihr Studium durch Prostitution finanzieren. In Deutschland sind es über 100.000. Die wenigsten von ihnen sieht man auf dem Straßenstrich oder in Bordellen, die meisten von ihnen machen heimliche Haus- und Hotelbesuche, die sie selbständig über einschlägige Internetseiten organisieren. Ihre Eltern wissen nichts davon, ihre Freunde nicht, die Behörden nicht und das Finanzamt nicht. Deswegen sind sie auch nicht als Prostituierte registriert. Und da haben wir bereits die Hälfte der genannten Dunkelziffer. Die andere Hälfte der Dunkelziffer sind vermutlich Nicht-Studierende, die einen "normalen" Beruf haben und sich hin und wieder etwas durch Prostitution hinzu verdienen, z.B. um sich einen schönen Urlaub leisten zu können.
Die vielgenannten Osteuropäerinnen dürften eher in den 40.400 stecken: sie sind registriert, weil ihre Zuhälter keinen Stress mit der Polizei haben wollen, denn während die Polizei Stress macht, können die Frauen kein Geld verdienen. Auch Kriminalhauptkommissar Helmut Sporer sagte in der "Emma", dass seines Wissens die meisten angemeldet seien.
Und wo wir bei der Sprachstunde sind: Prostitution ist NICHT wie hier dargestellt der Verkauf von Geschlechtsverkehr durch Frauen an Männer, sondern der Verkauf von sexuellen Handlungen aller Art bis hin zur Tantramassage von Menschen aller Geschlechter an Menschen aller Geschlechter. Und Menschen, die ihren Körper verkauft haben, leben in Bangladesh: Männer, die eine ihrer Nieren an reiche Inder verkauft haben aus purer Geldnot.
Last not least möchte ich eine weitere Sprachstunde anregen: was ist ein Freier?
Sind Strichjungen auch Freier? Sind Frauen, die Prostituierte wie Salomé Balthus buchen, Freierinnen? Wenn eine Frau einen Mann für Sex bezahlt - wer von beiden ist der Freier? Ist ein Mann, der eine Tantra-Massage genießt oder der sich von einer klassischen unberührbaren Domina demütigen lässt, ein Freier?

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Seit 2002 wurden in Deutschland an die 100 Frauen in der Prostitution ermordet (+Dunkelziffer).

Die Frauenärztin Liane Bissinger berichtet von ... zerstörter Darmflora, Zahn-Mund-Kiefer-Erkrankungen, Hautekzeme, überall Schmerzen und häufig Schmerzen in den Hüftgelenken, irreversible Beckenboden-Schwächen mit Schwierigkeiten den Urin bzw. den Stuhlgang zu halten, etc.

Viele müssen „Schulden“ bei Menschenhändlern abzahlen und erhalten Morddrohungen gegen ihre Familie, falls sie vor Gericht aussagen. So ist Strafverfolgung gegen Menschenhandel kaum möglich.

„Selbstbestimmte Sexarbeiter*innen“, sind eine sehr kleine, privilegierte Minderheit. Dafür können wir Sklavinnenhandel nicht in Kauf nehmen.

Der Bundestag muss Gesetze erlassen, die die Nachfrage nach käuflichem „Sex“ reduzieren. Das ist der politische Weg um Leid zu mindern.

Quelle: Das Nordische Modell zu Prostitution – Ein Perspektivwechsel zum Schutz der Menschenwürde

Wenn man ehrlich und unvoreingenommen ist, muss man alle Personen zusammen zählen, die in der Prostitution tätig sind: sämtliche hauptberuflichen, nebenberuflichen und gelegentlichen Prostituierte, und zwar aus sämtlichen Bereichen des Prostitution vom Geschlechtsverkehr bis zur Tantramassage. Die meisten von ihnen haben überhaupt keinen Kontakt mit dem Rotlichtmilieu geschweige denn mit Zuhälterei. Von einer "privilegierten Minderheit" kann daher überhaupt keine Rede sein. Vielmehr sind die Opfer von Zuhälterei in der Minderheit.

Die Kriminellen Täter haben natürlich kein Interesse, eine wissenschaftliche Studie durchführen zu lassen. Das meiste bleibt unter dem "Radar".

"In Deutschland ist die sogenannte „freiwillige Prostitution“ zwar legal, tatsächlich aber ist hier nach Aussage der Kriminalpolizei Zwangsprostitution der Alltag. „Kompetente, kriminalpolizeiliche Ermittler gehen davon aus, dass in Deutschland 96 bis 98 Prozent der Frauen in der Prostitution fremdbestimmt sind“, so Kriminalhauptkommissar a.D. Manfred Paulus. Helmut Sporer, Leiter des Kommissariats 1 der Kriminalpolizeiinspektion in Augsburg sagt, dass 90 Prozent der Frauen nicht freiwillig der Prostitution nachgehen..."

(Quelle: Das Nordische Modell zu Prostitution - Ein Perspektivwechsel zum Schutz der Menschenwürde)

Ich kenne diese Zahlen. Die Frage ist allerdings, was genau die Herren Paulus und Sporer unter "Frauen in der Prostitution" verstehen. Es ist zu vermuten, dass sie ein sehr eingeschränktes Bild haben, das ergibt sich allein schon aus dem Wort "Frauen", das offensichtlich die gesamte Stricherszene unter den Tisch fallen lässt.
Fakt 1: Herr Sporer hat die Anzahl aller Prostituierten auf 250.000 geschätzt.
Fakt 2: laut einer Umfrage unter Berliner Studierenden finanzieren 3,7% von ihnen ihr Studium durch Prostitution, das wären auf ganz Deutschland hochgerechnet mehr als 100.000. (Diese Zahl dürfte stimmen, weil Umfragen aus anderen Ländern ähnliche Ergebnisse gebracht haben.) Diese Studierenden sind garantiert nicht fremdbestimmt, denn die gehen doch nicht ins Rotlichtviertel und suchen sich einen Zuhälter, sondern sich machen völlig eigenständig heimliche Haus- und Hotelbesuche.
Zu diesen 100.000 Studierenden kommen noch jede Menge Strichjungen, Dominas, Masseur*innen für erotische bzw. Tantramassagen etc. hinzu, die selbstverständlich alle selbstbestimmt arbeiten. Und die alle zusammen sollen nur 10% der Prostituierten = 25.000 Personen ausmachen? Das sieht doch jeder Hilfsschüler, dass die 90% von Herrn Sporer sich keineswegs auf sämtliche "Frauen in der Prostitution" beziehen können.

Andere schätzen die Gesamtzahl auf ca. 400.000. Dann sähe die Rechnung wieder ganz anders aus...

Mehrheit oder Minderheit: 100 Morde sind 100 zu viel.

"Heimliche Haus- und Hotelbesuche" gefährden auch Student*innen extrem: Was, wenn Freier sich nicht an das Erhoffte oder Vereinbarte halten?

Ein Hauptproblem ist:

Zuhälter können "ihre Prostituierten" unter dem Deckmantel der "Legalität" verstecken – Polizei und Staatsanwaltschaft haben praktisch keine Chance zur Aufklärung.

Die Zahl 400.000 wurde 1986 in der "Emma" veröffentlich, die Zahl 250.000 wurde 2020 von der selben Zeitschrift veröffentlicht. Die Zahl 400.000 ist somit längst überholt. Wer sie trotzdem zitiert, zeigt damit nur, dass er sich in die Materie nicht gerade gründlich eingearbeitet hat.

Die 100 Morde bekommen Sie nur zusammen, indem sie die Zahlen aus mehreren Jahrzehnten addieren, um eine möglichst hohe und betroffen machende Zahl zu erhalten und radikale Forderungen ableiten zu können. Ähnlich könnte man auch die Opfer von islamistisch motivierten Anschlägen addieren und deswegen fordern, alle Grenzen zu schließen. Aber auch hier halten wir die Nachteile durch radikale Maßnahmen für gravierender als die Toten.

Wollen Sie allen Ernstes die Studierenden gängeln und bevormunden, nur weil Sie der Meinung sind, dass sie ein zu hohes Risiko eingehen?

Gerade die Polizei wehrt sich gegen das Nordische Modell, weil die Rotlichtkriminalität dann komplett in den Untergrund verlagert würde und noch schwieriger aufzuklären wäre als jetzt.

"Seitdem Schweden das Nordische Modell 1999 eingeführt hat, wurde eine einzige Frau in der Prostitution ermordet (von ihrem Ex-Mann). Zwischen 2002 und 2020 wurden in Deutschland über 100 Frauen in der Prostitution durch Zuhälter oder Sexkäufer ermordet, über 60 versuchte Morde wurden registriert. Die Dunkelziffer ist sehr hoch."

"Das Sexkaufverbot ermöglicht der schwedischen Polizei, wirksam organisiertes Verbrechen, Menschenhandel und Zuhälterei zu bekämpfen. Mehrere Studien haben erwiesen, dass der Menschenhandel und die Zuhälterei damit rückläufig geworden sind."

Quellen:

Das Nordische Modell zu Prostitution – Ein Perspektivwechsel zum Schutz der Menschenwürde

Deutscher Bundestag: Auswirkungen des „Nordischen Modells“ – Studienergebnisse zur Prostitutionspolitik in Schweden und Norwegen

sexindustry-kills.de

Antwort auf von Joe (nicht registriert)

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Ich frage Sie noch mal: Wollen Sie allen Ernstes die Studierenden gängeln und bevormunden, nur weil Sie der Meinung sind, dass sie ein zu hohes Risiko eingehen?

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