Das Wort - Iris Wolff
Eine Schriftstellerin fragt: Was kommt jenseits der Worte?
AHAOK
Iris Wolff über einen Bibelvers vom Prediger Salomo
"Ich weiß nicht, was wird"
Die Schriftstellerin Iris Wolff nimmt die guten Tage an. Und legt das Künftige in größere Hände
Iris WolffNora Klein
12.08.2022
Am guten Tage sei guter Dinge, und am bösen Tag bedenke: Diesen hat Gott geschaffen wie jenen, damit der Mensch nicht wissen soll, was künftig ist. Prediger 7,14

In Michael Köhlmeiers Roman "Madalyn" denkt der Icherzähler, ein österreichischer ­Schriftsteller, darüber nach, ob er sich in das Leben seiner ­jungen Nachbarin einmischen soll. Sie hat sich verliebt, hat Ärger mit ihren Eltern und bittet ihn um Hilfe. Er will eigentlich nicht, denn er verschreibt sich lieber den Möglichkeitsräumen seiner Bücher, als ein Handelnder zu sein.

Ich habe mich darin wiedererkannt. Ich lebe in Geschichten, kann mir die Gefährtinnen und Gefährten aussuchen, die mich über Jahre im Schreiben begleiten, beschäftige mich über Wochen mit einer Fragestellung, gehe in die Tiefe oder schiebe Themen beiseite. Man wendet sich dem Leben zu, wenn man schreibt, aber in gewissem Sinn wendet man sich auch ab – zumindest von dem eigenen.

Iris WolffNora Klein

Iris Wolff

Iris Wolff, 45, ist Schriftstellerin. Nach einer Kindheit in Rumänien kam sie mit acht Jahren nach Deutschland. Im Banat spielt ihr jüngster Roman, "Die Unschärfe der Welt".

Es gibt gute Tage, volle, leichte, fließende Stunden. Es gibt schlechte Tage, in denen sich alles verdunkelt; durch ­Ereignisse oder Gedanken, die den Raum mit einem Mal eng werden lassen. Neben dem Auf und Ab des ­eigenen Lebens offenbart ein Blick in die Zeitung ­andere ­Dunkelheiten. Nicht nur muss das eigene Glück, das ­Hoffen und ­Scheitern angenommen werden, alles steht da in einer Welt, die sich einmal wieder, so scheint es, auf einen Kipppunkt zubewegt.

Worauf habe ich Einfluss und was muss ich loslassen? Angesichts der schieren Übermacht an Katastrophen, Kriegen und Ungerechtigkeiten hilft letztlich nur: sich dem zuwenden, was unmittelbar vor den eigenen Augen geschieht. Das klingt vielleicht danach, ist aber das Gegenteil von Eskapismus. Denn nur auf das, was vor mir liegt, was ich mit meiner Hand berühren kann, habe ich Einfluss und kann gegebenenfalls etwas daran ändern. Das wirkt der Hoffnungslosigkeit, dem Gefühl der Machtlosigkeit entgegen.

Ich kenne Menschen, die in einer Suppenküche oder bei der Telefonseelsorge arbeiten, im ländlichen Raum ehrenamtlich Kulturveranstaltungen organisieren, sich um verletzte Wildtiere kümmern, sich mit großem Einsatz geflüchteter Menschen annehmen. In einem Facebook-Kommentar unter einem Spendenaufruf für ein Tierhospiz schrieb jemand, es gäbe doch wohl wichtigere Probleme auf der Welt. Jede und jeder empfindet wahrscheinlich anderes als dringlicher, doch ist es wirklich gut und zielführend, anderen ihre Hinwendung zu einem Thema abzusprechen? Muss die eigene Themen- und Wertehierarchie auch für alle anderen gelten? Gibt es nur ein Dafür oder ein Dagegen? Ist es nicht bewundernswert, wenn sich jemand einer Sache zuwendet, die über ihn selbst hinausgeht?

"Nicht einmal in meinen Geschichten weiß ich, was als Nächstes passiert"

Auch der Schriftsteller in ­Köhlmeiers Roman überwindet sich schließlich und hilft seiner ­Nachbarin. Ob er damit etwas Gutes tut oder die Sache nur noch verkompliziert, bleibt den Leserinnen und Lesern überlassen.

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"Am guten Tage sei guter Dinge, und am bösen Tag bedenke: Diesen hat Gott geschaffen wie jenen, damit der Mensch nicht wissen soll, was künftig ist" (Prediger 7,14). Es gibt gute und schlechte, zehrende Tage. Die hellen Tage will ich festhalten, die bösen abwenden. Ich weiß nicht, was kommen wird. Ich kenne die Fülle und ich kenne das Nichts. Nicht einmal in meinen Geschichten weiß ich, was als Nächstes passiert – und die schreibe ich immerhin selbst. Ich suche meinen Platz in der Welt in und durch die Literatur. Ob das reichen wird?

Wo soll ich jenseits der Worte ansetzen, um Schmerz zu lindern und Ungerechtigkeit zu verringern? Wenn ich zu sehr ins ­Grübeln komme, wenn mir das Maß abhandenkommt, mit dem ich Möglichkeit und Wirklichkeit erfasse, geben mir solche Passagen aus der Bibel Orientierung. Die guten Tage darf ich annehmen, das Künftige in größere Hände legen. "Was da ist, ist längst mit Namen genannt, und bestimmt ist, was ein Mensch sein wird" (Prediger 6,10). Aus dieser Freiheit heraus kann ich das Auf und Ab des Lebens annehmen, darf immer wieder entscheiden, wohin ich mich wenden will.

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Seit Mensch erstem und bisher einzigen geistigen Evolutionssprung ("Vertreibung aus dem Paradies"), in die Möglichkeiten der Eigenverantwortung als Mensch (doch leider/effektiv nur in den geistigen Stillstand und die "göttliche Sicherung"), bedeutet Mensch immer ALLE - Matthäus 21,18-22 macht das besonders deutlich!!!

Wenn die Philosophie der Bibel richtig erklärt werden dürfte, so daß die reine Vernunft und die reine Uneigennützigkeit mit dem Wir an erster Stelle gesetzt wäre, für das wirklich-wahrhaftige und zweifelsfrei-eindeutig fusionierende Streben nach Gemeinschaft in geistig-heilendem Selbst- und Massenbewusstsein und Gemeinschaftseigentum "wie im Himmel all so auf Erden", entgegen der bewusstseinsbetäubenden Illusionen von/zu materialistischer "Absicherung", den wettbewerbsbedingten Konfusionen und der systemrationalen Pflege instinktiver Bewusstseinsschwäche in Angst, Gewalt und egozentriertem "Individualbewusstsein", dem Glauben an "gesundes" Konkurrenzdenken, dann ...!?

Den Sprüchen des Predigers Salomo große Beachtung zu geben, ist für "individualbewusste" Menschen nicht zu empfehlen - Für mich sind die gut gemeintes aber zu belächelndes Larifari.

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