Reichtum versus Seelenheil
Goldbarren in den Augen
Kreuzunglücklich im feinsten Zwirn. George Frederic Watts und der reiche Jüngling, der nicht ins Reich Gottes kommt
"For he had great Possessions" -  George Frederic Watts
"For he had great Possessions" - George Frederic Watts
George Frederic Watts: "For he had great Possessions" / Tate / Tate Images
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
06.07.2022

Wer reich ist, hats nicht leicht. Da wird einem die Leistung, auf die Welt gekommen zu sein, fürstlich entlohnt, man hat kaum sprechen gelernt und lebt schon in dem Bewusstsein, dass vom vergoldeten Steak bis zu menschlicher Zuneigung praktisch alles käuflich ist – und dann kommt so ein Heiland daher und sagt, Seelenheil sei unbezahlbar. (Das VIP-­Ticket ins Paradies gewährte die Kirche nur während einiger finanzpolitisch etwas wirrer Jahrhunderte im Mittelalter; aber das fällt nicht mehr in Jesu Zuständigkeitsbereich.) Was für ein Dilemma!

Der britische Maler George Frederic Watts, den ein zeitgenössischer Kunstkritiker mal "Michelangelo Englands" taufte, hat Ende des 19. Jahrhunderts menschliche Gefühle, Stimmungen und Charaktereigenschaften ins ­Zentrum seines Werkes gestellt. Am berühmtesten ist sein Versuch, mit dem Bilder­zyklus "House of Life" so etwas wie "Hoffnung" oder "Sehnsucht" in konkrete Bilder zu übersetzen. Mit seinem "For he had great possessions" von 1894 wagt er sich ans Thema Gier.

Symbolismus at its best. Das erkannten selbst die Royals – obwohl die ja in der Regel vor lauter Kunst im Palast die wahren Meister nicht sehen. Watts Können fiel König Edward VII. dann aber doch auf. Der britische Adel verlieh Watts für seine symbolistischen Malereien, deren Stil sich an dem venezianischer Altmeister wie Tizian orientiert, den "Order of Merit" – obwohl sich der Maler zunächst etwas gesträubt hatte. An irdischen Belohnungen lag ihm vielleicht nicht ganz so viel wie dem jungen Mann auf dem Bild. Er will unbedingt Jesu Jünger werden und fragt ihn, was er dafür machen soll. Beziehungsweise: Was das kostet.

Jesu Antwort ist ein ziemlicher Downer: Er solle sich seiner Reichtümer ­ent­ledigen, um ihm nachfolgen zu ­können. Das sitzt und sorgt sichtlich für Gewissens­bisse. Wie jetzt – alles verschenken?! Watts zeigt einen wahrhaft in die Ecke Gedrängten, ­einen ver­zweifelnden Grübler. Während der Mann hier Bedenkzeit benötigt, ­können die Augen der Außenstehenden über den feinen Zwirn wandern, die edlen Stoffe, die ihn kleiden und – ­obgleich ­federleicht gewoben – in diesem Moment ziemlich auf den Schultern zu lasten scheinen.

Man möchte ihm sagen: "Nimm es nicht so schwer, da gibt’s doch nicht so viel zu überlegen: ein Haufen Kohle und ständig Ärger mit dem Finanzamt – oder Seelenheil und ein Jünger von ­Jesus sein, wie cool ist das denn?!" Aber manche Menschen haben – frei nach Jesus – eben Goldbarren in den Augen.
Die Geschichte ist bekannt: Der Mann mag sich von Besitz und Tand nicht trennen. Jesus hat dafür nur abfällige Bemerkungen übrig, darunter die schrägste Allegorie der Bibel – irgendwas mit einem Kamel, das eher durch ein Nadelöhr geht als ein Reicher in den Himmel.

George Frederic Watts macht aus der moralingetränkten Zeigefingerepisode des Neuen Testaments ein angenehm nachdenkliches Bild. Da will einer und kann doch nicht. Der Künstler legt die unsichtbaren Zwänge der Gier unauf­geregt frei. Der Mann versinkt im Schatten seines Wohlstands. Fast kann er einem leidtun, aber eben nur fast. Symbolismus gelungen, eine zeitlose Bebilderung menschlichen Unvermögens, das Glück zu greifen, selbst wenn es vor einem liegt. Aber, hey: Solche Mäntel sind jetzt wieder in!

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Liebe Freunde, guten Tag!
Wieder einmal muss ich meine Sicht der Einschätzung des Kunstwerkes von GFWatts schreiben:
1. Die Überschrift finde ich verfehlt.- Wo sind In dem Bild "Augen" zu sehen?
2.Das Bild zeigt eine gespaltene Persönlichkeit: die scharfe Ecke setzt sich fort in der Falte des Mantels.
Gebeuter Kopf und Ringe an den Fingern befinden sich auf der rechten Seite, während links nur der Rücken zu sehen sind.
3. Der Pelzschal als Zeichen für den Reichtum des (jungen) Mannes wurde vergessen.
4. Ist der Turban ein Zeichen für die Zugehörigkeit zum Isam, oder war dies Kleiderbrauch für Männer im 19. Jahrhundert?
Es grüßt und dankt für das Kunstwerk.
Dirk Römer
Lorsch

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Es gibt eine, wie ich finde, theologisch außerordentlich nachdenkenswerte und zugleich - auch und gerade - für belastete Gemüter äußerst hilfreiche Auslegung dieser Geschichte, eine Auslegung mit einer überraschenden Pointe, die Herrn Lukas Meyer-Blankenburg (LMB) vielleicht unbekannt sein dürfte.
Neugierig geworden? Man investiere ein paar Euros und beschaffe sich beim RADIUS-Verlag aus Stuttgart: Eberhard Jüngel. Predigten. Band 4 Unterbrechungen, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-87173-264-5 - und lese die Seiten 99 bis 108. ... Dass Jesus, wie LMB denkt, "nur abfällige Bemerkungen" dafür übrig hat, dass der reiche Jüngling sich von "Besitz und Tand" nicht trennen mag - von Tand steht bei Markus nichts geschrieben -: also gerade das geht aus unserem Text nicht hervor. Aber ich will der geneigten Leserin und dem geneigten Leser nichts vorwegnehmen ... Wir lesen die Bibel mit eigenen Augen? Ja wirklich? Tun wir es doch! Warum nicht? Langsam beginnt evangelische Kirche spannend zu werden...

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