31 Tipps für den Umgang mit Menschen in Trauer
Was sagt man denn jetzt bloß?
Da trauert jemand – und Freunde, Kolleginnen, Bekannte sind hilflos. Was soll man schreiben, was tun, was sagen? Soll man Trauernde einladen? Kinder zur Beerdigung mitnehmen? Und wie lang dauert so eine Trauer eigentlich? 31 Fragen und Antworten
Trauer - Was sagt man denn jetzt bloß?
Sie müssen ihren je eigenen Trauerweg gehen. Und dazu gehört für viele eben auch, eine längere Zeit nicht nach vorn zu schauen
Joni Majer/Wildfox Running
Tim Wegner
17.05.2022
16Min

Sprüche aus dem Internet?

Ein Mensch ist gestorben, man möchte den Hinter­bliebenen etwas schreiben. Das Internet wird ja wohl irgend­einen tröstlichen Spruch wissen! Schon steht er da: "Nichts stirbt, was in Erinnerung bleibt." Klingt gut. Aber wer gerade einen Menschen verloren hat, will sich nicht erinnern, sondern wünscht sich diesen Menschen ­sehnsüchtig zurück. Viele Sprüche passen nicht dazu, wie sich Trauer wirklich anfühlt: Die meisten Hinterbliebenen sind erschüttert, oft mehr, als sie erwartet hätten; und manche sind zu Tode erschrocken.

Was stattdessen schreiben?

Renate Weigel weiß, welche Beileidspost ihr und den ­Geschwistern guttat, als ihr Vater starb. Wenn ­Menschen keine Spruchweisheiten aufschrieben, sondern per­sönliche Erlebnisse mit dem Verstorbenen: "Ich denke noch so ­gerne daran, wie Euer Vater . . ." Für ihre ­Mutter seien ­diese Briefe zu einem Schatz geworden, sagt ­Renate Weigel, die Bauerstochter. Heute ist sie die ­leitende ­Geistliche im ­Dekanat Nassauer Land (in Hessen und Rheinland-Pfalz) und hat Tipps für Kondolenzschreiben. Selbst wenn man sich nicht nah war, könne man den Hinterbliebenen etwas Persönliches schreiben, sagt die Dekanin, etwa so: "Liebe Angehörige von Frau M., aus der Zeitung haben wir erfahren, dass unsere Nachbarin Frau M. verstorben ist. Wir waren einander nicht eng ­verbunden. Aber wir begegneten uns hier und da, wenn sie am offenen Fenster saß oder auf dem Gehweg ein paar Schritte versuchte. Sie gehörte für uns dazu. Das wollten wir Ihnen gerne schreiben."

Und wenn man selbst fassungslos ist? Dann ist Stammeln richtig: "Liebe E., ich sitze hier und weiß nicht, was ich schreiben soll. Jedes Wort fühlt sich falsch an. Vielleicht nur dies: Ich denke an Euch. Ich bete für Euch. Mein Herz tut auch weh."

"Sagen, was ist" – diese Regel helfe selbst dann, findet Weigel, wenn man die verstorbene Person nicht kannte, nur die Hinterbliebenen: "Ich habe Deine Mutter nicht gekannt, aber ich habe mitbekommen, dass Deine Mutter lange krank war und wie Dich das beschäftigt hat. Ich ahne, dass das keine ganz einfache Geschichte ist." Und den Impuls benennen, aus dem heraus man schreibt: ­ "Ich frage mich, wie es Dir jetzt wohl geht. Ich möchte Dir einfach zeigen, dass ich Anteil nehme."

Soll man "viel Kraft" wünschen?

Am Ende von Kondolenzbriefen stehen oft gute ­Wünsche, meistens wird "viel Kraft" gewünscht. Aber manche ­Trauernde fühlen sich dann eher weggeschickt, weggetrös­tet: "Ist ja nett, dass die mir Kraft wünschen – und wo soll die jetzt herkommen?" Man kann einen ­Beileidsbrief auch ohne Wünsche enden lassen: "Mit ­aufrichtiger Anteilnahme".

"Ich bete für Euch" – freut das auch Ungläubige?

"Die alles entscheidende Frage ist: Stimmt es? Bete ich für sie?", sagt Dekanin Weigel. Wenn es stimmt, dann ­werde es positiv ankommen, "auch wenn ich den dicksten ­Heiden vor mir habe; wenn es aber eine Floskel ist, dann unbedingt weglassen, immer".

Mit Bibelsprüchen kommen?

Wer zusätzlich (!) zu persönlichen Be­merkungen noch einen Bibelvers stellen möchte, kann Passendes suchen auf www.trauervers.de, einem evangelischen Angebot. Mit Auswahlmenüs – war die verstorbene Person lebensfroh oder eher eigenbrötlerisch, starb sie nach ­langem Leiden oder viel zu jung? Zu jedem Spruch gibt es eine weiterhelfende Kurz­interpretation.

"Ich bin total hilflos. Aber ich denke an dich"

Kondolieren im Supermarkt?

Was tun, wenn man der trauernden Bekannten auf der Straße oder im Supermarkt begegnet? Am liebsten ­würde man sich wegducken. Verständlich, findet Dekanin ­ Renate Weigel. Dann aber sollte man sich später ent­schuldigen: "Ich bin dir damals im Supermarkt be­gegnet, ich war total überfordert, es tut mir leid." Sollte der ­trauernde Mensch mal herschauen, könnte man ihm immerhin kurz zuwinken. Oder tatsächlich hingehen: "Ich hab gehört, dass Ihre Schwester gestorben ist, meine herzliche Anteilnahme." Vielleicht noch fragen: Wisst ihr denn schon, wann die Beerdigung ist? Oder: Ich werd’ euch noch schreiben.

Es schmerzt Trauernde, wenn man ihnen ausweicht, gar nicht reagiert. Besonders häufig ist das der Fall, wenn jemand sich das Leben genommen hat oder einer Gewalttat zum Opfer fiel, wenn junge Eltern starben, wenn ein Kind nicht mehr lebt. Fühlen sich Freundinnen und ­Bekannte fassungslos, dürfen sie das genau so sagen: "Es tut mir so leid, dass dein Sohn gestorben ist. Ich bin total hilflos. Aber ich denke ganz viel an dich." Das können Trauernde gut annehmen. Sie fassen den Tod ja selbst nicht.

Niemals sagen: "Aber sie war doch schon alt"

Was Trauernde nicht hören wollen: "Ihre Mutter war ja auch schon sehr alt" oder "Gut, dass er nicht mehr leiden muss" oder "Sei doch erleichert" oder "Ihr hattet 50 Jahre zusammen, sei doch dankbar". Solche Bewertungen stehen anderen nicht zu, sie schmerzen.

Nur die Trauernden selbst dürfen sagen: Ja, meine ­Mutter war alt – aber sie war immer an meiner Seite, jetzt bin ich ein Waisenkind. Ja, ich bin erleichtert, weil mein Angehöriger zuletzt sehr gelitten hat – und zugleich bin ich unendlich traurig. Ja, wir hatten eine lange Ehe – und jetzt fühle ich mich halbiert.

Keine Ratschläge!

Du musst doch auch mal was essen! Du musst rausgehen! Du musst nach vorn schauen! Solche Belehrungen und ­Ermunterungen quälen Trauernde. Sie müssen ­ihren je eigenen Trauerweg gehen. Und dazu gehört für viele eben auch, eine längere Zeit nicht nach vorn zu ­schauen. ­Sondern immer und immer wieder das Gleiche zu ­erzählen, zum Beispiel von den Tagen vor dem Tod. Sie müssen das tun. Sie bedenken das Erlebte immer wieder neu und eignen es sich so allmählich an.

Für Freunde und Freundinnen kann das schwer mit­anzusehen sein, sie wollen wieder Schwung in dieses ­Leben bringen. Dann wäre es gut, wenn Trauernde sagen könnten: "Ich weiß, du meinst es gut, aber das hilft mir gerade nicht."

"Trost" kommt von "Treue"

Aber was tröstet dann?

Wer einen trauernden Menschen vor sich hat, möchte trösten. Möchte, dass die Person weniger traurig ist. Aber das funktioniert nicht. Die Trauernden sind erst einmal untröstlich. "Wenn diese Untröstlichkeit anerkannt wird, das ist schon fast wieder Trost", sagt Tabitha Oehler, Trauerseelsorgerin im evangelischen Dekanat Darmstadt Land.

Das Schlimme als schlimm anerkennen und dann einfach zuhören, schon das kann tröstend wirken. Man muss oft gar nichts sagen, schreibt der katholische Klinikseelsorger Klaus Schäfer in seinem Buch "Trösten – aber wie?".

Das Wort Trost hängt sprachgeschichtlich mit "treu" zusammen. Vielleicht könnte man sagen: Wer tröstet, steht treu zu einem trauernden Menschen und trägt mit.

Trauer trotz schlimmer Kindheit – wieso?

Da hatte jemand eine schlimme Kindheit und trauert trotzdem um die Eltern, wie kann das sein? "Weil man vielleicht immer noch hoffte, dass man den Segen der Eltern bekommt", sagt Tabitha Oehler, die evangelische Trauerbegleiterin. "Und jetzt sind Vater, Mutter gestorben, und ich weiß, ich werde das nicht mehr bekommen." Mit erwachsenen Kindern überlegt sie dann, ob es einen unausgesprochenen Segen gibt, oder etwas, was der Vater, die Mutter einem doch mitgegeben haben.

Auf Unverständnis stoßen auch Menschen, die heftig trauern, obwohl die Ehe zwiespältig war. Sie bekommen zu hören: "Sei doch froh!" Auch diese Hinterbliebenen betrauern das Nicht-Gelebte. Sie hatten die Hoffnung, dass sich noch was ändern könnte, nun wird diese Hoffnung mitbegraben.

Trauern Jugendliche denn nicht?

Am Dienstag ist die Mama gestorben, und am Freitag wollen Sohn, Tochter wie immer mit der Clique in die Disco gehen und am Samstag zum Sport. Sie scheinen einfach weiterzumachen. "Jugendliche haben ein starkes Bedürfnis nach Alltag, das irritiert Erwachsene oft", erklärt ­Michael Friedmann, Seelsorger und Trauerbegleiter beim Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst im Landkreis Ludwigsburg. Solche Normalität gebe den Jugendlichen Halt – wenn zu Hause nichts mehr ist, wie es war.

Erst wenn sie sich sicher fühlen, nach Wochen oder auch nach einem Jahr, kommen sie mit ihren Fragen und Gedanken. Und zwar nicht unbedingt zu den ­Erwachsenen in der Familie, sondern zur Lehrerin, zum Seelsorger, zur Freundin. Ach, noch was, sagt Friedmann: Wenn ein Kind nicht weint, bedeute das nicht, dass es nicht trauere.

Anrufen oder doch besser nicht?

Man will nicht aufdringlich sein, aber sich gar nicht zu melden, fühlt sich auch falsch an. "Fragen Sie doch einfach", sagt Trauerseelsorgerin Tabitha Oehler und macht es vor: "Ist es für dich okay, wenn ich dich anruf? Oder möchtest du lieber selber anrufen?" Man sollte immer ­eine Auswahl lassen: "Soll ich dich mal zum Spaziergang abholen oder möchtest du jetzt erst mal in Ruhe gelassen werden? Soll ich mich einfach in einem Monat noch mal melden?"

Oder wenn jemand im Verein ist, könnte man vorsichtig nachfragen: "Wir hätten dich gern wieder dabei. Aber wenn es jetzt nicht geht, fragen wir immer mal ­wieder nach, ist das okay? Oder sollen wir dich wirklich in Ruhe lassen, und du kommst dann schon, wenn du ­wieder magst?"

Wichtig für viele: dass der Name des Toten gesagt wird

Über Tote reden?

Viele denken, sie reißen Wunden auf, wenn sie über die verstorbene Person sprechen. Also erwähnen sie sie gar nicht. Dabei möchten die allermeisten Trauernden dringlich von ihren toten Angehörigen erzählen. Sie haben Angst, dass sie vergessen werden. Schon das Aussprechen des Namens ist wichtig, besonders für verwaiste Eltern. Nur wenige möchten das nicht, weil sie gerade nicht ­weinen wollen. Also auch hier: fragen! "Ist es für dich okay, über Johannes zu reden?"

Bitte so nicht: "Meld dich, wenn du was brauchst"

Trauernde melden sich nicht. Schon weil sie sich ­niemandem zuzumuten wagen. Petra Sutor, die in einem internationalen Konzern die Krisen- und Trauerbegleitung verantwortet, wird oft von Teams gefragt, was man denn jetzt tun solle, der Mann einer Kollegin sei gestorben. ­Sutor rät zu konkreten Angeboten – auch per Mail, wenn das in der Firma üblich ist. Etwa so: "Mich macht Dein Verlust sprachlos, es tut mir wahnsinnig leid! Du hast bestimmt noch ganz viel auf dem Tisch – kann ich Dir Deine Projekte abnehmen? Möchtest Du Dein Telefon auf mich umstellen? Bitte lass mich wissen, wie ich Dir jetzt Unterstützung geben kann."

Nicht beleidigt sein

Ach ja: Nicht beleidigt sein, wenn ein Angebot abgelehnt wird. "Es ist einfach so unterschiedlich, was Menschen in so einer Situation brauchen", sagt Trauerseelsorger Michael Friedmann, "klopft in zwei Wochen noch mal an, da kann es schon wieder ganz anders aussehen." Am Anfang wollen viele Trauernde eher für sich sein und weisen Freundinnen und Verwandte ab. Nach ein paar Wochen oder Monaten haben die Abgewiesenen dann oft nicht mehr den Mut, noch mal nachzufragen. Das sollten sie aber tun. Denn dann beginnt für viele Trauernde eine ­einsame Zeit.

Braucht man mich überhaupt?

Ja! Trauernde können Unterstützung in vielerlei Art ­brauchen. Für Freundinnen, Verwandte, Bekannte stehen im Wesentlichen drei Rollen bereit, schreibt die Trauerexpertin Chris Paul in ihrem Buch "Wir leben mit deiner Trauer". Da gibt es die "stabilen Personen" – das sind die Menschen, die die Stunden oder Tage nach dem Verlust wie ein Fels in der Brandung bei den Hinterbliebenen bleiben. Dann die Menschen, die praktisch unterstützen: die ans Telefon gehen, Briefe von Versicherungen öffnen und beantworten (Hinterbliebene verzweifeln oft an solcher Post), Kinder beschäftigen, Fahrdienste leisten . . .

Und es gibt diejenigen, die in "mitmenschlicher Nor­malität" da sind. Tabitha Oehler skizziert so eine Rolle: "Das kann eine Freundin sein, die mir mal eine Pause von der Trauer gönnt. Mit der ich einfach einen Kaffee trinken geh, und wir reden über Gott und die Welt, aber nicht über meine Trauer."

Kinder auf die Beerdigung mitnehmen?

"Natürlich dürfen Kinder mit auf eine Beerdigung", sagt Michael Friedmann, der Trauerseelsorger für Kinder und Jugendliche im Landkreis Ludwigsburg. Aber man sollte die Kinder vor­bereiten, mit Bilderbüchern etwa, oder man ­googelt im Internet und zeigt, wie eine Beerdigung aussieht.

Dann bekommt das Kind jemanden zur Seite – das muss, wenn der Vater gestorben ist, nicht ­unbedingt die Mutter sein, sondern kann der Schwager sein; der hat eine Tasche mit Spielzeug mit und was zu essen und geht zwischendurch mit den Kindern auch mal raus. "Das schätzen die Kinder sehr: dabei sein zu können und trotzdem Optionen zu haben", sagt Michael Friedmann. Die Kinder und Jugendlichen sollten sich auch ihren Platz bei der Trauerfeier selbst aussuchen können – nah bei der Mama, seitlich bei der Tante oder auch ganz hinten, in Distanz.

Die Hand ist kalt. Der Sohn ist tot

Tote noch mal anschauen?

Das hören Hinterbliebene oft: "Behalte ihn so in Erinnerung, wie du ihn kanntest." Holger Günther sagt so etwas nicht. Er arbeitet ehrenamtlich als Notfallseelsorger und leitet eine Gruppe von verwaisten Eltern in Ostthüringen. Er ermuntere Eltern immer dazu, ihr totes Kind noch mal zu sehen, sagt er. So wie die Mutter, deren Sohn Suizid auf den Schienen begangen hatte. Der Bestatter bot an, vom abgedeckten Toten die eine relativ unverletzte Hand frei zu lassen. Die Mutter küsste die Hand und streichelte sie und wusste nun sicher: Es ist ihr Sohn. Die Hand ist kalt. Der Sohn ist tot.

Einen entstellten Toten zu sehen tut weh, aber noch mehr weh tut es, einen entstellten Toten nicht zu sehen, so fasst das Klinikseelsorger Klaus Schäfer zusammen.

Sollen auch Kinder einen toten Opa, eine tote Oma sehen?

Ja, sagt Michael Friedmann, wenn man sie vorbereitet ("Der Opa ist blasser als sonst, der atmet nicht mehr, der spürt auch keinen Schmerz mehr") und wenn sie auch an der Tür stehen bleiben können. Das Wertvolle daran sei, dass die Kinder begreifen: So tot, wie der Opa da liegt, so kann der mit mir nicht mehr Fußball spielen; und so einen toten Körper kann man dann auch in die Erde legen.

Tim Wegner

Christine Holch

Christine Holch, Chefreporterin, hat vor kurzem ihren ­Vater verloren. Sie freute sich über jede anteilnehmende Post. Aber in ­Erinnerung blieben ihr nur wenige Briefe.

Joni Majer

Illustratorin, wollte ihrem amerikanischen Opa zehn Jahre nach seinem Tod noch etwas sagen. Sie besuchte sein Grab und legte einen Abschiedsbrief mit Zeichnung darauf.

Leichenschmaus oder nicht?

Den Leichenschmaus nach Beerdigungen, auch Trauer­kaffee genannt, fand Renate Weigel als 14-jährige Dorfjugendliche ganz furchtbar. Dass man da lachte, laut über die Tische hinweg rief, über die nächste Aussaat fachsimpelte – wie pietätlos! So stritt sie mit ihren Eltern. Da habe ihr Vater sie zurechtgewiesen: "Weisst du was, du bist jetzt einfach mal still. Du hast nämlich keine ­Ahnung! Das ist wichtig." So ist es, sagt ­Renate ­Weigel, heute evangelische ­Dekanin: "Das Lachen ist wichtig, das Umarmen ist ­wichtig, das Über-sonst-was-Reden, Witze erzählen, alles ist wichtig, denn wenn du mit dem Tod in Berührung gekommen bist, brauchst du ­einen Übergang, dass du wieder leben kannst. Und das ist das Kaffeetrinken."

Mit Schrecken beobachtet sie, dass Gemeinschaft bei Bestattungen immer ­weniger erwünscht ist, dass es in Trauer­anzeigen ­immer öfter heißt: "Von Beileids­bekundungen am Grab bitten wir abzusehen." Nur ­selten konnte sie Trauernde davon überzeugen, Anteilnahme am Grab zuzulassen. "Wenn ich die ­ anderen ausschließe, nehme ich mir doch auch den Segen der anderen."
Die Mutter von Renate Weigel übrigens hatte sich vor ihrem Tod gewünscht, dass in der Traueranzeige ausdrücklich alle zum Kaffeetrinken eingeladen sind. "Was sind denn das für schlechte Sitten, dass man in aller Stille auseinandergeht!" Sie hatte eine Liste geschrieben, ­welche Kuchen gebacken werden sollten. Der Einladung zum Trauerkaffee folgten dann 200 Menschen.

Trauer am Arbeitsplatz

Trauernde können oft nicht mehr wie gewohnt weiterarbeiten – sie können sich nicht konzentrieren, schlafen wenig, sie grübeln, sind schnell erschöpft oder quälend ruhelos. Alles normale Trauerreaktionen. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von Hausarzt oder Hausärztin verschafft etwas Luft.

Dann kommen sie zurück in die Firma – und die ­anderen schließen ihre Bürotür oder witschen im Flur schnell ums Eck, und zum Mittagessen holt man die ­trauernde Kollegin auch nicht mehr ab. Warum? "Weil sie Angst haben", sagt Petra Sutor, Trauerbegleiterin und ­Autorin des Buchs "Trauer am Arbeitsplatz". "Sie haben Angst vor Tränen, sie haben Angst, was falsch zu machen, also machen sie lieber gar nichts."

Das andere Extrem kann genauso unangenehm sein, Petra Sutor hat es selbst erlebt, als ihre Eltern kurz ­hintereinander starben und sie, damals noch Marketingmanagerin, zurückkehrte in die Firma: "Ich wurde ungefragt in den Arm genommen, manche sind richtig über mich hergefallen, ich fand das übergriffig."

Deshalb fragt man vor der Rückkehr an den Arbeitsplatz, und das ist die Aufgabe der Vorgesetzten oder des Kollegen, der nach dem Todesfall den Kontakt gehalten hat: "Wie möchtest du behandelt werden, wenn du zurückkommst? Möchtest du angesprochen werden oder nicht?" Der eine möchte von seinem Verlust erzählen, die andere würde gern die ersten zwei Wochen nicht darauf angesprochen werden, weil sie ein Gefühl von Normalität braucht.

Trauernde können auch ungerecht sein

Kann man es Trauernden überhaupt recht machen?

Trauernde können auch ungerecht sein. "Die sitzen dann bei mir und schimpfen wie ein Rohrspatz über ihr Umfeld", erzählt Petra Sutor, Trauerbegleiterin in einem ­Konzern. "Ich sag dann schon mal: Hast du mal gesagt, dass dir das gar nicht hilft? Antwort: Nee, das müssen die doch selber wissen . . ." Aber sie sei auch so gewesen. "Wenn ich trauere, bin ich so im Schmerz, da bin ich nicht in der Lage, auch noch Verständnis für andere zu haben."

Jemand weint – bin ich schuld?

Und immer wieder hört Petra Sutor: "Ich fragte die ­Kollegin, wie’s ihr geht, da fing die an zu weinen – und ich bin schuld!" Nein, erklärt die Trauerbegleiterin jedes Mal, "schuld ist der Verlust, nicht das Ansprechen darauf. Dieser trauernde Mensch weint auch den Rest der Woche."

Darf man von sich selbst erzählen?

Prinzipiell gilt für alle, die Trauernden beistehen wollen: Nicht zu viel von sich selbst reden. Man kann die eigene Trauererfahrung erwähnen, sollte es aber dabei erst mal belassen. Auf keinen Fall die trauernde Person bevormunden nach dem Motto: Mach das und das, mir hat das damals geholfen!

Glücklose Schwangerschaft

Viele Frauen verlieren ein Kind in der Schwangerschaft. Häufig in der frühen Schwangerschaft, da kriegt es niemand mit. Manchmal in der späten Schwangerschaft. Dann bitte keine Floskeln wie: "Das hat die Natur entschieden" oder "Du hast ja noch andere Kinder". Ein Kind ersetzt kein anderes, sagt Trauerbegleiterin Petra Sutor, die das selbst erlebt hat, "und Frauen haben auch ­keine ­Zellklumpen verloren, sondern ein Kind". Übrigens: ­Niemals die Väter vergessen! Auch ihnen Anteilnahme zukommen lassen.

Monate später . . . alles okay?

Die Leute arbeiten wieder, dann wird der Rest auch okay sein, denkt man. Nein, sagt Petra Sutor, das sei häufig nicht der Fall. Aufmerksame Kollegen und Team­leiterinnen sollten auch Wochen und Monate später mal sagen: "Ich kann gar nicht abschätzen, wie es dir gerade geht. Von außen machst du den Eindruck, dass alles gut läuft, ich möchte aber, dass du weißt, dass wir trotzdem weiterhin ein Ohr für dich haben und schauen, wie es dir geht."

Wäre Trauer öfter ein Thema, meint Sutor, dann hätten es Betroffene viel leichter zu sagen: "Es geht halt immer noch nicht gut. Ich komme immer noch nicht klar."

Trauer lässt sich nicht abkürzen

Wie lange dauert denn so eine Trauer?

Eigentlich ist ja nicht die Trauer das Problem, sondern der Verlust, und der Verlust hört nicht auf, er bleibt, sagt ­Tabitha Oehler, die evangelische Trauerbegleiterin im ­Dekanat Darmstadt Land. "Viele verstehen nicht, wie weh dieses ‚nie wieder‘ tut." Der Sinn der Trauer sei, mit dem Verlust leben zu lernen, zu einem aushaltbaren Leben ­ohne den geliebten Menschen zu finden. Das dauere, und zwar individuell ganz unterschiedlich lang. Sicher ist: Trauer lässt sich nicht willentlich abkürzen.

Petra Sutor zum Beispiel, die beide Eltern kurz hintereinander verlor, sagt, sie sei zwar nach ein paar Monaten wieder im Leben angekommen, aber innerlich habe sie zwei Jahre gebraucht, das Sterben der Eltern zu verar­beiten, die Art, das Tempo, den Verlust, das Ungesagte, die eigene Erschöpfung.

Das Kind ist doch immer noch tot!

Die Leute würden meist ein Jahr Trauer akzeptieren, so die Erfahrung von Holger Günther, dem ehrenamtlichen Trauerbegleiter, danach bekämen Trauernde oft zu ­hören: "Mensch, jetzt muss es doch langsam mal wieder gut werden, es ist doch schon ein Jahr her!" Aber das Kind ist immer noch tot. Holger Günther zum Beispiel trauert um seinen Sohn – Christoph verlor mit 21 Jahren sein ­Leben bei einem Verkehrsunfall. Man lerne mühevoll, mit dem Verlust irgendwie zu leben, sagt Günther, "aber gut wird es nie wieder".

Soll man Trauernde einladen?

Ja natürlich, findet Holger ­Günther. Verwaiste Eltern würden oft nicht eingeladen. Sicher, es sei schwer für sie, wenn die anderen alle von ihren Kindern erzählen: Mein Sohn studiert jetzt; meine Tochter ist fertig mit der Ausbildung; ich werde Oma . . . Aber man könnte die trauernde Mutter, den trauernden Vater doch einbeziehen, indem man sagt: Mensch, dein Sohn, deine Tochter, das waren auch so wunderbare Menschen, ich weiß noch, wie wir . . . So etwas sei Balsam. Dann könne auch wieder von Kindern erzählt werden, die weiterleben.

Jahre später . . .

Was sollen verwaiste Eltern sagen, wenn sie in einer ­Runde mit neuen Bekannten, etwa auf einer Fortbildung, gefragt werden, ob sie Kinder haben? Holger Günther übt diese Situation regelmäßig mit seiner Gruppe verwaister Eltern ein: "Ihr habt immer die Anzahl, die ihr vorher auch hattet. Ihr sagt: ‚Ja, ich habe zwei Kinder; ein Kind ist leider verstorben.’"

Und welche Reaktion würde er sich dann wünschen? "Dass man sagt: Oh, das tut mir leid. Dass man dazu ­vielleicht mit der Hand am Arm so runterstreicht, um zu zeigen, es tut mir wirklich leid." Aber es dann erst mal auf sich beruhen lassen, bis sich in kleinerer Runde vielleicht später die Gelegenheit ergibt zu fragen, was passiert ist.

Was tun an schwierigen Tagen?

Todestage, Hochzeitstage und bei Kindern die Geburtstage – das sind besonders schwierige Tage für Hinterbliebene, sagt Tabitha Oehler. Hilfreich, wenn dann ein Kärtchen kommt oder eine Whatsapp-Nachricht: "Ich denke an Dich!" Gern auch beim dritten, vierten, fünften Todestag. Oder man einen Blumenstrauß bekommt mit Kärtchen: "Ich glaub, heute brauchst Du so was."

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Liebes Redaktionsteam,
jedes mal freue ich mich schon auf die neue Ausgabe von "Chrismon". Als ich die Themenpalette der Juni-Ausgabe sah, war ich zunächst nahezu "erschlagen" von der Vielfalt der attraktiven Themen und wusste nich, wo anfangen. Das änderte sich jedoch sofort, als ich den Artikel zum Thema "Tauer(n), Trost spenden" auch nur angelesen hatte. Ich habe ihn nicht mehr aus der Hand gelegt, denn ich habe so vieles wiedererkannt, was ich in den letzten Jahren bei meinen individuellen, "wohlmeinenden"
Trauerschreiben wider besseres Wissen wohl nicht so ganz richtig gemacht habe... und wie ich mich zuklünftig in so wie den beschriebenen Situationen adäquat verhalten kann. Der Artikel bedeutet für mich eine echte Lebenshilfe und gibt mit Stärke für zukünftige Beileidsbekundungen. Ich war von diesem Text so beeindruckt, dass ich mir die übrigen Artikel erst einmal für später zurückgelegt habe.
Ihnen weiterhin soviele Möglichkeiten zur Lebenshilfe und bitte gesund bleiben

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Sehr geehrte Frau Holch,
bei uns in der Gegend in Osthessen ist es statt dem "Leichenschmaus oder Trauerkaffee" der "Tröster" (auf Platt: Treester), der die Trauernden nach der Beisetzung zusammenführt bei Kaffee, Kuchen oder Kräftigerem. Und genau so empfinde ich dieses Zusammensitzen und Erzählen immer wieder, wenn eine mir nahe stehende Person gestorben ist.
Ich erhalte Chrismon als Beilage der Süddeutschen Zeitung. Ich möchte die vielen bereichernden Artikel, die immer ohne erhobenen Zeigefinger auskommen, nicht missen.
Herzlich grüßt
Katharina Möller
Bimbach

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Sehr geehrte Frau Holch,

vielen Dank, dass Sie so viel Erfahrungen in Trauerarbeit zusammengetragen haben und mit Ihren Lesern teilen. Allen Einzelbeiträgen ist das tiefe Mitgefühl sowohl für Trauernde als auch die, die trösten wollen, abzuspüren.
Mir scheint, dass die tiefe Weisheit von Ps 90,12 allen Betroffenen helfen kann, wenn der je aktuelle Tod eines anderen Menschen in uns als Resonanz das Bewusstsein unseres eigenen zukünftigen Todes anklingen lässt. Vielleicht finden wir dann ein wenig leichter das passende Wort, die rechte Geste oder zumindest den Mut unser Bestes zu geben.

Siegfried Fels

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Es gibt einen kleinen, aber feinen Unterschied zwischen Rat und Tat:
Die Authentizität.
Dass hier Expertenrat nahegelegt wird, statt der eigenen spontanen, aber liebevollen Eingebung, ist dem Zeitgeist geschuldet. Meistens wissen die Menschen, was gut ist, aber das Wissen wird ihnen abgesprochen.

Fazit: Konsum geht über alles ?

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Trauernde begleiten – ein Lernweg
“Was sagt man denn bloss?“ Allein der Titel zeigt die Verlegenheit an, wenn es darum geht, Trauernden unsere Anteilnahme zu zeigen. Nicht nur der Tod, auch die Trauer macht uns weithin sprachlos. Man möchte Trost spenden und weiss nicht wie. Nicht wenige, die sich dann eine Kondolenzkarte kaufen, in die man nur noch seinen Namen einzutragen hat. Ich selbst habe es erfahren, wie Menschen, die sonst um kein Wort verlegen waren, in der Zeit der Trauer förmlich einen Bogen um mich machten. Welch eine willkommene Hilfe doch der Chrismon-Artikel ist! Er belehrt nicht, gibt auch keine Rezepte, sondern lotet klug und einfühlsam das aus, was wir an Begleitung leisten können: nämlich Nähe zeigen und Mitgefühl, hohle Redensarten aber tunlichst vermeiden. Durchaus auch wortlos. Ein Blick kann viel sagen wie auch eine Blume, die ich überreiche. Wieder einmal ist Chrismon dafür zu danken, ein Thema aufgegriffen zu haben, das unabweisbar viele, wenn nicht alle, angeht.
Günter Apsel
Münster

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Sehr geehrte Redaktion!
WAS SAGT MAN DENN JETZT BLOSS?
Die Ratschläge im Juni-Heft haben mir sehr gut gefallen, einige habe ich mir fest eingeprägt, denn auch ich habe in letzter Zeit leider recht wortlos dagestanden in einer solchen Situation. Zum Glück waren die Hinterbliebenen gute Bekannte bzw. Freunde, und ich konnte sie wenigstens wortlos umarmen.
Das Einzige, was mir überhaupt nicht gefallen hat und was ich der Autorin doch zu bedenken ans Herz legen möchte, ist, sich bei Hilfs- oder Besuchs- oder sonstige Fragen an Trauernde nicht durch ein „ist das okay für dich/Sie“ zu versichern. Das klingt genau gegenteilig zu dem, was man eigentlich sagen oder anbieten will – nämlich lieblos und nicht persönlich. Oft sind es doch auch ältere Leute, die man trösten oder denen man helfen will, und die sind heute immer noch gegen „hallo“ und „okay“, denn für beide Worte gibt es in unserer wundervollen Sprache jede Menge anderer, persönlichere oder einfach auch herzlichere Worte wie z.B. „Ist das in Ordnung für dich“, „Bist du einverstanden, wenn…“, „Wäre es hilfreich für dich…“, „Wäre es dir angenehm…“, „Darf ich das für dich tun…“ und viele andere mehr.
Ich möchte gerne in der „hallo“, „lecker“ und „okay“-Zeit noch mal kurz Aufstoßen, bevor wir ganz und gar in einer anderen Sprache versinken. Auf dem Weg dahin ist man ja – nur wir Alten noch nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Gisela Ilk

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Liebe Frau Holch,
herzlichen Dank für diesen so wahrhaften Bericht über Trauerkondolenz. Ich lese Ihre Artikel so gerne - immer toll recherchiert und so einfühlsam geschrieben! Ich wünsche Ihnen alles Gute und freue mich auf viele weitere Berichte von Ihnen.
Danke! Sabine

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Sehr geehrtes Redaktionsteam,
ich habe im Februar 2022, nach 42 Jahren Ehe, meine liebe Frau verloren. Ihr Artikel “Was sagt man denn jetzt bloß?“ hat mich als Betroffener sehr berührt und auch ein wenig getröstet. Ich habe selbst erlebt, wie man mir unsicher das richtige zu sagen, gegenübertrat. Am meisten berührt mich die Aussage „Viele verstehen nicht, wie weh dieses „Nie wieder“ tut“. Genau das ist mein Problem beim Umgang mit meinem Umfeld.
Herzlichen Dank für diesen Artikel!
Mit freundlichen Grüßen
Roland Crostewitz

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