"Ich bleibe katholisch"
Die Kirche gab unserer Autorin Empathie und Ruhe
AHAOK
Was gibt Schriftstellerin Mirijam Günter Halt?
"Ich bleibe katholisch"
Die Schriftstellerin Mirijam Günter über den einzigen Ort, an dem sie nie Rassismus erlebte
Frank May/dpa/picture alliance
11.03.2022

Noch am Tag, bevor wir geräumt wurden, sangen wir voller Inbrunst: "Segne, Vater, diese Gaben." Das war Anfang der 2000er in unserem besetzten Haus in Köln, wohl das einzige in Deutschland, in dem ein Kreuz hing. Den Gassenhauer hatten wir aus dem Kloster Himmerod mitgebracht, wo wir ein Wochenende verbracht hatten. Ich fuhr ins Kloster zurück. Die Mönche konnte ich mit einer Hausbesetzung nicht schocken.

Frank May/dpa/picture alliance

Mirijam Günter

Mirijam Günter, Schriftstellerin, war Heimkind. 2015 erschien ihr Jugend­roman "Die Stadt hinter dem Döner­laden", Größen­wahn-Verlag, 253 Seiten, 9,90 Euro.

Kirche gab mir immer Halt, schon während meiner Heimkarriere. Meine meist linken Betreuer waren fassungslos, dass ich zur Kirche ging. Als ich das merkte, ging ich noch häufiger. Meine Unterbringung auf dem Land gehörte zum pädagogischen Konzept, sie mussten mich fahren. Oft blieb ich länger, als die Messe dauerte. Sie warteten verärgert im Auto. Wie sehr sie mein praktizierter Glaube beschäftigte, stand in Berichten, die ich aus ihren Büros geklaut habe. Da hatten sie alle Rebellionsphasen von Jugendlichen durchstudiert – und dann bringt sie ein Rotzpanz mit Kirchgängen aus dem Konzept. Im Heim schwor ich mir bei Gott, nicht unterzugehen. In meinem Kopf entstand ein Satz, der mich lange begleitete: Ihr verachtet meinen Gott, weil er der Einzige ist, der zu mir hält!

Der einzige Ort, wo ich nie Opfer von Rassismus wurde

Wieso sollte ich aus einer Organisation austreten, die mir Stütze war und ist? Ein paar Hausbesetzungen und abgebrochene Ausbildungen später war ich ­Schriftstellerin, mit Verlag und Literaturpreis. Gebeugt über meinen zweiten Roman, unterbrochen von Lesereisen in eine Bildungsbürgerwelt, die erschrocken meinen fiktiven Unterschichtsgeschichten lauschte, fragte ich mich: Soll das nun mein Leben sein? Da rief der Seelsorger aus der damaligen Jugendhaftanstalt Siegburg an: Kannst du unsere Literaturwerkstatt übernehmen? – "Traust du mir das denn zu?", fragte ich. – "Wer 50 Jugendliche bei einer Lesung im Knast eine Stunde ruhig hält, schafft eine Literaturwerkstatt mit links." Das war 2006. Ein Priester hatte Talent in mir gesehen und wollte nicht, dass es vergraben wird.

Ich weiß, dass in meinem Verein viel Scheiße passiert. Verbrecher und Vertuscher gehören in den Knast, Opfer unverzüglich entschädigt. Warum hat keiner der Herren der Schöpfung die Eier, Verantwortung zu zeigen für den Missbrauch, die Vertuschung, die Skandale? Verantwortung zu übernehmen und zurückzutreten? Stattdessen ­kleben sie an ihren Sesseln, verarschen uns Laien, die das alles ausbaden müssen, und sehen zu, wie unser Verein gegen die Wand knallt. Dass sich da auch Arschgeigen tummeln, habe ich – nicht nur einmal – selbst erlebt. Die katholische Kirche ist aber meine Heimat. Der einzige Ort in Deutschland, an dem ich aufgrund meiner dunklen Hautfarbe noch nie Opfer von Rassismus geworden bin.

Im April 2020 lag ich nachts um halb zwei plötzlich in Handschellen auf dem Boden. Wie später im Polizeipro­tokoll zu lesen war, hatte eine 13-Jährige zwei Personen beobachtet, die ein Fahrrad zu klauen versuchten, eine von ihnen "Typ Zigeunerin". Laut Protokoll habe ich ­schwarze Locken und eine bräunliche Hautfarbe. Eine Polizistin beleidigte mich mehrfach. Man schleppte mich zu ­meiner Haustür und nahm die Handschellen ab. Ich schloss auf: Ob es jetzt gut sei? Der Polizist sagte: Ja. Aber die Beamtin wollte in meine Wohnung. Ich fragte nach einem richter­lichen Beschluss. Sie ging zur Seite, telefonierte und ­meinte, den hätte sie jetzt. Ich glaubte das nicht. Sie riss mir den ­Schlüssel aus der Hand: "Was willst du denn ­machen, ­Typen wie euch glaubt eh keiner."

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Bis heute hat sich nicht ein Mandatsmensch aus dem Kölner Rat dazu geäußert. Anders als der Jesuit Heribert Graab, der mit seiner Pax-Christi-Gruppe einen Brief geschrieben hat, nicht nur an den Polizeipräsidenten. Domkapitular Dominik Meiering übernahm mein Anwaltshonorar und fängt bis heute meine Trauer und Wut über dieses Ereignis auf – mit einer Empathie und Ruhe, die jeden Dank lächerlich wirken lässt.

Die Polizei hat sich bei mir schriftlich entschuldigt. Der Polizist wollte wissen, ob ich den Glauben an die Polizei verloren habe. Ich habe ihm geantwortet: "Ich glaube eh nur an den lieben Gott. Das ist schon schwer genug."

*Dies ist die bearbeitete Version eines Textes, der schon mal im Freitag erschien

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Glückwunsch! Es ist ja auch ihr Glaube, an den, der ihr hilft. KATHOLISCH ist dem Bericht folgend, wohl auch in erster Linie ein Name für eine weltliche religiöse Organisation. CHAPEAU.

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Frieden gibt es in der Empörung nicht, allenfalls neues Unrecht.

"Ich glaube eh nur an den lieben Gott. Das ist schon schwer genug."
Wahre Worte.

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