Spaziergänger in Berlin
Tahora Husaini
Der Schmerz ist überwältigend
Er konnte fliehen, seine Großmutter blieb zurück. Wie ein junger Mann die Hölle von Kabul überlebte und als gebrochener Mensch nach Deutschland kam.
Tahora HusainiPrivat
11.01.2022

Am letzten Tag meines Aufenthalts in Kabul ging ich mit einem guten Freund zu einem Filmfestival. Er lebt ebenfalls in Berlin und kam nach Kabul, um seine Familie zu besuchen. Es war ein wundervoller Tag, an dem wir viel lachten. Er erzählte mir, wie sehr er Berlin vermisst und dass er es kaum erwarten kann, wieder dort zu sein. Wir verabschiedeten uns unter der Prämisse, uns schon in zehn Tagen wiederzusehen, wenn ich ihn vom Berliner Flughafen abhole. Aus zehn Tagen wurden vier Monate. Nun konnte er endlich ausreisen.

Als wir schließlich die Nachricht von ihm erhielten, dass sein Visum für Pakistan genehmigt wurde und er somit endlich nach Berlin fliegen kann, kamen ein Dutzend Verwandte und Freunde aus verschiedensten Städten, um ihn zu empfangen. Ich umarmte ihn mehrmals ganz fest, weil ich gar nicht fassen konnte, dass er wirklich zurückgekehrt war.

Alle Lebensfreude war vergangen

Während seiner vier Monate in Kabul wurden diesem witzigen, aufgeweckten jungen Mann jegliche Lebensfreude genommen. Sein Gesicht war nun gekennzeichnet von Verbitterung mit müden Augen, in denen man das Ausmaß seiner Tragödie ablesen konnte. Niemand traute sich, ihn über die Situation und seine Erlebnisse in Kabul zu fragen. Er schaute uns nur verwundert an. Die große Anzahl an Verwandten und Freunden mit fragenden Gesichtern haben ihn wahrscheinlich völlig überfordert. Wenn das Thema doch aufkam, drehte er sich weg und starrte an die Wand.

Am darauffolgenden Tag gingen wir spazieren. Er wirkte etwas gefasster und begann allmählich zu erzählen. Er meinte sich wie ein Stein zu fühlen und hätte am liebsten alle angeschrien, ihn einfach in Ruhe zu lassen. Es fiel ihm äußerst schwer mit all der Sympathie und dem Mitleid umzugehen. Denn leider konnte nichts davon seinen Schmerz lindern, im Gegenteil.

Wir sind es gewohnt, unseren Schmerz mit Lachen zu überspielen.

Er erzählte uns von dem Tag, als die Taliban hunderte Männer aus dem Gefängnis befreiten und diese anschließend mit Messern und Schwertern durch die Stadt rannten. Mitten in diesem Geschehen fand er sich wieder in einem Taxi mit seinen Cousinen. Er wollte sie in Sicherheit bringen, weil sich herumgesprochen hatte, dass viele Mädchen bereits entführt und verschleppt wurden. Die Geschichten, die er von dort erzählte, waren so unfassbar, dass wir anfingen darüber Witze zu machen. Wir sind es gewohnt, unseren Schmerz mit Lachen zu überspielen.

Mehrmals hatte er wohl versucht mit Taliban-Männern darüber zu diskutieren, ob ihr Verhalten im Entferntesten etwas mit wahrem Islam zu tun hat und fragte sie, ob sie den Koran überhaupt gelesen und verstanden hatten. Als Antwort wurde er mit einem großen Stein beworfen, der seinen Kopf nur gerade so verfehlte. Seine Worte erinnerten mich an die Millionen jungen Menschen, die von einer Gruppierung dominiert werden, deren einzige Sprache die der Gewalt und Einschüchterung ist.

Dann gab er nach, und erzählte von seinen Gefühlen

Männer aus Afghanistan haben großen Stolz und vermeiden es tunlichst über ihre Gefühle zu sprechen. Doch schließlich gab er nach und ließ all den Schmerz, den er versuchte zu verstecken, heraus. Unter Tränen erzählte er, wie seine Großmutter ihn bat, nicht zu gehen. Sie befürchtete, dass sie sich womöglich nie wieder sehen werden. Da waren wir alle still. Ein schmerzlicher Moment, der weder durch alberne Witze noch falsche Hoffnung hätte aufgelockert werden können.

Seiner Großmutter steht er besonders nah. Über sie redet er öfter als über seine restliche Familie. Kindheitserinnerungen, in denen er seinen Kopf in  ihren Schoß legt, sie ihm durchs Haar streichelt und ein Lied singt bis er einschläft. Viele von uns haben ihre Liebsten zurückgelassen und uns selbst gerettet. Wir ließen sie in einer Hölle namens Afghanistan zurück, in der täglich Menschen an Hunger und Kälte sterben. Was bleibt ist ein Gefühl von Schuld, das uns nicht mehr loslässt.

Zusatz aus der Redaktion:
Wie unfassbar schrecklich die Situation in Afghanistan ist, zeigen auch die regelmäßigen und sehr gut recherchierten Berichte der ARD-Korrespondentin Silke Dietrich: In diesem Beitrag berichtet sie über den Hunger und über Väter, die ihre minderjährigen Töchter verkaufen müssen, um zu überleben.

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Redaktion Chrismon, euren Zusatz hättet ihr euch sparen können. Was die Menschen wirklich brauchen, ist ein Journalismus der seine systemrationale Verpflichtung zu journalistischer "Neutralität" deutlich überschreitet. Speziell bei einem christlichen Journalismus, kann das nur die konsequente Kompromisslosigkeit hin zur Gestaltung eines globalen Gemeinschaftseigentums "wie im Himmel all so auf Erden" sein, die allen Christen die Augen und Herzen wirklich-wahrhaftig öffnet und die VERWEIGERUNG für diese heuchlerisch-verlogene Welt- und "Werteordnung" im "freiheitlichen" Wettbewerb SOFORT abverlangt, denn diese gottgefällige Welt OHNE ... ist nicht nur absolut machbar!!!

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