Thomas Rheindorf - Strickkunst
privat
Drei Tücher für Alexandra
Corona und das Hochwasser haben dem Kulturleben in der Stadt nicht gutgetan. Da kommt eine Vernissage an einem attraktiven Ort gerade recht. Einmal losgelöst sein von des Tages Mühen im Tal. Thomas Rheindorf über ein Happening von Kultur und Hilfsbereitschaft.
15.10.2021

Der Weiße Turm in Ahrweiler – ein ortsbildprägendes Bauwerk, wie die Denkmalpflegerin bemerkt – blickt auf eine bewegte Geschichte zurück, war Mädchen-, Volks- und Malschule, Kloster, Lager und Museum. Ein wehrhaftes Gebäude, dessen Räumen das Hochwasser nichts anhaben konnte.

Worum alle sich mühen, gelingt ihr mühelos: Sie fällt auf.

Dort hängen Pop-Art-inspirierte Bilder an den Wänden, die Stimmung ist gut und wird durch Rotwein, der in beachtlichen Gebinden ausgegeben wird, immer besser. Das Publikum ist mir überwiegend unbekannt, Bussis allerorten, Intellektuellenschwarz an Männern mit drolligen Bärtchen, Frauen mit Brillen, die es nicht bei Fielmann gibt und Töchtern, die modisch informiert erscheinen wollen. So stellte ich mir in der Provinz die Schickeria vor, wie sie die Spider Murphy Gang besang. Smalltalk und Gelächter perlen und plätschern, als sich die Türe öffnet und eine Frau eintritt. Worum alle sich mühen, gelingt ihr mühelos: Sie fällt auf.

Auf dem Kopf Haare statt Frisur, grüne Funktionsweste statt Blazerchen, rustikal behost und beschuht mit einem Schild auf der Brust, das verrät: Hier kommt Elke. Mit beachtlichem Instinkt identifiziert sie den Galeristen und sprengt in die Gruppe seiner Höflinge: „Guten Abend, als ich hier vorbei kam, da hatte ich so ein Bauchgefühl: Hier das ist jetzt der richtige Ort für mich.“ Sie schwenkt eine Plastiktüte, der Galerist lächelt unbestimmt. Selbst abseits der Gruppe kann ich ihrer entschlossenen Stimme folgen. Sie erzählt, wie sie aus Bad Godesberg zum Helfen ins Ahrtal kam. Wie sie Strickwaren von einer Dame zum Verteilen geschickt bekam. Wie begehrt Strickstrümpfe sind, weil Sneakersocken in Gummistiefeln nun einmal nicht taugen. Nun sei alles verteilt und die Sachen hätten vielen viel Freude bereitet. Sie strahlt. Der Galerist nickt höflich, Wangen und Stirn beginnen die Farbe seines Spätburgunders anzunehmen. Man ahnt seine Gedanken: Was soll das hier werden? Eine Charity-Aktion mit Strickwaren? Eine Auktion womöglich? Der gute Mann ist in Sorgen.

Nicht jede kann Schultertuch - Alexandra kann

Muss er gar nicht sein. Elke will schlicht Freude bereiten und die letzten Stücke ihrer Stricksammlung verschenken. Drei Schultertücher befänden sich noch in ihrer Tüte, erfährt man. Aber ganz besondere. Geradezu Strickkunst. Tuch und Trägerin müssen zueinander passen und deshalb sei sie jetzt hierher gekommen. Hier würde sie bestimmt die passenden Damen finden. Sie lüftet die Tüte udn schaut sich um. Der Galerist wirkt weiterhin in Sorgen; ich schalte mich ein: „Das sind ganz außerordentlich schöne Stücke. Und ich habe da ein, zwei Frauen im Kopf, die wohl sehr beglückt wären.“ Was nicht exakt stimmt, doch ich bin optimistisch, dass mir die Erleuchtung noch kommen wird. Elke erkundigt sich, wer und was ich sei, und fasst Vertrauen in meine Kontakte zu strickwarenaffinen Menschen. Als ich den Beutel schon in Händen halte, schwebt Alexandra Tschida durch den Raum.

Im Hochwasser total abgesoffen

Sie hat den Abend als Sopranistin künstlerisch eröffnet, ist Nachbarin des Weißen Turms, ist Kulturmanagerin der gleichfalls gegenüberliegenden Synagoge, ist Mutter von fünf noch in ihrem Haushalt lebenden Kindern und ist im Hochwasser total abgesoffen. Einschließlich ihrer Singgarderobe. Gerettet hat sie ihren Optimismus und ihr Lachen. Wir kennen uns schon lange und jetzt wird sie zu meiner Erleuchtung. Nicht jeder und jede kann alles und jedes mit Anstand und Stil tragen. Alexandra kann Schultertuch. Mit Grandezza. Ich nähere mich vorsichtig, lasse sie in den Beutel schielen, das flaumweiche Gestrick betasten, werde mutiger und lege ihr ein Tuch um. Elke und Alexandra verstehen sich auf Anhieb, und nach wenigen Augenblicken ist klar: Drei Dreieckstücher für Alexandra. Win-win-win-win: Elke überglücklich, Alexandra total fröhlich, ich supererfolgreich im Speedmakeln, der Galerist megaerleichtert.

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Lieber Herr Rheindorf,
Nochmals danke für die Rettung aus höchster Not! Eine wunderbare Geschichte! Und ich kann bestätigen das es genauso war! Auch die Beschreibung des illustren Publikums ist Ihnen mit Bravour gelungen.
Wir haben Tränen gelacht…!
Herzlichen Dank und bis bald!
Ihr Galerist der Rheinland-Schickeria

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