Vision oder Wahn?
Höllenmächte bestürmen die einen. Andere halten sich für Jesus. Ein Interview mit Klinikseelsorger Ronald Mundhenk
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
07.10.2010

chrismon: Ist Glaube Wahn?

Ronald Mundhenk: Nein, nicht wenn zum Glauben auch der Zweifel gehört. Aber Glaube kann wahnhafte Züge tragen, wenn jemand Irrtumslosigkeit für sich beansprucht. Manche Fundamentalisten sind unerschütterlich davon überzeugt, dass die Welt in zwei Jahren untergeht. Oder dass sie in Gottes Auftrag handeln - bis hin zu schweren Straftaten, wie sie zum Beispiel amerikanische Abtreibungsgegner begehen. Und im katholischen Bereich gibt es eine Wundergläubigkeit, die an Wahn grenzt, wenn es etwa heißt, aus einem Kreuz fließe Blut.

Und in evangelischen Kirchen?

Weniger. Das ist eine insgesamt rationalere Form des Glaubens.

Welche Glaubensgemeinschaften tun psychisch kranken Menschen nicht gut?

Das kommt darauf an. In manchen Pfingstgemeinden sind psychisch kranke Menschen sehr gut aufgehoben. Es gibt dort aber auch problematische Ausprägungen von Frömmigkeit. Vor allem wenn Krankheit für dämonisch gehalten wird. Und wenn der wahre Christ nicht krank sein darf. Oder umgekehrt, wenn es heißt, jemand trage die Mitschuld daran, dass er nicht heil und gesund wird, weil er unter dem Einfluss von etwas Okkultem stehe. Auch das dualistische Denken mit Gott und Teufel kann in seiner Emotionalität und Dramatik sehr problematisch sein. Menschen mit Psychiatrieerfahrung müssen Nüchternheit lernen. Gerade wenn die Psychose dynamisch war.

Manche Ärzte halten Religion für einen Wahnverstärker. Ist sie das?

Als ich in dieser Klinik zu arbeiten begann, hat eine Psychiaterin genau diesen Verdacht geäußert. Glaube ist aber kein Wahnverstärker, sondern eine Haltung der Hingabe, des Vertrauens und insofern heilsam. Sicherlich gibt es wahnverstärkende Formen von Religion. Aber auch Psychiater können einen Wahn verstärken. Stellen Sie sich vor, jemand sagt: "Ich bin der liebe Gott", und der Psychiater antwortet: "Reden Sie doch nicht so ein dummes Zeug, das bilden Sie sich nur ein." Das kommt tatsächlich vor. Dann versucht der Patient, seinen Wahn abzusichern und zu beweisen, dass er doch der liebe Gott ist. Die Patienten haben ja im Vorfeld Erlebnisse, die ihnen dies als absolute Gewissheit nahelegen. Wenn der Patient eine Vertrauensbeziehung entwickelt und seine Vorstellungen nicht mehr mit Zähnen und Klauen verteidigen muss, dann schwächt das den Wahn ab.

Warum tun sich Psychiater mit der religiösen Gedankenwelt so schwer?

Viele halten Religion für etwas Schädliches, weil sie Menschen von der Realität abzuziehen scheint. Meines Erachtens sehen sie nicht die heilende Bedeutung des Glaubens. Und sie fragen zu selten nach der religiösen Prägung. Ob der Betroffene einer religiösen Gruppe angehört, ob Kontakt hergestellt werden kann. Ob, wo und wie er sich engagiert. Das alles spielt bislang kaum eine Rolle.

Im Neuen Testament ist viel von Dämonen die Rede. Löst das bei psychisch Kranken wahnhafte Vorstellungen aus?

Das kommt vor. Bei einzelnen Leuten kann sich die biblische Vorstellungswelt so einprägen, dass sie glauben, Dämonen würden ihnen tatsächlich das Leben schwermachen. Ein Student kam zur Überzeugung, sein Kommilitone sei der Teufel. Er hat ihn erstickt. Die religiöse Bilderwelt ist enorm vielfältig. Und es gibt Menschen, die sich in diese Bilder wahnhaft hineinsteigern. Eine katholische Patientin las in einem Buch, dass das Wandlungswunder von Brot und Wein in Leib und Blut Christi historisch belegt sei. Brot habe sich also tatsächlich in Fleisch gewandelt, und das sei untersucht worden. So die Wandlung physisch zu konkretisieren, grenzt auch ans Wahnhafte.

Kommen religiöse Bilder aus dem Wahn?

Nicht unbedingt. Mein Eindruck ist eher, dass im Menschen ein Pool archetypischer Vorstellungen angelegt ist. Vorstellungen, die es in jeder Religion gibt. Also eine Art kollektives Unbewusstes, das in bestimmten Situationen abgerufen werden kann, vor allem aber unter psychischer Belastung. Dazu zählen auch magische Vorstellungen. Das können Bilder sein, die dem Menschen in der Krise helfen, sich seine Welt neu zu ordnen.

Mystiker reden von einer All-Einheit, einer innigen Verbundenheit von Ich und Welt. Ist das eine Halluzination?

Da würden sich Mystiker wie der Benediktinermönch und Zenmeister Willigis Jäger beschweren. Das Erleben von Einheit ist auch primitiven Kulturen vertraut - dass Menschen sich als Teil eines großen Naturzusammenhangs empfinden und sich mit allem verbunden fühlen. Und dass sie möglicherweise sogar einen Einfluss auf das Ganze haben. Schizophrene erleben das oft sehr stark, Gesunde aber auch. Ich hatte auch solche Erlebnisse, vielleicht weniger intensiv.

Kann ein Gesunder von einem psychisch Kranken, der die All-Einheit erlebt hat, etwas über die Wirklichkeit lernen?

Ja, nämlich dass es solch eine Form des Erlebens gibt: Mein "Ich" geht in der Ganzheit auf und freut sich an ihrem unglaublichen Facettenreichtum. Schizophrene Menschen erleben das oft zu Beginn ihrer sogenannten psychotischen Phase. Viele Gesunde kennen das nur als Sehnsucht.

Stellen Sie sich die Halluzination da nicht etwas romantisch vor?

Nein. Sondern ich frage mich: Wie definieren wir Wirklichkeit? Esoteriker versuchen ja durchaus, das Einheitserleben wissenschaftlich nachzuweisen. Kürzlich habe ich gehört, wie ein katholischer Priester und Buddhismusexperte sagte: Mit den Steinen haben wir gemeinsam das Sein, mit den Pflanzen das Leben, mit den Tieren das Fühlen, mit den Menschen das Denken und mit Gott die Ebenbildlichkeit. Solche Wahrnehmungen kommen auch in anderen Kulturkreisen vor.

Ist Stimmenhören ein Anzeichen für Schizophrenie?

Wenn jemand sagt, er höre die Stimme Gottes, tippt ein Psychiater meist auf Schizophrenie. Aber das Stimmenhören zählt nicht zu den Symptomen ersten Ranges. Auch Leute, die nicht im Verdacht stehen und standen, psychotisch zu sein, hören Stimmen. Der analytische Psychologe Carl Gustav Jung zum Beispiel.

Kommt die Vorstellung eines persönlichen Gottes vom Stimmenhören?

Meine Gottesvorstellung hat damit nichts zu tun. Allerdings hat der Gedanke der unmittelbaren Anrede Gottes in evangelikalen Kreisen einen sehr hohen Stellenwert. Ich erinnere mich an ein Seminar, in dem ausdrücklich gelehrt wurde: Auf die Stimme Gottes zu hören, vertiefe die Vorstellung eines persönlichen Gottes. Eine Patientin hier erzählte neulich: Bei ihr zu Hause gieße niemand ihre Blumen. Aber Christus habe ihr gesagt, nach ihrer Entlassung werde sie staunen, wie zu Hause die Blumen im Saft stehen. Und er würde sich da mit ihr treffen. Ihr Glaube ist dadurch wie eine Liebesbeziehung und erinnert an die Brautmystik des Mittelalters, wo Christus der Bräutigam der gläubigen Seele ist.

Und was ist, wenn sie nach Hause kommt und alle Blumen vertrocknet sind?

Sie wird Wege finden, das umzudeuten. Sie hatte zum Beispiel die Vorstellung, dass sie mit Ende fünfzig ein Kind gebären werde. Das traf nicht zu. Jetzt meint sie, Jesus habe ihr gesagt, dass es eine Zeit der Verzögerung geben müsse. Und dass sie im Juni dieses Kind gebären werde. Das ist für sie Gewissheit. Einmal hatte sie sich gegen eine Zwangsbetreuung sehr gewehrt, also dass ein Gericht ihr gegen ihren Willen einen Betreuer zuweisen würde. Da soll ihr Gott Zebaoth gesagt haben, er werde dieses Betreuungsverfahren in der Luft zerreißen. Tatsächlich kriegte sie es hin, dass die Betreuung aufgehoben wurde. Das nahm sie als grandiose Bestätigung, dass ihre Stimme glaubwürdig sei.

Sie schreiben, für viele psychisch Kranke begännen die Probleme erst in der Psychiatrie. Beginnen die in Wirklichkeit nicht schon vorher?

Ein Herr B. glaubte, berufen zu sein, die Welt zu erlösen, und stieg im Hochgefühl dieser Erwählung auf das Dach seines Hauses und begann zu predigen. Nachbarn riefen die Polizei, er wurde in die Psychiatrie eingewiesen und empfand das als unglaubliche Niederlage, weil er das Erlösungswerk nicht fortführen konnte. Es ging ihm bei seinem Hochgefühl ja gut. Das Gefühl, der Messias zu sein, diese starke Emotion: Ich bin erwählt, ich bin stark, ich kann die Welt retten. Er empfand den Freiheitsentzug als außerordentlich belastend. Ich kann schwer einschätzen, was er vorher für Probleme in seinem Leben hatte. Aber dieses Berufungserlebnis war doch ganz außerordentlich beglückend für ihn. Nach seiner Vorstellung hätte er weiter predigen und Menschen für seine Idee gewinnen müssen. Dann kam ihm die Psychiatrie in die Quere.

Und was könnte die Psychiatrie da anders machen?

Ich frage mich, ob man solche Menschen nicht sanfter abfedern kann. Ohne Einweisung auf eine geschlossene Station und ohne Zwangsbehandlung. In den Einrichtungen des Soteria-Netzwerks wird das versucht. Dort werden neuroleptische Medikamente, die man zunächst mit den Patienten verabredet, möglichst niedrig dosiert. Man begleitet die Patienten intensiv und persönlich, um sie so durch ihre Psychose zu bringen. So könnte man bei jemandem wie Herrn B. das Gefühl vermeiden, er werde bestraft. Doch bei Neuaufnahmen fragt man nicht immer, was der Mensch gerade auf dem Herzen hat. Sondern er wird ruhiggestellt, damit er sich in den Stationsalltag einfügt. Das ist eine Art Liturgie der Einweisung.

Trotzdem muss man Herrn B. auf den Boden der Tatsachen zurückholen.

Der sogenannte Wahn bietet ein hohes Maß an Sinnstiftung. Wenn die medikamentös weggenommen wird, bleibt die Frage: Wie kann ich weiterleben? Da gibt es auch suizidale Krisen. Es reicht nicht zu sagen: "Hauptsache, Sie kommen zu Hause einigermaßen zurecht. Sie kriegen dann noch einen Betreuer." Sondern ein Herr B. hat mehr Pläne, Wünsche und Sehnsüchte für sein Leben. Gerade fühlte er sich ja zu Höherem berufen.

Lässt die Psychiatrie die Menschen mit ihrem wahren Problem allein?

Die Psychiatrie kann den Wunsch nach einem erfüllten Leben nur sehr marginal aufnehmen. Man nimmt die Stimmen, die Wahnvorstellungen weg. Für die Patienten ist das kein guter Deal. Es wird ihnen wenig dafür gegeben.

Wäre Glaube ein sinnvoller Ersatz - oder schafft er nur neue Psychosen?

Wenn Glaube eine Haltung des Vertrauens und der Hingabe ist, die einen in menschliche Beziehungen führt und einbettet, ist er sehr heilsam. Sich aufgehoben fühlen zu können in der Liebe Gottes und in der Gemeinschaft von Menschen, die ihren Glauben zu leben versuchen, macht nicht krank.

Was also schlagen Sie vor?

Dass man versucht, Menschen in Gemeinschaften aufzufangen. Wenn jemand mit seiner psychischen Krankheit allein ist, wirkt sie sich viel destruktiver aus. Viele Mystiker hatten mit Krankheiten, auch mit seelischen, zu kämpfen. Ihnen bot das Kloster eine Ordnung, feste Zeiten in ihrem Leben. Sie hatten Arbeit und mussten bestimmte Aufgaben erfüllen. Man müsste also für Menschen, die in ihrer Psychose religiöse Vorstellungen haben, eine Art klösterliche Gemeinschaft schaffen, die ihnen hilft herauszuarbeiten, was an ihren Erlebnissen konstruktiv ist, damit sie das auch mitnehmen können. Und diese Erfahrungen nicht einfach nur eliminieren.

Ein Kloster würde dem psychisch Kranken viel Freiheit nehmen.

Die allermeisten, die eine Psychose hatten, sind mit dem Wunsch an mich herangetreten, ob ich nicht ein Kloster wüsste, in dem sie vorübergehend unterkommen könnten.

Und wussten Sie?

Bei einigen habe ich es versucht. Ich weiß aber nicht, ob das geklappt hat. Ein Patient, der in Indien in Poona war, hat sich einige Jahre in einem Ashram, einem Hindukloster, halten können, obwohl er nach medizinischen Maßstäben Psychosen hat.

Oft landen psychisch Kranke in Kirchengemeinden. Sind die damit überfordert?

Es verändert sie, vielleicht bereichert es sie auch. In meiner kleinen Krankenhausgemeinde hat oder hatte jeder Zweite eine Psychose, ein großer Teil ist schwerbehindert oder körperlich krank. Bei uns sind viele Depressive. Trotzdem sind wir eine lebendige Gemeinde. Leute aus dem Umland kommen extra zu uns statt zur Stadtkirche von Heiligenhafen.

Der Psychiater Manfred Lütz behauptet: "Wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen."

Lütz' Buch steht auch deshalb auf den Bestseller listen, weil seine These Wasser auf die Mühlen von Psychoseerfahrenen ist. Sie meinen: Das mit der Verrücktheit sei sehr relativ.

Was sie in ihren Psychosen bestätigt?

Ja, in gewisser Weise schon. Zwei Patienten haben mir mit Verweis auf dieses Buch zu verstehen gegeben: Wir haben ein Recht auf unser Erleben. In der Verrücktheit der sogenannten Verrückten kann es ganz viel Gesundes, menschlich Warmes geben, einen ganz wundervollen Umgang unter Menschen. Auch wenn sie schräge Vorstellungen haben. Einer hat mir mal gesagt: Die ganze Welt ist eine Irrenanstalt und ich bin die Zentrale.

Paranoiker fühlen sich von Außerirdischen umstellt, Größenwahnsinnige halten sich für irgendwelche Prominente. Warum tun die das?

Hinter paranoiden Vorstellungen liegen Fragen wie: Wie autonom bin ich wirklich? Solche Fragen stellen auch Genetiker und Hirnforscher: Sind wir wirklich Herr unserer selbst, oder steuern uns Erbanlagen und chemische Prozesse im Gehirn? Menschen mit trivial scheinenden Vorstellungen fragen sich das auch. Oder: Wie sicher kann ich mir meiner selbst sein? Stehe ich unter Einflüssen, die mir nicht greifbar sind und daher bedrohlich? Paranoide Wahnvorstellungen bringen das schwer auszuhaltende Bedrohungsgefühl, es sei etwas gegen einen in Gang, auf den Punkt. Man glaubt zum Beispiel, verfolgt zu sein von Leuten, die übermenschliche Kräfte haben. Manchmal sind damit technische Vorstellungen verbunden, dass man einen Empfänger ins Gehirn implantiert bekommen habe, der von jedem Sendemast aus angepeilt werden könne. Andere halten sich für Friedrich den Großen. Dahinter steht die Frage nach der Identität: Bin ich der, für den mich alle halten oder vielleicht ein ganz anderer - und zu ganz anderem berufen? Kann ich mein Leben vielleicht ganz anders führen, als ich es gerade tue?

Mancher glaubt, dank seiner Psychose habe er zu Gott gefunden. Was bedeutet das für seine Psychose - und was für sein Verständnis von Religion?

Da denke ich ganz pragmatisch. Wie jemand zu Gott findet, ist nicht entscheidend. Wenn er diesen Weg geht und ihn für sein weiteres Leben als hilfreich empfindet, dann ist das okay. Es gibt eben Menschen, die ihr Leben wegen religiöser Visionen völlig umkrempeln. Oft sind das zugleich schmerzliche Erfahrungen. Wie man es auch sieht, Psychosen sind nun einmal ganz zentrale Erlebnisse. Die kann ein Außenstehender nicht kleinreden und sagen: "Das ist alles Quatsch." Es ist hilfreich, sie ernst zu nehmen und zum Nährboden für etwas Neues werden zu lassen. Nach einer manischen Phase zum Beispiel schlägt das Hochgefühl, dass man sich wie Gott fühlt, ins Gegenteil um. Manche glauben dann, sie seien gar nichts wert. In den gesunden Phasen kann man gemeinsam überlegen: Kannst du in den gesunden Phasen die Gefühle von Wichtigkeit und Bedeutung, die hinter deinen Wahnvorstellungen stehen, im kleineren Maßstab in deinem Alltag leben?

Können Menschen Erkenntnisse aus ihren Psychoseerfahrungen ziehen?

Ja. Eine Frau, die mehrfach in der Psychiatrie war, lebt jetzt in einer Wohngemeinschaft und sagt, sie würde die psychiatrischen Erfahrungen nicht rückgängig machen wollen. Für sie war die Psychose Teil eines Reifungsprozesses. Ein Prozess fortschreitender Erkenntnis. Sie hat in wahnsinnige Abgründe geguckt, auch grandiose, schöne Erlebnisse gehabt, das hat ihr vieles genommen, das Studium und die Ausbildung. Aber es hat ihr auch viel gegeben, was ihr hilft, das Leben zu verstehen und die zu sein, die sie eigentlich sein will. Und als die sie von Gott gedacht sei.

Was ist, wenn jemand sich gar keinen Reim auf seine Krankheit machen kann?

Das gibt es auch. Man kann einfach nur ratlos zurückkehren und da weitermachen, wo man vor der Krankheit aufgehört hat. Aber ich erlebe, dass es für die meisten Menschen erleichternd ist, wenn sie sagen können: Das hat etwas mit meinem Leben zu tun. Das ist nicht nur ein unerwünschtes Schicksal, sondern etwas, was mich vor eine Frage stellt.

Und wenn er sich umgekehrt einredet: Die Krankheit war eine Strafe?

Das nehme ich erst mal zur Kenntnis. So eine Erklärung kann auch für den Patienten etwas Entlastendes haben - anders als ein dunkles Schicksal, das nicht zuzuordnen ist. Auf Dauer trägt so eine Erklärung nicht so gut.

Wer einen Angehörigen hat, der unter Wahnvorstellungen leidet, kann entweder sensibel reagieren und sich von der anderen Weltsicht verunsichern lassen. Oder er grenzt sich ab, lässt die psychotische Sicht gar nicht zu und sagt: "Das ist Unsinn, nimm dein Medikament, damit das aufhört." Was raten Sie?

Ich habe auch in meinem Freundeskreis grauenvolle Situationen erlebt. Grundsätzlich würde ich raten, das außergewöhnliche Erleben abzufedern und zu signalisieren: Deine Vorstellungen haben für dich eine große Bedeutung, aber nicht für uns andere. Es wäre ideal, wenn es gelänge, den Akutkranken zu gewinnen, dass er an einer konstruktiven Lösung mitwirkt. Compliance, so heißt das im Fachjargon der Psychiatrie.

Und wenn der Schizophrene das Unbehagen seiner Angehörigen spürt und anspricht: "Du willst mich nur loswerden! Du willst mich mit Medikamenten vergiften! Du willst mich in die Psychiatrie einsperren! ", und sich der Angehörige irgendwie ertappt fühlt?

Ich sage, es ist ein Ideal. In der Situation ist ein offensiver Umgang sicherlich praktikabler: also eine Grenze zu ziehen und zu sagen: "Ich kann so, wie du jetzt bist, nicht mit dir umgehen. Du musst deine Medikamente nehmen." Oder: "Ich muss mich auf professionelle Hilfe verlassen, ich habe die Situation nicht mehr im Griff, ich lasse dich einweisen." Entscheidend ist, dass man weiterhin seine Wertschätzung für diesen Menschen spüren lässt. Meist sieht jemand, der in der Psychose ist, ja durchaus, dass da ein Mensch aus Fleisch und Blut vor ihm steht. Ohne Wertschätzung, ohne Liebe ist Heilung nicht möglich. Und solche Dinge kommen in der Psychiatrie oft viel zu kurz.

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Wo ist die Grenze zwischen einem gesundem Glauben (der auch Anfechtung aushalten muss) und einem religiösen Wahn?
Zum einen ist Gewalt für Christen ein Tabu. „Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.“ (Matthäus 26,52)
Zum anderen sollte die frohe Botschaft nicht politisch instrumentalisiert werden. Gewisse Gruppen hätten Jesus gerne als Anführer einer Revolte gegen die Römer gesehen; er selbst wehrte sich jedoch aufs Schärfste dagegen.
Was mich zu diesem Leserbrief veranlasst: Ich bin weder politisch aktiv, noch wende ich im Namen Jesu Gewalt an. Dennoch lastet auf mir das Etikett „Religiöser Fanantiker“. Der einzige Grund: Die Hoffnung auf ein Wiedersehen im Himmel- für alle Christen eine einfache Grundwahrheit- verbindet mich mit einem Mädchen in den USA. Aufgrund der äußeren Umstände haben wir keine Möglichkeit, uns zu Lebzeiten wiederzusehen. Aber was spielt das für eine Rolle in Anbetracht der Ewigkeit? Laut Lukas 20,35 wird im Himmel niemand mehr heiraten.
Ist es legitim, eine solche Beziehung als „Religiösen Wahn“ zu bezeichnen? Dies trifft den Kern des christlichen Glaubens- Die Auferstehung und das ewige Leben.

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