Wir brauchen mehr Geschichten von Versöhnung
Lightning Talks: Faith, Action and Covid-19
Christian Flemming
Wir brauchen mehr Geschichten von Versöhnung
Margot Käßmann traf Friedensstifterinnen aus aller Welt - und erzählt, was man sich bei ihnen abgucken kann.
Tim Wegner
16.11.2020

chrismon: Sie sind Mitglied im "World Council of Religions for Peace" und trafen letzte Woche 600 Menschen aus allen Weltreligionen auf einer weitgehend digitalen Konferenz für Frieden – was hat Sie am meisten beeindruckt?

Margot Käßmann: Mich hat wieder einmal begeistert, was für großartige Menschen es gibt. Es ist von zentraler Bedeutung, dass wir uns gegenseitig Geschichten erzählen. Frauen wird ja gern vorgeworfen, sie seien keine guten Theologinnen, weil sie zu viele Geschichten erzählen. Aber: Was Glaube dir bedeutet – das ist für mich die Essenz jeder Theologie.

Tim Wegner

Ursula Ott

Ursula Ott ist Chefredakteurin von chrismon und der digitalen Kommunikation im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH. Sie studierte Diplom-Journalistik in München und Paris und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie arbeitete als Gerichtsreporterin bei der "Frankfurter Rundschau", als Redakteurin bei "Emma", als Autorin und Kolumnistin bei der "Woche", bei der "Brigitte" und bei "Sonntag aktuell" sowie als freie Autorin für Radio und Fernsehen. 2020 und 2021 wurde sie unter die 10 besten Chefredakteur*innen des Jahres gewählt. 2019 schrieb sie den Bestseller "Das Haus meiner Eltern hat viele Räume. Vom Loslassen, Ausräumen und Bewahren".
Evelyn Dragan

Dr. Margot Käßmann

Die Theologin Dr. Margot Käßmann war von 2005 bis 2018 chrismon-Herausgeberin, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (2009-2010) und Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers (1999-2010). Nach dem Rücktritt von ihren kirchlichen Ämtern lehrte sie als Gastprofessorin an der Ruhr-Universität in Bochum Sozialethik und Ökumene.

Welche Geschichten?

Die katholische Nonne aus Nigeria, die erzählt hat, dass bei den Demonstrationen freitags die Christen die Muslime beschützt haben bei deren Freitagsgebet. Und sonntags die Muslime die Christen geschützt haben, damit die beten konnten. Das hat mich berührt. Oder die jüdische Theologin Sharon Rosen, die erzählte, wie sie aus beruflichen Gründen nach Südafrika und nach Irland gezogen ist und dort gesehen hat, wie Konflikte gelöst werden. Dann kam sie zurück nach Jerusalem und dachte: Wir müssen doch auch diesen Konflikt lösen können. Solche Lernprozesse finde ich total spannend. Und die junge Bosnierin, die erzählte, wie sie als Kind in der Schule gar nichts erfuhr über Serben und Kroaten, und wie sie heute als Lehrerin versucht, Begegnungen zu organisieren. Nur mit Begegnungen können Feindbilder abgebaut werden.

Macht verpflichtet, sich für die ohne Stimme einzusetzen

Auch Corona spielte eine Rolle. Wie trifft Corona die Frauen weltweit?

Corona leuchtet wie mit einem Flutlicht auf ungerechte Strukturen. Frauen werden auf ihre Care-Funktion zurückgeworfen: Kinder zu Hause unterrichten, kochen, essen, Alte pflegen, alles am Laufen halten. Corona versetzt Frauen weltweit zurück in traditionelle Rollen.

Beklagt wurde in Lindau auch, dass es zu wenige Frauen in der Diplomatie und an der Spitzen der Kirchen gibt. Führen Frauen anders?

Die Generalsekretärin Azza Karam sagte in Lindau immer wieder: "Führen heißt Dienen." Einerseits finde ich das gut – wenn Menschen in Machtpositionen sich das immer klarmachen würden, dass sie der Sache und den Menschen zu dienen haben, wären sie demütiger. Vor allem Männer in Machtpositionen sind doch oft sehr überheblich. Aber ich habe auch ein bisschen aufbegehrt gegen diesen Satz. "Mein Lohn ist, dass ich dienen darf", hieß der Spruch der Diakonissen früher. Und ich finde, dagegen müssen Frauen sich wehren. Sie sollten sagen: Ich diene gerne, aber dazu brauche ich auch eine führende Position.

Nutzen Frauen ihre Macht anders?

Ich denke, dass Frauen in Machtpositionen sich eher bewusst sind, dass diese Position eine Verpflichtung ist, sich für andere einzusetzen. Für die, die keine Stimme haben.

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Frau Kässman zeigt unumwunden, dass es ihr hauptsächlich um Macht geht und ging.
Überhaupt entbehrt ein Genderbezug auf christliche Gemeinschaften jeglicher Spiritualität.
Es ist auch deshalb nicht verwunderlich, dass weibliche Klöster heute kaum noch eine Zukunft haben, außer als Seniorenwohnstifte.
Was kann denn so ein Kloster noch jungen Frauen bieten, die heute alles haben, was Frau sich in der Welt nur wünschen kann ?
Ein Leben ohne Spiritualität ist hinter Klostermauern kaum vorstellbar. Eine traurige Entwicklung.
Statt Versöhnung wäre hier Rückbesinnung auf die eigentliche Spiritualität sicher nicht verkehrt, hier könnte Frau sich "wehren" !
Frau Kässmann jedenfalls genießt ihren aktiven wohlverdienten Ruhestand, und erzählt und hört gerne Geschichten.

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Der in allen Kirche so übliche süße Unterton (Zitat: „Wir brauchen mehr Geschichten von Versöhnung, Friedensstifterinnen“) führt nur zum persönlichen Weihrauch, aber nicht zur Konfrontation mit den Realitäten. Süße Verse lenken ab. Sie sind zu häufig eine emotionelle Absolution. Warum waren auf den jüngsten Anticorona-Demos eigentlich so viel Esoteriker? Warum sieht man auf Kirchentagen so häufig die gleiche Klientel, die ihre christliche "Entrückung" demonstriert? Gegen die "Friedensbewegten" ist keine Ablehnung, kein Vorbehalt verständlich. Aber zu denen gehören ja wohl auch viele "Glaubensbewegte", die das Schreckliche in der Welt als verhinderbar betrachten. Die weibliche Emotionalität ist zwar schön, heimelig und wird als eine irdische Vorstufe zum Paradies angebetet, aber sie hat auch in ihren Kindern nicht das Böse verhindern können. Wer diesen Anspruch als machbar erachtet, wird immer gegen die Gewalt verlieren. Alle vergessen fahrlässig, dass die böse Seite des Menschen "schöpferisch" systemimmanent ist. Christen haben die Aufgabe, das Böse zu bekämpfen, verhindern können sie es nicht. JA, Frauen verhalten sich in Machtpositionen anders. Im Ergebnis zwar ähnlich, aber häufig subtiler. Ich glaube nicht, dass es Frau Käßmann um die Macht der Kirche geht. Um ihre persönliche schon mal gar nicht. Es geht ihr vermutlich um Anerkennung, um den Weg zum Besseren. Der ist aber mit der Toleranz der Intoleranz, respektive mit einem Suizid zur Verhinderung eines Mordes nicht zu erreichen. Nicht SCHÖNREDEN sondern KÄMPFEN!

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