Bessermacher - Weniger Fleisch. Oder gar keins
Bessermacher - Weniger Fleisch. Oder gar keins
Studio Käfig
Weniger Fleisch. Oder gar keins
Umwelt­bewusst waren die Erdmanns immer. Seit der Jüngste Klimaaktivist ist, sind sie fast alle auch Vegetarier. Der Grill bleibt trotzdem nicht kalt.
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Verena Muckel (li.) und Regina BuckPrivat
25.06.2020

Willi Weitzel: Die Nachbarn grillen, ihr riecht die Würste. Wie geht es euch dann?

Elias Erdmann: Wir bekommen auch Lust zu grillen, nur sind das bei uns vor allem vegetarische Sachen. Und bei mir sogar vegane. Es liegen auch noch ein paar Würstchen auf dem Grill, aber es sind deutlich weniger als früher.

Georg Erdmann: Es riecht lecker! Aber als unsere Nachbarn im Frühling angegrillt haben, war mir nicht nach Fleisch. Das wäre vor einem halben Jahr noch anders gewesen.

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Willi Weitzel

Willi Weitzel, Jahrgang 1972, ist Moderator, Reporter und Autor. Er wurde bekannt als Gesicht der TV-Sendung "Willi wills wissen", in der er von 2001bis 2009 einer ganzen Generation an Kindern die Welt erklärte. Viele Folgen sind heute noch auf "YouTube" zu sehen. Samstags ist er im BR Fernsehen mit der Sendung "Gut zu wissen" zu sehen. In der edition chrismon ist sein Buch "Der Islam. Fragen und Antworten für alle, die’s wissen wollen" erschienen (mit Mouhanad Khorchide).    

Jonathan Erdmann: Witzig, Papa, das geht mir auch so. Der Verstand sagt: Weniger Fleisch ist besser fürs Klima und die Umwelt – aber auch die Lust darauf hat nachgelassen.

Hannah Erdmann: Mein Freund und ich haben kürzlich gegrillt. Wir hatten Zucchini und Auberginen eingelegt, es gab Grillkäse, dazu Baguette – und uns hat nichts gefehlt.

Willi: Georg, wie kam es, dass du deine ­Haltung geändert hast?

Georg: Ich esse weniger Fleisch, aber es kommt immer noch vor, gerade wenn wir mal essen gehen. Das hat sich entwickelt. Ich habe am längsten am Fleischkonsum festgehalten. ­Renate kocht ja schon länger vegetarisch, ­ und das ist lecker! Da hat mir also nichts gefehlt. Und dann kamen eben die Diskussionen mit unseren Kindern. Die haben mich ins ­Grübeln gebracht.

Willi: Es gibt verschiedene Gründe, kein Fleisch mehr zu essen. Welche habt ihr?

Jonathan: Ich möchte Klima und Umwelt schonen und etwas für meine Gesundheit tun. Vor einem Dreivierteljahr habe ich das Buch "Der Ernährungskompass" von Bas Kast gelesen. Das fanden wir alle in der Familie interessant. Und eine seiner Aussagen ist eben: Fleisch ist eines der ungesündesten Lebens­mittel.

Elias: Ich lebe seit neun Monaten ­ve­gan, aus drei Gründen: Gesundheit, Klima und Tierhaltung. Mit Freunden habe ich eine Dokumentation auf Youtube gesehen, damit hat es angefangen. Meine Familie ist beruflich ja sehr im Gesundheitsbereich unterwegs, ihr Wissen hat auch zu meinem Entschluss beigetragen. Und mein kleiner Bruder ist sogar bei Fridays for Future engagiert.

Jonathan: Klein, haha!

Familie Erdmann

Familie Erdmann besteht aus den ­Eltern Renate (55) und Georg (57), ­beide sind Physiotherapeuten. Die Kinder Hannah (26), Immanuel (24), Elias (22) und ­Jonathan (19) verzichten auf Fleisch.

Willi: Was beim Thema Tierhaltung hat dich besonders bewegt?

Elias: Die Bilder der Rinder, die mit Stromschlägen durch den Schlachthof getrieben werden.

Willi: Ich habe "Eine ­kurze Geschichte der Menschheit" von Yuval ­Noah Harari gelesen. Der spricht auch von der "Versklavung der Tiere"...

Elias: Das unterschreibe ich! Viele halten sich für tierfreundlich, weil sie eine Katze oder einen Hund ­haben. Gleichzeitig holen sie sich Grillfleisch vom Discounter. Da kann ich nur mit dem Kopf schütteln.

Willi: Renate und Georg, ihr seid beide Physiotherapeuten. Sind Menschen, die kein Fleisch essen, gesünder?

Renate Erdmann: Ich bin spezialisiert auf Säuglings- und Kinderbehandlung, da ist es natürlich noch zu früh . . .

Georg: Meine Patienten sind älter. Die Menschen mit dickem Bauch, die zu mir in die Praxis kommen, sind keine ­Vegetarier . . . Renate: Das liegt aber vermutlich nicht nur an der fleischlosen ­Ernährung, sondern daran, dass Vegetarier Menschen sind, die mehr als andere auf ihre Gesundheit achten.

Willi: Kannst du dich an dein letztes Stück Fleisch erinnern, Renate?

Renate: Klar, an Weihnachten. Ich nasche dann und wann bei Georg vom Teller. Aber es passiert immer seltener.

Willi: Weihnachten! Es gibt ja so Feste, zu denen bei vielen Familien Fleisch einfach auf den Tisch gehört. Wie ist das bei euch?

Georg: Vor Weihnachten hatten wir Diskussionen. Das ging über Wochen. Ich hatte Lust auf Ente! Das ist unser traditionelles Fa­mi­lienessen an Heiligabend. Am Ende habe ich zwei Enten im Bioladen gekauft.

"Ich war froh, dass die Diskussion übers Fleischessen überhaupt zustande kam"

Elias: Ich war froh, dass diese Diskussion überhaupt zustande kam und dass meine Meinung gehört wurde. Ich konnte den Teil der Familie verstehen, der an der Tradition hängt. Gerade an Feiertagen.

Willi: Hannah, du studierst ­Medizin. Wenn du dir deine ­Kommilitonen anschaust – tut sich da was?

Hannah: Meine Freunde ernähren sich sehr bewusst, aber man umgibt sich ja auch eher mit Gleichgesinnten. Wer Fleisch isst, ist in der Minderheit.

Willi: Willst du keine Freunde, die Fleisch essen?

Hannah: Nein, Quatsch!

Willi: Wie konsequent bist du?

Hannah: Sehr, die letzte Ausnahme war auch die Ente an Weihnachten. Mein Freund ist noch konsequenter. Für ihn war der Klimaaspekt ausschlagend. Erst hat er seinen Fleischkonsum nur reduziert, dann aber schnell gemerkt: Es geht auch ohne. Nun ist er sogar die treibende Kraft bei uns.

Willi: Immanuel, auch du studierst Medizin. Musst du dir Sorgen ­machen, dass deiner Familie Nährstoffe fehlen – vor allem Elias, dem Veganer?

Immanuel: Nein, es ist ja bekannt, dass wir Vitamin B 12 brauchen, und das ist natürlicherweise nur über Fleisch oder Milch zu bekommen. Das muss Elias ersetzen, wenn seine Speicher erschöpft sind. Die halten etwa drei Jahre. Dann könnte er eine Zahnpasta verwenden, der Vitamin B 12 beigefügt ist. Andere Thesen, die früher gegen Veganismus sprachen, sind widerlegt. Zum Beispiel, dass Eisen im Fleisch wichtig ist. Es stimmt, dass viel Eisen im Fleisch ist. Aber dieses tierische Eisen kann sogar krank machen. Pflanzliches Eisen ist besser!

Willi: Gesundheit, Tierwohl, Klimawandel – gute Argumente. Trotzdem essen wir in Deutschland pro Kopf über 60 Kilo Fleisch im Jahr. Wie überzeugt man Fleischesser?

Georg: Indem man selbst überzeugt ist und es vorlebt. Je mehr man Menschen kritisiert, desto bockiger werden sie. So war es auch bei mir. Dann habe ich in der Familie gesehen: Hey, es geht auch mit weniger Fleisch! Und schon macht mich Nachbars Grill nicht mehr so an wie noch vor einem Jahr.

Willi: Ist man als Vegetarianer eine Art ­Dauerdemonstrant?

Jonathan: Ja, ob man will oder nicht. Mir gegenüber meinen die Leute immer, sich recht­fertigen zu müssen. Obwohl ich nie auch nur angedeutet habe, dass sie etwas falsch machen. Ich sage ­immer: Esst, was ihr wollt. Viele wissen aber auch einfach nicht, dass Fleisch ungesund sein kann.

Willi: Es gibt die Geschmäcker der Kindheit. Bei mir ist es die rote Stracke aus Hessen, mmh! Ich lebe in Bayern, da gibt es die nicht. Sollte ich meine Kinder gar nicht erst in Versuchung führen, damit sie sich später nie nach Wurst sehnen – so wie ich jetzt?

Elias: Das würde ich nicht machen. Ich habe gehört, dass kompletter Veganismus Kindern schadet. Aber achte doch darauf, dass deine Kinder nur ein Mal die Woche Wurst be­kommen. Dann sind sie nicht so im Kreislauf drin, dass sie immer wieder Lust darauf ­haben.

"Das Verlangen nach Fleisch weniger ge­worden"

Willi: Immanuel, wenn du als Student am Wochenende abends um die Häuser ziehst und ihr landet am Dönerstand . . .

Immanuel: Das Verlangen ist weniger ge­worden. Und durch meine Freunde habe ich eher eine positive Verstärkung. Eine Freundin hielt mich neulich sogar davon ab, rückfällig zu werden. Das hat mich sehr gefreut.

Willi: Seid ihr schon mal morgens auf­gewacht und habt gedacht: Oh, was habe ich getan? Warum habe ich diese Salami gegessen?

Elias: Ostern schenkte mir ein Freund einen Osterhasen. Natürlich aus Schokolade, also nicht vegan. So etwas abzulehnen, finde ich doof. Das ist unhöflich. Den habe ich auch gegessen. Höflichkeit geht über den Veganismus. Am nächsten Tag fühlt man sich trotzdem nicht so toll und hinterfragt sich. Man hätte ihn ja auch ins Regal stellen können . . .

Jonathan: Ich habe extra angeboten, ihn für dich zu essen!

Immanuel: Meine Freundin isst bei ihren ­Eltern noch Fleisch, und mir ist wichtig, dass wir da ein richtiges Maß finden. Sie soll auf keinen Fall meinetwegen darauf verzichten! Wir kochen zu Hause viel zusammen und probieren vegane und vegetarische Gerichte aus. Viele sind so lecker, dass wir sie wieder machen. Dadurch unterstützt sie mich. Das bringt doch viel mehr, als wenn sie sich bei ihren Eltern alles verkneift.

Georg: Das sehe ich auch so. Ab und an Fleisch – das kann ein Genuss sein. Aber wenn, dann bitte aus dem Bioladen.

Elias: Ich akzeptiere es, wenn andere Fleisch essen. Der vegane Weg ist meiner Meinung nach besser, aber das müssen die Leute selbst für sich herausfinden.

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Der Artikel ist informativ. Was mich aber doch etwas irritiert war die Aussage von Immanuel, der wohl Lust auf einen Döner verspürte: "Eine Freundin hat mich davor bewahrt rückfällig zu werden!" Man hat den Eindruck Fleischkonsum ist schlimmer ist als ein Verstoß gegen das fünfte Gebot. Möglicherweise verstößt aber auch der eine oder andere Veganer gegen das erste Gebot!
Viele Grüße

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Sehr geehrte Damen und Herren!
Im Magazin am Wochenende (Teil der "Nürnberger Zeitung" bzw. "Nürnberger Nachrichten" am Wochenende) hat Alexandra Voigt, Redakteurin dort, ihren Artikel: "Hilfe, mein Kind isst vegan!" betitelt.
Nach dem "Tönnies-Fleisch-Skandal" ist wieder einmal diese "Billigmassenfleisch-Esserei" in den Mittelpunkt des Bewustseins gerückt worden.
Jeder gelobt nun sofortige Besserung und will auf einmal wieder weniger Fleisch essen. Tags drauf wurde aber erneut für diese "Billig-Ramsch-Fleisch-Berge" in den Supermärkten, mit genügend Propektmaterial, ausgiebig geworben.
Es ist schon sehr "krank", dass man sich, als vegetarisch oder vegan lebender Mensch, immer wieder rechtzufertigen hat/muss/soll, wenn es um die Essgewohnheiten geht, umgekehrt macht das aber auch kein "Schwein".
Ihr Klaus P. Jaworek

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