Gott zieht keine Strippen
Und wir sind keine Marionetten. Wir können uns für richtige oder für falsche Wege entscheiden. Auch beim Umgang mit Corona.
Thomas Meyer/Ostkreuz
24.06.2020

Vorgelesen: Auf ein Wort "Gott zieht keine Strippen"

Wo ist, wo war Gott in der Corona-Krise? Diese Frage höre ich immer wieder, und erstaunlich oft von Menschen, die religiösen Fragen eigentlich eher distanziert begegnen. Da kommt so ein Virus und nimmt die ganze Welt in den Griff, verändert schlagartig unser Leben, ob wir in einem Dorf im Hinterland von Ruanda leben oder in Hongkong, New York oder Ober­ammergau. Es macht körperliche Nähe zur Gefahr, lässt unsere Gesichter hinter Masken verschwinden, es vernichtet wirtschaftliche Existenzen und erschreckt uns mit Bildern von Gabelstaplern, die Leichen auf Kühllaster hieven.

Thomas Meyer/Ostkreuz

Heinrich Bedford-Strohm

Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Jahrgang 1960, ist seit 2011 Landes­bischof der Evangelisch-Lutherischen ­Kirche in Bayern. Bis November 2021 war er Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Herausgeber des Magazins chrismon. Bevor er Bischof wurde, war er an der Universität Bamberg Professor für Systematische Theologie und theologische Gegenwartsfragen.

Warum lässt Gott das zu? Dass auch religiös distanzierte Menschen das fragen, hat vermutlich damit zu tun, dass wir alle versuchen, mit unseren Gefühlen und Gedanken den Sinn hinter unseren Erfahrungen zu verstehen.

Welchen Sinn aber soll dieses Virus haben, das so viel Leid über die Welt bringt? Gott steht hinter dem Virus – sagen manche. In der härteren Variante sehen sie darin eine Strafe Gottes, die uns zur Umkehr bringen soll. In der softeren Variante ist von dem verborgenen Sinn dieses von Gott verursachten Leidens die Rede, den wir irgendwann verstehen werden. 

Wir haben die Freiheit

Aber wie wäre das vereinbar mit dem Gott, von dem der Prophet Jeremia sagt: "Ich weiß wohl, was ich für ­Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides" (Jeremia 29,11)? Wie könnte Gott der Verursacher von unzähligen Toten sein, wenn Jesus, in dem jedenfalls wir Christen das Wesen Gottes in menschlicher Gestalt sehen, gerade nicht getötet hat, sondern geheilt, aufgerichtet und getröstet? 

Wenn, worauf manches hindeutet, auch der Mensch mit seinem destruktiven Verhalten gegenüber der Natur eine wichtige Rolle beim Entstehen dieser Viruskatastrophe einnimmt, dann ist die Antwort vergleichsweise leicht: Leid, das der Mensch unter Missachtung von Gottes ­Geboten verursacht, sollte er nicht Gott in die Schuhe ­schieben. Wir sind nicht als Marionetten geschaffen, ­sondern als Ebenbilder Gottes. Wir haben die Freiheit, den falschen Weg zu gehen und die guten Gebote Gottes zu missachten. Der richtige Weg ist, Verantwortung zu übernehmen und umzukehren zu einer Lebensweise, die die Würde des Menschen achtet, die Natur schont und ­solidarisch mit anderen ist.
Aber damit sind nicht alle Fragen beantwortet. Denn es gibt Naturkatastrophen und Krankheiten, die definitiv nicht auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen sind. 

Die Schöpfung geht weiter

Ich glaube, wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, nach der Gott irgendwo im Himmel thront und die Strippen zieht und dann eben auch, aus welchen Motiven auch immer, auf den Tsunami-Knopf drückt oder ein neues Virus erschafft und auf die Erde schleudert.

Nein, die Schöpfung ist noch nicht vollendet. Sie geht weiter. Es steht noch etwas aus. "Wir wissen" – heißt es bei Paulus – "dass die ganze Schöpfung bis zu diesem ­Augenblick seufzt und in Wehen liegt" (Römerbrief 8,22). Gott ist da. Er wirkt weiter mit seiner schöpferischen ­Liebe, bis die Schöpfung vollendet und sinnloser Tod, sinnloses Leiden endlich überwunden ist.

Wie sollen wir also leben in Corona-Zeiten? Wir ­können darauf vertrauen, dass Gott uns die Kraft geben wird, an dem zu wachsen, was uns begegnet, auch an den harten Erfahrungen. Und uns dabei inspirieren lassen von dem Geist, den Jesus ausgestrahlt hat. Und dem tiefen Vertrauen in uns Raum geben, dass wir nicht auf einen Abgrund zu­gehen, sondern auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in der Gott alle Tränen abwischen wird.

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Gott zieht keine Strippen? Wenn das wahr wäre, dann könnten wir mit unserem Glauben einpacken, dann wäre es aus mit dem Gott, der „da wirkt alles in allen“ (1. Kor 12, 6). Aber ich will jetzt nicht weiter in den Fehler verfallen, (Halb-)Sätze aus der Bibel nach Bedarf aus dem Kontext zu reißen und zu verabsolutieren.
Warum ignoriert Kirche, was uns doch die Theologie lehrt! Wie Luther damals Erasmus zugerufen hat: „Was bewerkstelligst Du mit diesem Ratschlag anderes, als dass die Worte Gottes vom Ermessen und der maßgebenden Entscheidung der Menschen abhängen, mit ihnen stehen und fallen? Während doch die Schrift das Entgegengesetzte sagt, dass alles mit dem Willen und der Entscheidung Gottes steht und fällt und dass vor dem Angesicht Gottes die ganze Erde stille sein soll.“ (Luther: Vom geknechneten Willen)
Und, aus derselben Quelle: „Hier liegt die höchste Stufe des Glaubens vor: zu glauben, dass er gnädig ist, der so wenige rettet und so viele verdammt, zu glauben, dass er gerecht ist, der durch seinen eigenen Willen uns notwendig verdammenswert macht, so dass es scheint, wie Erasmus sagt, dass er an den Qualen der Unglücklichen Gefallen habe und mehr Hass als Liebe verdiene. Wenn ich also auf irgendeine Weise verstehen könnte, wie dieser Gott barmherzig und gerecht sein kann, der so viel Zorn und Ungerechtigkeit an den Tag legt, wäre der Glaube nicht nötig.“
Warum verschweigt Kirche, dass es neben dem in den Evangelien verkündeten, liebenden Gott, auch den verborgenen, zornigen Gott gibt, dessen Willen wir erst am Ende der Zeiten verstehen werden? Ja, wir wissen nicht, warum Gott das ganze Elend auf der Welt zulässt – es vielleicht selbst wirkt -, aber wir glauben trotzdem daran, dass er alles einhalten wird, was er zugesagt hat. Alles Weitere wäre eine Spekulation darüber, mehr zu wissen, als Gott uns offenbart hat.
Das radikal zu bekennen würde uns die Authentizität zurückgeben, die die Menschen vermissen, wenn sie sich von Kirche abwenden: „Der Mensch hat in Ehrfurcht hinzunehmen, dass Gott einen doppelten Willen hat, er ist Heilsgott und Weltgott.“ (Günter Rohrmoser, Höher als alle Vernunft ... : die Aktualität der Reformation heute, Windsbach 2017, S. 244). Das müssen wir verkündigen!

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Grundsätzlich ist jegliche Zuschreibung der Situation egal an welchen Verursacher der Lösung nicht zuträglich, dennoch frage ich mich, wie die übrigen biblischen Erfahrungen da einzuordnen wären - nur mal die 10 Plagen im Gegenüber zu den Ägyptern, anlässlich derer ein ganzes Volk bitter leidet und das, wo selbst des Gegners Härte - das Herz des Pharao - letztlich auf Adonai zurückgeführt wird. Gott demonstriert seine Macht, indem er sich selbst die Grundlagen dafür schafft. Am Ende ist das der Indikativ: ich, dein Gott, der Dich aus Ägyptenland geführt hat als Grundlage für den Imperativ der 10 Gebote.
Sicher, es ist das Erste Testament, aber das Zweite ist dem ähnlich:
Gott opfert sein eigenes Kind, um zu zeigen, was er für uns an Liebe bereithält und nutzt dazu Menschenhand.
Ich glaube, dass uns die Ursachenforschung nicht weiterbringt. Für mich zählt die Frage nach dem, was wir daraus lernen können und da sehe ich allerhand Aufträge für Kirche von weltpolitischer, gesamtgesellschaftlicher Tragweite...
Und wenn uns das gelingt, dann bleibt Jeremia 29,11 vollgültig.

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Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Artikel, insbesondere der letzte Abschnitt, erinnert mich ein wenig an diese Stelle aus einem alten Kirchenlied: „Wer Gott, dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinen Sand gebaut.“
Die Corona-Krise stellt uns alle vor enorme Herausforderungen, bringt viele an die Grenzen ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit.Viele schöpfen in dieser Situation Kraft und Mut aus ihren Glauben, gehen auch in Zeiten von Corona ihrer Zukunft mit Zuversicht entgegen, hoffen auf einen guten Schutzengel.
Warum lässt Gott das zu? fragen sich andere. Dabei wird immer vergessen, dass Gott uns von Anfang an mit freiem Willen ausgestattet hat, wir uns also auch gegen Ihn, gegen das Gute entscheiden können.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Gottbrath

Antwort auf von Gabriele Gottbrath (nicht registriert)

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Sehr geehrte Frau Gottbrath,

ich lese immer mit Begeisterung Ihre Kommentare, wo Sie so eindrücklich zu schildern wissen, wie sich doch schon die jungen Schulkinder von sich aus nach Jesus und Gott sehnen. Beinahe wäre ich jetzt enttäuscht gewesen, da die Erstklässler diesmal gar nicht vorkommen. Aber dann habe ich nochmal genau gelesen und bin fündig geworden. Ja, die natürliche Sehnsucht nach dem Schutzengel ist sicher etwas, was auch im heutigen katholischen Religionsunterricht an den Grundschulen liebevoll gepflegt und gefördert werden kann.

Ich bin also wieder beruhigt. Vielen Dank für Ihren Kommentar!

Lisa Müller

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Nein Herr Bedford-Strohm, der Virus soll uns nur bewusst machen, dass wir längst die Vorsehung/die "göttliche Sicherung", vor den Möglichkeiten der vollen Kraft des Geistes der Gott/Gemeinschaft/Mensch ist, hätten überwinden müssen und wirklich-wahrhaftig glauben sollten - Matthäus 21,18-22 (die für mich wichtigste Stelle der Bibel)

Es ist an der Zeit, dass wir TACHELES reden, über die biblischen Bedeutungen von Mensch, Glaube, Gebet und wirklich-wahrhaftiges Zusammenleben, denn: Gottes Wege sind NICHT unergründlich, sondern sehr konkret und NICHT so konfus wie Kirche sie immernoch zeitgeistlich-reformistisch verschleiert.

Mit der "Vertreibung aus dem Paradies" (Mensch erster und bisher einzige geistige Evolutionssprung), hat Gott/die Schöpfung/das Universum/das Zentralbewusstsein uns als Mensch(Alle) die Möglichkeit gegeben (hat Mensch die Möglichkeit erlangt!?) sich von Vernunftbegabung zu Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln/zu fusionieren, für weitere Möglichkeiten in geistig-heilendes Selbst- und Massenbewusstsein "wie im Himmel all so auf Erden", NICHT für im Wettbewerb egoisierend-heuchlerisches "Individualbewusstsein".

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Dass der Flughafen BER immer noch nicht fertig war oder gar ist, konnte man dem Fernsehen entnehmen und sich entsprechend darüber lustig machen. Dass auch für Gottes Schöpfung noch kein Ferigstellungstermin feststeht, können wir im vorliegenden Artikel aus berufenem Mund vernehmen. Irgendein Schmunzeln oder gar Gelächter verbietet sich hier selbstverständlich von vornherein.

"Ich glaube, wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, nach der Gott.....ein neues Virus erschafft und auf die Erde schleudert." Gott war es also nicht. Gott sei Dank!

Wer oder was ist denn jetzt die Ursache dafür, dass manch einer seine Miete nicht mehr zahlen kann oder anderweitig noch mehr in die Röhre schaut als sowieso? Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm sieht das Virus als Ursache: "...es vernichtet wirtschaftliche Existenzen..."

Das dürfte unzutreffend sein. Das severe acute respiratory syndrome coronavirus 2, abgekürzt SARS-CoV-2, befällt bevorzugt die oberen Atemwege und kann auch an anderen Organen schwere Schäden verursachen. Dass aber Millionen von pumperlgesunden, nichtinfizierten Zeitgenossen noch weniger Geld als vorher haben, sollte man nicht "dem Virus in die Schuhe schieben", um eine Sprachfigur des Herrn Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland abzuwandeln.

Auch "der Mensch mit seinem destruktiven Verhalten" dürfte eine ziemlich falsche Fährte sein. "Der Mensch" alias die Menschheit ist überhaupt kein handelndes Subjekt, auch wenn Pfarrer und Grüne nicht müde werden, diesen Irrtum täglich zu wiederholen.

Also, liebe Rätsel- und Rätselinnenfreunde: Was ist die Auflösung bei diesem Krimi? Für richtige Einsendungen. die vor Vollendung der Schöpfung bei mir eingehen, gibt es ein Heiligenbildchen.

Sepp Stramm

Die Bausteine für das Virus waren im programmatischen Lauf der schöpferischen Vorsehung rechtzeitig einsatzbereit - Mensch hat es allerdings nicht geschafft, die nötigen Fertigkeiten für die Überwindung dieser relativ leichten Prüfung mit entsprechendem Bewußtsein zu bestehen. Und es sieht noch nicht so aus, als ob Mensch nach Corona den richtigen Weg in Richtung der gottgefälligen Beherrschung dieses "holographischen" Universums begehen wird.

Unvernunft und Unwahrheit, die menschliche Symptomatik des geistigen Stillstandes seit der "Vertreibung" und die "göttliche Sicherung" vor dem Freien Willen - "Es war seit jeher den Epigonen vorbehalten, befruchtende Hypothesen des Meisters in starres Dogma zu verwandeln und satte Beruhigung zu finden, wo ein bahnbrechender Geist schöpferische Zweifel empfand." Rosa Luxemburg

Antwort auf von Horst (nicht registriert)

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Was ist denn bitte eine schöpferische Vorsehung? Wieso hat die einen programmatischen Lauf? Und aus welchen rechtzeitig einsatzbereiten Bausteinen soll denn ein Virus bestehen?

Soweit meine Fragen zum ersten Teil Ihres ersten Satzes.

Sepp Stramm

In der Offenbarung des Johannes kann man die Vorsehung nachlesen. Also das was passiert / passieren soll, wenn Mensch es nicht schafft diese "göttliche Sicherung" / das Programm mittels seiner Vernunftbegabung gottgefällig verantwortungsbewusst zu überwinden und ...

Bausteine - Inzwischen ist es allgemein bekannt, das Viren nicht aus dem Nichts kommen und auch eine Evolution durchmachen!? Im Falle von Corona ein banaler Schnupfenvirus der für uns im Wettbewerb degenerierten Figuren nun gefährlich ist.

Antwort auf von Horst (nicht registriert)

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Aha, die Offenbarung des Johannes. In der Tat ein herrlich saftiger Schmöker! Welche Stelle darf es denn diesmal sein?

Ein "banaler Schnupfenvirus" ist mit Sicherheit kein Baustein von SARS-CoV-2. Viren bestehen nicht aus anderen Viren. Die vorsätzliche Verwechslung von SARS-CoV-2 mit harmlosen Viren wird z.B. vom brasilianischen Präsidenten Bolsonaro betrieben. Zu dessen wesentlichen politischen Unterstützern gehören evangelische Gläubige, die mit Begeisterung in der Apokalypse lesen.

Firmen, die ihren Gewinn mit der Produktion von Autos machen, sparen sich Lagerhaltungskosten, indem sie sich des öffentlichen Verkehrsraums bedienen. Sie lassen die benötigten Teile genau dann anliefern, wenn sie im Montageprozess benötigt werden. Hier wäre Ihre Formulierung von rechtzeitig einsatzbereiten Bauteilen zutreffend. Die Evolution von Viren verläuft gänzlich anders.

Sepp Stramm

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