Lebensrisiko: dunkle Hautfarbe
Ein 55-Jähriger schoss im hessischen Wächtersbach auf einen Mann aus Eritrea. Es ist eine Tat, die viele Fragen stellt - auch an jeden Einzelnen in unserer Gesellschaft
Tim Wegner
23.07.2019

Die gute Nachricht: Der Mann lebt. Der 26-Jährige, der gestern in einem Industriegebiet im hessischen Wächtersbach auf offener Straße angeschossen worden war, konnte durch eine Not-OP gerettet werden.

Heute erklärte der Frankfurter Oberstaatsanwalt Alexander Badle, das Opfer habe sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten. "Es gibt klare Hinweise, dass ein fremdenfeindliches Motiv im Raum steht", sagte Badle. Der mutmaßliche Schütze, ein 55-jähriger Deutscher, habe sein Opfer zufällig ausgewählt - aufgrund von dessen Hautfarbe.

Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.

Der Verdächtige wird Antworten auf die Frage nach dem Warum schuldig bleiben. Er nahm sich nach der Tat das Leben. Aber es bleiben auch Fragen an die Ermittler, an Politikerinnen und Politiker. Und auch solche, die sich an jeden Einzelnen in unserer Gesellschaft richten. Denn schon jetzt sind die Ermittler sicher, dass der Mann aus fremdenfeindlichen Motiven handelte, auch wenn Verbindungen in rechtsextreme Kreise aktuell nicht belegt sind.

Wie sehr hat der Hass unser Land verändert?

Wie sehr hat die von Hass und Fremdenfeindlichkeit geprägte Sprache der Rechtspopulisten unser Land verändert, dass es - mitten in Deutschland - ein Risiko für Leib und Leben ist, wenn ein Mensch schlicht "nicht deutsch" genug aussieht? Und wie groß ist unser aller Verantwortung, für Demokratie und Toleranz einzutreten, wenn wir so etwas hören oder - in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter - lesen? Und wann hören wir auf, das Phänomen Rechtsextremismus nach Ostdeutschland wegzudefinieren? Wann erkennen wir, dass nicht nur islamistisch motivierter Terror unseren Staat bedroht, sondern dass Rechtsextremismus und Rassismus unser Zusammenleben gefährden?

Was gestern im hessischen Wächtersbach passierte, ist kein Einzelfall. Zur Erinnerung: Anfang Juni starb der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke an einem Kopfschuss. Er hatte sich bereits 2015 für die Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt und dies auch mit seinem christlichen Menschenbild begründet; einige seiner Aussagen von damals waren im vergangenen Winter wieder im Internet aufgetaucht und hatten dort Hasskommentare ausgelöst. Lübckes Ermordung wiederum förderte Häme bei Fremdenfeinden zutage.

Und - ebenfalls in Hessen - wurde die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız bedroht, die Angehörige im NSU-Prozess vertreten hatte.

2016 erschoss David S. in München neun Menschen. Er hatte, so der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, "eindeutig auch rassistisches Gedankengut zunehmend verinnerlicht".

Es bleibt nun auch die Frage, warum der 55-jährige Verdächtige, der gestern in Wächtersbach schoss, fünf (!) Schusswaffen besaß. Ganz legal. Belehrungen aus Deutschland in Richtung einzelner US-Bundesstaaten mit liberalem Waffenrecht jedenfalls lesen sich auf diesem Hintergrund merkwürdig, denn eines geht Schüssen immer voraus: eine Waffe in Menschenhand.

Menschen das Menschsein abzusprechen, ist gefährlich

Ja, Migration und Integration werden große und wichtige Themen bleiben, über die wir diskutieren müssen. Ja, es ist vollkommen legitim, eine kritische Haltung dazu zu haben und sie zu äußern. Aber es ist falsch, anderen Menschen das Menschsein abzusprechen und sie - wie es im Netz ständig geschieht - etwa als "Invasoren" zu enthumanisieren. Es ist und bleibt unerträglich, dass mit Alice Weidel die Vertreterin einer im Bundestag vertretenen Partei mit hasserfüllter Miene im Parlament von "Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierten Messermännern und sonstigen Taugenichtsen" sprach. Es ist gefährlich, wenn Politiker von einer "Herrschaft des Unrechts" schwadronieren und damit rechtsextremen Wirrköpfen noch die Legitimation an die Hand geben, einen vermeintlich unterdrückten "Volkswillen" zu exekutieren.

Was geschehen kann, wenn Hass, Wille und Waffe zusammenfinden, haben wir einmal mehr gestern gesehen.

Gegen den Hass kann jeder Einzelne etwas tun.

Permalink

Es sind nicht die Hasszuschriften und auch nicht irgendwelche Brandreden, welche zu derartigen Exzessen führen. Allein die täglichen Nachrichten in den überregionalen Medien reichen aus, um manchem normalen Bürger den Blutdruck in die Höhe zu treiben : Vom Kölner Bahnhofsplatz über den Breitscheidplatz und der Dreisam bis hin zur Bahnsteigkante in Voerde. Spezifische Verbrechen, welche es in ihrer Häufigkeit und Scheusslichkeit erst seit einigen Jahren bei uns gibt, sorgen bei Vielen für Unruhe. Die Entscheidungsträger in Politik und Medien sprechen die resultierenden Gefahren nicht einmal an- der "rosa Elefant" steht überall im Raum ohne genannt zu werden. Dies führt zu einem breiten Vertrauensverlust Vieler und zu Exzesshandlungen Einzelner. Der "molekulare Bürgerkrieg"( H.M.Enzensberger) ist in vollem Gange - wir gehen "interessanten Zeiten" entgegen.

Wenn Al-Qaida & Co in Deutschland Anschläge verüben, dann hat der anständige Deutsche offenbar einen Blutdruck, der sehr eigenartig reagiert. Erst verliert er Vertrauen - in was eigentlich? - und dann legt er im Exzess den nächsten Dunkelhäutigen um, der ihm auf der Straße begegnet. Das lässt deutlich werden, was er ohne Exzess am liebsten tun würde. Das sind keine interessante Zeiten, sondern es ist die übliche rassistische und fremdenfeindliche Tour, das Umbringen von Ausländern als weiter nicht verwunderlich darzustellen. Von Querdenken also keine Spur.

Fritz Kurz



Ist Ihnen eigentlich bewusst, was Sie da sagen? Sie rechtfertigen Gewalt, weil angeblich ein "rosa Elefant" im Raum steht, auf den dann gern geschossen werden darf? Weil es Integrationsprobleme gibt, ist es legitim, denen Gewalt anzutun, die man als fremd erachtet? Das ist, da sei deutlich gesagt, widerlich. Gehen Sie bitte mal in sich und denken Sie darüber nach, wohin Ihr Denken führt.

Permalink

Lebensrisiko Atheist beinhaltet auch ein hohes Lebensrisiko, egal in welchem Land und welche Religion dort "regiert" und wie wird reagiert.

Permalink

Jeder hat ein Lebensrisiko, egal ob Jude oder Christ, Moslem oder Atheist. Das Leben endet immer mit dem Tode und dazwischen steht der schlimmste Feind des Menschen: der Mensch! Ludwig Feuerbach

Die Hautfarbe spielt eine Rolle, die Intelligenz eine weitere, Toleranz und Intoleranz, Sympathie und Antipathie entscheiden über das Miteinanderleben. Und das ist auch heute noch sehr schwer. Nicht einmal unter Christen herrscht Frieden. Religionen tragen leider nicht zum Frieden bei und ein Gott hilft auch nicht.