Europa im Wahlkampf
Die EU einigen – aber wie? Streit darüber ist nichts Schädliches.
Lena Uphoff
09.04.2019

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat zum Auf­takt des Europawahlkampfs kühne Thesen formuliert. Er plädiert für einen europäischen Mindestlohn, ein gemeinsames Sozialsystem und einen besseren Schutz der Außengrenzen des Schengen-
Raums. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat in einem Text "Europa richtig machen" einigen dieser Vorschläge widersprochen. Vor allem die soziale Vereinheitlichung lehnt sie ab.

Lena Uphoff

Arnd Brummer

Arnd Brummer, geboren 1957, ist Journalist und Autor. Bis März 2022 war er geschäftsführender Herausgeber von chrismon. Von der ersten Ausgabe des Magazins im Oktober 2000 bis Ende 2017 wirkte er als Chefredakteur. Nach einem Tageszeitungsvolontariat beim "Schwarzwälder Boten" arbeitete er als Kultur- und Politikredakteur bei mehreren Tageszeitungen, leitete eine Radiostation und berichtete aus der damaligen Bundeshauptstadt Bonn als Korrespondent über Außen-, Verteidigungs- und Gesellschaftspolitik. Seit seinem Wechsel in die Chefredaktion des "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts", dem Vorgänger von chrismon im Jahr 1991, widmet er sich zudem grundsätzlichen Fragen zum Verhältnis Kirche-Staat sowie Kirche-Gesellschaft. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt kulturwissenschaftlichen und religionssoziologischen Themen. Brummer schrieb ein Buch über die Reform des Gesundheitswesens und ist Herausgeber mehrerer Bücher zur Reform von Kirche und Diakonie.

Warum reagiert die Parteifrau und nicht Bundeskanzlerin Angela ­Merkel auf Macrons Ideen? Die Antwort ist einfach: Die Statements aus Paris und Berlin sind Wahlkampftexte. Dass debattiert wird, wie einheitlich die Euro­päische Union erscheinen soll, zeigt ihre Realität in positiver Weise: Die EU ist eine demokratische und pluralistische Gemeinschaft, in 
der kein Herrscher diktiert. Und da wirtschaftlicher Wettbewerb in Europa ebenso wichtig bleiben wird wie sozialer Ausgleich, muss über diverse Ansätze gestritten werden.

Eine These Kramp-Karrenbauers sollte sowohl in Berlin wie in Paris ignoriert werden. Straßburg als Sitz des Europaparlaments auf­zugeben, ist ein sinnloser Anschlag auf die Symbolkraft der euro­päischen Einigung, wie sie einst Charles de Gaulle und Konrad Adenauer sowie Helmut Kohl und Francois Mitterrand statuiert haben.

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Zitat Herr Brummer: "Die EU ist eine demokratische und pluralistische Gemeinschaft, in 
der kein Herrscher diktiert".

Wovon werden denn dann die einzelnen Gemeinschaften beherrscht? Die wahre Herrscherin über jede Gemeinschaft ist ihre Kultur. Das sind die gewachsenen Werte, die häufig nur in ganz bestimmten einzelnen Ethnien ihre Heimat haben. Da kann dann selbst die Korruption oder das sinnlose Geschenkwesen (Hochzeiten) als üblich und normal angesehen werden. Was in der Einen ein anerkanntes Recht gilt, kann in einer anderen Kultur Unrecht sein. Wer sind wir, dass wir uns darüber erheben dürfen und glauben, die Richter über uns fremde Werte zu sein? Dass das schwer fällt, besonders dann, wenn unsere christlichen Werte in uns fremden Welten infrage gestellt werden, ist verständlich. Wenn dann noch selbst die allgemeinen Menschenrechte relativiert werden, wird alles nur noch schwieriger.

Zitat Brummer: "Und da wirtschaftlicher Wettbewerb in Europa ebenso wichtig bleiben wird wie sozialer Ausgleich, muss über diverse Ansätze gestritten werden".

Recht so. Aber unser ganzer "Sozialwohlstand", bzw. das was wir dafür halten, ist auf den Unterschied der Kulturen aufgebaut. Hier auf den Gemüsefeldern arbeiten unsere modernen europäischen "Sklaven", die in 20-200-Personengruppen auch in der Nacht bei Regen und Frost für unsere Lebensmittelpreise sorgen. Diese "Wohlstandssklaven", deren kulturellen, gesellschaftlichen, familiären, religiösen und politischen Wurzeln sie zwingen, uns zu Diensten zu sein, finden wir weltweit als € 3-Unterhosenhersteller. Die EU wird es nicht schaffen, in ihren Ländern diese Unterschiede in dem Umfang zu eliminieren, dass sie für unser gutes Gewissen erträglich werden. Es besteht in der EU, wie auch in vielen anderen Ländern, Kulturen und selbst in Familien das alte Problem: Soviel größer sie werden, so viel vehementer werden auch die persönlichen und gesellschaftlichen Fliehkräfte in ihnen. Zwang, Macht und Despotismus können die uferlose Entwicklung der Größe verzögern. Bröckeln diese Zangen, werden die Fliehkräfte immer stärker. Gut ist das in der Katholischen Kirche mit ihren römischen Zentral-Werten, den globalen kulturellen Reibungen und Unterschieden und den Zerfallserscheinungen zu beobachten. Die Größe der EU ist auch ihr Ballast.

Ethisch ist es zu kurz gesprungen, uns nur um das EU-Wohlergehen unserer Nachbarn zu kümmern, wenn alle zusammen darauf erpicht sind, sich nur die für den eigenen Wohlstand notwendigen „Rosinen“ weltweit heraus zu picken. Denn das ist die moderne „Arbeitsteilung“, in der die augenblicklich Stärkeren die hemmungslos ausnutzen, die um ihres Überlebenswillen mit jedem Almosen zufrieden sein müssen. Aber diese Situation ist quasi ein „Naturgesetz“, das auch der schönste Gedanke nicht ausmerzen kann.

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