Begegnung - Älterwerden
Begegnung - Älterwerden
Patrick Desbrosses
"Ich kann sein, wie ich will. Und alle hören zu."
Ist doch prima, das Älterwerden. Oder? Maren Kroymann und Eckart von Hirschhausen über die zweite Hälfte des Lebens.
Tim Wegner
Tim Wegner
26.02.2019

chrismon: Frau Kroymann, Sie sind im Fernsehen als Nachtschwester groß geworden, Sie, Herr von Hirschhausen, als Arzt. Warum ist das Krankenhaus so ein ­prima Setting für Satire und Kabarett?

Maren Kroymann: Die Schwester ist der Inbegriff des Helfenden. Sie ist für alle da, sie hält auch mal die Hand. Als Satirikerin wollte ich ja genau das Gegenteil machen. Ich habe dieses klassische Weiblichkeitsbild ironisiert, da kommt die mit der Giftspritze, die eben nicht nett ist.

Eckart von Hirschhausen: Ganz einfach: Wenn man den Finger in die Wunde legen will, kann man das am besten tun, wo die Wunden sind.

Heute legen Sie, Frau Kroymann, den Finger in ganz andere Wunden: In vielen Sketchen nehmen Sie die fitten Alten aufs Korn. Die machen, von Helikopterkindern getrietzt, Yoga, Gehirnjogging, besuchen Kurse . . .

Kroymann: Es stimmt, dass wir fitter sind als früher – aber das bringt den Druck mit sich, sich bis ans Lebensende selbst zu optimieren. Das ist das Gegenteil von Gelassenheit, und das muss ich als Satirikerin natürlich aufgreifen. Außerdem sind wir Älteren auch verantwortlich, wie wir die Welt übergeben, und das sieht ja gerade nicht rosig aus.

Maren KroymannPatrick Desbrosses

Maren Kroymann

Maren Kroymann, ­geboren 1949, ist ­Kabarettistin, Schauspielerin, Sängerin. Bekannt wurde sie 1988 als feministische Pfarrersfrau in der TV-Serie "Oh Gott, Herr Pfarrer". Von 1993 bis 1997 war sie "Nachtschwester Kroymann" – und die erste Frau, die im öffentlich-­rechtlichen Fernsehen eine Satire­sendung hatte. Die DVD-Edition mit allen Folgen ist ­gerade ­erschienen. Für ihre Sketch-Comedy "Kroymann" bekamen sie und ihr Team gerade den Deutschen Fernsehpreis. Ihr Bühnenprogramm "In my ­Sixties" präsentiert sie am 9. März in Köln, am 28. März in Düsseldorf und am 29. März in Oldenburg.
Dominik Butzmann

Eckart von Hirschhausen

Eckart von Hirschhausen, Jahrgang 1967, Arzt, Komiker und Gründer der ­Stiftung "Humor hilft heilen". Er erfand das medizinische ­Kabarett, sein ­aktuelles Programm "Endlich" befasst sich mit dem Älterwerden. Dazu moderiert er im ­Fernsehen Wissensshows und schreibt Bücher. ­Zuletzt ­veröffentlichte er ­zusammen mit Tobias Esch "Die bessere Hälfte" (Rowohlt, 18 Euro), gemeint ist nicht etwa die ­Partnerin, sondern die Zeit ab 50.

Herr von Hirschhausen, Sie haben mit Ihrem Co-Autor Tobias Esch ein Buch darüber geschrieben, dass Älterwerden ganz prima ist, wenn man die richtige Ein­stellung hat. Ist das nicht ein bisschen viel verlangt?

von Hirschhausen: Nein, aber es verlangt ein Umdenken von unserer Vorstellung, älter werden sei immer nur Abstieg. Dabei ist es Leben für Fortgeschrittene! Wir haben im Schnitt zehn, 15 Jahre mehr als unsere Großeltern. Und das gesünder, sicherer und wohlhabender als jede Generation vor uns. Es gibt natürlich Schicksalsschläge, Einsamkeit und Verarmung im Alter. Und die medizinischen Stimmungskiller Schlaganfall, Parkinson, Depressionen und Krebs, die eine neue Rolle der Altersmedizin erfordern. Aber bisher dachte man: Wenn die Leute krank sind, können die ja gar nicht zufrieden sein. Stimmt aber nicht!

Und was stimmt?

von Hirschhausen: Je älter wir werden, desto eher können wir auch einfache Dinge schätzen. Negative Gefühle lassen wir nicht mehr so an uns ran. Wir können uns im Geiste emanzipieren von einem perfekten Körperbild. Eine Studie hat mich am meisten fasziniert: Sie teilte Menschen mit dem identischen genetischen Risiko für Alzheimer in zwei Gruppen. In die, die Angst haben vor dem Älterwerden, und die, die sich drauf freuen. Das Ergebnis: Die, die Angst hatten, bekamen doppelt so häufig Alzheimer wie die anderen. Wie wir uns Stress machen oder haben, hat also Einfluss darauf, was von unserer Erbsubstanz abgerufen wird. Wenn man in einer Kultur lebt, in der das Altwerden mit negativen Klischees behaftet ist, tun wir uns selber nichts Gutes. In anderen Kulturen gibt es den Ältestenrat . . . 

Kroymann: Ja. Den gab es bei den Römern auch. Ein Mann über 60 war der Senex, klug und weise.

von Hirschhausen: Da wurde keine Entscheidung getroffen, ohne die Großeltern zu fragen. Sie bewahren das kulturelle Gedächtnis, was die Gesellschaft zusammenhält. Und geben praktische Ratschläge wie: "Zieh dir was an die Füße." Es gibt kein Tier, das Socken trägt. Nur der Mensch hat die Erkenntnis und dazu die Omas, die stricken können. Das ist unser Plädoyer: Habt keine Angst vor dem Älterwerden. Habt lieber Angst, nichts dazuzulernen und doof zu bleiben.

Kroymann: Na ja, das merken die Doofen ja nicht. Allerdings dachte ich so beim Lesen: Jetzt verkaufen die jungen Männer das als neue Information – dabei lebe ich das doch schon die ganze Zeit!

von Hirschhausen: Ja, du bist der Beweis für unsere These: Die zweite Lebenshälfte ist für viele die bessere Hälfte!

Kroymann: Und meine eigene Empirie ganz ohne Studie sagt mir, es ist die beste Phase meines Lebens. Ich staune ja selbst, früher hätte man gesagt: "Wie schrecklich, ich bin alt, ich habe keine Kinder, keine Familie gegründet." Im Gegenteil, es ist großartig. Ich traue mich, mich zum Mittelpunkt meines eigenen Lebens zu machen. Das ist mein Glücksgefühl: Ganz neue Dinge an mir zu entwickeln, oft zusammen mit anderen Menschen. Und immer weiter dazuzulernen.

Mit 12 und mit 22 lernt man doch auch.

Kroymann: Ja. Aber im Alter führt das Lernen zu Erkenntnissen, nicht nur zur Anhäufung von Wissen. Das hängt zusammen mit einem gewachsenen Selbstbewusstsein. Und mit Reife wird einem mehr zugestanden, gerade auch mir als Frau. Ich war vorher eigentlich genauso schlau. Aber seit ich älter bin, darf ich es auch sein. Das stört, dieses ganze Weiblichkeitsgedöns. Man muss gut aussehen, damit man als Intellektuelle wahrgenommen wird. Jetzt kann ich so sein, wie ich will. Und die Leute hören zu!

Trotzdem gibt es wenig gleichaltrige Frauen auf dem Bildschirm.

Maren Kroymann: "Und mit Reife wird einem mehr zugestanden, gerade auch mir als Frau. "

Kroymann: Das stimmt. Im fiktionalen Fernsehen geht es letztlich meist um die Beziehung zu einem Mann – um ­Liebe, Sex und Anerkennung. Das können sie, ­glauben sie, immer besser darstellen, wenn es eine junge, ­knackige Frau ist. Meine Kabarettkollegin Carolin Kebekus, die ­immer sehr schön drastisch formuliert, sagt: Es geht um die Fuckability. Man muss fuckable sein, dann ist das ­prima fürs Fiktionale. Ich darf mittlerweile die Frau ­spielen, die trotz Alter noch mal sexuelles Erleben hat – aber da bin ich eine Ausnahme. Zu den älteren Frauen fällt den Verantwortlichen kaum mehr ein als: die Oma. Und es gibt Kommissarinnen, die nicht mehr ganz jung sind. Da hat sich sogar viel geändert, es gibt bald mehr Fernsehkommissarinnen als echte, immerhin ein Ansatz.

Wann ist man eigentlich alt?

Kroymann: Ich fand mich alt mit 27. Das war der schrecklichste Geburtstag überhaupt. Ich entdeckte die ersten ­Falten, eine Beziehung war gerade in die Brüche ge­gangen, und ich wusste nicht, was aus mir beruflich werden soll. Seither wurde es immer nur besser. Ganz toll war der 60. Geburtstag. Im Sommer werde ich 70, mal sehen, ein bisschen habe ich schon zu tun mit der Sieben . . . Aber ich habe mich ans Älterwerden gewöhnt, und je länger ich es mache, desto besser kann ich es.

von Hirschhausen: Du strahlst aus, dass du gar nicht mehr den Anspruch hast, allen gefallen zu müssen, das finde ich schön. Diese Gelassenheit kommt mit der Lebenserfahrung – wenn man nicht verbittert. Meine eine Großmutter war durch ihre Kriegserfahrungen ziemlich mitgenommen. Die andere hatte ebenfalls Krieg, Flucht und Umsiedlung erlebt, war aber herzensgütig und hat in ihrem Gottvertrauen sicher auch meine Religiosität geprägt. Wer einmal alles Materielle verloren hat, weiß: Was du dann behältst, sind Fähigkeiten und Beziehungen, also alles, was du im Kopf und im Herzen trägst.

Kroymann: Die Verbundenheit über Generationen hinweg gibt es auch außerfamiliär. Die Menschen, mit denen ich bei meiner neuen Sendung arbeite, könnten tatsächlich schon meine Enkel sein. Das läuft super. Man kann sich auch an Menschen verströmen, die man nicht selbst geboren hat!

von Hirschhausen: Aber du strömst ja nicht nur, es ist eine Welle!

Kroymann: Eine Gegenstromanlage sogar.

Eckart von Hirschhausen: "Aber vielleicht können die Alten besser wichtig von unwichtig unterscheiden."

von Hirschhausen: Dass der Mensch über mehrere Ge­nerationen angelegt ist, ist doch ein Schatz! Es gibt auch ­Jugendliche, die sagen: "Ihr habt keine Ahnung von ­meiner Welt." Aber vielleicht können die Alten besser wichtig von unwichtig unterscheiden.

Kroymann: Es kommt mir eher so vor, als ob der Kontakt zu den jüngeren Leuten viel einfacher ist. Am schwierigs­ten war es für mich immer mit gleichaltrigen Männern – die waren feminismustraumatisiert. Die Jungs der Gene­ration darunter hatten zum Teil Mütter, die sehr emanzipiert waren, und konnten mit mir besser umgehen. Und die 20- bis 30-Jährigen freuen sich, mit einer alten lesbischen Feministin zu tun zu haben. Bei Menschen, die Macht haben in der Medienbranche, ist das ganz selten.

Welchen Rat geben Sie jungen Leuten?

Kroymann: Ob ich jetzt unbedingt Tipps geben sollte? ­Dafür verlief meine Karriere eigentlich zu unregel­mäßig. Ich wünsche meinen Kolleginnen ja schon, dass sie 30 ­Jahre früher an den Punkt kommen, an dem ich jetzt bin. Aber die 15 Jahre, die wir im Alter dazugekriegt haben, können wir natürlich besser nutzen, wenn wir in ­jungen Jahren das Lernen lernen. Wenn wir offen sind, täglich Zeitung lesen und uns im Netz informieren, reisen, ­Menschen kennenlernen, uns interessieren – dann können wir im Alter gut daran anknüpfen.

von Hirschhausen: Vor allem muss man wissen, wofür man brennt. Die sozialen Medien sind leider immer so auf Wirkung und Likes aus, dass man ständig am Reagieren ist und gar nicht mehr merkt, was einen eigentlich aus sich selbst heraus antreibt.

Kroymann: Und dafür sind die Älteren gute Vorbilder. Aus der Vor-Instagram-Zeit. Erkenntnisse lassen sich nicht auf ein Bild reduzieren. Es ist immer nur eine Momentauf­nahme und kann keine Entwicklung beschreiben. Genau das ist das Interessante an unserem Leben – und das ­können die Jüngeren sehen, wenn sie nicht nur unter sich auf ­Instagram sind, sondern sich auch mit uns austauschen.

Müssten wir, anstatt gut gelaunt älter zu werden, nicht eher gucken, dass wir den Jungen einen intakten ­Planeten hinterlassen?

Kroymann: Manche versuchen es ja. Ich thematisiere das in meiner Sendung. Unser Musikvideo "Wir sind die ­Alten", das im Internet ziemlich eingeschlagen hat, nimmt genau das aufs Korn – dass viele Ältere nur an ihren Eigennutz denken und in dem Sinne konservativ sind. Wobei konservativ ja eigentlich heißt zu erhalten, und das tun sie gerade nicht. Insofern ist dieser Konservatismus fehlge­leitet. Nur die Veränderung kann die Welt erhalten.

Tim Wegner

Ursula Ott

Ursula Ott ist Chefredakteurin von chrismon und der digitalen Kommunikation im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH. Sie studierte Diplom-Journalistik in München und Paris und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie arbeitete als Gerichtsreporterin bei der "Frankfurter Rundschau", als Redakteurin bei "Emma", als Autorin und Kolumnistin bei der "Woche", bei der "Brigitte" und bei "Sonntag aktuell" sowie als freie Autorin für Radio und Fernsehen. 2020 und 2021 wurde sie unter die 10 besten Chefredakteur*innen des Jahres gewählt. 2019 schrieb sie den Bestseller "Das Haus meiner Eltern hat viele Räume. Vom Loslassen, Ausräumen und Bewahren".
Tim Wegner

Mareike Fallet

Mareike Fallet, Jahrgang 1976, ist Textchefin und Mitglied der Chefredaktion. Sie studierte Sozialwissenschaften in München und Göttingen. Redakteurs-Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Ihr Schwerpunkt sind gesellschaftspolitische Themen, sie betreut die Rubriken "Begegnungen", "Fragen an das Leben" und "Andererseits".

von Hirschhausen: Ja, das ist unsere Aufgabe, nicht die der Kinder! So wie wir unsere Eltern gefragt haben: "Was habt ihr gegen die Nazis getan?", werden wir von der nächs­ten Generation gefragt: "Warum war euch 2019 die Zukunft des Planeten und eurer eigenen Kinder und Enkel so egal?" Veränderung funktioniert aber nicht über schlechtes ­Gewissen, sondern über den Gewinn an Lebensqualität für ­alle als positives Ziel. Wir haben heute das Wissen, die Technik und das Geld, ohne fossile Brennstoffe gut zu ­leben. Es fehlt der politische Wille dazu. Klar kann ich Plastik im Alltag sparen, mehr Rad fahren, weniger Fernflüge machen und weniger Essen wegwerfen. Aber je älter ich werde, ­desto klarer wird mir, wie wichtig Institutionen, Gesetze und internationale Abkommen sind. Ich bin ja jetzt 51 . . .

Kroymann: Och, das ist niedlich!

von Hirschhausen: . . . also mit 51 schätze ich es, Wissen weiterzugeben. Ich halte Vorlesungen darüber, warum die Humanmedizin wieder humaner werden muss. Und ­warum Medizinstudenten und Ärzte sich auch öffentlich und politisch engagieren sollten. Wir gehören zu den ­Privilegiertesten eines jeden Schülerjahrgangs, da können wir doch auch mal Verantwortung wahrnehmen!

Und wie?

von Hirschhausen: Ärzte lernen nach wie vor sehr individualistisch. Was bei allen Fortschritten der personalisierten Medizin aber verloren ging: Gesundheit entsteht maßgeblich im Miteinander. Du kannst dir nicht aussuchen, welche Luft du atmest. Und dreckige Luft tötet! Es macht mich wahnsinnig, dass die Leute diskutieren, ob ihr Diesel ein paar Euro weniger Wiederverkaufswert hat. Anstatt zu überlegen, was wir gewinnen, wenn wir die Mobilität umstellen. Dass jeder individuell für seine Gesundheit verantwortlich ist, ist ein Grundirrtum. Beim Impfen geht es vor allem darum, dass ich nicht andere anstecke, die sich nicht schützen können, wie Säuglinge, Transplantierte, Schwangere. Übergewicht ist auch nicht deshalb auf dem Vormarsch, weil wir willenloser sind als die Generationen vor uns, sondern weil wir uns immer weniger bewegen und es ständig und überall billigen Zuckerschrott gibt. Wenn du umkippst mit Herzstillstand, ist Schluss mit eigenverantwortlich. Dann bist du davon abhängig, dass andere da sind, die 100 Mal pro Minute dein Herz drücken.

Jeder kann alles alleine schaffen, das sagen die Jungen übrigens auch, wenn man sie nach der Kirche fragt.

von Hirschhausen: Ein großer Irrtum!

Die verstehen dann nicht mehr, wenn in Frau Kroymanns Göttin-Sketch der maulige Jesus fragt: "Reichen die ­Croissants, oder soll ich sie schnell vermehren?"

Kroymann: Das Wissen über Religionen sollte man schon weiter verbreiten, auch an die, die nichts glauben. Das sind die Grundlagen unserer Kultur, dazu gehört für mich auch die jüdische und mittlerweile auch die muslimische. Deshalb muss man ja nicht an die unbefleckte Empfängnis glauben. Ich finde auch nicht, dass sich immer weniger Menschen als spirituell bezeichnen. Wenn ich Silvester an meine engsten Menschen denke, ist das ein bisschen wie das Beten als Kind. Während die anderen ballern, gehe ich um Mitternacht in Gedanken einen nach dem anderen durch – und wünsche denen was Liebes.

von Hirschhausen: Loving Kindness . . .

Kroymann: Ja, Loving Kindness. Ich schreibe auch jeden Abend auf, wofür ich dankbar bin. Seither ist meine ­Wutfalte zwischen den Augenbrauen zurückgegangen. Ehrlich!

von Hirschhausen: Ich glaube auch, dass man die Kirchen braucht für ein generationsübergreifendes Denken.

Kroymann: . . . und stadt- und landübergreifend. Und ­statusübergreifend. Eine der wenigen Institutionen, die alle einbinden kann.

von Hirschhausen: Das Leben ist wie eine Wunderkerze: Du kriegst einen Funken, und du hast eine bestimmte ­Menge Pulver. Wenn wir sprühen und unser Licht nicht ­unter den Scheffel stellen, können wir andere inspirieren. Und wenn mein Feuer erlischt, tröstet mich die Hoffnung, dass diese Glut und das Feuer weitergehen. Ich habe die Angst vor dem Älterwerden verloren, als ich verstanden habe, es geht nicht um mich. Es geht um ein unsichtbares Band zu etwas, das über uns hinausweist. Die Kirche kann helfen, diese Kontinuität zu wahren.

Und was ist jetzt Ihr Wort zum Sonntag?

von Hirschhausen: Mich hat der jüdische Psychiater Viktor Frankl beeindruckt, der das KZ überlebt hat. Er betonte: Zentral für den Menschen ist das Gefühl von Sinnhaftigkeit. Es gibt etwas, zu dem du beitragen kannst, das manchmal schwer greifbar, aber vorhanden ist. Und er hat sich mit seinen Mithäftlingen im KZ jeden Abend einen Witz erzählt. Er sagte, die Nazis können uns einsperren und ­foltern. Aber das Letzte, was der Mensch als Freiheit hat, ist, die Haltung gegenüber einer Situation selber zu wählen. Das hat ihn überleben lassen. Ein Vorbild für uns, die wir auf der Bühne stehen: zu lachen, einen Sinn für Gemeinschaft und Hoffnung zu verbreiten, anstatt zu verzweifeln.

Kroymann: Mein Wort zum Sonntag: Es ist nicht wichtig, was andere über einen denken. Man sollte bereits als ­junge Frau hinterfragen, wie man sein Leben definiert. Doch bitte nicht über einen möglichst wichtigen Mann! Ich als Frau, die mit Frauen zusammen ist, habe vorwegge­nommen, was heterosexuelle Frauen oft erst nach den Wechseljahren erleben – die Unabhängigkeit davon, als sexuelles Objekt wahrgenommen zu werden. Und das ist eine totale Befreiung! Für heterosexuelle Frauen und schwule Männer ist das Altern am schwierigsten, weil für ihre potenziellen Partner die körperliche Attraktivität so viel zählt. Frauen, die auf Frauen stehen, haben es leichter im Alter.

Nebenbei gefragt

Frau Kroymann, auch einer Ihrer ­Großväter war ­Theologe . . .

Kroymann: Ja. Interessant, dass diese Nähe zur ­Theo­logie offenbar auch Grundlagen für ­die satirische, ­kabarettistische ­Laufbahn legt.

Sie sind mit vier ­älteren Brüdern ­aufgewachsen. Was lernt man da?

Dass ich sie toll, schlau und witzig fand, lag daran, dass sie älter waren, und nicht daran, dass sie Jungs waren. Es hat gebraucht, bis ich das realisiert habe.

Okay, wenn Ihnen ein Mann in den Mantel hilft?

Klar! Ich helfe auch gern einem Mann in den Mantel.

 

Herr von Hirsch­hausen, woher kommt eigentlich Ihr Name? 

von Hirschhausen: Meine Vorfahren sind nach Estland aus­gewandert, und einer von ihnen hat vor etwa 150 Jahren ein Wörterbuch erstellt. Dafür wurde er vom russischen Zaren in den erblichen ­Adelsstand erhoben.

Ihre Großväter waren Pastoren. Welches Kirchenlied können Sie aus dem Stegreif singen? 

"Geh aus, mein Herz, und suche Freud"! Mein liebstes Taizé-Lied: "Nada te turbe". Hat den Vorteil, dass der Text aus nur einer Zeile besteht.

Was sollte man über 50 nicht mehr tun?

Sich für jugendlicher halten, als man ist. Man kann nicht immer 17 sein. Muss man auch gar nicht!

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Mit dem Alter verbindet man viel Negatives wie z.B. Nachlassen der Kräfte, steife Glieder, Beeinträchtigungen des Äußeren durch Falten, graue Haare, Pigmentflecken… Verzicht auf die Vorteile der beruflichen Tätigkeiten wie z.B. Erfolgserlebnisse, mehr Kontakte, strukturierte Tagesabläufe, Ängste vor Krankheit und Tod.
Es ist daher zu begrüßen, dass Dr. Eckart von Hirschhausen mit seinen Äußerungen sehr dazu beiträgt, eine positive Einstellung zum Alter zu gewinnen und das Älterwerden gelassener zu sehen. Gelingt es, jeden Tag aufs Neue zu schätzen, ihn zu genießen, von den Lebenserfahrungen zu zehren und vor allem sich von so manchen Ängsten zu trennen und mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken, wird man viel mehr von der noch verbleibenden Zeit haben.
Diese Worte Malapartes sind übrigens auch ein gutes Rezept gegen vorzeitiges Altern: „Jedes Mal, wenn ein Mensch lacht, fügt er seinem Leben ein paar Tage hinzu.“
Und erst recht gibt uns Coco Chanel einen besonders hilfreichen Tipp gegen Altersjammern: „Alter schützt vor Liebe nicht. Aber Liebe vor dem Altern.“

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„Älterwerden ist großartig“ Woher wissen das zwei bekannte und publicity-gewohnte Künstlerinnen und Künstler in den sogenannten besten Lebensjahren? Es nervt mich als älterer Mensch, dass immer nur Menschen zu Wort kommen, die das Alter noch nicht kennengelernt haben und Ihre sicher guten Idealvorstellungen preisgeben.

Der griechische Philosoph Sokrates bezeichnete das Alter als „die mühseligste Zeit im Leben“. Und er beklagt den Verlust von Sehkraft und Hörvermögen, Lähmungserscheinungen und äußerliche Entstellung. Mitleid durften die Alten nicht erwarten, allenfalls Spott der Jüngeren hinter dem sie die Angst vor dem Altern verbergen.

Älterwerden kann also nicht großartig sein.

Antwort auf von Beate Dörrfuß (nicht registriert)

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„Älterwerden ist großartig“. Dieser plakative Ausspruch ist ...rogant, er ist überheblich von denen, die die Alters-Mühsal noch nicht "gekostet" haben oder sich vorher schon glücklich schätzen, wenn sie diesen Zustand nicht mehr erreichen dürfen/wollen. Älter zu werden kann nur großartig sein für die Spannen von ca. 5 bis 35/45 Jahren. Danach geht es abwärts. Aber es gibt Personen, die Großartiges leisten, obwohl sie immer älter werden. Wer mit 80 noch fit (z. B. 100 Kniebeugen und 1o Km Wandern ohne große Probleme) ist, wer dann noch Briefe oder Artikel schreibt, oder gar noch seinen alten und neuen Idealen zur Weltverbesserung nachhängt, der dann noch seine Gesundheit begreift und seinen Geist wachhält, der ist nur für sich großartig. Der hat dem biologischen Alter getrotzt. Aber mit dem Älterwerden ist er wahrlich nicht großartiger geworden, denn schon sehr viel früher haben diese von der Natur Begnadeten sehr viel dafür getan. Der Spruch „Älterwerden ist großartig“ impliziert doch. dass GROSSARTIG ein Idealzustand ist, ähnlich dem Nirwana. Davon kann doch nun wahrlich keine Rede sein. Ich muß leider sehr häufig Besuche im Pflegeheim machen. Wenn Sie diesen leichtsinnigen Spruch dort äußern, riskieren sie Hausverbote.

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