Missbrauch
Missbrauch
Patricia Morosan
Es waren viele Männer – und die Mütter
Zwei Frauen berichten von sadistischer Gewalt, die sie als Kinder ­erlitten. Über Jahre. Sie sagen: Hätten Menschen genauer hingesehen, hätten sie etwas bemerken können.
Tim Wegner
William Minke
25.02.2019

Gespannt haben die beiden Frauen den Prozess verfolgt, vergangenes Jahr in Freiburg: Eine Mutter hatte ihren Sohn missbraucht, das Kind ihrem Partner ausgeliefert sowie gegen Geld weiteren Männern, jahrelang. Das Landeskriminalamt sagte: Noch nie habe man einen so schlimmen Missbrauchsfall . . . "Das war unser Alltag", sagen die beiden Frauen.

Es kostet sie viel Überwindung, aber sie wollen berichten, was ihnen angetan wurde. Damit Kinder gerettet werden. Weil Menschen genauer hinsehen. Denn man hätte etwas be­merken können.

Es sind nachdenkliche Frauen, klug und mit Humor begabt. Pia und Anne* wollen sie in diesem Text heißen. Kennengelernt haben sie sich vor Jahren über ein Forum. Was sie erlebten, trug sich in Berlin und im Osten Deutschlands zu, vor und nach der Wende.

Pia, heute 34, wuchs bei ihrer dauer­studierenden Mutter auf; der Missbrauch begann mit vier und endete mit 13. Anne, heute 44, kommt aus einem bildungsbürgerlichen Elternhaus, sie wurde ab dem sechsten Lebensmonat missbraucht.

Weil sie ahnen, dass das Erzählen zu Schmerzen und Flashbacks ­führen wird, haben sie sich Unterstützung organisiert für das Gespräch in Pias Wohnung. Stefan, Pias bester Freund, stellt sich vor: "Ich mach das Cate­ring." Er soll Coolpacks reichen, Wärmflaschen, Kaffee, Tabletten. Im Hintergrund an seinem Schreibtisch immer Pias Mann.

Tim Wegner

Christine Holch

Pia und Anne ­hatten sich direkt an chrismon-­Redakteurin ­Christine Holch gewandt. Sie vertrauten ihr wegen eines früheren Textes über ein Missbrauchsopfer ("Zieh dich aus, du Schlampe!", April 2017). ­Christine Holch sprach mit den Frauen über drei Tage, sie sah die Fotos, las die Jugend­amtsakte und den Brief der Tante.
William Minke

Patricia Morosan

Die ­Fotografin ­Patricia Morosan stand vor der schwierigen ­Aufgabe, die ­beiden Frauen unerkennbar zu ­fotografieren. Die Ideen dazu ­entwickelte sie zusammen mit Pia und Anne.

Aber zunächst muss das Aufnahmegerät aus dem Blick. Weil die Täter Verhöre inszeniert haben, mit Drohungen und Strafen. Damit die Kinder niemals jemandem etwas erzählen. Das Mikro wird hinter eine Saft­flasche gestellt. Also: Was ist passiert?

Pia will es als Erste hinter sich ­bringen. Sie ringt nach Luft, sagt nichts, sagt endlich: "Wenn wir den Teil fertig ­haben, brauch ich ganz ­dringend eine große Kopfschmerztablette." Dann beginnt sie.

Mit drei bekam Pia Diabetes. Bald darauf trennten sich die Eltern. Weil der Vater kein behindertes Kind ­haben wollte, so stellte es die Mutter gegenüber Pia dar; die Tochter sei schuld, dass der Verdiener weg ist, also müsse sie das Geld verdienen. Dann saßen drei Männer bei ihnen zu Hause auf der Couch. Sie müsse etwa vier gewesen sein, kurz vor der Wende, "denn wir hatten noch diese hässliche dunkelbraune Couch". ­Anne ruft dazwischen: "Schlafsofa Dagmar! Hatten in der DDR alle."

"Als ob der Bauch bis zum Hals aufgerissen wird"

Die Mutter habe das Kind angepflaumt: Zieh dich aus. Sie musste sich vor den Fremden drehen, ­einer tatschte sie ab, dann gingen die ­Männer. Irgendwann kam einer ­wieder und nahm sie mit. Eine Kellertreppe hinunter, sie schlang ihre ­dünnen Ärmchen um das metallene Geländer, wurde weggerissen, fiel mit dem Kopf auf eine Stufe, lag auf einem Tisch, strampelte, wurde gefesselt. "Es fühlte sich an, als ob der Bauch bis zum Hals aufgerissen wird."

Wusste die Mutter, was da genau passiert? "Sie wusste das, sie hat Geld dafür bekommen!" Pia schreit es fast. Rund um die Einschulung, als sie mal wieder besonders oft zu Männern musste, behauptete die Mutter: Die Feier sei so teuer. "Außerdem, so ein Kind, das einem wieder nach Hause gebracht wird und das aus mindestens einer Körperöffnung blutet, Würgespuren am Hals hat, Hängespuren an den Handgelenken, rote Handflächen und Fußsohlen von den Verbrennungen – dass das nicht die Schaukel ausprobiert hat, das ist eindeutig. Sie wusste das ganz genau."

Wieso Hängespuren an den Hand­gelenken?

Pia: Die haben einen aufgehängt, an Hand- oder Fußgelenken. Bei einem kleinen Kind kann man das auch über der Tür machen.

Verbrennungen durch was?

Pia: Bügeleisen.

Anne: Bei mir auch Toaster mit ­Klappen.

Wieso ausgerechnet Ver­brennungen?

Anne: Weil das narbenlos verheilt.

Warum macht das jemand?

Anne: Man sieht das Kind leiden.

Pia: Man hat Macht. Und Spaß ­daran.

Anne: Man kriegt das Kind dazu, alles "freiwillig" zu machen.

Pia: Nach dem Füßeverbrennen muss einer nur sagen: "Möchtest du dem Onkel einen blasen, oder wollen wir spazierengehen?"

Das Foto - kein Beweis, aber ein Hinweis

Sie bringt ein Foto, von der Einschulung: vorn die kleine Pia in schwarzen Lackschühchen und kurzärmeligem Kleid, dahinter die flippige Mutter in bunter Batikhose, die Schultüte im Arm. Das Kind lässt die Arme hängen. An den Handgelenken eine deutliche Einschnürung, oberhalb ist der Arm wulstig verdickt. Anne fällt auch auf, dass Pia auf den Außen­kanten der Füße steht. Alles kein Beweis, sagt Pia nüchtern. Höchstens ein Hinweis.

Ein Hinweis – so wie die fast handtellergroße Brandnarbe auf Pias Rücken. Sie hat den Pulli hochge­schoben. "Die sagten: ‚Damit du nie vergisst, dass du eine Sklavin bist.‘"

Wer macht so was? Anne und Pia hatten die Täter schon als Kinder ­kategorisiert. Es gab die "Harmlosen", die "Netten". Das seien die "wirklich Fehlgeleiteten", die in dem Kind ein Gegenüber suchten, das es nicht gibt. Die kauften den Kindern was zu ­essen und steckten ihnen Geld zu. Und hinter­her sagten sie, wenn sie gefragt wurden, ob sie zufrieden waren: "Ja! Ein ganz liebes Mädchen, macht ­alles." Damit das Kind nicht bestraft wurde.

Viel schlimmer dagegen die Sadistischen. Leider seien das die meisten gewesen.

"Pause!", sagt Stefan. Er stellt eine Dose Kekse auf den Tisch. Anne hat die gebacken. Ingwerkekse mit der vierfachen Menge an Ingwer. Anne und Pia fühlen sich durch die Schärfe ins Jetzt zurückgeholt.

Solchen Sadismus, kennt den Staatsanwalt Benjamin Krause? Er arbeitet in der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität in Gießen. Dort sichtet man Fotos und Videos von Kindesmissbrauch. Ja, sagt er, gefesselte Kinder zum Beispiel sehe man häufig. Auch Verbrennungen habe er schon gesehen, aber die Aufnahmen, die heutzutage kursieren, seien in Osteuropa oder in Asien hergestellt.

Pia war auch mit Strom gequält worden. Das Surren eines Netzteils erträgt sie nicht. Ihr Mann rasiert sich nass. Er legt beim Kochen das Messer aus der Hand, bevor er sie anspricht. Nur er geht in den Keller. Und wenn sie vor Ostern oder ihrem Geburtstag "sofort ganz weit weg" muss, organisiert er seine Termine um und reist mit.

"So eine Kreuzigung kann man schön nachinszenieren"

Besonders schlimm war es immer Ostern. "So eine Kreuzigung kann man schön nachinszenieren", sagt Pia, "und Geburtstagskinder sind heiß begehrt bei Spinnern, das gibt denen einen Extrakick. ‚Du wolltest doch ­eine Feier, jetzt machen wir eine ganz besondere.‘ Dafür zahlen die einen hohen Preis."

Gibt es tatsächlich solche Netzwerke von Missbrauchern? "Wissen wir nicht", sagen ­Polizei und Staatsanwaltschaften. Es liegen ihnen keine Anzeigen von ­Opfern vor. Dass es organisierte sexualisierte Gewalt gibt, davon berichten Betroffene ganz anderen Stellen: ­Therapeutinnen oder der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.

Dunkelfeld: Organisierter Missbrauch

Organisierter Missbrauch ist ein Dunkelfeld. Susanne Nick vom Hamburger Institut für Sexualforschung hat es gerade ein wenig erhellt. 165 Betroffene gaben ihr Auskunft. Sie berichteten von extremer, von sadistischer Gewalt, über Jahre, oft schon innerhalb der Familie, dann durch fremde Täter, häufig floss Geld.

Pia möchte das Organigramm eines Netzwerks aufzeichnen. Sie beugt sich über den Couchtisch – aber der Stift fällt ihr immer wieder aus der Hand. Was ist los? Stumm zeigt sie ihre Hände vor: Die Finger sind einwärts gekrümmt, im Krampf. Stefan erklärt, während er in die ­Küche geht: "Das sind Schmerzen wie damals, Pia durchlebt die gerade wieder." Er bringt ihr ein Coolpack. Die Kälte ist ein Gegenreiz, so dass sie merkt: Es ist nicht damals.

Derweil hat Anne das Netzwerk gezeichnet: Pias Mutter am Rand, sie kannte die Täter am Ende nicht direkt. Aus Sicherheitsgründen. Sie gab das Kind einem Zulieferer, der fuhr das Kind auf irgendeinen Parkplatz, wo es in ein anderes Auto wechselte. Anne dagegen war Kind der Organisatoren selbst.

Können sich die beiden an Orte erinnern? Pia kennt keine Adressen, würde aber zu einigen hinfinden. Anne, die länger missbraucht wurde, kennt auch Adressen. Was sind das für Orte?

Schallisolierte Partykeller, einsame Jagdhütten

Es waren einsame Seminarhäuser. Schallisolierte Partykeller in Plattenbauten. Wohnungen mit edlem Fischgrätparkett. Schmuddelhaushalte mit angerostetem Wäscheständer auf der Badewanne. Eigenheime, in deren Flur die Schuhe der dort wohnenden Kinder ordentlich weggeräumt waren. Jagdhütten, in denen es einen ausgefliesten Raum mit Schlauch gab, mit dem die Mischung aus Blut, Urin, Erbrochenem, Fäkalien und Sperma weggespült wurde.

Wie hast du das gemacht, Christine Holch? Die Autorin im Interview zu den Hintergründen der Geschichte

Anne war auch bei einem Apo­theker mit Antikmöbeln. "Ich glaub, der hat jedes Staubkrümelchen persönlich geohrfeigt, er war komplett clean." Sie wurde schon im Flur ausgezogen und desinfiziert. War das einer der "Netten"? Nein, sagt Anne, "der war – schwierig."

Was war das Schlimmste? Vieles. Besonders schlimm: wertlos zu sein, ungeliebt. Pia versuchte mit sieben Jahren, sich mit Insulin das Leben zu nehmen – sie dachte, die Mama freue sich wenigstens dann mal über das Kind.

Pia: Ich war nie genug. Ich wurde auch bei einer Eins minus bestraft.

Anne: Und ich, wenn ich die Gabel falsch einsortiert hatte im Besteck­kas­ten. Schlaf­entzug war eine Strafe, ich schrieb die ganze Nacht Schulhefte ab.

Pia: Der Durst, wenn man endlos lang im Keller eingesperrt ist.

Anne: Ich musste verdorbenes Essen essen. Leberwurst, die schon grün und schleimig ist. Fisch, wenn er schlecht wird. Gibt eine ordentliche Lebensmittelvergiftung. "Wenn du das nicht isst, hast du keinen Hunger."

Anne wurde zur Strafe oft in die Regentonne gesteckt, musste dann nass und mit nackten Füßen auf dem ­kalten Stein stehen, auch winters. Sie habe bestimmt zwei-, dreimal im Jahr eine Lungenentzündung gehabt. Trotzdem musste sie in die Schule.

Zur Erinnerung: Pias Mutter studierte und galt als weltoffen. Annes Eltern waren Akademiker, hatten als Chemiker gute Positionen, ein Haus, machten zweimal im Jahr Urlaub, und das waren keine Zelturlaube.

Die Eltern waren Akademiker - und brutal

Haben die beiden je versucht, sich die Brutalität ihrer Eltern zu erklären? "Wir haben nur überlebt", sagt Pia, "weil wir dauernd versucht haben zu verstehen, wie die ticken!" Um es ihnen doch irgendwie recht zu machen. Sie mögen diese Frage nicht. Erklären und Verstehen sei so nah am Verständnis-Haben. Und von da sei es nur noch ein Schritt, die Eltern zu entschuldigen. Und sich selbst zu fragen, was man falsch gemacht hat, dass man nicht geliebt wurde.

Pia weiß, dass ihre Mutter ihrer ­eigenen depressiven Mutter engste Vertraute hatte sein müssen. ­Anne weiß, dass ihr Vater als Baby bei ­seinen Eltern fast verhungert wäre, er kam zu Adoptiveltern. Ihre Mutter sei selbst missbraucht worden, habe das aber nie bearbeitet. Das erfuhr sie von der Schwester der Mutter.

Aber das rechtfertige doch nichts, sagt Pia. Die meisten Menschen, die als Kind Schlimmes erlebt haben, würden nicht selbst gewalttätig. "Mal alle Psychologie beiseite: Meine ­Mutter hat sich immer wieder ­dafür entschieden, böse zu sein. Sie hat sich immer wieder gegen die ­Liebe entschieden und gegen die Nachsicht."

Wurden sie auch von ihren Müttern missbraucht?

Wurden sie auch von ihren Müttern missbraucht?

Anne: Von meinem Vater und von ­meiner Mutter. Aber nie zusammen. Mit 13 war ich schwanger, ich weiß nicht von wem, ich verlor das Kind. Zu der Zeit hörte meine Mutter auf, sie fand mich nicht mehr attraktiv.

Pia: Bei uns lief es unter "Kuscheln". Ich musste um sechs Uhr morgens ­antreten. Sie schlief nackt. Manchmal hat sie mich gewürgt dabei.

Pia flüstert: "Ich kann das nicht gut erzählen, ich schäme mich so doll."

"Pause!", rufen Stefan und Anne. ­Stefan bringt Pia eine Flausch­decke.

Warum werden manche Opfer ­später selbst zu Tätern und Täterinnen? Man kann das die Sozial­wissenschaftlerin Barbara Kavemann fragen. Sie ist Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Manche Menschen, sagt Kave­mann, kompensieren erlebte Ohnmacht durch eigene Gewalt­tätigkeit. "Denn sich selbst zu beweisen, dass man kein Opfer mehr ist, erreicht man am leichtesten dadurch, dass man selbst gewalttätig wird." Andere dagegen setzen sich mit ihrer Ohnmachts­erfahrung auseinander. Was hart ist.

Manche Frauen sind nicht nur Opfer, sondern auch Täterinnen

Barbara Kavemann erkannte schon Anfang der 90er Jahre, dass manche Frauen nicht nur Opfer, sondern auch Täterinnen sind. Und manche sind ausschließlich Täterinnen. "Bei Menschenhandel und bei organisiertem Missbrauch sind viele Frauen in den Strukturen. Nicht alle missbrauchen selbst sexuell, aber sie profitieren davon und organisieren das Ganze. Denn es ist schwierig, an Kinder heranzukommen ohne Frauen, ohne Mütter."

Ab wann Anne von ihrer Mutter missbraucht wurde, weiß sie nicht. Aber sie weiß, wann der Vater begann: als das Kind sechs Monate alt war. Das Baby erlitt durch die massive Gewalt einen Dammriss, einen tiefen Riss zwischen Scheide und Po. Man brachte es nicht ins Krankenhaus, sondern zur Krankenpflege zu den Großeltern. Anne erfuhr davon erst 2004, aus dem Brief einer Tante.

Der Vater vergewaltigte das Baby

Die Tante stand vor einer Operation mit ungewisser Überlebenschance und wollte sich "entlasten", so schreibt sie an Anne, damals 30. Alle in der ­Familie hätten es gewusst. Und der Vater sei "vorher schon so komisch beim Wickeln" gewesen. Es habe halt jeder seine Gründe gehabt – so wie sie: Ihr Mann habe viel schwarzgearbeitet. Am Ende sei ja alles gutgegangen und Anne wieder gesund gewesen. Die Tante schließt ihren Brief hiermit: "Weißt du, man muss Vergebung lernen, sonst wird man nie glücklich."

Zwei Jahre später verlangte die Tante den Brief zurück. Man müsse das Gewesene auch mal hinter sich lassen. Anne behielt den Brief.

Sexuelle Gewalt an Säuglingen, gibt es das wirklich? "Ja", sagt Staatsanwalt Benjamin Krause von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, "auch Analverkehr bei Säuglingen."

Mit zwei hat bei Anne auch das "Verkaufen" angefangen. Woher sie das weiß? "Ich musste später einen Teil der Buchführung machen. Mein Vater war einer der drei Organisatoren und ein Pedant." Da standen jahrgangs­weise Mappen, darin aufgelistet die Namen der Mädchen und was man mit ihnen verdient hat, wie viel Geld für Zwischenhändler, Essen und Schäden bezahlt wurde. Sie blätterte zurück, 1976 fand sie erstmals ihren Namen.

Eigene Erinnerungen hat sie ab etwa vier. Dass ihr die Eltern sagten: "Man muss sich sein Bett und sein Essen verdienen. Wir gehen arbeiten, und das ist deine Arbeit."

Trotzdem war Anne gut in der Schule. Zur Klassenbesten reichte es nur deswegen nicht, weil die Kopf­noten nicht stimmten. Sie war ständig übermüdet, schlief oft ein, rutschte auch mal vom Stuhl, schlief auf dem Klassenboden weiter.

In Sport waren sie beide nicht gut. Sie schleppten sich mit verbrannten Fußsohlen durch die Zielläufe. Und hatten auch bei größter Hitze lange Sporthosen an – angeblich, so die Mütter, weil sie hässliche Beine hätten.

Pia: Klar, an den Beinen sind die ­Spuren. Von den Schnüren, von den Schlägen.

Anne: Vom Genitalmissbrauch.

Pia: Wenn sich drei Typen Spaß mit einem kleinen Mädchen gönnen, dann wird das ab den Knien sichtbar: blaue Flecke, Kratzspuren, Biss­spuren, Knutschflecke.

Fielen die Verletzungen denn nie jemandem auf?

Fielen diese Verletzungen denn nie jemandem auf? Den Schulärzten zum Beispiel? Ach, sagt Anne, die schleusten 20 Kinder in einer Schulstunde durch. Außerdem wurden die Untersuchungen angekündigt. Entweder achteten die Eltern darauf, dass die Wunden bis dahin ausgeheilt waren, oder sie nahmen Anne an dem Tag aus der Schule.

Kam sie zum Ersatztermin auch nicht, wurden die Eltern vorgeladen. "Zu dem Termin erschienen dann meine Akademikereltern mit einem äußerst gnatzigen Gesicht – dass sie maximal beschäftigt sind und warum man sie mit so was behelligt, wo es dem Kind doch gut geht, das sieht man doch."

Das Kind hatte zwar ständig Blessuren, aber die konnten die Eltern immer erklären: "Sie wissen doch, das Kind findet das einzige Loch auf der Straße." Stimmte ja auch, sagt Anne heute, "ich stolperte dauernd. Natürlich. Ich war maximal unaufmerksam als Kind. Ich galt als der klassische Unglücksrabe, da guckt man dann gar nicht mehr hin. Und dass ich mit ­meinen Beinen nicht klarkam, konnte man als Wachstumsschub ausgeben."

Bei Pia, der Tochter der alleiner­ziehenden Studentin, war sogar das Jugend­amt mit im Spiel – aber alle Verhaltensauffälligkeiten führte man darauf zurück, dass das Kind seine Diabeteserkrankung nicht akzeptieren konnte.

Wie sehr hätte sich Pia gewünscht, dass die Leute vom Jugendamt mal nur mit ihr, dem Kind, gesprochen hätten! Mit der Zusicherung: Das bleibt alles unter uns, und es kann ­keine Strafe für dieses Gespräch ­geben. Statt­dessen habe man sich von ihrer so sympathisch und fürsorglich wirkenden Mutter täuschen lassen.

Der blinde Fleck: Mütter als Täterinnen

Das ist der blinde Fleck: Mütter als Täterinnen. Die Freiburger Staatsanwältin Nikola Novak hat die Ermittlungen im Missbrauchsfall Staufen geleitet, sie klagte die Mutter an. Auch wenn sie damit oft auf Unverständnis stößt, Novak richtet ihren Blick schon lang auch auf Mütter – als Täterinnen oder, häufiger, als Mitwisserinnen, die nicht eingreifen – denn auch die Verletzung der Fürsorgepflicht wird bestraft, mit bis zu drei Jahren Haft.

Haben Pia und Anne denn nie jemandem was gesagt? Doch, Pia hat es mehrmals versucht. Aber wegen des Schweigegebots durch Täter und Mutter musste sie es so verklausulieren, dass sie nichts verriet und trotzdem verstanden wurde. Also sagte sie so was wie: Böse Monster haben mich entführt und meinem Bauch wehgetan. Dann fragten Kindergärtnerinnen und Grundschullehrer die Mutter: "Die Pia erzählte so komische Sachen – stimmt das denn?"

Warum sind sie nicht weggelaufen? "Wir SIND weggelaufen!" Beide mit neun. "Aber das macht man nur ein oder zwei Mal. Zurückkommen ist die Hölle." Überhaupt: Wohin?

Einmal rannte Anne vor den Tätern weg

Anne: "Ich stand an dem See bei uns in der Nähe. Ich wusste, Reinspringen bringt nichts, ich kann schwimmen. Und ich bin ja weggelaufen, weil ich NICHT sterben wollte. Wo sollte ich hin? Es gab nichts. Wenn man mit dem Satz ‚Dich will keiner haben’ aufwächst, dann spricht man auch keinen an. Die bringen einen eh zurück. Da hat man sich so ultimativ verloren gefühlt." Tränen rinnen über ihre Wangen.

Mit elf rannte Anne sogar mal vor Tätern weg. Einer der Haupttäter fuhr mit ihr in die "Ferien" auf Rügen, seinen Trafo mit im Auto. Er folterte das Mädchen mit Strom. An einem Abend fragte Anne, ob sie noch mal zur Toilette dürfe, bevor es losging. Erstaunlicherweise durfte sie. Sie rannte los. Sofort waren zwei der Mittäter hinter ihr her, schneller als sie, es gab keinen Ausweg, nur nach vorn – sie stürzte die Kreidefelsen hinunter, landete mit der Hüfte auf einem Felsbrocken. Mehrfacher Beckenbruch. Der Bruch wurde in einem Schlafzimmer auskuriert, einer in der Leitung des Netzwerks war Orthopäde. Die Hüfte wuchs schlecht zusammen. Seitdem hat sie Schmerzen.

Anne sagt plötzlich nichts mehr. Pia beugt sich zu ihr, sagt eindringlich: "Rosa Elefant! Grüne Sternchen! ­Türkise Punkte!" Anne hat einen Flashback, wird überflutet von der Rück­erinnerung. Manchmal hilft es, an rosa Elefanten zu denken. Endlich blinzelt Anne: "Okay." Sie ist wieder da. In Pias Wohnzimmer, in Sicherheit.

Was hielt die beiden Mädchen am Leben? Es war das Versprechen, das jede sich gegeben hatte.

Das Versprechen: Ich überlebe das hier!

Anne: Ich hatte "dort" eine Freundin kennengelernt, Stefanie. Unser ­Mantra war: Mit 18 ziehen wir aus, und dann ist es vorbei, dann leben wir. Ich überlebe das hier! Ich krieg das hin!

Pia: Ich wollte dort nicht sterben, es sollte nicht das Letzte sein, was ich sehe. Meine Mutter hat immer gesagt: "Einmal Hure, immer Hure." Aber ich habe mir versprochen: Es kommt noch was anderes. Ich werde auch mal so sauber sein wie die anderen Kinder in der Schule.

Aber erst einmal kam 1989 die Wende. Für die fünfjährige Pia in Ostberlin bedeutet die Wende nur Pech. Ost­berlin sei sofort von einer massiven Nachfrage aus Westberlin überschwemmt worden, man habe also viel Geld verdienen können mit einem Kind, das bereits "eingeritten" war.

Bei Anne im Inneren der DDR war die Tätergruppe kurz verunsichert, dann formierte sie sich neu. Sie war mittlerweile 16, jetzt ging man noch brutaler mit ihr um. Anne und Pia erklären das so: Sex mit einer sehr jungen Frau könne man überall kaufen, "aber wenn man jemanden an die Grenze der Lebensfähigkeit bringen will..."

Stefanie, die Freundin, mit der Anne den Ausstieg erträumt hatte, hielt es nicht mehr aus, sie sprang vom Hochhaus, kurz vor den Sommerferien. Anne wusste: "Wenn ich hierbleibe, springe ich auch." Kurz entschlossen verließ sie das Gymnasium und begann eine Ausbildung als Sozialversicherungsfachangestellte.

Endlich: ein rettender Mensch!

Und endlich trat ein rettender Mensch in ihr Leben. Denn die Prak­tika verbrachte Anne bei der Landesversicherungsanstalt in einer westdeutschen Großstadt, untergebracht war sie bei einer städtischen Finanzprüferin: Gisela. Die erfasste sofort, dass sie hier ein großes, verlorenes Kind vor sich hatte. Sie dachte anfangs, der Vater schlage Anne. Empörend!

Hat Anne ihr denn nicht gleich ­alles erzählt? Anne schüttelt den Kopf. "Das ist ja nicht etwas, was man einfach so erzählt", sagt Pia, "das sind Dinge, die man nach und nach durchtropfen lässt in einer dieser durch­zitterten, durchfürchteten Nächte, die jemand mit einem aushält."

Jede Nacht kochte Gisela nun Kakao und saß an Annes Bett, wenn das Mädchen wieder schreiend aufgewacht war. "Plötzlich in Ruhe schlafen zu können, da hab ich totale Alp­träume gekriegt", sagt Anne. Ganz selbstverständlich gab Gisela ihre vielen Fernreisen und Freundestreffen auf. Als Anne mal vergaß, ein Brot fürs Abendessen einzukaufen, zitterte sie vor Angst. Gisela sagte nur: "Ach, dann machen wir Nudeln zum Salat." Keine Bestrafung, kein Weltuntergang. "Und egal was für eine Zumutung ich war, Gisela gab mir immer das Gefühl, dass es schön ist, dass ich da bin."

Die ersten vier Praktikumswochen waren um, Anne wollte den Schlüssel zurückgeben, aber Gisela drückte ihn ihr wieder in die Hand: "Das ist ­deiner, hier ist jetzt dein Zuhause." Anne schluchzt, als sie das erzählt.

Alsbald fuhr das junge Mädchen jeden Freitag direkt von der Arbeit mit dem Zug zu Gisela und montags im Morgengrauen zurück ins Büro. Nur unter der Woche war sie noch bei den Eltern, aber für das Netzwerk nicht mehr verfügbar, auch weil man Gisela nicht einschätzen konnte – die kannte viele Leute, vielleicht auch den ­Polizeipräsidenten? Nur dem Vater war Anne immer noch ausgeliefert. "Es war ein Kampf."

Für Pia in Ostberlin war ein Ende der Qualen nicht absehbar, damals, Mitte/Ende der 90er Jahre. Es gibt ein Foto aus der Zeit: Man sieht eine beschwipste ­Silvesterrunde, die Mutter liegt auf der Couch, vor ihr sitzt Pia, die Mutter hat ihr den Arm über die Schulter gehängt und die Hand auf ihre Brust gelegt. Sie hat die Brustwarze zwischen ­ihren Fingerspitzen. Pia versucht, mit der freien Hand den Arm der Mutter wegzuschieben. Auch das sieht man.

"So makaber das klingt: Diese Vergewaltigung war mein Glück."

Doch dann passierte etwas. Es war abends, die Mutter war nicht da, die nicht ganz 13-jährige Pia spazierte noch mal um den Block. In einem Dönerladen plauderte sie mit dem Verkäufer, der zog sie nach hinten und vergewaltigte sie. "So makaber das klingt: Diese Vergewaltigung war mein Glück." Denn endlich hatte sie etwas, über das sie sprechen durfte. Und das ihr jeder glaubte. "Denn dass ein Dönerverkäufer ein Mädchen vergewaltigt, das passte genau ins Bild der Leute."

So landete sie bei der Beratungsstelle "Wildwasser" und – weil Pia sich derart vehement weigerte, weiter bei ihrer Mutter zu wohnen – in einer geheimen Mädchen-Notunterkunft. Die Mutter drohte Wildwasser mit Anwalt und Zeitung und ließ die Tochter in eine psychosomatische Klinik verbringen. Dort diagnostizierte man bei Pia Depressionen, Suizidgefährdung und eine schwere posttraumatische Belastungsstörung – wegen der ­Vergewaltigung durch den Döner­ver­käufer, dachten die Ärzte.

Niemand hatte die Mutter in Verdacht. Die wollte, dass die Tochter nach Hause kam. Pia aber kämpfte mit aller Kraft dagegen an. Spät, aber dann doch, nahm die Klinikärztin die Mutter zumindest als "destruktiv" wahr, so schrieb sie es in einem Brief ans Jugendamt.

Die Heimleiterin hatte schon viel gesehen

Und endlich, endlich traf Pia auf ­eine Frau, die sofort erkannte, in ­welcher Not das Mädchen war: ­Alexandra, die taffe Leiterin eines Kinderheims. Die hatte schon viel gesehen. Sie merkte als Erste, an welcher Stelle Pia ihr Er­zählen immer abbrach. ­Alexandra sagte ganz direkt: "Weißt du, so was machen nicht nur Männer." Pia wurde wütend. Aber Alexandra redete einfach weiter: "Weißt du, wenn das Frauen machen, kann man sich das genauso wenig aussuchen, wie wenn das Männer machen." Pia schämte sich entsetzlich, dachte, die Heimleiterin ekele sich vor ihr. Die aber nahm das große Kind einfach in den Arm.

Es war auch die Heimleiterin, die das Foto außen an der Wohnungstür der Mutter bemerkte. Sie hatte Pia zu einem Besuch begleitet – denn wie sehr wünschte sich Pia noch immer, dass ihre Mama sie liebhatte. Als sie gingen, löste Alexandra das Foto von der Tür und gab es Pia.

Das Foto: Das vielleicht achtjährige Mädchen sitzt auf einer Fensterbank, es hat einen kurzen Rock an, ein Bein hängt herunter, das andere hat das Kind aufgestellt, man sieht die Unter­hose. Das Kind macht einen Kussmund. Der Fokus der Kamera liegt aber nicht auf dem Gesicht, sondern auf der weißen Unterhose.

Pia murmelt noch ein "Ich muss mich mal eben zusammenrollen, weil . . . das ist jetzt echt . . ." Stefan begleitet sie in ihr Zimmer. Anne übernimmt: Das Foto sei ein "klassisches Anwerberfoto". Um neue Kunden zu animieren. Dafür nehme man absichtlich nicht normale bunte Kinder­unterwäsche, sondern "unschuldig" weiße Wäsche. "Das soll sagen: Du bist der Erste, der da randarf."

Pia und Anne haben als junge Frauen den Kontakt zu ihren Eltern komplett abgebrochen. Alles gut also?

Anne: Ich fühle mich wie 96. Es tut ­alles ständig weh.

Pia: Die Panikattacken, die sind so heftig, dass Suzid der einzige Ausweg zu sein scheint.

Am schlimmsten sind die Nächte. Wenn sie aus dem Schlaf hochschrecken und "dort" sind. Meist schlafen sie höchstens vier Stunden, seit Jahrzehnten.

Pia führt ein eng durchgetaktetes Leben, niemals dürfe Ruhe einkehren. Sie arbeitet vollzeit als Pharmazeutin im Krankenhaus und macht nebenher ein Aufbaustudium. Sie funktioniere nach außen, sagt sie, doch der innere Leidensdruck sei groß. Sprechtherapien hätten ihr nicht geholfen. Und gute Trauma-Körpertherapeutinnen sind rar, sie findet keine.

Anne kann keine Kinder be­kommen, zu schwer sind die Ver­letzungen. Und sie ist erwerbsun­fähig, seit sie 20 ist.

Anne: Mein Lungenrestvolumen ist sehr begrenzt, deshalb habe ich ein krankes Herz.

Pia: Ein schwerkrankes Herz, wenn ich das mal korrigieren darf. So dass sie die Handynummer ihres Kardiologen bekommen hat. Deine Lunge ist eher Narbe als Lunge.

Anne: Ja. Das kommt von den vielen verschleppten Lungenentzündungen. Wenn man ein Kind in ein Regenfass stopft . . .

Warum zeigen sie die Tätern nicht an?

Warum zeigen sie die Täter nicht an? Jetzt, wo sie einigermaßen stabil sind. Die Taten sind doch noch nicht verjährt.

Pia: Da lagen keine Teilnehmerlisten aus, da hat sich niemand mit Namen und Adresse eingetragen! Ich kann mich deutlich mehr an Hände und ­Penisse erinnern als an Gesichter. Ich habe keine Beweise. Wenn Sie wirklich sicher sein wollen, dass Ihnen als ­Täter nichts passiert, foltern Sie ­Ihre Opfer so stark, dass es ihr Erinnerungs­vermögen zerrreißt.

Anne: Ich war bei spezialisierten Strafrechtsanwälten, bei mehreren. Die ­Anwälte haben alle auf ihr Honorar verzichtet und waren sehr bemüht. Aber sie haben mir alle drei abgeraten. Bei dem Umfang, was mir passiert ist, würden die Glaubhaftigkeitsgutachten sehr schlecht für mich ausfallen. Es war so viel bei mir, dass ich manchmal nicht weiß, war das jetzt mit sechs oder erst mit acht? Und wenn die ­einzigen Anhaltspunkte die Schuhe sind, die man damals hatte, oder die Jahreszeiten, ist man durch Fragen leicht zu verwirren.

Pia: Zu mir sagte eine Anwältin: Bei organisierten Täter­kreisen kann sie nur abraten. Wenn es nur ein Täter gewesen wäre und nur über ein, zwei Jahre...

Anne: Die Täter verwirren das Kind ja auch absichtlich. Einmal hatte ein Täter ein Herz in der Hand, er hat mir weisgemacht, es sei meins. Ich dachte wirklich, das ist meins. Ich war halt noch recht klein. Mit solchen ­Geschichten ist man vor Gericht sofort unglaubwürdig. Heute denke ich, es war ein Schweineherz.

Opferanwältin Claudia Willger in Saarbrücken hat das oft erlebt: "Die Betroffenen sind so schwer geschädigt, dass sie durch jedes Glaubhaftigkeitsgutachten rasseln." Eigentlich sollen Gutachter das Gericht nur beraten, am Ende müssen die Richter selbst prüfen und entscheiden. Tun sie aber oft nicht, so die Erfahrung der Rechtsanwältin. "Ein Unding! Gutachter dürfen nicht die ‚heimlichen Richter’ sein."

Sie könnten doch wenigstens die Mutter, die Eltern anzeigen! Sollten Pia und Anne es nicht wenigstens versuchen? Nein, sagen sie, am Ende stünde Aussage gegen Aussage. Und Pias Mutter kannte die Täter gar nicht.

Stefan mischt sich ein: "Ich bin ja auch ein Außenstehender, der sagt: Da muss man doch mal mit einer großen Axt dazwischenfahren! Aber so was zu fordern, ist leicht. Wir sind nämlich nicht diejenigen, die dann im Rampenlicht stehen, die vor Gericht von den Gegenanwälten auseinandergenommen werden, die danach noch mehr traumatisiert sind. Wir gehen nach Hause und sagen: ‚Da ­haben wir was Gutes getan.‘ Aber am Ende werden die Täter freige­sprochen, und die Opfer sind am Boden zerstört. Deren Leben ist vorbei."

"Ich will nicht noch mal zum Opfer werden"

Anne: Der Preis ist mir zu hoch. Ich will nicht noch mal zum Opfer werden.

Pia: Wir kommen unserer gesellschaftlichen Verantwortung sehr wohl nach: indem wir hier berichten. Um Menschen zu sensibilisieren. Davon haben am Ende alle mehr.

Aber wollen sie denn nicht so was wie Gerechtigkeit? Doch, sagen sie. Sie wünschen sich sehr, dass der Staat ihr Leid anerkennt und Wiedergutmachung leistet. Weil er sie nicht beschützt hat. Dafür gibt es das  Opferentschädigungsgesetz. Eigentlich.

Anne scheiterte schon an der ersten Sachbearbeiterin. Ohne Anzeige, sagte die, könne sie für Anne gar nichts tun. Dabei stimmt das gar nicht. Behörden können auf eine Anzeige verzichten, wenn sie nicht zumutbar ist. Anne müsste sich eine Anwältin nehmen und gegen die Behörde vorgehen. So was kann Jahre dauern.

Es würde Anne schon helfen, wenn sie ein Trampolin und ein E-Bike bezahlt bekäme, für die kaputte Hüfte und das kranke Herz. Sie hat dafür einen Antrag beim "Fonds Sexueller Missbrauch" der Bundesregierung gestellt. Der soll "niedrigschwellig" ­helfen. Ihr Antrag wurde abgelehnt. Der Hüftschaden müsse nicht zwangsläufig vom Missbrauch kommen.

Beschämend sind solche Ablehnungen. Dabei schämen sich Anne und Pia ohnehin jeden Tag. "Okay, reden wir über Scham", flüstert Pia von ihrem Sofalager, "mein Lieblingsthema."

"Ich schäme mich, dass mir das passiert ist"

Anne: Ich schäme mich, dass mir das passiert ist. Ich schäme mich, weil ich das Gefühl habe, schuld an allem zu sein.

Pia: Ich weiß vom Kopf her, dass ich nicht schuld bin, aber mein Herz weiß es nicht. Einer der schreck­lichsten Sätze in meinem Kopf ist: Ein anständiges Mädchen wäre dort einfach gestorben.

Anne: Man schämt sich, es anderen zu erzählen.

Nur wenige Freunde und Freundinnen wissen, dass Pia und Anne missbraucht worden sind. Und noch weniger kennen das ganze Ausmaß.

Pia: Es reduziert einen auf den ­Missbrauch.

Anne: Ich bin ja nicht nur eine Über­lebende von schwerer sexueller ­Gewalt. Das ist nicht alles, was uns ausmacht. Wir sind mehr.

Pia: Ich bin zum Beispiel Patentante von vier wunderbaren Patentöchtern, Pharmazeutin, Musikliebhaberin, Handtaschenbegeisterte, Christin, Ehefrau – ich bin alles Mögliche.

Anne: Ich bin Patentante von sieben Patenkindern. Und ich kann relativ gut kochen.

Stefan und Pia: Du kannst hervor­ragend kochen!

Anne: Ach . . . 

Pia: Vor allem bist du eine tolle ­Freundin, die Beziehungen nie infrage stellt.

Könnten sie vielleicht auch Menschen Mut machen, die noch nicht so weit sind? Pia und Anne schreiben ein ganzes Blatt voll. Bildungsabschlüsse finden sie wichtig. Jede Chance zu ergreifen. Am Ende einigen sie sich auf diese Kurzansprache an andere Betroffene: "Liebe kleine Schwester, es wird besser. Ganz bestimmt. Du hast schon so viel geschafft, dass du am Leben geblieben bist. Gib nicht auf! Komm, du kriegst das hin."

*Namen und einige Details zum Schutz der Frauen von der Redaktion geändert

 

Lesen Sie auch ein Interview mit der Fotografin Patricia Morosan, die zusammen mit der Autorin Christine Holch den Courage-Preis 2019 für diese Arbeit erhalten hat.

Infobox

Rat und Hilfe

Ich selbst habe den Artikel, bis auf die Anfangszeilen, nicht ganz gelesen, weil mir die Themen aus meiner psychotherapeutischen Arbeit genügend bekannt sind, und offen gestanden, halte ich gar nichts von Details, die, in der Tat, Triggerwirkung haben. Ich, als Leser, muss um solche Details nicht wissen, aber in der Therapie sind sie wichtig, weil sie schmerzhaft belastend sind. Deshalb wäre hier weniger mehr, d.h. mehr Zurückhaltung, statt schonungslose Offenheit, aber es liegt nicht in meiner Verantwortung. Ich weiß auch nicht, wie hilfreich eine erboste Öffentlichkeit ist, meistens macht sie alles nur noch schlimmer. Je stärker sich die Menschen geben, je empörter sie sind, desto unsensibler werden sie. Für etwas sensibilisiert zu werden, heißt nur hellhörig für etwas, und blind für ein anderes.
Im Zusammenhang mit der Abtreibungsdebatte, sehe ich hier Mutter und Vater auf dem Pranger, und das Kind erhebt sich und klagt an. Und dazwischen die Behörden.
Eine solche Gesellschaft ist nicht besser, als die, welche vordem die Augen verschlossen hatte. Das ist entsetzlich, denn wer nicht erkennt, dass für solche Taten eine Menge kriminelle Energie notwenig ist, der zieht sich einen Schuh an, der ihm nicht passt, aber er sieht es nicht. Weil er sich durch den Bericht hat benebeln lassen. Zuviel Mitleid macht blind.
Wie dem auch sei, von den Autorinnen, also den Betroffenen, war der Bericht ausdrücklich gewünscht. Den Wunsch respektiere ich.

Sehr geehrte/r G. L.,

die von Ihnen befürchtete "erboste Öffentlichkeit" habe ich hier bislang nicht wahrgenommen. Niemand forderte die Todesstrafe für Vergewaltiger etc. Vielmehr haben sehr viele Leser und Leserinnen sich an chrismon gewandt, um Pia und Anne finanziell zu unterstützen. Einige wollen nun auch Missbrauch-Fachberatungsstellen in ihrer Nähe unterstützen, die sind nämlich in der Regel unterfinanziert, machen aber z.B. wichtige Aufklärungsarbeit, etwa an Schulen.
Freundliche Grüße
Christine Holch/Redaktion chrismon

Ich finde, manche Wahrheit kann man einfach nicht in Worte fassen, da ist Schweigen besser. Ich hätte mich mit meiner Kritik zurückhalten sollen. In Ihrem Falle ist Schweigen falsch, das ist sicher. Nur sollten Sie sich vor Unterstellungen hüten.

"Und danke auch für die Anmerkungen innerhalb der Leserdiskussion, ich fühle mich als Betroffene gesehen, verstanden und verteidigt."
Ich als Leserin dagegen, bekomme den Buhmann. Typisch Presse, würde ich sagen.

"Haben Sie die geäußerte Berichtintention gelesen, das Lebensbejahende, die Ermutigung?" so schreiben Sie.
Neben der "Intention" steht da aber auch noch ganz Konkretes: "Anne: Ich fühle mich wie 96. Es tut alles ständig weh". "Pia: Die Panikattacken sind so heftig, dass Suizid, der einzige Ausweg erscheint"!!. STÄNDIG, sagt Anne. SIND, sagt Pia! "Suizid als Ausweg! Ein immer noch präsenter Gedanke? Das ist die Beschreibung, wie es ihnen jetzt geht.
Die Opfer wollen ermutigen, und Chrismon gibt ihnen dafür die Öffentlichkeit. Das ist eine sehr lobenswerte und mutige Intention von den Opfern, und zeigt ihr Mitgefühl mit anderen Opfern. Aber sie - die Opfer - können nicht wirklich ermutigen, auch wenn sie es wollen. Das zu erkennen ist Aufgabe der Ausenstehenden. Zu sehen, was ist. Hinzuschauen und zu erkennen, in welchem Ausmaß zwei Menschen körperlich und seelisch verletzt wurden, und was sie leisten können. Ihre Intention in Ehren, aber sie sind doch selbst noch lange nicht so stabil - und das kann auch ein Laie beim Lesen des Berichts erkennen - als dass sie anderen Opfern eine tragfähige Ermutigung geben könnten. Wir können hautnah lesen, wie zerbrechlich noch immer ihr Vertrauen in die Mitmenschen ist und wie schwankend ihr Mut für ihr eigenes Leben. Auch dass macht diesen Bericht so schwer erträglich, und muss zu der Frage führen, ob eine Veröffentlichung in dieser Form verantwortbar ist.

Daher warnt die Psychologin mit Recht vor dem Risiko einer Retraumatisierung von Menschen, die ähnliches erlebt haben.

Ihre Argumentation mit einer "anderen neurobiologischen Aufnahme" von bloß Gelesenem ist wenig hilfreich. Wären wir emotional nicht auch durch bloßes lesen erregbar, dann gäbe es keine Grusel- und Kriminalromane, Sonntags abends könnten die Menschen in die Kirche gehen, statt "Tatort" zu schauen, und nicht einmal Liebesgeschichten könnten uns ergreifen.
Und warum veröffentlich Chrismon das Matyrium der beide Frauen in derart expliziter Weise, zum Teil aus der Perspektive der 1. Person? Um die Leser maximal zu ergreifen. Um sie zu einem maximalen Mitfühlen anzuregen. Für diejenigen Leser, die ähnliches erlebt haben, ist das ein ganz "dicker Brocken". Ich kann mir nicht vorstellen, das Traumatherapeuten dieses Vorgehen unterstützen.

Sehr geehrter Herr Pilz,

sie schreiben, Opfer könnten andere Opfer nicht wirklich ermutigen. Ich habe das schon oft ganz anders erlebt, etwa am Beispiel von Hoch-Querschnittgelähmten. Oder am Beispiel von Eltern, die ihr Kind verloren haben, und nun andere Eltern begleiten. Menschen, die Schlimmes erlebt haben, sind doch nicht nur Opfer! Es sind meist sehr einfühlsame, sehr erfahrene und überaus kluge Menschen, die sehr wohl vielen anderen Menschen eine Freude und eine Hilfe sein können.

Und heute schrieb uns eine Frau, der Ähnliches wie Pia und Anne widerfahren ist und der es derzeit nicht gut geht, welch Trost ihr Pia und Anne durch diesen Text geben (s.a. an anderer Stelle auf dieser Seite): " Danke, liebe Pia, liebe Anne, danke für Eure lieben Worte, sie sind so kostbar für mich und mir ein Halt: 'Liebe kleine Schwester, es wird besser. Ganz bestimmt. Du hast schon so viel geschafft, dass du am Leben bist. Gib nicht auf! Komm, du kriegst das hin.' Ich habe Eure Worte ausgeschnitten, sie in mein Büchlein geklebt, so habe ich immer etwas von Euch bei mir. Es fühlt sich ein wenig so an, als liefet Ihr neben mir, als wäret Ihr an meiner Seite…. "

Widersprechen möchte ich auch Ihrer Vermutung, ich, die Autorin, hätte die Gewalttaten deshalb so explizit beschrieben, um möglichst viel Mitgefühl zu erregen. Ehrlich gesagt war das nicht mein Motiv, nicht im entferntesten. Vielmehr wollte ich, klassisch journalistisch, die Wirklichkeit möglichst genau beschreiben. Aus der Beschäftigung mit den Gräueltaten während der Zeit des Nationalsozialismus weiß ich: Was man nicht genau weiß, kann man auch nicht aufarbeiten, auch nicht als Gesellschaft.

Herr Pilz, Sie mögen es gut meinen - aber ich finde Ihre Überlegungen doch auch respektlos gegenüber den beiden betroffenen Frauen. Wie wenn man die beiden vor einer Veröffentlichung hätte bewahren müssen, weil sie irgendwem nicht ganz zurechnungsfähig vorkommen. Ich versichere Ihnen: Pia und Anne wussten sehr genau, was sie tun. Und in chrismon dürfen auch und erst recht Menschen sprechen, die vom Leben gezeichnet/versehrt wurden, und sie dürfen sogar sprechen, ohne dass das von PsychotherapeutInnen vorher abgenickt worden wäre...

Herzliche Grüße
Christine Holch/ Redaktion chrismon

 

Sehr geehrte Frau Holch,

bitte lesen Sie meine Ausführungen doch noch einmal. Ich habe an jeweils einer Aussage von Pia und Anne versucht zu zeigen, wie sehr diese beide Frauen bis heute unter ihrer Traumatisierung leiden. Ich habe Zweifel geäußert, ob sie (die beide Protagonisten) damit anderen Traumatisierten eine „tragfähige Ermutigung“ geben können. Dass Opfer generell anderen Opfern Mut machen können, habe ich nirgends bestritten. Sie, Frau Holch, sehen in meinen Ausführungen sogar eine Respektlosigkeit gegenüber den beiden Frauen, die ich nicht einmal selbst bemerke! („Sie mögen es gut meinen“ schreiben sie an mich gerichtet).
Ich habe den Artikel mehrfach gelesen. Die beiden Traumatisierten können dort ihr körperliches und seelisches Martyrium öffentlich ausbreiten, und nur im letzten Abschnitt findet sich eine Ermutigung in Form einer positiven Selbstdarstellung und in einer „Kurzansprach an andere Betroffene: Liebe kleine Schwester...“ Das „Ermutigungs-Motiv“ der beiden Frauen und von Ihnen/Ihrer Redaktion zweifle ich nicht an. Aber es nimmt den kleinsten Raum Ihres Beitrages ein, das lässt sich nicht übersehen.
Ich habe nirgends gefordert, dass Menschen, die vom Leben gezeichnet sind, nur nach „abnicken“ von Psychotherapeuten sprechen dürfen. Die beiden Opfer, so schwer sie auch missbraucht wurden, haben eine Intimsphäre. Jeder hat ein Recht darauf, dass diese respektiert wird. In Ihrem Beitrag beschreiben Sie nach meinem Verständnis nicht „klassisch journalistisch die Wirklichkeit“, sondern Sie lassen „die Opfer sprechen“. Dieses Vorgehen dient der Erzeugung von Teilhabe an dem Geschehen, so als wären die Leser Teilnehmer einer Therapiesitzung. Die beiden Frauen fühlten Vertrauen zu ihnen, und waren nur unter großen Mühen und nur in Begleitung ihrer beiden Freunde/Partner in der Lage sich zu öffnen. Und sie haben bis heute noch nicht einmal eine befriedigende therapeutische Begleitung erlebt. Und jetzt sprechen Sie in wörtlicher Rede zu Millionen von fremden Lesern! Woher sollen die beiden Frauen denn sehr genau gewusst haben, was sie da tun?
Ja, sie sprechen sogar zu Tätern. Pia spricht Leser, die Täter sein könnten, persönlich an (Personalpronomen groß geschrieben!) und gibt ihnen einen Rat: „Wenn Sie wirklich sicher sein wollen, dass Ihnen als Täter nichts passiert, foltern Sie Ihre Opfer so stark, dass es ihr Erinnerungsvermögen zerreißt“ (S. 22 oben). Das steht da, unkommentiert, ohne Nachfrage, z.B. ob das wohl zynisch gemeint sei. Als Leser kann ich das natürlich so interpretieren. Sicher darf ich mir aber nicht sein. Denn ein paar Sätze weiter unten sagt die „Opferanwältin Willger“: „Die Betroffenen sind so schwer geschädigt, dass sie durch jedes Glaubhaftigkeitsgutachten rasseln“.
Frau Holch, es geht mir in diesem Zusammenhang nicht darum ob schwerst traumatisierte Menschen „irgendwem nicht ganz zurechnungsfähig vorkommen“, wie Sie mir zuspekuliert haben, sondern um den sehnlichsten Wunsch der beiden Frauen, und aller anderen Opfer, dass sie von der Gesellschaft ernstgenommen werden möchten. Dazu braucht es auch Berichte und Reportagen. Diese muss der Leser aber verstehen können, wenn er sich etwas „Unfassbarem“ zuwenden soll. Das kann man nicht erzwingen! Ihr Beitrag lässt viele Leser schockiert und in vielen Punkten irritiert zurück.

Dass traumatisierte Menschen für die Position der Leser nicht viel Verständnis haben, kann man ihnen nachsehen (siehe auch ihr aktuelles Zitat einer Traumatisierten auf der Homepage von Chrismon, die kritische Leser zu „Täterschützern“ erklärt, und unterstellt, sie wollen die Opfer zum Schweigen bringen). Es wäre Aufgabe der Journalisten und Redakteure, hier die nötige Vermittlung zu leisten. Das scheinen Sie anders zu sehen.
Die Stimme der Opfer ist wichtig. Aber ohne aufmerksame und zugewandte Zuhörer nützt selbst die lauteste Stimme, und wahrste Wahrheit nichts. Womit wir beim Thema wären.

Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Pilz

Antwort auf von Anne K. (nicht registriert)

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Sehr geehrte Frau K.,
hätten wir irgendwo im Heft gewarnt "Achtung, nicht jugendfrei" - meinen Sie nicht, da hätten Jugendliche und Kinder (sofern sie sich für solche Magazine wie chrismon überhaupt interessieren) erst recht sofort zu lesen angefangen? Wir haben in Überschriften, Vorspann und auf dem Titel extra Wörter wie "Gewalt" und "sadistisch" oder "grausam" verwendet, auch online, um sofort zu signalisieren: Wenn jemand so was nicht ertragen kann, nicht weiterlesen.
Es sind die Eltern, die in der Pflicht sind, vorzusortieren, welche Art Medien ihre Grundschulkinder konsumieren. Sonst könnten z.B. Zeitungen nicht über Mord und Totschlag und Kriege berichten.
Und natürlich sollten Eltern möglichst früh mit Kindern in kinderverständlicher Weise darüber sprechen, dass es so was wie Missbrauch/sexualisierte Gewalt gibt - und zwar selten durch Fremde, allermeist durch Menschen, die die Kinder bereits kennen.
Hätte ich selbst darüber gewusst als Grundschülerin, hätte ich meiner Freundin helfen können, die mir sehr merkwürdige Dinge über ihren Onkel berichtete. Ich hätte mit ihr zu vertrauenswürdigen Erwachsenen gehen können.
Herzliche Grüße
Christine Holch
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Guten Tag,

als letzte Woche mit der ZEIT die chrismon ins Haus kam, habe ich den Artikel sofort gelesen und im Nachgang an nichts anderes mehr denken können. Danke an Pia und Anne für ihren Mut, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Viele, auch aufgeklärte Menschen, haben keine Vorstellung davon, was unschuldigen Kindern angetan wird. Es ist wichtig, das Thema in das Bewusstsein zu heben.
Neben dem Wunsch nach Bestrafung/Verurteilung aller TäterInnen, kam auch mir der Gedanke, ob es nicht möglich sei, den beiden ihr Leben mit Spenden für E-Bike und co. etwas zu erleichtern. Wenn dies möglich ist, lassen Sie mich dies bitte wissen. Ich würde gerne einen kleinen Beitrag leisten und mich engagieren. Ich selbst habe eine sehr, sehr leichte Form von Missbrauch erfahren, im Vergleich gar nichts, aber auch dies beschäftigt mich immer wieder. Daher bin ich bei dem Thema sehr sensibilisiert.

Viele Grüße,
Julia, Mutter von zwei Töchter (fast 5, fast 10)

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Danke den beiden Frauen, die den Mut und die Kraft haben die entsetzliche Gewalt, die sie erfahren haben, zu schildern.
Ich musste mich oft zwingen weiter zu lesen.
Dass einzige, was ich tun kann, ist möglichst vielen Menschen aus meinem privaten und beruflichen Umfeld davon zu berichten, mit der Bitte, Öffentlichkeit herzustellen.
Das mache ich, seitdem ich den Artikel gelesen habe. Der Schonraum der Mütter muss aufgebrochen werden, auch in unserem Strafrecht!“

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Es tut mir leid, aber ich ,70 Jahre alt und sehr weltoffen und erfahren,der ev. Kirche zugehörig, empfinde diesen Artikel fast voyeuristisch. Einmal davon abgesehen,dass Information wichtig und richtig ist, so empfinde ich,dass mit dieser Form der Darstellung Pädophilen und Sadisten Vorschub für "Aufgeilen" geboten wird. Ich weiß,dass der Mensch das schlimmste Raubtier auf dieser Erde ist, aber man muss nicht öffentlich so genaue Beschreibungen liefern, Nein und nochmals Nein! Die richtige Dosierung machts. Ich möchte nicht wissen,wie viele Menschen sich aufgrund des fast pornografischen Artikels, einen - bitte entschuldigen Sie die drastische Ausdrucksweise - 'Runterholen' und daran aufgeilen.
Ich habe das Gefühl, sie haben der Sache einen Bärendienst erwiesen.

Antwort auf von Marita Weiss (nicht registriert)

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Es hat mir in der Seele wehgetan, dass Sie von Voyeurismus sprechen. Diese Unterstellung ist sehr schmerzlich und eine Beleidigung für die beiden Frauen. Meinen Sie, wenn jemand so etwas erlebt und tatsächlich auch überlebt hat, gefällt sich darin, dies öffentlich zu machen? Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass Betroffene schweigen. Aus Angst, wegen des Schmerzes. Denn es ist ein sehr schmerzhafter Prozess über das Unfassbare, das Unaussprechliche zu reden. Und das kostet! Das Schweigen brechen. Das benennen, was nicht sein kann, was nicht sein darf, muss geschehen, damit den Menschen die Augen geöffnet werden. Damit das Schicksal von versklavten Kindern in unserer (ja, auch unserer!) Gesellschaft gewendet werden kann. Weil Menschen hinsehen und(!) handeln. Und auch die Täter, die grausamen Mütter und Väter sollen Angst bekommen, sollen wissen, ihre Taten bleiben nicht mehr unter der Decke des Schweigens!
Aus meiner Sicht ist dieser Artikel ein Schritt in die richtige Richtung. Und er setzt etwas in Gang!
Ich bewundere den Mut dieser beiden Frauen. Und ich möchte sie darin bestärken, dass die Richtige getan haben.

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Ich muss einfach sagen das ich in meinem Leben noch nie was grausameres gelesen habe,wobei ich ein Krieg überlebt habe und viel darüber weiß, ich finde es hätte ein Warnzeichen geben sollen! Meine Familie und ich waren im Zug nach Venedig und die Zeitung wurde gratis verteilt, den Artikel habe ich gelesen und seit dem kann ich mich nicht beruhigen... wenn ich meine Kinder anschaue bin ich sehr traurig- wie kann mann solchen Geschöpfen sowas antun... ich verstehe nicht wie sowas schrekliches in Deutschland passieren könnte, kann! Was ist das für ein Kindergarten -für Schule die nicht nachgefragt haben warum ein Kind am Boden vor Müdigkeit schläft ....ich frage mich wie mann solche Grausamkeiten überleben kann ??? Hochachtung an die beiden armen armen Frauen!

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Ich bin zutiefst erschüttert, weil ich eben im Internet mit großem Entsetzen Ihre Reportage "als Kind jahrelang missbraucht" gelesen habe.
Wie furchtbar, dass sowas geschehen kann ! Ich bin 90 Jahre alt, habe in meinem erfahrungsreichen Leben im näheren Umfeld nie von solch einem Verbrechen etwas gehört.
Ich bin ein Mensch, der sich sehr stark für Menschen mit Handikap interessiert und wenn möglich hilft, deshalb bin ich auch seit über 40 Jahren
Mitglied bei der Lebenshilfe in Hof/Saale.

Besonders Kindern gegenüber muss absolute Verantwortung gelten! Ein Kind, in welchem Alter auch immer, zu missbrauchen ist ein ganz schlimmes
Schwerverbrechen, dass mit härtesten Mittel bestraft werden muss !!

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Ich habe den Artikel über das Interview mit den zwei misshandelten Frauen gelesen.

Das war wirklich gut gemacht, man wollte es lesen und gleichzeitig weit weglaufen.
Die Frage, die ich mir nur stelle, ist, was passiert jetzt?

Geht es immer so weiter? Wird es überhaupt irgendwann aufhören, interessieren sich Menschen dafür, um eine Verbesserung zu kämpfen?

Man liest so selten etwas über diese Themen, Pädokriminelle oder Sadisten, die Kinder schänden, es kommt mir so vor, als ob diese Netzwerke sich gegenseitg schützen und decken und man kann gar nichts machen, weil ja in den höchsten und allerhöchsten Stellen in Deutschland und vermutlich überall in der Welt die Täter sitzen und steuern, vertuschen und genießen.

Dazu noch die Kinder, die im Namen von Gott oder Satan gequält werden, jeden Tag, darüber liest man auch kaum etwas in öffentlichen Medien.

Ebenso die Frauen und Kinder, die als Zwangsprostituierte versklavt sind, hört man darüber mal etwas in den Nachrichten?

Was ist da los? Warum interessiert das so wenig Menschen? Über den Hunger in der Welt, Armut, Naturkatastrophen, Kriege usw wird doch auch berichtet, warum nicht über diese Themen?

Ist der Sex so mächtig und die Menschen, die das alles unter einem Deckmäntelchen halten, sind die auch so mächtig, dass es immer so weitergehen wird? Können wir gar nichts tun, um zukünftige Kinder zu schützen?

Haben Sie sich das schon einmal gefragt? Oder Ihre Leser?

Ich habe meine Bekannten gefragt, ein großes Schweigen war die Antwort, so nach dem Motto, jaja, schlimm, aber Gott sei Dank bin ich nicht betroffen...

Liebe Frau Recker,

Sie schreiben: "Ich habe meine Bekannten gefragt, ein großes Schweigen war die Antwort, so nach dem Motto, jaja, schlimm, aber Gott sei Dank bin ich nicht betroffen... "
Ich dachte auch immer: Ich kenne niemanden, der/die missbraucht worden ist. Aber dann fiel mir eine Kinderfreundin ein, die so etwas angedeutet hatte - ich hatte es als Kind nur leider nicht verstanden; und mir fiel ein, dass ich beobachtet habe, wie ein Pfarrer sich an eine Mitkonfirmandin rangemacht hat; und als ich im Freundes- und Verwandtenkreis sagte, dass ich zum Thema Missbrauch recherchiere, erzählten mir auf einmal mehrere Menschen von Fällen in ihrem (= meinem) Umfeld. Kann ja eigentlich auch gar nicht anders sein, wenn die wissenschaftlichen Schätzungen stimmen, dass in jeder Schulklasse von 20 Kindern mindestens ein Kind sitzt, das sexualisierte Gewalt erfährt oder erfahren hat. Was ich damit sagen will: Ein gewisser vertrauensvoller Rahmen vorausgesetzt, sprechen Menschen dann doch über dieses Thema und erzählen, so mein natürlich total subjektiver Eindruck, von Angehörigen/Freunden/Bekannten, denen genau das widerfahren ist.

Herzliche Grüße
Christine Holch/ Redaktion chrismon

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ich finde, solche sachen sollte man nicht ohne eine trigger–warnung posten!!!
es sind auch unter den lesenden solche, die etwas in der art erlebt haben (mädchen *und* jungen) – und wenn man dann so einen artikel liest, kann es passieren, dass alte wunden aufreißen!!
es ist unverantwortlich, in dieser weise darüber zu schreiben!!

und hingucken?
ich habe so einen fall ende der 90er in der schule gehabt.
aus meiner sicht war der fall eindeutig.
bin zur direktorin gegangen, bin beim jugendamt gewesen – lapidare antwort:
"was sollen wir den machen – ohne beweise?"
ich war entsetzt – bin es bis heute, bekomme das schicksal des kindes auch seitdem nichtmehr aus den gedanken, wenngleich ich es, nachdem ich beruflich anderswohin gezogen bin, aus den äugen verloren habe.
ein von mir inszenierter besuch, um die eltern kennen zu lernen, ließ wenig rückschlüsse zu bzw. ergab nichts verwendbares.
ich konnte es nur melden – und versuchen, der schülerin etwas mit auf den weg zu geben, von dem ich hoffte, dass es ihr irgendwann irgendwie kraft geben konnte.
am schlimmsten ist die ohnmacht…
…es ist leicht zu sagen, man solle hinsehen, aber es ist ein trügerischer boden, auf dem man sich bewegt, a slippery slope.

zum artikel selbst – diese mitleidslose detaillierte darstellung und beschreibung des erlittenen, selbst wenn sie abgesprochen ist mit den frauen, bedient einen schamlosen voyeurismus und ist sensationsheischend, weil es an's öffentliche licht zerrt, was in die therapie und die seelsorge gehört…

…heute nacht jedenfalls werde ich – als betroffener – nach der lektüre dieses beitrages nicht sehr gut schlafen…

Antwort auf von phyhbourne (nicht registriert)

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Lieber phyhbourne,
danke für Ihre Mail. Sie finden, wir hätten den Text mit einer Trigger-Warnung versehen sollen. Ich hatte die beiden Frauen gefragt, ob wir eine Warnung voranstellen sollen. Sie waren strikt dagegen. Und ich kann das auch verstehen: Da raffen zwei Menschen ihren ganzen Mut zusammen, um vom Schlimmsten in ihrem Leben zu erzählen, in der Hoffnung, dass endlich mal jemand ihr Leid anhört - und dann stellt die Redaktion einen Warnhinweis voran. Das wäre doch Beschämung hoch drei, oder nicht? Wir haben stattdessen im Vorspann Wörter verwendet (wie etwa "sadistische Gewalt"), die eigentlich ausreichend Signal sein sollten für Leser, die so etwas jetzt gerade gar nicht vertragen können. Übrigens haben uns auch Menschen geschrieben, die selbst sexualisierte Gewalt erlebt haben: Sie seien den beiden Frauen und chrismon sehr dankbar für diesen Text.
Dann: Sie berichten, dass Sie in den 90er Jahren den Verdacht hatten, dass eine Schülerin missbraucht werde, und dass Sie sich deswegen an Schulleitung und Jugendamt gewandt hätten - dass aber niemand etwas unternommen hat, weil man ja ohne Beweise nichts unternehmen könne. Da haben sie recht: Das kann ja wohl nicht angehen. Ich würde das gern mal klären, welche Möglichkeiten Jugendämter tatsächlich haben. Vielleicht finde ich eine/n geeignete/n InterviewpartnerIn.
Und ich bin gerührt darüber, dass sie speziell diesem Mädchen Hilfreiches fürs Leben mitzugeben sich bemüht haben. Vielleicht wäre es auch gut, nochmal mit jemand Fachkundigem darüber zu sprechen? Vielleicht auch, um eventuell doch nach der mittlerweile jungen Frau zu suchen. Unter Umständen bräuchte sie für ein Opferentschädigungsverfahren einen Zeugen? Beim Hilfetelefon sexueller Missbrauch kann man auch anrufen, wenn man als "Umstehender" über etwas vor lange Zeit sprechen möchte (ich hatte mich dort mal erkundigt, wer sich alles an das Hilfetelefon wenden kann): Hilfetelefon sexueller Missbrauch – kostenfrei, ¬anonym: 0800-22 55 530  hilfetelefon-missbrauch.de
Herzliche Grüße
Christine Holch/Redaktion chrismon

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Der Artikel :”Es waren viele Männer – und die Mütter” im Heft 03.2019 hat mich sehr berührt. Als ich noch Schulleiterin einer Grundschule war habe ich mehreren Kindern helfen können, indem ich ihre stummen Hilferufe erkannt hatte und sie zu entsprechenden Hilfemaßnahmen begleitete. Ich war durch einen Fortbildungskurs für Lehrkräfte dafür sensibilisiert und über das Mißbrauchsproblem und die Hilfsmöglichkeiten informiert worden. Die Begleitung der Kinder durch geschulte professionelle Kräfte war für die betroffenen Kinder eine große Hilfe. Hervorheben und als Information weitergeben möchte ich hier die “Hypnosetherapie”. Man ist dabei voll bei Bewußtsein und sagt nur das laut, was man sagen möchte. Man wird also nicht manipuliert. Der Hypnosezustand und die Fragen der Therapeutin öffnen einem aber die Kellertür zum Unterbewußtsein und man sieht und erkennt dann viele Zusammenhänge und kann seine eigenen Gefühle verändern und die Sichtweisen neu gestalten. Das Geschehene wird zwar nicht gelöscht, aber man kann sich davon abkoppeln und erreichen, dass es einem nicht mehr weh tut, es einen sogar nichts mehr angeht.
Ich kann diese Art der Verarbeitung nur empfehlen ,nicht nur für Kinder, sondern vor allem auch für traumatisierte Erwachsene. Wenn ein Arzt das verordnet, kann es sogar sein, dass die Krankenkasse diese Behandlung auch bezahlt. Sie ist viel billiger und geht schneller und ist oft erfolgreicher , als manche langwierige Psychotherapie. ich habe das selbst probiert und
weiß also, wovon ich schreibe. Vielleicht kann ich mit dieser Mitteilung der einen oder anderen Leidenden helfen.

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Ich danke Ihnen, dass Sie die Stärke hatten, sich erneut diesem entsetzlich grauenvollen Thema, der sexuellen Gewalt gegenüber Kindern, zu stellen und danke Ihnen, dass Sie in diesem Rahmen Sprachrohr für Kinder sind, die Gewalt und Unrecht ausgesetzt sind.

Das, was Pia und Anne Ihnen erzählen, bewegt sich in solchen Abgründen, dass ich an die Hölle auf Erden denken muss und mich tatsächlich frage, wo Gott in dieser Hölle zu finden ist. Ich bin fest in meinem Glauben und habe Gott in meinem Leben immer wieder erleben dürfen, war selbst als Kind vielem hilflos ausgesetzt, was mich nachhaltig verstört hat.
Doch diese Beschreibungen von Pia und Anne sprengen für mich alles Vorstellbare über die Gattung Mensch und was manche Kinder an Unaushaltbarem aushalten müssen. Der Bericht ist gleichzeitig so schrecklich und so wichtig. Man muss über diese Hölle und sämtliche Beteiligten daran reden, damit sie besser und schneller aufgedeckt werden kann. Und der Bericht von Pia und Anne zeigt ja auf, dass es viele Beteiligte am Rande sind, die das System stützen, z.B. die Tante, weitere Familienangehörige, die Spuren der Gewalt und bestimmt auch das Bauchgefühl, dass da was nicht stimmt, übergehen, oder auch die Lehrkräfte der Schule, aber auch andere Eltern (Kinder erzählen zuhause ja auch über Mitschüler, z.B. dass die eine immer so Wunden oder Abdrücke an den Armen hat oder dass sich ein Kind anvertraut hat, es würde geschlagen ...), die denken, es ginge sie nichts an oder es gäbe ja Eltern und Familie und Lehrer-innen, die sich darum kümmern müssen.
Oder sie sind selbst hilflos und überfordert. Wie gut, dass Sie daran gedacht haben, das Kästchen mit Rat und Hilfe anzufügen! Wir sind alle aufgefordert, wachsam zu sein für Anzeichen von Gewalt in unserem Umfeld und wir alle sind in der Verantwortung, dass wir melden, wenn wir etwas Auffälliges sehen.

Für das Verhalten der beschriebenen Mütter, des Vaters und der Tante, aber auch der sadistischen Täter, gibt es für mich keine Entschuldigung.
Mir fällt auch nichts ein, was man mit diesen Menschen machen könnte, damit es irgendwie "gut" wird. Es wird nicht gut. Ich hoffe nur inbrünstig, dass Gott sie sich ganz genau vorknöpft, wenn sie nach ihrem Tod bei ihm gelandet sind. Es ist meine Hoffnung und mein Glaube, dass sie bei Gott nicht davonkommen, auch wenn sie es bei uns Menschen schaffen, sich unbestraft, ungesühnt, durchzularvieren. Sie werden bei Gott für das leiden müssen, was sie Kindern an unfassbarem Leid angetan haben. Ja, man kann sich als Erwachsener entscheiden, wie man sich verhalten möchte. Ja, man kann sich Hilfe holen, wenn man "böse Seiten"
in sich entdeckt. Nein, von Verzeihen oder Vergessen kann bei solchen unfassbaren Taten mit solchen unfassbaren Auswirkungen keine Rede sein.
Was ich mir für Pia und Anne wünsche, ist, dass Sie immer mehr Halt in Beziehungen zu guten Menschen finden. Dass sie zu Therapeuten finden, die ihnen Erleichterung geben können und Abstand zu dem erlebten Horror.
Dass sie immer mehr begreifen, dass das kindliche Ausgeliefertsein für immer vorbei ist, weil sie es geschafft haben, erwachsen zu werden. Als Erwachsene haben sie jetzt Möglichkeiten, die sie als Kinder nicht hatten. Sie waren als Kinder von allen alleingelassen und sie waren Opfer. Jetzt sind sie erwachsen und sie haben gute Menschen bei sich.
(Gleichzeitig weiß ich, dass das innere Kind mit den durchlittenen Erfahrungen in einem bleibt, und damit die Gefühle von damals auch.)

Und vielleicht tut sich mit diesem Mut, den sie aufgebracht haben, dass sie sich bei chrismon mit ihrer Lebensgeschichte gemeldet haben, auch etwas ganz Neues und Befreiendes auf, eine neue Stärke.

Und vielleicht gibt es Ideen von Pia und Anne, wie Polizei, Staat, Schulen schneller, besser, effektiver auf Täter, auf diese Tätersysteme und auf die Opfer aufmerksam werden kann, wo sie intensiv nachschauen soll... Vielleicht fallen ihnen Tipps für die Polizei und z.B. für das Jugendamt ein, die ihnen als Kinder geholfen hätten, die sie vielleicht viel früher befreit hätten. Aber vielleicht ist es auch mehr als genug, dass Pia und Anne ihre Lebens- und Leidensgeschichten in die Öffentlichkeit getragen haben und vielen Menschen ermöglichen, Anteil an ihrem Leid zu nehmen, von dem sie nicht mal geahnt hätten, dass es dieses Ausmaß gibt.

Sehr nachdenklich und betroffen, innerlich sehr aufgewühlt und Anteil nehmend

verabschiede ich mich mit aufrichtigen Segenswünschen.

Möge sich der Himmel über Pia und Anne auftun und über alle Kinder und Opfer von sexueller Gewalt, von sadistischer Gewalt, ritueller und sonstiger grauenvoller Gewalt. Möge Gott sein Licht und Heil auf alle hinabstrahlen, die zerbrochen und misshandelt sind.

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An meine Schwestern Anne und Pia
Ich hoffe sehr, dass meine Zeilen Euch erreichen.
Danke für Euren unsagbar großen Mut Eure Geschichte zu erzählen, sie öffentlich zu machen. Ihr habt dadurch auch mir eine Stimme gegeben!! Vermutlich kann niemand erahnen, wie viel mir das bedeutet. Mehrfach habe ich den Versuch unternommen mich mitzuteilen, auszusprechen, was mir angetan wurde. Inzwischen schweige ich, weil ich Angst davor habe, wieder könnten meine Worte verhallen, aber auch, weil mir das Gefühl fehlt, ob mein Gegenüber bereit ist, mir zuzuhören und aushalten kann, was ich zu sagen habe.
Ich habe keine Worte, die annähernd beschreiben könnten, wie tief mich das Leid, das Ihr ertragen musstet, berührt. Ich habe viel geweint beim Lesen Eurer Geschichte, auch jetzt, Tage später kämpfe ich immer wieder mit meinen Tränen. Es fühlt sich an, als fühle ich einen Teil Eurer Schmerzen, Schwestern. Zugleich sind es auch meine eigenen…
Ich war auch organisiertem Missbrauch ausgeliefert, auch in der ehemaligen DDR, angefangen hat es als ich 4 Jahre alt war, unter Umständen auch schon etwas früher. Einen Teil der beschriebenen Szenarien habe ich so auch erlebt. Jetzt, wo ich von Eurem Martyrium gelesen habe, weiß ich, dass es auch mich noch schlimmer hätte treffen können. Erst seit wenigen Jahren drängen sich die Erinnerungen bruchstückhaft mit brutaler Gewalt ins Bewusstsein, sie waren mir vorher nicht zugänglich. Seit dem ersten Flashback und dem Auftreten komplexer dissoziativer Symptome ist nichts mehr wie früher, nichts mehr… die Symptomatik macht ein halbwegs normales Leben kaum möglich. Es gibt auch hier Parallelen zu Euren Beschreibungen. Trotz therapeutischer Unterstützung und einem Klinikaufenthalt habe ich es bislang nicht geschafft aus diesem Sumpf heraus, in eine Stabilität zu finden. Es geht mir sehr schlecht. Immer wieder verlassen mich Zuversicht und Lebensmut. Ich weiß nicht, ob und wie ein Leben- mein Leben- mit all dem gehen kann…
Danke, liebe Pia, liebe Anne, danke für Eure lieben Worte, sie sind so kostbar für mich und mir ein Halt: „Liebe kleine Schwester, es wird besser. Ganz bestimmt. Du hast schon so viel geschafft, dass du am Leben bist. Gib nicht auf! Komm, du kriegst das hin.“ Ich habe Eure Worte ausgeschnitten, sie in mein Büchlein geklebt, so habe ich immer etwas von Euch bei mir. Es fühlt sich ein wenig so an, als liefet Ihr neben mir, als wäret Ihr an meiner Seite…. Danke für Euren Mut. Für mich ist kostbar von Euch zu wissen.
Alles Liebe für Euch beide, für Euren weiteren Weg. Bleibt auch Ihr tapfer und gebt nicht auf, hört Ihr?
Ich schließe Euch beide, aber auch die Schwestern und Brüder, von denen wir nicht wissen, (das ist mir wichtig) in meine Fürbitte ein. In Gedanken umarme ich Euch... ganz fest.
In Verbundenheit
Eure Schwester

Liebe H.D., liebe Pia und Anna und alle anderen die aus dieser Hölle kommen!

Ich danke Euch für den Mut und die Kraft, Eure Geschichten öffentlich zu erzählen. Die an so vielen Stellen auch meine ist...

Für mich (uns) ist es so wichtig, zu hören, lesen, fühlen, dass es Euch gibt. Dass ihr kämpft, genauso wie ich.
(Verzeiht, wenn es mir nicht gelingt, in der Ich-Form zu schreiben. Zu viele andere Anteile fühlen sich ebenso mit Euch verbunden und möchten auch schreiben.)

Wir sind seit vielen Jahren bei guten und erfahrenen Traumatherapeutinnen, und waren mehrmals in einer Klinik, die eine spezielle Station für Menschen mit genau dieser Art extremer Gewalterfahrung hat.
Inzwischen können wir sagen: es kann besser werden. Und der Kampf darum lohnt sich!
Unser Überleben und jedes bisschen gutes Leben im Heute, jedes bisschen Heilung, das wir uns erkämpfen, ist ein Triumpf gegenüber den Täter/innen! Ist Freiheit, die wir nie erlangen, Wut, die wir nie entwickeln und Trauer, die wir nie fühlen können sollten.

Ich/wir kennen nur zu gut das Gefühl, von der unglaublichen Gewalt und ihren Folgen bis heute erdrückt zu werden. Nicht zu wissen, wie ich damit leben können soll... mit den Schmerzen, den Flashbacks, den Erinnerungen... Und der Einsamkeit, die aus all dem erwächst. Eine Einsamkeit, die selbst im Zusammensein mit einer guten Freundin so unendlich ist....

Immer dann, wenn ich/wir anderen Menschen mit ähnlichen Geschichten begegne, hört diese Einsamkeit für eine Weile auf und ich/wir fühlen uns verbunden. Das ist Trost. Halt. Und der Ansporn, nicht aufzugeben. Gegen all die Zumutungen und das Unverständnis, die Menschen wie uns auf Ämtern, bei Kranken-, Rentenversicherungen, dem OEG,... und leider auch oft von ignoranten Mitmenschen entgegengebracht werden.
Um unsere Klinikaufenthalten und um manche Therapiestunden mussten wir mit Widersprüchen und Klagen kämpfen. Aufzugeben schien oft leichter als auszuhalten, was durch die unsäglichen Briefe der zuständigen Behörden ausgelöst wurde. Mein/unser Zustand hat sich in diesen Phasen oft massiv verschlechtert... Gleichzeitig fühlte sich das Kämpfen richtig und lebendig an und heute bin ich/sind wir sehr froh, nicht aufgegeben zu haben.

Ihr lieben Anderen da draussen, bitte gebt auch nicht auf!!
Es gibt sie, die guten Menschen, die verstehen und begleiten wollen, die bereit sind, sich unsere Geschichten anzuhören und ein bisschen mitzutragen. Und die guten Therapeut/innen, die sich mit Menschen wie uns auf den Weg machen und dableiben. Die Erfahrung, Offenheit und Ideen mitbringen, mit denen es immer wieder ein kleines Stückchen leichter wird.

Und jedes Mal, wenn eine oder mehrere von uns öffentlich sprechen, sichtbar werden, werden es ein paar gute, hilfsbereite Menschen mehr werden. Und andere werden zumindest einen Teil ihrer Ignoranz und Abwehr ablegen.

Ich schicke Euch Kraft und Mut, mein Herz ist warm, wenn ich an Euch denke
Dany

P.S.:
an alle diejenigen, die sich empören, solch detailierte Geschichte dürften nicht veröffentlicht werden:

ihr seid Teil der Masse, die mich und alle anderen Betroffenen zum Schweigen bringen will. Ob es in Eurer Absicht liegt oder nicht - damit schützt ihr in erster Linie die Täter und Täterinnen.
Ich/wir und andere Betroffene, die wir kennen gelernt haben, leiden nicht unter der Veröffentlichung detaillierter Geschichten. (Wir können ja selbst entscheiden, was wir davon lesen und was zu sehr triggert) Wir leiden vor allem darunter, dass sehr viele Menschen von der extremen Gewalt und den organisierten Strukturen dahinter nichts wissen wollen.
Oder anders: ihr haltet unsere Lebensgeschichten nicht aus. Deswegen sollen wir schweigen und nicht das tun, was eigentlich angemessen wäre: Laut und unüberhörbar vom ganzen Ausmaß der Gewalt sprechen.

P.P.S: Liebe Christine Holch,
danke ebenfalls an Sie für den Mut und die Offenheit, diesen Artikel zu schreiben! Ich empfinde Ihren Blick mitfühlend und auf Augenhöhe. Für mich/uns bewahren Sie genau das richtige Maß zwischen Nähe und Distanz, so ist es Ihnen gelungen über diese ganze Grausamkeit zu schreiben ohne zu beschönigen oder voyueristisch zu werden. Wow!
Und danke auch für die Anmerkungen innerhalb der Leserdiskussion, ich fühle mich als Betroffene gesehen, verstanden und verteidigt.

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Ihr Artikel über die beiden misshandelten Frauen hat mich erschüttert und lässt mich nicht mehr los. Schlimm finde ich nicht nur die Taten, sondern auch die mangelnde Hilfe und fehlende Entschädigung.
Ich möchte es kurz machen – gibt es eine Möglichkeit, die beiden von privater Seite finanziell zu unterstützen, damit z.B. der Kauf eines Trampolins oder E-Bikes möglich sind? Würden die beiden das annehmen? Wie könnte das praktisch aussehen – gäbe es ein Konto, auf das man etwas überweisen könnte? Ich könnte mir vorstellen, dass auch andere Leserinnen und Leser diesen Wunsch verspüren. Ich würde gerne in meinem Bekanntenkreis sammeln. Ich schäme mich stellvertretend für alles menschliche und auch staatliche Versagen, worunter die beiden zu leiden hatten und immer noch leiden.

Antwort auf von Maren Rensch (nicht registriert)

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Ich möchte mich anschließen, falls mit einer Geldspende geholfen werden kann. Seit ich den Bericht gelesen habe, bin ich in meinem Innersten tief erschüttert. Es kann also doch sein, was nicht sein darf!

Ich wünsche mir ausserdem, dass der Artikel als pdf verfügbar gemacht wird. Er sollte in der Ausbildung im pädagogischen Bereich verwendet werden, damit keine Lehrer/in, keine Erzieher/in mehr in die "Mütterfalle" tappt- oder denkt, dass im Bildungsbürgertum solche Gewalt nicht vorkommt.

Ich wünsche ausserdem auch noch, dass der Rechtsstaat hier eingreift-ohne die Opfer zu belasten. Es darf einfach nicht sein, dass derartig krasse Gewalttaten ungesühnt bleiben. Kein Täter darf sich sicher fühlen, auch wenn die (damaligen) Opfer stumm bleiben wollen.

Und zuletzt: Ich habe größten Respekt vor der Würde und der Stärke dieser beiden Frauen. Ich danke euch.

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Sehr geehrte Damen Anne, Pia und Christine Holch,

ich möchte mein Schreiben mit dem für mich Wichtigsten Punkt beginnen:

@ Liebe Pia und Anne, für mich persönlich sind Sie zwei sehr starke, mutige Frauen, denen ich von Herzen weiterhin ganz viel Kraft und Zuversicht wünsche. Trotz all` diesen Erfahrungen sind Sie Ihren Weg gegangen und ich hoffe sehr, dass Sie weiter Ihren Weg gehen werden und es dabei schaffen, die schönen Seiten des Lebens für sich nicht nur weiter zu entdecken sondern zu genießen. Ich wünsche mir für Sie ganz viel ehrliche Liebe, Zuneigung und tolle, liebevolle Menschen um Sie herum, die Sie daran erinnern, das es auch einen Sonnenseite zum Leben gibt...

Zu dem Artikel möchte ich folgendes sagen:
Es ist mir sehr schwergefallen Ihren Artikel komplett zu lesen- Trauer, Wut, Tränen, Bestürzung und Ratlosigkeit - von allem etwas hat mich bewegt. Ratlosigkeit vor allem deshalb, weil ich einfach nicht verstehen kann, vielleicht auch nicht verstehen will, wie Menschen, insbesondere Mütter, ihren Kindern so etwas antun können.

Ihre Worte waren so eindringlich, dass sie mich, zusammen mit den Bildern in meinem Kopf, vermutlich noch sehr lange begleiten werden.

Sehr gern möchte ich mich der Frage von Frau Rensch anschließen - gibt es etwas, das wir, das ich tun kann? Sei es eine finanzielle Unterstützung oder eine mögliche Sachspende?

Ich möchte Ihnen Dreien sowohl für die Offenheit und den Mut, dieses Thema an- und auszusprechen, danken. Bitte scheuen Sie sich nicht, meine Frage in Bezug auf eine mögliche Unterstützung zu beantworten.

Alles Gute für Sie...

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Ich habe als Traumatherapeutin viele Jahre Erfahrung mit der Arbeit mit Überlebenden extremer Gewalt und kann daher beurteilen, dass Sie eine sehr guten Artikel gemacht haben.
Danke an die beiden "survivors" für ihren Mut. Ich weiß, welche Qualen solche Berichte mit sich bringen. Ich hoffe, sie haben adäquate therapeutische Hilfe.
Es ist sehr wichtig, dass über Rituelle Gewalt bzw. Organisierte sexuelle Gewalt mehr berichtet wird - damit die Öffentlichkeit immer erneut erfährt, dass "es sowas gibt" mit welchen Konsequenzen für die Betroffenen.
Dranbleiben ist wichtig. Das zeigt die Rezeption des Themas Sexueller Kindesmissbrauch über die letzten zwanzig Jahre.
Sie stärken mit diesem Artikel auch die Rücken der in diesen Feldern tätigen HelferInnen, TherapeutInnen, FreundInnen, ÄrztInnen, SozialhelferInnen und auch ForscherInnen und JournalistInnen, die sich an diese Themen herantrauen wie Frau Holch und Frau Morosan, ihnen beiden Dank.

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Welch ein wichtiger Beitrag zu einem sehr verstörenden Thema – und große Hochachtung für die beiden Frauen, die es geschafft haben, über ihre fürchterlichen Erfahrungen zu sprechen und sie an die Öffentlichkeit zu bringen. Christiane Holch hat ihre Geschichte mit viel Respekt und Behutsamkeit wiedergegeben. Danke! - Sich solches Leiden vorzustellen ist, glaube ich, kaum möglich und es ist wichtig sich klarzumachen, dass es mitten unter uns geschieht. Höchst alarmierend finde ich, dass es in der Praxis nicht möglich ist, gegen solche Verbrechen mit rechtsstaatlichen Mitteln vorzugehen und die Opfer schutzlos bleiben, wenn sie nicht erneute Traumatisierung und soziale Ächtung erfahren wollen. – Was kann dagegen helfen? Sicher keine schärferen Gesetze. Verboten ist das alles längst. Wohl aber schärfere Blicke auf das, was tabuisiert ist und ‚nicht sein darf‘ – dazu haben diese beiden wunderbaren Frauen mit ihrem Mut und ihrer Stärke beigetragen. Dafür großen Respekt.

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Ich muss Ihnen unbedingt zu der Titelstory des Märzheftes schreiben.

Ich bin immer noch sehr aufgewühlt, wenn ich an diesen Text denke. Dieses Ausmaß an Missbrauch und Sadismus ist einfach nicht begreifbar. Und das diese Menschen nicht zur Rechenschaft gezogen werden können, eben so.
Am liebsten würde man sie an den "Pranger" stellen und ihnen die Maske der bürgerlichen Fassade entreißen. Damit Nachbarn, Kollegen, Bekannte usw. sehen mit welchen "ehrwürdigen Mitbürgern " sie es zu tun haben, andere gewarnt werden oder sie die Möglichkeit haben ihre Krankheit heilen zu lassen statt anderen Menschen Schmerzen zuzufügen

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Sehr geehrte MitarbeiterInnen,
Gern möchte ich auf einen Artikel Ihrer Zeitung reagieren. Der Mut der beiden Frauen, die sich im Beitrag "Wer tut so was?" über persönlich erfahrene sexuelle Gewalt äußern, ist so bemerkenswert, dass ich ein großes Bedürfnis habe, dafür Danke zu sagen. Im Rahmen meines Medizinstudiums habe ich mit Opfern sexueller Gewalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet. Die offene Beschreibung des Erlebten, der beiden Frauen, welche im Text die Namen Pia und Anne tragen, helfen mir, das Ausmaß dessen zu begreifen, was Kindern passieren kann. Da ich selbst ohne Gewalt aufwachsen durfte, fällt es mir schwer, mir überhaupt vorstellen zu können, wozu Menschen in der Lage sind. Was sie tun und auch ertragen können. Mit meiner Reaktion auf diesen Artikel möchte mich mich ausdrücklich an diese starken und bewundernswerten Frauen wenden.
Sich diesen Erlebnissen zu stellen und davon zu berichten verdient höchsten Respekt und Anerkennung. Allein die Leiden, welche beide für dieses Interview auf sich genommen haben, bewegt mich zu tiefst. Leider habe ich erlebt, dass junge Mädchen sich für den Suizid entschieden haben. Dafür sind auch unsere rechtlichen Möglichkeiten verantwortlich.
Wenn Aussagen aufgrund von Suizidalität immer weiter verschoben werden, Traumatherapien deshalb aufgeschoben werden und die Aufarbeitung immer weiter verzögert wird. Die Qualen durch die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung sind unzumutbar! Danke für Ihren Mut und Ihr Überleben, Anne und Pia. Ich bewundere Sie zu tiefst und wünsche Ihnen ein Leben, in dem sich im Laufe der Zeit den negative Erinnerungen gegenüber unzählige positive Erinnerungen sammeln.

Mit freundlichen Grüßen
H. P.

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Sehr geehrte Redaktion und Leser, liebe Pia und Anne, ich möchte denjenigen Lesern antworten, die in dem Artikel eine Gefahr oder Zumutung für Unvorbereitete, Betroffene oder Kinder sahen: Die Beschreibung von Gewalt in diesem Artikel ist nicht anders als in Beiträgen anderer seriöser Magazine, ich denke an z.B. an einen Bericht des SZ-Magazins über Foltercamps im Sinai. Auch die Details waren gerade ausreichend, um das Ausmaß der Taten zu beschreiben, voyeuristisch ist anderes (ich selbst habe als 8-Jährige leider mitunter die Bildzeitung meiner Großeltern gelesen). Und auch das Thema organisierter Missbrauch ist insbesondere seit Berichten über den Pädophilenring um Marc Dutroux und seine Frau mit Festnahmen anerkannter Persönlichkeiten der belgischen und europäischen Gesellschaft bekannt. Die Aufdeckung der Pädophilen-Plattform "Elysium" zeigt das Ausmaß : 100000 Nutzer weltweit, und dies ist ja nur eine Plattform von vielen, davon ist auszugehen. Hierzu gehören immer Eltern, die dies geschehen lassen oder aktiv beteiligt sind (abgesehen von evtl. entführten Kindern). Die Meinung, man solle das Thema trotzdem nicht öffentlich behandeln, unterstreicht, was es ist: ein Tabu. Genau das macht es für Betroffene so schwierig, darüber zu reden bzw. Gehör und Hilfe zu finden. Es wird Zeit, dass dies aufgebrochen wird.

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Zunächst ein Dankeschön an Maren Rensch für die sinnvolle Idee, die beiden Frauen, insbesondere Anne, finanziell zu unterstützen. Denn so jung berentet zu sein bedeutet nicht, sich die Therapien, die einem gut täten und für die die Krankenkasse "in diesem Quartal leider nicht mehr aufkommt!", selbst zahlen zu können. Das bedeutet, die Schmerzen auszuhalten. Opferentschädigung? Ein nobles Wort ...

Ich bin eine, die "nur" vom Opa und Onkel sexuell missbraucht wurde. Und sie waren keine Sadisten. Jedoch: 80% der Täter sind im Familienkreis des Opfers zu finden und das erschwert die Entdeckung des Missbrauchs. Und diese Täter werden von anderen Familienmitgliedern gedeckt. Das war nicht nur in meiner Ursprungsfamilie eine Zeit lang so, sondern auch in der meiner angeheirateten Familie, in deren Verwandtschaft es auch einen Täter gab. Man informierte uns hinter vorgehaltener Hand über die Vergewaltigung seiner fünfjährigen Nichte vor über zwanzig Jahren.

Ich war, wie Prof. Fegert, Kinder- und Jugendpsychiater von der Uni Ulm, sagt, ein "robustes Kind". Und ich habe Karriere gemacht. Mit 57 Jahren bin ich dann psychisch und physisch zusammengebrochen. Es kamen ein halbes Jahr vorher Warnungen von meinem Herzen und zwei Monate vorher eine schwere Allergie als "Erinnerungstrigger aus dem Unterbewusstsein". Nach dem Zusammenbruch lief mein Lebenskrug über: durch die Turbulenzen wälzte sich der Unrat vom Boden des Krugs hoch und die schwarz-braune, zähflüssige Masse lief über den Rand des Kruges in die Sichtbarkeit. Aus einzelnen Erinnerungen wurden zusammenhängende Bilder und die Allergie verschwand. Nur der Herzschrittmacher blieb. Ich habe über fünf Jahre gebraucht, meinen Weg aus diesem Tal der Depressionen und Untätigkeit zu finden. Und ich habe es geschafft.

Die Folge: ich will, dass die Gesellschaft mehr erfährt über den Missbrauch. Z.B. Wie und wann verändern sich Kinder in ihrem Verhalten, die missbraucht werden? Und ich will, dass die Behörden mehr Informationen bekommen. Deshalb habe ich NRWs Innenminister Reul angeschrieben, dass, will er die Täter sichtbar machen, er die OPFER anhören muss. Ich habe bereits eine Antwort erhalten. Er hat unter dem enormen Druck (Missbrauch Campingplatz Lügde, fehlende Reaktion auf Missbrauchshinweise bei Jugendamt und Polizei) eine neue Stabsstelle eingerichtet und sobald diese ihre Arbeit aufgenommen hat, kommen sie auf mich zu.
Um dieser Anforderung gerecht zu werden, habe ich Kontakt zur Uni Ulm aufgenommen. Auch dort traf ich auf offene Ohren bei Professor Jud: Er sandte mir sofort die Folien zweier Vorträge zur Verwendung, um meine Aussagen wissenschaftlich zu untermauern.

Leider reagierten weder unser UNABHÄNGIGER BUNDESBEAUFTRAGTER FÜR FRAGEN ZU SEXUELLEM KINDESMISSBRAUCH, was ich besonders peinlich finde da es doch seine Tätigkeit betrifft, noch unsere Familienministerin. Schade.

Meinen schweren Burnout und die PTBS habe ich als Tagebuch unter dem Pseudonym "Susann Escribo" veröffentlicht. Der sexuelle Missbrauch ist erwähnt, steht jedoch nicht im Mittelpunkt sondern die daraus resultierenden Symptome und die schwer wiegenden Folgen. Und mein unglaubliches Glück, das ich immer hatte. Ich bin sehr dankbar dafür und wünsche mir für Anne, Pia und Lea, dass sie auch immer ihre Helfer finden. Von meiner Marge von 3,83 € gehen 3 € pro verkauftem Buch an die Stiftung Offroad-Kids. Weil Kinder, die keine Lösung wissen, weglaufen. Die Stiftung Offroadkids baut mit viel Geduld Vertrauen zu ihnen auf, zeigt ihnen Zukunftsperspektiven und geht mit ihnen diesen neuen Weg.

Und ich bin nicht allein. Karin Steinherr hat den "Verein gegen Missbrauch e.V." gegründet. Sie hat ein Theaterstück über ihren erlebten Missbrauch durch ihren Stiefvater und dessen Freund, dem sie sich in ihrer Not anvertraute, geschrieben, dass an Schulen aufgeführt wird. Und es gibt eine weitere Missbrauchte, die ihr Kasperltheater an Kitas aufführt.
WIR geben den missbrauchten Kindern ein Gesicht. Ich wünsche mir, dass dies viele Frauen und Männer lesen, die auch "unsere missbrauchten Schwestern und Brüder" sind und die den Mut haben, mit uns aktiv zu werden für die Sichtbarkeit des Missbrauchs. Je mehr wir sind, um so besser werden wir gesehen. Und um so mehr Aussagekraft haben unsere Worte.

Gerne eine E-Mail an susann.escribo@gmail.com

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Liebe Pia, liebe Anne,

Ihr Bericht war erschütternd zu lesen und sehr schwer verdaulich. Umso wütender macht es mich, dass die Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden, was ich aber aus Ihrer Sicht nachvollziehen kann.
Da Sie schreiben, die Umwelt muss genauer hinhören/sehen, frage ich mich wie oft auch ich eine Mißhandlung übersehen haben könnte. Was für Fragen muss ich stellen, dass mir nicht geantwortet wird: Alles gut. Soll ich als Hausärztin öfter mal die Mütter rausschicken? Aber antworten mir die Kinder dann wahrheitsgemäß? Und ist Ihre Parole "durchhalten" wirklich das Einzige, was man den Kindern mit auf den Weg geben kann-gibt es gar keine Exit Strategie, nach der nicht alles schlimmer wird als vorher?
Danke für Ihren mutigen Artikel und alles Gute für Ihre Zukunft.

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Der aufwühlende, unfassbare Inhalt des Artikels beschäftigt mich nach wie vor. Ich bin entsetzt über das Leid, das manche Kinder in so einem Ausmaß aushalten müssen - mitten unter uns. Speziell ansprechen möchte ich nun die Frage, ob es möglich sein kann, dass die Stasi, die doch so viel Privates von den Menschen wusste, gar nichts von organisierter sadistischer Gewalt gegen Kinder in der DDR mitbekommen hat? Die DDR war ja nun kein freies Land. Sehr vieles stand unter intensiver Beobachtung - ich stelle es mir schon als verdächtig vor, wenn fremde Menschen in die Nachbarschaft kommen und das Kind mitnehmen oder Kinder auf Raststätten umsteigen müssen von Auto zu Auto.. Immer wieder, regelmäßig. Das fiel nicht auf?
Gibt es hierzu Hinweise in den Stasi-Akten? Haben die betroffenen Frauen das mal recherchiert? Waren Stasi-Leute vielleicht beteiligt und unterstützten das System?
Unfassbar traurig, wie böse das menschlich Böse sein kann.

I.D.

Sehr geehrte (r) I.D., ich möchte mich gern zu Ihren Überlegungen hinsichtlich der Staatssicherheit äußern. Das kann ich allerdings nur aus meinem eigenen kleinen Erfahrungsbereich heraus und aus meinem persönlichen Blickwinkel tun. Ich war als Kind auch über Jahre hinweg organisiertem sexuellen Missbrauch ausgesetzt wie Anne* und Pia* auch in der DDR. Da die Taten nicht nur in privaten, sondern auch öffentlichen Räumen (soziale Einrichtungen/ Institutionen) in denen nicht nur von einer allgemeinen sozialen Kontrolle auszugehen war, sondern unbedingt auch davon, dass dort die Staatssicherheit mindestens eine überwachende Person "positioniert" hatte, habe ich versucht an Informationen zu kommen. Da meine Erinnerungen nur bruchstückhaft sind, erhoffte ich mir durch eine eventuell vorhandene Stasi- Akte Aufschluss über Geschehenes und Informationen über beteiligte Personen zu bekommen. Über mich selbst wurde keine Akte gefunden, auch nicht über ein involviertes inzwischen verstorbenes Familienmitglied in dessen Akte (falls vorhanden) ich mit entsprechender Begründung Akteneinsicht beantragen konnte. So etwas ist also möglich. Ich weiß, dass einer der Täter regelmäßig von der Staatssicherheit in einer damals der Geheimhaltung obliegenden Tätigkeit in Anspruch genommen wurde, er selbst war meines Wissens nicht bei der Stasi. Ich kann an dieser Stelle nur die Informationen weitergeben, die ich im Zuge meiner persönlichen Geschichte in Erfahrung gebracht habe. Die Informationen die ich in Bezug auf die Mitwisserschaft der Staatssicherheit hinsichtlich dieser Verbrechen habe, ist die, dass die Stasi den Missbrauch an Kindern auf jeden Fall wahrgenommen / registriert hat. In Unterlagen sollen sich dazu aber sehr wenig konkrete Hinweise auf entsprechende Taten finden. Es scheint in der DDR gar keine Sprache für dieses Thema gegeben zu haben. Es war nicht im Interesse der sozialistischen Staatssystems den Missbrauch an Kindern zu thematisieren, das hätte nur das System geschwächt. Das Ergebnis lässt sich als "kollektives Wegschauen", als Versagen eines ganzen Systems bezeichnen. Das Wissen der Stasi über Fälle von Kindesmissbrauch soll dazu genutzt worden sein, Täter und andere Beteiligte massiv unter Druck zu setzen und für eigene Zwecke, wie z. B. Nötigung zur Arbeit als IM oder allg. Spitzeltätigkeiten zu manipulieren. Ich kann keine Aussage dazu machen, inwieweit die Stasi selbst aktiv am Missbrauch von Kindern beteiligt war, für mich ist das auf jeden Fall denkbar. Für mich als Betroffene ist kaum auszuhalten, dass der sexuelle Missbrauch an Kindern in der DDR tabuisiert wurde und ich jetzt erlebe, dass man nicht glaubt, wofür es früher keine Sprache, keine offenen Ohren, keine offenen Augen gab. Das Gefühl von Einsamkeit setzt sich also fort.... H.D.

Liebe H.D.,
Liebe weitere Leser,

Ich bin in Westdeutschland geboren und missbraucht worden. Es war kein staatliches System, das weggeschaut hat, sondern ein ganz kleines System. Die Familie. Nicht nur in meinem Fall. Auch in der Familie meines Mannes. Mein zweiter Mann wurde von seiner Mutter sexuell missbraucht.

Heute glauben immer noch die Menschen, die nichts von der Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs an Kindern wissen, dass es fremde Täter sind. Zu 80% sind es Täter aus dem Familien- und Bekanntenkreis. Wenn ich den Fall in Lügde verfolge, frage ich mich, ist es Naivität oder Bequemlichkeit, die Eltern ihre Kinder bei einem alleinstehenden Mann übernachten lassen, bzw. sie alleine mit ihm über's Wochenende an einen See, mehrere hundert Kilometer entfernt reisen lassen?

Wir können nicht erahnen, wie viele Kinder die Lösung des Freitods, wie gestern über die 17jährige Niederländerin Noa zu lesen war, in den letzten achtzig Jahren gewählt haben. Beispiele von vermissten, missbrauchten Kindern liegen mir genug vor. Nicht alle landen auf der Straße und werden von der Stiftung "Offroad-Kids" aufgefangen.

Wenn Sie sich ebenfalls für die Rechte der missbrauchten und misshandelten Kinder einsetzen möchten, würde ich mich über eine Nachricht von Ihnen freuen. Denn: gemeinsam sind wir stärker als allein. Und je mehr wir sind, um so hörbarer wird unsere Stimme. Momentan bin ich zwar mit vielen Verantwortlichen im Kontakt, bekomme aber von denen, die zu bequem sind, sich mit diesem Thema weiterhin auseinanderzusetzen, einen Stuhl vor die Tür gestellt. Selbst der Bundesgesundheitsminister verschließt seine Augen vor meiner E-Mail, in der ich ihm aufgelistet habe, dass meine Krankenkasse meine Klinikaufenthalte, Psychotherapien, Medikamente, Berufsausfallzeiten und vorzeitige Rente wegen Behinderung mehr als 80.000 € gekostet haben. Warum diese Kosten? Weil ich mit 57 Jahren zusammengebrochen bin und danach nicht mehr belastbar war. Und ich bin nur eine von unzähligen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Burnout und erlebtem sexuellen Missbrauch? Ja, den gibt es, überall in der Fachliteratur nachlesbar.

Sie wollen mehr über dieses Thema und die Verbreitung wissen: Ich empfehle Ihnen das Buch "Zart war ich - bitter war's" von Ursula Enders, der Mitbegründerin von Zartbitter Köln.

Antwort auf von Frauke Almuth Eilers (nicht registriert)

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Sehr geehrte Frau Eilers, ich möchte mich kurz auf Ihren Leserbeitrag beziehen. Mir tut es sehr leid zu lesen, dass auch hinter Ihnen furchtbare Erfahrungen liegen. Ich kann gut verstehen, dass Sie noch einmal in das Blickfeld rücken, dass es die "kleinen sozialen Systeme", die Familien sind, die weggeschaut haben und wegschauen. Da bin ich ganz bei Ihnen! Und es ist gut, dass auch Sie nicht müde werden das zu benennen. In meinem Beitrag hatte ich mich auf die vorangegangenen Leserpost bezogen in dem die DDR im Focus stand und der Fragen zu Erfahrungen und möglichen Mitwisserschaft der Stasi beinhaltete. Alles erdenklich Gute für Sie! M. f. G. H. D.

" Es scheint in der DDR gar keine Sprache für dieses Thema gegeben zu haben. Es war nicht im Interesse der sozialistischen Staatssystems den Missbrauch an Kindern zu thematisieren, das hätte nur das System geschwächt. Das Ergebnis lässt sich als "kollektives Wegschauen", als Versagen eines ganzen Systems bezeichnen."
Das Thema sexueller Missbrauch an Kindern ist kein spezifisches DDR Thema.
Alice Miller, die amerikanische Psychoanalytikerin und Pionierin auf dem Gebiet der Erforschung des Kindesmissbrauchs und -misshandlung hatte mit vielen Hindernissen seitens ihrer beruflichen Zunft zu kämpfen, und wurde auch von der Presse angefeindet. Sie schrieb etliche Bücher zum Thema, das bekannteste davon "Am Anfang war Erziehung".

Hallo werte(r) G.L.,
Hallo alle weiteren Leser,

Es gab und gibt überall sexuellen Missbrauch an Kindern. Gestörte Menschen, mehr als 80% männlich, üben Macht über die Schwächsten aus.

Kollektives Wegschauen findet, damals wie heute, besonders in Familien statt. Denn: 80% der Täter kommen aus dem Familien- und Bekanntenkreis ...

Gerne empfehle ich das 2001 erschienene Buch "Zart war ich, bitter war's" von Ursula Enders, der Mitbegründerin von Zartbitter Köln. In dem Buch sind die Auswertungen der Studien aus den 90er Jahren abgedruckt. So bekommen Sie einen umfassenden Überblick über die Hintergründe.

Es heißt zwar, nur wer das Alte kennt, kann Neues schaffen. Aber das Buch von Alice Miller ist immer noch die 1. Auflage von 1985. "Zart war ich, bitter war's": 1. Auflage 1991, 2. Auflage 2001. Freud wird zwar immer wieder gerne zitiert. Aber die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen in den letzten 30 Jahren sind überwältigend.

Antwort auf von F.E. (nicht registriert)

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Vielen Dank für Ihren Beitrag. Eine ähnlich lautende Antwort auf meinen Kommentar, war zu erwarten :-).
Zur ersten Auflage : manche Dinge sind zeitlos, und gerade deshalb wäre eine Überarbeitung vielleicht wenig sinnvoll, wohingegen wissenschaftliche Untersuchungen nicht immer sehr tiefgreifend sind.
"Es heißt zwar, nur wer das Alte kennt, kann Neues schaffen. ", aber andererseits, liegen zwischen 1985 und heute 34 Jahre, 1989 fiel die DDR Mauer, kann man also wirklich "Altes" mit ausschliesslich Neuem heilen ?
Ich glaube das nicht.
M.f.G., G.L.

Antwort auf von G.L. (nicht registriert)

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Danke für Ihren Kommentar! Ich stimme Ihnen zu, dass wissenschaftliche Studien nicht immer die Wahrheit ans Tageslicht bringen (auch: "Wittchen-Studie"). Entscheidend sind die "Fragen" die beantwortet werden. Korrekt beantwortet und ausgewertet werden ...

Absolut lesenswert war für mich insbesondere auch die Dissertation von Tatjana Gießmann zum Thema Prävention: https://opendata.uni-halle.de/bitstream/1981185920/11631/1/Dissertation%20T.%20Grießmann-Gehrt.pdf.

Zur Prävention gehört in meinen Augen auch das HINSCHAUEN DER GESELLSCHAFT. Deshalb ist der Sexuelle Kindesmissbrauch mein Thema, weil so viele Angehörige nichts ahnen, bzw. wegschauen.

Mit dem "Nur wer das Alte kennt, kann Neues schaffen" war gemeint, dass ich - wenn ich weiß, dass es den Missbrauch schon damals gegeben hat - mich mit den Gründen von damals beschäftigen kann und was hat sich bis heute nicht verändert, bzw. sind andere Gründe hinzugekommen. Dann habe ich die Möglichkeiten, Gegenmaßnahmen zu erarbeiten und umzusetzen. Das ist der Grund, weshalb ich die Menschen bitte, die sich in der Öffentlichkeit outen können, sich mit mir gemeinsam zu zeigen: wir sind ganz normale, erfolgreiche Menschen geworden. Manche. Manche haben Waschzwänge. Manche haben Essstörungen, verhungern, andere brauchen im Flugzeug zwei Sitze. Manche verletzen sich. Manche fliehen. Manche davon sind gestrandet. Andere haben das Leben nicht mehr ausgehalten (Noa Penthoven u.a.). Und immer mehr verarbeiten ihren Missbrauch in einem Buch. Jeder Weg, der aus dem Sumpf führt, ist richtig, wenn ich keinen anderen Menschen damit schädige.

Solange die Gesellschaft nicht erkennt, dass Missbrauchte bestimmte Verhaltensmuster haben, die sie von nicht Missbrauchten unterscheiden, können nicht alle, die hinschauen könnten, Missbrauch erkennen. Und wir alle können Geschichten erzählen. Wie unser erlebter Missbrauch ausgesehen hat. Wie geschickt die Täter ihre Täterschaft kaschieren.

Entsetzt bin ich immer noch über unsere Gesetzgebung und die Urteile der deutschen Rechtsprechung. Wenn wir in andere Länder schauen, gibt es nicht EINE Kollektivstrafe für alle Missbrauchsfälle, sondern die Strafe wird pro Fall addiert.

Damit sich etwas verändert, bin ich aktiv. Denn ich habe es geschafft. Kinder BRAUCHEN die Unterstützung von starken Menschen.

Einen Wunder-vollen Tag für Sie, liebe G.L. wünscht Ihnen F.E.

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser, in meinem Brief habe ich mich explizit auf den Beitrag von I. D. (dem vorhergehenden Leserbeitrag) bezogen, der konkrete Fragen hinsichtlich Erfahrungen zur möglichen Mitwisserschaft der Stasi beinhaltete. Natürlich ist der Missbrauch an Kindern kein spezifisches DDR Thema, so wollte ich meinen Beitrag keinesfalls verstanden wissen. M. f. G. H.D.

Tut mir leid, aber ich setzte allgemeines Textverständnis und Lesefähigkeit voraus, und natürlich habe ich Sie nicht falsch interpretiert. Seit fast 30 Jahren existiert die DDR nicht mehr, ich wollte diesen Exklusivitätsanspruch an den DDR eigenen Missbrauch allgemein erweitern. Ohne jegliche böse Absicht , und es gefällt mir ebenso wenig, wenn ich missverstanden werde. Ich liebe das Thema nicht, und manchmal habe ich den Eindruck, dass man sich gerne in diesen MissbrauchsNimbus hüllt. Und ich behaupte, dass bei all der Verherrlichung das Kind auf der Strecke bleibt. Nur deshalb kann es passieren, dass selbst heute noch vielfacher Missbrauch geschehen kann. Bei aller Sensibilität des Themas muss doch eine gewisse Distanz gewahrt bleiben können. Für Rechtfertigungen ist hier nicht der Rahmen, meiner Ansicht nach.
Vielen Dank und Frohe Pfingsten an alle. G.L.

Es tut mir leid, natürlich habe ich Sie nicht missverstanden, nur wollte ich darauf hinweisen, dass die völlige Konzentration auf das DDR Thema vielleicht gar nicht so hilfreich sei, und selbstverständlich steht es Ihnen frei, die Dinge auf Ihre Weise zu sehen.
M.f.G. G.L.

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Tief bewegt und vor allem betroffen hat mich ihr Artikel zu o. g. Thema gemacht.

Ich selbst hatte ein glückliche Kindheit und bin Vater zweier inzwischen erwachsener Töchter. Meine Sorge war immer, dass meinen Töchtern etwas zustoßen könnte, wenn sie denn abends aus waren. Verschließen wollte ich ihnen die Welt aber auch nicht.

Erinnert hat mich der Artikel jedoch an meine Schulzeit. Ich erinnere mich an ein bildhübsches Mädchen, welches zwei Klassenstufen über mir war. Wegen schlechter schulischer Leistungen blieb sie sitzen und war auch irgendwann in meiner Klasse. Sie war freundlich und es hieß hinter vorgehaltener Hand, da wäre etwas mit dem Vater. Was genau, überstieg meine kindliche Vorstellung. Ich erinnere mich jedoch, dass Kontakt mit ihr nicht einfach (?) war.

Beschämend empfinde ich die von ihnen geschilderte ausbleibende Hilfeleistung für E-Bike oder Trampolin. Gerne möchte ich an dieser Stelle etwas beitragen und spenden. Sofern Sie mir dazu eine Möglichkeit eines Zahlungszieles benennen könne, bin ich dankbar.

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Aufgrund des Artikels hatte ich eine schlaflose Nacht und es tut mir unsagbar leid, wie es den Mädchen erging. Da kann ich Leserin Nadja Roderburg nicht verstanden, der es nur darum ging, dass es ihre Kinder hätten lesen können. Da gab es kein Mitgefühl für die Opfer. Traurig!!!! Ich wünschte mir, dass aufgrund solcher Berichte gegen die Täter ermittelt wird. Aber leider wollen die Politiker nicht an diese Themen heran. Man müsste dann sicher auch in den eigenen Reihen ermitteln. Traurig aber wahr, siehe Film: " Operation Zucker "

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Der Artikel war inhaltlich für mich schockierend. Doch für die derzeitigen und zukünftigen Täter ist er ermutigend und setzt ein fatales Signal. Die fehlende Weitsicht einer einzelnen Journalistin ist entschuldbar, jedoch nicht das Versagen der gesamten Redaktion. Es sollte inzwischen bekannt sein, dass sich diese Täter auch im Kreise der kirchlichen Amtsträger befinden und damit zur Leserschaft einer kirchlichen Zeitschrift gehören.

Antwort auf von T. Frohloff (nicht registriert)

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Guten Tag,

ich verstehe Ihre Sorge. Aber Täter wissen selbst sehr gut, wie sie sich vor Entdeckung schützen, dazu brauchen Sie kein Kirchenblatt wie chrismon. Und was die Strafverfolgung anbelangt: Die Verjährungsfristen sind mehrfach angehoben worden, viele Opfer haben also noch sehr viel Zeit, um womöglich doch noch Täter anzuzeigen.

Mit freundlichen Grüßen

Christine Holch/ Redaktion chrismon

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Die Leserbriefe in der nachfolgenden Ausgabe 4 haben mich bewogen, Ihnen selbst zu schreiben.
Der Brief von Frau Roderburg kritisierte, dass „so etwas“ nur einem speziellen Personenkreis zugänglich gemacht werden sollte und in einer kostenlosen Beilage, die auch Kinder in die Hand bekommen können, nichts zu suchen hat.
Der Bericht über die beiden Frauen ist sicher mit einer „heilen Welt“, in der doch jeder leben möchte, nicht zu vereinbaren. Die geschilderten Grausamkeiten allein zu lesen, ist schwer zu ertragen.
Es hat mich selbst Überwindung gekostet und ich wollte nicht glauben, was ich dort las.
Ich kann auch verstehen, dass es nicht leicht ist, insbesondere Kinder mit dem Thema zu konfrontieren.
Das sexuelle Gewalt gegen Kinder dennoch existiert und nach allen Regeln der Kunst vertuscht wird, weiss man nicht erst seit den Vorgängen auf dem Campingplatz in NRW oder dem Missbrauch in der katholischen (und auch evangelischen) Kirche.
Wie auch in den anderen Leserbriefen schon geäußert, wird dieses Tabu immer ein Tabu bleiben, wenn ich es durch Wegschauen und Nicht Wahrhabenwollen in eine Parallellwelt verorte, die mich nichts angeht.
Ich möchte mich daher, wenn auch mit Verspätung, noch einmal bedanken: Zuallerst für den Mut der beiden Frauen, ihre Geschichte zu erzählen.
Ich finde es aber auch mutig und unterstützenswert von ihrer Redaktion, ein Tabu -Thema von solcher Ungeheuerlichkeit und Tragweite aufzugreifen.

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Der Artikel "Wer tut sowas?" über Kindesmissbrauch und Sadismus berührte mich tief. Beschämend, dass ausgerechnet eine Stiftung für Missbrauchsopfer Beweise fehlen um somit Annes berechtigten Wunsch -aus gesundheitlichen Folgeschäden- nach einem Trampolin und e-bike abzulehnen. Ich überlegte, ihr mein e-bike zu schenken, habe auf Nachfrage bei chrismon aber lieber Geld gespendet. Machen Sie auch mit? Wie dankbar können wir doch sein, arbeiten gehen zu können!
Vielen herzlichen Dank Ihnen, im Namen von Anne und ihrer Freundin, die sich für das Interview überwunden haben, um uns alle zu sensibilisieren: Kindern zu helfen die wir in solch einer misslichen Lage vermuten, mutig einzugreifen oder zumindest eine Meldung beim Jugendamt zu machen. Wir sind es den Kindern schuldig, wo sollen sie hin?
Susanne Niemuth-Mühlhäuser, Christin, Mutter, Tierrechtlerin u.v.m.

"Schaffen wir es gemeinsam?"
Wie denn ?!!
Ist nur rein polemisch gemeint.
"Wie dankbar können wir doch sein, arbeiten gehen zu können!"
Seien Sie nicht zu dankbar, darum geht es nicht. Wenn Sie helfen wollen, tun Sie´s.
Ich wil es nicht mal im Ansatz wissen, wie schwer es manche Kinder haben, die haben meine ganze Liebe, so weit ich ihn helfen kann.

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Zu dem Thema habe ich das Buch "Von der Mutter missbraucht" geschrieben

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