Kriegsgräber - Das sieht nach einem Volltreffer aus
Das Baltikum ist übersät von den Spuren der beiden Weltkriege
Espen Eichhöfer
Kriegsgräber
"Sieht nach ­Volltreffer aus"
Hobbyarchäologen aus dem Baltikum suchen nach Weltkriegsspuren. Sie finden Panzer, Stiefel, Orden. Und Gebeine, auch von deutschen Soldaten. Die ­können endlich bestattet werden
Gero GüntherEnno Kapitza
21.12.2018
10Min

Samstagvormittag. Der Nebel hat sich ge­lichtet. Laub rieselt aus den Kronen der Bäume. Im Gänsemarsch stapfen die Männer durch den Herbstwald. Beladen mit Rucksäcken, Eimern, Spaten und technischem Gerät. Der Pfad führt über Wurzeln und umgestürzte Bäume. Durch Matsch und taufeuchtes Gras. Die 15 Hobbyarchäologen des Geschichtsvereins "Kamerad" tragen Tarnkleidung, Gummistiefel oder Wathosen. Wie Jäger sehen sie aus, Angler oder ein Trupp Söldner. Dann legen sie die Ausrüstung ab und beginnen mit der Arbeit. Ohne Anweisungen und Diskussionen. Jeder hat seine Aufgabe. Einige tasten den Boden mit Metalldetektoren ab, andere installieren Schläuche in den mit Wasser und Schlamm gefüllten Kuhlen. Wenn der Detektor piepst, graben sie. Zuerst mit den Händen, dann mit der Schaufel. Behutsam. Ein Generator knattert.

Mehr als 80 Mitglieder hat der "Such- und Geschichtsverein Kamerad" in Estland. Die meisten von ihnen hier im äußersten Nordosten des Landes. "Das Suchen ist unser Hobby", sagt Pawel Stimmer, einer der drei Vorstände und die treibende Kraft des Clubs. Schätze haben die Männer schon gehoben: Gold, Silber und winzige Münzen aus der Römerzeit. Sie werden im Museum in der mächtigen Burg von Narvahinter Glas präsentiert. "In unserer Region wurde immer viel Handel getrieben", sagt Stimmer, "und noch mehr gekämpft." Die Wikinger waren hier, der Deutsche Orden, die Russen und die Schweden. Das meiste jedoch, das in der estnischen Erde steckt, stammt aus dem Zweiten Weltkrieg. Waffen, Munition, Kochgeschirr, Panzer, ganze Flugzeuge. Und viele tote Soldaten. In einem Bauwagen auf einer entlegenen Wiese lagert der Verein die gefundenen Knochen, ihr "Sommerdepot". 150 Säcke liegen darin, die Überreste von 70 Deutschen und 80 Russen.

Tausende liegen im Sumpf, im Wald, auf der Wiese

Das Baltikum ist übersät von den Spuren der beiden Weltkriege. Es ist normal, dass auf Baustellen Tote geborgen werden, sobald ein Bagger zum Einsatz kommt. Allein in Estland sind mindestens 35 000 Wehrmachtsangehörige umgekommen und mehr als 100 000 Rotarmisten. Ein Drittel der Deutschen und ihrer Hilfstruppen liegt auf ­Soldatenfriedhöfen, angelegt von der Wehrmacht während der deutschen Besatzung. Diese Friedhöfe waren in der Sowjetzeit zerstört oder überbaut worden und konnten erst in jüngster Zeit zum Teil wiederhergestellt werden. Ein weiteres Drittel wurde seit dem Fall des Eisernen Vorhangs geborgen und in Kriegsgräberstätten umgebettet. Tausende liegen aber auch heute noch dort, wo sie einst für den faschistischen Irrsinn gestorben sind: im Sumpf, im Wald, auf der Wiese.

"15 Jahre alt war der jüngste Soldat, den wir gefunden haben", sagt Pawel Stimmer. "Die meisten, die hier­starben, sind kaum 20 geworden." Er steckt sich eine Zigarette an, kratzt sich unter der Mütze. "Genauso alt sind meine Kinder." Stimmer ist Heizungsingenieur und Psychologe. Wie viele Menschen in Estland hat er mehrere Jobs undviele Interessen. Der 45-Jährige liebt die deutsche ­Sprache, liest Böll, Remarque und Goethe. Ein sensibler, ge­bildeter Mann. Aber jetzt haben seine Füße etwas ertastet, ­Stimmer steht knietief im Morast. Er bückt sich, dann hält er eine Bombe in den Händen.

Luftaufbilder und Hartnäckigkeit helfen den Suchenden

In den Wäldern rund um Narva fanden 1944 schwere Rückzugsgefechte statt. Monatelang hatte es Offensiven und Gegenoffensiven gegeben. Längst stand die Wehrmacht auf verlorenem Posten. Immer wieder wurden die Soldaten aus der Luft bombardiert. Aufnahmen von damals zeigen eine verwüstete Landschaft. Der Wald ist bis heute mit Bombentrichtern übersät. ­Im Abstand von wenigen Metern liegen sie zwischen den Birken, Hainbuchen, Erlen und Spitzahornen. Kleine Teiche, in denen sich die Landschaft idyllisch spiegelt. Auf ihrer dunklen Oberfläche schwimmen gelbe und rote Blätter.

Für den Suchverein sind diese Krater Fundgruben. Erst saugt die Dieselpumpe das Wasser ab, dann schaufeln die Männer schwarzen Schlamm in Eimer. Eine mühsame Arbeit, bei der Modergeruch in der Luft liegt. Manchmal bilden die Männer eine Eimerkette. Tonnen von Erde und Schlamm bewegen sie bei solchen Aktionen.

"Von diesem Menschen ist nichts mehr übrig"

"Geschenk", sagt einer und reicht eine Granate aus dem zwei Meter tiefen Loch heraus. Die anderen lachen. "Das ist eine britische", meint Maxim, der ein Tuch um seinen Kopf gebunden hat und wie ein Pirat aussieht. Ob sie noch scharf ist? "Vermutlich." So genau weiß man das nie.

Erst letztes Wochenende haben sie in einem Bombenkrater zwei deutsche Soldaten und einen Offizier samt ­Erkennungsmarken entdeckt. "Manche Toten wurden während der Schlachten schnell in die Trichter geworfen", sagt Stimmer. "Das war besser und hygienischer, als sie einfach auf dem Boden liegen zu lassen."

Heute findet er bloß ein paar Schädelknochen. Auch als er den Suchradius vergrößert und den Spaten zu Hilfe nimmt, ertasten seine Finger keine weiteren Gebeine. "Sieht nach einem Volltreffer aus", erklärt der Hobbyarchäologe, "von diesem Menschen ist einfach nichts mehr übrig."

Nicht nur in den Trichtern werden die Männer fündig. Manches Überbleibsel liegt im Blaubeergestrüpp. Hier ein Patronengurt und ein Koppel, dort Munition und Projektile, der Wald ist voll davon. Nach sechs Stunden Suche liegt ein Arsenal im Moos. So viele Bomben und Granaten, dass Stimmer lieber den Räumdienst der Armee ruft. Zwei Soldaten in schwarzen Uniformen tauchen auf und lassen den Wald räumen. 600 Meter muss der Abstand zur Sprengung betragen, heißt es. Die Männer ziehen sich auf den Forstweg zurück. Der Knall ist trotzdem ohrenbetäubend. Ein Splitter fliegt zehn Meter über ihren Köpfen durch die Luft. Ein kurzer Schreck. Nach wenigen Minuten hat sich die Stimmung wieder gelöst. Die Hobbyarchäologen zünden sich Zigaretten an, tauschen Anekdoten aus. Als sie in den Wald zurückkehren, stehen da gespaltene und verkohlte Baumstämme.

Über die Sprengung diskutieren sie später im Vereinsheim noch lange. Es befindet sich im trüb beleuchteten Keller eines Wohnblocks. Ein ehemaliger sowjetischer Atombunker. Die Räume sind verwinkelt, voller Aus­­rüstungsgegenstände, Fundstücke, alter Luftbilder und Akten. An der Wand ein großes Porträt von Stalin, da­neben anatomische Schaubilder.

Ein Dutzend Mitglieder hat sich hier am Abend nach der Suchaktion zum Umtrunk verabredet. Thomas Schock vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist zu ­Besuch. "Umbettungsleiter" steht auf der Visitenkarte des 54-Jährigen. Seine Aufgabe ist es, Kriegstote zu finden, zu bergen und zu bestatten. Dafür beschäftigt er Suchtrupps in halb Europa. Ohne den undogmatischen Mann aus ­Kassel würde es den Club wahrscheinlich gar nicht geben. Zumindest nicht in dieser Form. Es war Schocks Idee, die vielen verstreut arbeitenden Hobbyarchäologen zu schulen, um offiziell mit ihnen zusammenarbeiten zu können. "Mir wurden immer wieder Gebeine von deutschen Soldaten angeboten", erzählt er, "aber damals war das illegal." Schock, der zehn Jahre lang als Umbetter in Estland gearbeitet hat und die Gegebenheiten vor Ort genau kannte, wusste, dass er auf die Expertise der Amateure nicht verzichten konnte, wenn er die vielen Toten aus den ­Wäldern bergen wollte. "Der Aufwand ist immens, den diese Leute betreiben, um Gefallene zu finden", sagt Schock. "Mit regulären Mitarbeitern könnten wir das niemals ­finanzieren."

Also musste eine Vereinbarung ausgehandelt ­werden, mit der sowohl die Kriegsgräberfürsorge und die­ estnischen Behörden als auch die Suchgruppen leben konnten. Vorbild für Schocks Initiative waren die afrikanischen Wilderer, die man zu Wildhütern gemacht hatte. Nachdem die Hobbyarchäologen sich verpflichtet hatten, nach den Regeln der Kriegsgräberfürsorge zu arbeiten und über ihre Funde genau Buch zu führen, bekamen sie eine offizielle Sucherlaubnis. Seitdem wird jeder Knochenfund finanziell belohnt. Nicht sehr üppig, aber einen Teil der Kosten können sie damit decken. Waffen, Kochgeschirr oder Orden dürfen sie behalten.

Mit SS-Ab­zeichen kann man Tausende Euro verdienen

Die Suche nach Militaria und Toten ist weit verbreitet. Besonders in Osteuropa. Und in Estland, so Schock, wurde schon immer gegraben. Hier ist die "schwarze Archäo­logie" ein ganz normales Hobby, eine typische Freizeitbeschäftigung für Männer, an der niemand Anstoß nimmt. Naturliebe und Abenteuerlust gehören dazu. Aber auch eine starke Bindung an die Heimat und ihre wechselhafte Geschichte.

Es gibt auch Geschäftemacher unter den Sammlern. Menschen, die Fundstücke zu Geld machen. Mit den Ab­zeichen eines SS-Offiziers kann man Tausende von Euro verdienen. Aber den Mitgliedern des Suchvereins Kamerad geht es um etwas anderes. "Meinen ersten Toten habe ich mit zwölf Jahren gefunden", erzählt Stimmer. Damals am Fluss Narva, der Grenze zu Russland. Eine Leidenschaft wurde das Suchen erst später. Zunächst noch ohne Metalldetektor. Aber Stimmer hatte schon damals eine untrügliche Intuition. Im Laufe der Zeit ließ er sich in Forensik und Ballistik schulen, hat sogar Tauchkurse absolviert.

Den Krieg kannte der Este zunächst aus den Erzählungen seiner Großväter. Der eine, deutschstämmig, war Sanitäter bei der Wehrmacht, der andere Unteroffizier in der Sowjetarmee. Eine ganz normale estnische Familiengeschichte, typisch für ein Land, das zwischen zwei totalitären Staaten des 20. Jahrhunderts zerrieben worden war. Später hat Pawel Stimmer Karten studiert, viele Bücher gelesen, Heeresberichte und Kriegstagebücher. Er gilt heute als Meister unter den ­Hob­byarchäologen, wird bewundert und häufig konsultiert.

"Auch wenn wir bei der Arbeit oft lachen", sagt er, "sind wir innerlich eigentlich traurig." Auf der einen Seite ist da die Faszination für den Krieg, die Sammelleidenschaft, die sich in Regalen voller Helme, Mützen und Bajonette ­niederschlägt. Auf der anderen Seite der Schrecken und die Trauer über das, was passiert ist. "Die Soldaten waren so jung, sie wollten leben und lieben, aber man hat sie nicht leben lassen."

10 758 Menschen sind auf dem Gelände bestattet

Am nächsten Vormittag ist Thomas Schock mit ­Dmitri Schutow unterwegs, dem zweiten Vorsitzenden des Suchclubs. Schutow, ein kräftiger Mann von Mitte 30, hat ein kleines Unternehmen für Landvermessung, er fährt einen Range Rover, trägt modische Kleidung. Die Sonne lässt die mächtigen Bäume auf dem deutschen Soldatenfriedhof leuchten wie bunte Lampions. Kreuze und ­Gedenksteine reihen sich aneinander. So viele Namen. So viele Tote. 10 758 Menschen sind bisher auf dem Gelände bestattet. Nicht nur Wehrmachtsangehörige, sagt Thomas Schock, sondern auch Kriegsgefangene und unbekannte sowjetische Soldaten. "Viele Gebeine lassen sich nicht ­säuberlich trennen", sagt er. Und sogar estnische Frauen und Kinder sind auf dem deutschen Friedhof bestattet. Sie liegen hier, weil der deutsche Arzt im Kriegsgefangenen­lager ein erfahrener Mediziner war. "Die Schwangeren kamen ins deutsche Lazarett, um ihre Babys zur Welt zu bringen", erzählt Schock. Manche von ihnen starben. "Und so gerieten estnische Kinder auf die deutsche Kriegs­gräberstätte. Verrückt ist das." Verrückt ist eines der Lieblingswörter von Thomas Schock. Über die grausamen Absurditäten des Zweiten Weltkrieges kann der engagierte Umbettungsleiter stundenlang erzählen. Für ihn sind ­Soldatenfriedhöfe Mahnmale und Gedenkstätten zugleich.

Mitglieder der Kriegsgräberfürsorge beerdigen 107 Tote auf dem deutschen Soldatenfriedhof Beberbeki bei Riga

Dmitri Schutow vom Club Kamerad hat er im Jahr 2000 bei einer Exhumierung kennengelernt. Der russisch­stämmige Este wollte mithelfen, sich für den Frieden ­engagieren. An den Namen seines ersten Toten kann sich Schutow, dessen Großvater als Partisan gegen die ­Deutschen gekämpft hat, bis heute erinnern: Jochen Gold. Geboren 1918, gestorben 1943. Inzwischen hat er weit über 100 Leichen gefunden. "Wenn wir sie bergen", sagt ­Schutow, "werden sie wieder zu Angehörigen, Mitgliedern einer ­Familie." Im Sommer, erzählt er, habe die Tochter von einem der gestorbenen Soldaten den Club besucht. "Sie war so dankbar", erinnert er sich, "wir haben alle geweint."

Schutow und Schock sind inzwischen am Ufer der Narva angekommen. Der Grenzfluss strömt direkt an den Friedhofsmauern vorbei. Fischerboote treiben auf dem Wasser, auf der russischen Seite hängt Wäsche. Schutow bückt sich und klaubt ein winziges Stück verrosteten Stacheldrahts und eine Gewehrkugel aus dem Sand. Nein, das Suchen kann er nicht lassen. "Die Toten gehören auf den Friedhof und nicht in den Wald", sagt er.

Nachmittags fährt Thomas Schock nach Südwesten. Vier Stunden sind es nach Viljandi. Einer seiner ­fleißigsten Sammler hat sich bei ihm gemeldet. "Thomas, ich habe etwas für dich." Früher war Kalev Kala mit seinem Lastwagen und einem kleinen Bagger unterwegs. Hat ganze Friedhöfe und Massengräber umgebettet. "Das ist lange her", sagt der inzwischen 67-Jährige mit den kurzen grauen Haaren und dem Kapuzenpulli. Wenn er lächelt, werden die Lücken in seinem Gebiss sichtbar. Heute ist Kala zu krank, um noch selber zu suchen. Den Toten, den er Schock übergibt, hat er von einem Bekannten. Die Knochen stammen aus einem Sumpfgebiet. Kala steht vor dem Zaun seines Holzhauses und leuchtet mit der Taschenlampe auf den Plastiksack, in dem die Gebeine liegen. "Hast du die Erkennungsmarke?", fragt Schock. "Bekomme ich morgen früh", antwortet Kala, "aber der Finder will sie danach zurück." "Mir reicht das Foto", sagt Schock, "Hauptsache, wir haben die Gebeine." Ob der Sammler Waffen oder Orden für sich behält, ist dem Mann aus Kassel egal. Ihm geht es nur um die Knochen und die Zuordnung durch eine Erkennungsmarke.

Eine ­Pistolenkugel ist in den Schädel des Mannes eingedrungen

Ohne Pragmatismus käme er nicht weit, sagt ­Thomas Schock und verstaut den Sack mit den Knochen im Koffer­raum seines Mietwagens. Dann trinkt er noch Kaffee mit seinem alten Freund und dessen Frau. Mit preussischer Disziplin und Strenge richtet man in Osteuropa wenig aus.

Am Ende geht doch noch alles, wie es soll. Weil Schocks nächster Termin in Lettland ansteht, bringt er den Sack ins Gebeinlager in Ropaži, einem Dorf in der Nähe von Riga. An dieser Sammelstelle werden die sterblichen Überreste untersucht, vermessen und in die Akten aufgenommen. Auf einem langen Tisch, der in einem ehemaligen Kuhstall steht. Schädel, Kiefer, Oberarm, rechte Speiche, Reste vom Becken, mehr ist von dem Toten nicht geblieben. Zumindest die Todesursache ist eindeutig. Eine ­Pistolenkugel ist rechts in den Schädel des Mannes eingedrungen.

Der Abgleich mit der Erkennungsmarke ergibt, dass der Soldat 1914 in Soppo in Kamerun geboren wurde, einem damaligen Stützpunkt der kolonialen Schutztruppe. ­"Verrückt", sagt Schock, "total irre!" Und schon ist aus den Knochen ein Mensch mit Umrissen geworden. Ein Mensch, der in absehbarer Zeit zusammen mit Dutzenden anderen auf einer Kriegsgräberstätte bestattet werden wird. Zum Gedenken und als Mahnung an die Lebenden.

Infobox

Vielfältig sind die Aufgaben des Volksbundes der deutschen Kriegsgräberfürsorge, einer Organisation, die im Auftrag der Bundesregierung 832 Kriegsgräberstätten in 45 Staaten betreut. In ihrer Obhut befinden sich die Gräber von 2,7 Millionen Kriegstoten. Der Volksbund berät Angehörige, pflegt Gräber, bettet Gebeine um und organisiert Gedenkveranstaltungen, Jugendbildungs- und Begegnungsmaßnahmen. In den Online-Datenbanken der Organisation sind Millionen von Toten und Vermissten verzeichnet. Seitdem nach dem Ende des Kalten Kriegs auch in den Warschauer Pakt Staaten gesucht werden darf, wurden 920.000 Kriegstote exhumiert. Darunter auch Deportierte, Flüchtlinge, Zwangsarbeiter und KZ-Opfer.

Nach Angehörigen kann man auch online suchen.

Über die Arbeit der deutschen Kriegsgräberfürsorge kann man sich unter volksbund.de informieren.

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Mir ist bei dem Artikel aufgefallen, daß von jüdischen Toten oder ihren Überresten nichts geschrieben wurde.
Im Juli 2017 wollte ich eine Reise durch die drei Baltischen Staaten machen, nur das Schöne in diesen Ländern sehen, nicht aber an die fürchterlichen Kriegsgeschehen, die ich durch meine Arbeit gut kannte und kenne. 2 Tage vor meiner Abreise rief mich eine Freundin an und es wurde alles anders. Ich sollte für eine junge Amerikanerin herausfinden, was der ersten Frau ihres Vaters, beide aus Riga, geschehen war.
In Riga angekommen meldete ich mich von meiner Reisegruppe ab, ich wollte am nächsten Morgen zu den Mordstätten an den Rigaer Juden nach Rumbula, Salaspils und Bikerniki fahren, das Hotel sollte mir ein Taxi bereitstellen. Offenbar fand sich kein Taxi, das mich dorthin fahren wollte. Aber ein junger Hotelangestellter, 26, Jahre alt, mit englisch Kenntnissen und deutschem Auto, wollte einspringen.
Er hatte keine Ahnung, von der Geschichte seiner Heimatstadt, wo sich die drei großen Mordfelder, heute Gedenkstätten, befinden. Ich wußte es und konnte ihm den Weg zeigen. In Rumbula stieg er noch mit aus, fing an der schwarzen Marmorplatte zur Erinnerung an die etwa 7000 ermordeten jüdischer Kinder an zu weinen, bis zu den anderen Grabfeldern wollte er nicht mitkommen.. Er wüßte von gar nichts, sie hätten es in der Schule nicht besprochen, zuhause nicht, niemand hätte bisher davon erzählt. Salaspils fanden wir ziemlich schnell, er wollte auf keinen Fall mehr aussteigen. Bikerniki ? Da wüßte er, wo der Ort ist und fuhr mich zu einem Sportplatz. Ich stieg wieder allein aus, lief durch den Wald, bis ich an die Gruben kam. Später fand ich einen anderen Weg durch den Wald zurück, dort stehen oder standen(?) kleine richtungsweisende Stehlen aus rotgemustertem Marmor, von Israel aufgestellt. Sie waren in dem regenverhangenen Wald kaum zu sehen. Die Adresse der jüdischen Gemeinde hatte ich, den Weg also fand der junge Mann.
Übrigens fragte mich auch niemand von der Berliner Reisegruppe, ob meine Suche erfolgreich gewesen war.

In Tallin konnte mir das Touristenoffice nicht den Weg zur Synagoge zeigen, dass in Tallin eine stehen solle hätten sie noch nie gehört. Aber die Adresse eines Militaria Händlers in der Nähe des Marktplatzes könnten sie mir geben.

Nun ist das alles über 10 Jahre her, vielleicht hat sich etwas verändert. So kann ich mir nicht vorstellen, daß die „Hobbyarchäologen“ nur tote Soldaten finden, nicht aber auch ermordete Juden und andere Zivilisten. Wenn es doch so ist, sehe ich die Grabungen der Gruppe unter einem ganz anderen Gesichtspunkt. Auf den Trödelmärkten und entsprechenden Läden lassen sich die Dinge, die sie finden und behalten dürfen, gut verkaufen, an alle Nationalitäten.

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"liegen ... auch heute noch dort, wo sie einst für den faschistischen Irrsinn gestorben sind" steht im o. g. Artikel.
Offenbar ist Herr Günther ideologisch geprägt von der politischen Linken, sonst würde er die Gefallenen nicht als Opfer des faschistischen Irrsinns bezeichnen.
Dazu hat Klaus Motschmann im ideaSpezial Nr. 2/2009, Seite 6, ausgeführt:
"Denn in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat Stalin entschieden, dass der Nationalsozialismus kein Sozialismus sei. Nationalsozialismus dürfte deshalb nur unter dem Obergriff Faschismus genannt werden. Diese Sprachregelung ist seitdem nicht nur von den kommunistischen Parteien in aller Welt peinlich genau beachtet worden, sondern bis auf den heutigen Tag auch von weiten Teilen der intellektuellen und politischen Linken. Josef Schüßlburner, Jurist und Publizist, weist anhand von nationalsozialistischen und kommunistischen Selbstzeugnissen nach, dass es keine sachliche Begründung für diese Sprachregelung gibt. Zu deutlich seien die Parallelen in den politischen Forderungskatalogen. Das Motto unserer Vergangenheitsbewältiger wider das Vergessen und Verdrängen solle endlich auch in diesem Zusammenhang beachtet werden."

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Die Reportage über die Hobbyarchäologen, die fast ein Dreivierteljahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg in Estland nach Überresten von gefallenen Soldaten, auf welcher Seite diese auch gekämpft haben mögen, suchen und diese dann auf einem deutschen Soldatenfriedhof in Würde bestatten, ist sehr verdienstvoll. Respekt für die 15 Mitglieder des estnischen Vereins "Kamerad", die sich ehrenamtlich um die Bergung der Kriegstoten kümmern. Deren schwerer, einem Puzzle gleichenden Einsatz kann nicht hoch genug geschätzt werden. - Bei der Lektüre der Reportage bin ich, als von den Motiven die Rede war, die der Arbeit der Hobbyarchäologen zugrunde liegen, etwas über die Formulierung ... "die Faszination für den Krieg" ... gestolpert. Denn kein vernünftiger Mensch dürfte von einem Krieg fasziniert sein. Auch Autor Gero Günther wollte sicher alles andere als Begeisterung dafür ausdrücken. Also keine Faszination.

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Ich bin entsetzt, in welchem Ausmaß "Hobbyarchäologen" in den baltischen EU-Staaten Bodendenkmäler plündern und Fundzusammenhänge zerstören, die so einer künftigen Schlachtfeldarchäologie für immer verloren gehen. Durch archäologische Grabungen in Kalkriese und am Harzhorn konnten Schlachtverläufe des 1. und 3. Jhd. n. Chr. en détail rekonstruiert werden, und das soll mit weltgeschichtlich nicht weniger wichtigen Kämpfen des 20. Jhd. n. Chr. demnächst nicht mehr möglich sein? Warum schreitet niemand ein? Wo ist denn da die sonst so regelungswütige EU?

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