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Wie weit weg darf es diesmal sein?
Ganz weit weg und Sonne pur - das muss sein. Meinen wir. Geht aber auch in der Nähe und besser fürs Klima wär's übrigens auch
Tim Wegner
07.10.2010

Urlaub in Deutschland? Geht gar nicht, meint Britt Meyerling, 46, "weil da bin ich ja eh". Es soll schon irgendwie anders sein und vor allem sonnig. Im Frühjahr braucht die Werbegrafikerin immer eine "Auftauwoche"; dieses Jahr flog sie mit Mann und Tochter nach Tunesien. Aber kürzlich überredeten Bekannte sie zu einem Kurzurlaub ganz in der Nähe: drei Tage in einer Jugendherberge, auf Burg Stahleck in Bacharach. Und Britt Meyerling saß des Abends im Burghof, vor sich einen kühlen Riesling, und schaute den Rhein hoch und runter. "Ich war so weit weg! Zauberhaft." Der Beginn einer neuen Freundschaft?

Wann erholen wir uns eigentlich?

Sonne, ganz weit weg. Das scheint die Kurzformel für deutsche Urlaubswünsche zu sein. Sind wir wirklich so schlicht gestrickt? Wann erholen wir uns eigentlich - nur ganz weit weg, oder geht das auch anders und sogar noch besser? Dafür müssten wir wissen, was wir brauchen. "Ohne Urlaub würde ich sterben", sagt Thomas Brückenau*. Dabei mag er seine Arbeit. Der 50-Jährige ist Geschäftsführer eines Holzunternehmens. Komplexe Dinge entscheiden, dabei mal gewinnen, mal verlieren, ja! Aber die "plötzlichen Einschläge", dazu die Erreichbarkeit - Handyklingeln, während er in der Kantine an der Essensausgabe steht oder im Zug zur Toilette geht, furchtbar. Im vierwöchigen Sommerurlaub schaltet er das Handy nur morgens und abends kurz ein, für Notfälle. Gleichzeitig will er natürlich wissen, wie's in der Firma läuft - also muss er so weit weg, dass er nicht mal eben ins Büro fahren kann, zum Beispiel auf die Insel Juist oder an die englische Südküste.

Die ersten Tage nervt Thomas Brückenau seine Familie noch, weil er alles managen will. Dann sind Räder geliehen, die Koffer ausgepackt, Museumsdauerkarten für Regentage gekauft, und er denkt nur noch über so bewältigbare Dinge nach wie: Wann essen wir heute und was? Wohin gehen wir schwimmen, gehen wir überhaupt schwimmen? Noch ein paar Tage später schaut er beim Aufstehen nicht mal mehr auf die Uhr. Und irgendwann liegt der Manager am Strand, lässt das Buch sinken, hat keine Lust mehr zu lesen, aber auch keine Lust auf Schwimmen, seine Frau wiederum mag sich gerade nicht unterhalten, und fürs Kuchenkaufen müsste er aufstehen - "das nenne ich Langeweile. Und wenn mir mal langweilig ist, dann ist es ein schöner Urlaub. Ich bin einfach so da und freue mich darüber."

Wenn mir mal langweilig ist, dann ist es ein schöner Urlaub

Das also ist sein eigentliches Leben?

Quatsch, sagt Brückenau, "ich bin glücklich mit meinem Alltagsleben". Man macht nicht Urlaub, um vor dem Alltag zu fliehen, die These war schon immer falsch, sagt Christoph Hennig, Autor von "Reiselust". Beweis: Am meisten reisen seit je die Angehörigen jener Schichten, die am wenigsten Grund haben zu flüchten.

Aber was suchen wir dann im Urlaub?

Wir laufen wochenlang schlumpfig oder dürftig bekleidet herum, leben im Provisorischen, geben viel mehr Geld aus als zu Hause, reden mit Leuten, die wir sonst nicht mal eines Blickes würdigen würden, begeistern uns an einer Ausstellung historischer Kochtöpfe - ist es das? Das sind alles Regelaufhebungen, meint Hennig. Urlaub sei eine moderne Form der exzessiven Narren- und Rollentauschfeste des Mittelalters.

Kurzum: Im Urlaub suchen wir nicht ein besseres Leben, wohl aber ein anderes. Und manch einer oder eine findet heraus, dass dieses andere Leben mit "Sonne, ganz weit weg" nichts zu tun hat.

Annette Birk entdeckte erst jüngst, was das Andere ist, das ihr guttut: das Karge der Bergwelt. Die 45-Jährige zieht ihre drei Kinder alleine auf und arbeitet Vollzeit als Grundschullehrerin, ein Leben mit wenig Freiraum. So sagte sie spontan zu, als Freunde sie einluden zu einer Alpenwanderung von Hütte zu Hütte. Es war neblig, anstrengend und beglückend: "eine Rückkehr zu den Grundfesten". Die körperliche Erschöpfung zu spüren, die so anders ist als die nervliche Erschöpfung im Alltag; abends müde am Tisch zu sitzen und zu warten, dass der Hüttenwirt das Essen serviert; die Kostbarkeit einer warmen Dusche alle paar Tage; die Freude an jedem Menschen, dem sie begegnete.

Traurig war sie, als sie wieder ins Tal abstieg, in dieses Durcheinander. "Da oben ist es so viel einfacher, den richtigen Weg zu finden und damit dann auch zufrieden zu sein. Das könnte ich öfter haben."

Im Urlaub ein anderer Mensch sein

Anton Wiesmühl will gleich ein anderer Mensch sein im Urlaub, "und zwar einer, der sich viel bewegt, ein Naturwesen". Als Verlagslektor sitzt er den ganzen Tag. Sportlich sei er nicht, nur bewegungsfreudig. Und neugierig. Also radelt der 49-Jährige im Sommerurlaub, mal an Donau oder Elbe entlang, mal quer durch Großbritannien oder Rumänien. "Da fühle ich mich wie ein Tier, das durch Herumstreifen sein imaginäres Reich vergrößert." Oder wie damals als Kind, als er sich die Wege entlangspielte.

Nur das Wetter! Dass es mal eine Stunde schüttet, störe ihn nicht, aber nach mehreren Nieseltagen werde er grantig. "Ich glaube, dass die Erbitterung auf schlechtes Wetter mit dem Alter schlimmer wird. Als junger Mensch hat man unendlich viele Sonnentage vor sich, da kommt es auf zwei verregnete Wochen nicht an. Aber ab Mitte 40, wenn die Hälfte vorbei ist, und dann zermalmt dir das Wetter einen Tag nach dem anderen ..."

Dieses Jahr war es wieder so weit: Nach einem "wackligen Sommer" und einem "grimmigen Winter" flog Anton Wiesmühl im Februar zum Wandern nach Teneriffa. Natürlich sei fliegen klimaschädlich, sagt er, und der absurd niedrige Preis verführe zu noch mehr Flügen. Aber das könne nicht er lösen, das schreie nach einer politischen Lösung. Und wenn fliegen verboten würde oder extrem teuer? "Dann würde ich im Februar zum Beispiel nach Amsterdam reisen und alles nutzen, was die Stadt an Tröstungen bereithält." Oder, wie die Freundin vorschlägt, zum Langlaufen in die Alpen. Aber erst dann.

"Ich erlege mir keinen Urlaubsdruck auf."

Gar nicht mehr in den Urlaub fliegen, das kann sich selbst Daniel Überall schwer vorstellen. Dabei arbeitet der 31-Jährige bei Utopia, einem Internetportal "für nachhaltigen Lebensstil". Dort hat man nichts Geringeres vor, als die Welt zu ändern -und dabei Spaß zu haben. Wie das so ist bei Start-up-Firmen: Daniel Überall arbeitet viel. Manchmal lässt er sogar Urlaubswochen verfallen. "Ich erlege mir keinen Urlaubsdruck auf." Im letzten Spätwinter allerdings sei er eine Woche zum Tauchen nach Ägypten geflogen. Immerhin habe er den Schaden ausgeglichen, mit einem Co 2-Zertifikat. Die Spende floss in ein Klimaschutzprojekt in einem Entwicklungsland.

Was ein Flug anrichtet, rechnet zum Beispiel "atmosfair" aus. Bei einer Reise nach Teneriffa und zurück werden pro Person 1,7 Tonnen Co2 als Müll in der Atmosphäre abgelagert, bei einer Reise in die Dominikanische Republik 5,8 Tonnen. Eigentlich stehen jedem Erdenbürger nur drei Tonnen pro Jahr zu, wenn das Klima nicht dramatisch kippen soll. Die Deutschen liegen derzeit bei elf Tonnen pro Nase.

Kann man auch urlauben, ohne die Atmosphäre zu verdrecken? "Na ja, wenn jemand davon träumt, unbedingt einmal im Leben einen Abenteuerurlaub in Peru zu machen, dann wird er nicht glücklich, wenn ich ihm das wegnehme und ihm dafür Meck-Pomm anbiete", meint Regine Gwinner, Chefredakteurin des Magazins "Verträglich reisen". Aber ansonsten könnte man sich vorher schon ein paar Fragen stellen. Beispiel "Auftauurlaub" in Tunesien: Reizt mich speziell dieses Land, oder geht es mir vor allem um Sonne? Vielleicht wäre Sizilien eine Alternative - da kommt man mit dem Nachtzug hin. Anderes Beispiel: Ist Nepal das Wichtige oder das Hochgebirgstrekking - das ginge ja auch in den Pyrenäen.

Neulich bekam Daniel Überall mal wieder einen dieser Anrufe aus dem Freundeskreis: "Hey, wir fliegen superbillig nach Barcelona! Nun komm schon, ist doch nur ein Wochenende! " Aber solche Cityhop-ping-Trips findet Überall "ökologisch richtig schlimm". Manche Freunde sagen dann "Stimmt eigentlich", andere nennen ihn eine Spaßbremse.

"Alle fahren immer weg", maulte seine Liebste. Also fuhren auch sie weg, ins steirische Weinland. Sie probierten sich von Weinlokal zu Weinlokal, wanderten, lagen am See ... "Das war nicht Rumsitzen in der Pension, sondern richtig Urlaub", schwärmt Daniel Überall. "Es ist ja nicht so, dass man nur die Auswahl zwischen Sekt und Selters hat."

Diese Erkenntnis fehlt anderen LOHAS möglicherweise noch, jenen Menschen, die einen "Lifestyle of health and sustainability" pflegen, also auf Gesundheit und Nachh altigke it ach ten. Sie kaufen ökologisch erzeugte Produkte und kleinere Autos. Aber weil sie meist auch großzügiger wohnen, ist ihre Klimabilanz doch wieder nur Durchschnitt.

Und richtig schlecht wird sie, weil dieser Konsumententyp überdurchschnittlich gut verdient und gebildet ist. "Statistisch sind solche Leute Vielflieger", sagt der Tourismuswissenschaftler Stefan Gössling, 38. Familie Gössling fährt mit der Bahn in den Urlaub; und beruflich setzt Stefan Gössling immer öfter durch, dass er auf Tagungen seinen Vortrag per Videokonferenz halten darf.

In diesem Winter hatte selbst er Lust, mal eben irgendwohin zu fliegen, wo es warm, hell und trocken ist. Er verkniff es sich. "Ich hab das mit dem Klima lang locker gesehen. Aber wenn wir derart energieintensiv leben, tragen wir dazu bei, dass anderswo in der Welt Menschen sterben."

Allein schon die Vorstellung, da pfusche einem ein ideologischer Eiferer in die Urlaubsplanung rein, regt auf. Selbst Menschen, die seit Jahren an der Ostsee urlauben, verteidigen dann Fernflüge. Wäre ja noch schöner, dass einem irgendein Besserwisser Verzicht predigt!

Fast schon komisch findet das der Sozialpsychologe und Kulturwissenschaftler Harald Welzer: Da werde von "Veränderung" gesprochen, aber jeder höre sogleich "Verzicht". Und angesichts von drohendem Verzicht erscheine alles als so optimal, dass auf keinen Fall daran herumgeschraubt werden dürfe. Dabei, sagt Welzer, basiert der aktuelle Zustand selbst auf lauter Verzicht. Für Sicherheit zum Beispiel verzichten wir auf Freiheit. Für Mobilität auf Ruhe vor Auto- und Fluglärm. Das werde oft nicht als Verzicht bewusst, "das heißt aber nicht, dass es keiner ist".

Was täte mir wirklich gut?

Gibt es vielleicht auch "Veränderungen", bei denen man nicht verzichtet, sondern was gewinnt? Brigitte Behrens brauchte eine Weile, bis sie erkannte, was für sie Genuss ist und was Verzicht. Die Chefin von Greenpeace Deutschland flog immer mal wieder nach Lanzarote. Das letzte Mal vor sechs Jahren. Irgendwie war es langweilig, dann stürmte es noch eine Woche, die Luft war voller Staub, und plötzlich fragte sie sich: Was mache ich hier eigentlich? Und was täte mir wirklich gut? Die Flüge auf die Kanaren jedenfalls nicht - stundenlang eingezwängt, in schlechter Luft bei Höllenlärm. Jetzt lässt sie sich sommers mit ihrem Mann im Kanadier auf deutschen und polnischen Flüssen treiben, winters fährt sie Langlaufski in Leutasch.

Na ja, die Frau ist 58, aber junge Menschen müssen doch was von der Welt sehen! Geht auch: zum Beispiel mit einem Interrail-Pass. Der Radius reicht von Finnland bis zur Türkei, von Portugal bis Bulgarien. Viel Fremde also für relativ wenig Geld. Alle erdenklichen Varianten sind zu haben: ein Pass für ein Land oder für 30 Länder, für drei Tage oder einen Monat, für Erwachsene, selbst für die erste Klasse.

Jung sein und trotzdem schon die Nase voll haben von Auslandsreisen, das gibt es auch: Sebastian Schneider, 31 Jahre alt und Pädagoge beim Stuttgarter Projekt "Jungen im Blick", entdeckt mit seiner Frau gerade Deutschland per Rad. "Toll, dieses Gefühl, kein Tourist zu sein! Und auf der Wiese liegen, im Fluss baden, im Zelt schlafen das geht nur in Deutschland."

Schneider liegt im Trend, glaubt man der Tourismusanalyse der Stiftung für Zukunftsfragen: "Nah, preiswert, gemütlich", danach stehe vielen Deutschen der Sinn. 2008 machten fast 40 Prozent der Urlaubsreisenden in Deutschland Ferien, vor allem in Bayern und an den Küsten. Das sind mehr als in den vergangenen Jahren und so viele wie Anfang der 90er Jahre.

Könnte es sein, dass die Deutschen nun ihr eigenes Land entdecken? Vor wenigen Jahren noch schimpfte der Kulturkritiker Gottfried Knapp, dass Italienreisende den letzten gotischen Freskenrest in ansonsten banalen Dorfkirchen ehrfürchtig feiern, aber auf ihrem Weg nach Süden über die Mangfallbrücke selbst bei Stau kein Auge für die Kirche in Weyarn haben, die zufällig ein Kunstwerk von Weltrang enthält: die Verkündigungsgruppe von Ignaz Günther - so prominent im süddeutschen Rokoko wie Botticellis Venus in der florentinischen Renaissance. "Für die Deutschen ist das eigene Land der letzte unentdeckte Kontinent", zeterte Knapp.

Für alle Deutschen? Nein, nicht für alle. Vor 20 Jahren fiel die Mauer, aber Eleonore Knöfel, 51, war noch nie in Spanien. Sie lebt in einem Dorf zwischen Leipzig und Torgau. Zu DDR-Zeiten flog sie zwei Mal mit "Jugendtourist" ans Schwarze Meer. Aber Strandurlaub ist ihr zu langweilig, und diese Menschenmassen! Die Buchhändlerin und ihr Mann, Kundendiensttechniker, haben das ganze Jahr mit Leuten zu tun. "Im Urlaub wollen wir für uns sein. Es muss nicht weit weg sein, aber ungezwungen, so dass man keine Rücksicht nehmen muss." Also buchen sie eine kleine Ferienwohnung am Bodensee, in Berchtesgaden, im Harz oder an der Mosel - "und immer ein bisschen abseits". Dann machen sie Ausflüge, und sie reden miteinander - zu Hause reicht die Zeit ja nur für Alltagsprobleme.

Sonne wär schön, muss aber nicht sein, damit die Knöfels sich erholen. Ohnehin sehnen sich viele Urlaubende weniger nach garantierter Sonne als nach einer bestimmten Art der Unterkunft, hat die Redaktion von "Verträglich reisen" festgestellt: Viele wollten im Urlaub in schöner Umgebung sein, von netten Leuten umsorgt und gut bekocht. Ob das dann auf Bali ist oder im Schwarzwald, sei letztlich egal. Und ohne teuren Flug kann man sich selbst ein Erste-Sahne-Hotel hierzulande leisten.

Wenn man sich überhaupt einen Urlaub leisten kann. Die Hälfte der Deutschen ist 2008 nicht in Ferien gefahren. Zum Beispiel Mariann Karst aus Hamburg. Die 57-Jährige lebt von einer kleinen Heilpraktikerpraxis und einem Strauß weiterer Jobs. Aber erholen, sagt sie, kann sie sich auch in der eigenen Stadt. "Wahrscheinlich suchen viele Menschen woanders etwas, was sie sich zu Hause an Wohltuendem einfacher organisieren könnten. Man muss nur wissen, worauf es einem ankommt."

Sie zum Beispiel liebt es, stundenlang in einem Café zu lesen, mit dem Rad in "wenig spektakuläre Natur" zu fahren oder so zu tun, als sei sie fremd in der eigenen Stadt - "wenn ich das schaffe, dann sehe ich plötzlich ganz andere Dinge".

Um sich vom Alltag zu entfernen, dafür muss sich Mariann Karst nicht räumlich weit wegbewegen. Sie erholt sich nicht erst dann, wenn allerlei äußere Bedingungen erfüllt sind. Die einzige Bedingung ist eine innere: "dass man sich mag, dass man es sich gutgehen lassen kann. Dass das gilt, wenn ich am Stadtrand zwischen den Feldern sitze und es schön finde." önnte es also sein, dass der Urlaubsort unerheblich ist, dass es vielmehr auf die innere Einstellung ankommt, ob man sich erholt oder nicht? Schließlich garantiert selbst ein Liegestuhl unter azurblauem Himmel keine Freude, wenn man sich am Morgen gestritten hat oder sich um die Zukunft sorgt; ein Regentag wiederum muss einen nicht automatisch in Unglück stürzen. Man könnte sogar noch weiter gehen:

Warum machen wir eigentlich Urlaub, wo doch arbeiten schon so schön ist? Der amerikanische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi fand in seinen Experimenten Erstaunliches heraus: Bei der Arbeit berichteten ihm die Probanden überproportional häufig von "Flow"-Situationen, in der Freizeit selten. Flow ist der Zustand, wenn ein Mensch völlig vertieft ist in sein Tun, die Zeit vergisst und seine Sorgen gleich mit. Selbst Leute mit wenig glanzvollen Jobs fühlten sich bei der Arbeit öfter konzentriert, zufrieden und fröhlich als in der Freizeit. Da waren sie auffällig häufig gelangweilt, unzufrieden, gar traurig. Trotzdem sagten die meisten, dass sie gern weniger arbeiten und mehr freie Zeit haben würden.

Das Klischee von Arbeit als Last und Freizeit als Genuss

Ein Paradox. Der Psychologieprofessor erklärt es sich so: Wenn es um die Arbeit geht, achten die Menschen nicht darauf, was ihnen ihre Sinne vermitteln, sondern sie vertrauen dem Klischee, dass Arbeit eine Last ist und Freizeit ein Genuss. Ironischerweise, meint Csikszentmihalyi, ist Arbeit leichter zu genießen als Freizeit. Denn Arbeit besteht aus klaren Herausforderungen und schnellen Rückmeldungen; beides hilft, sich zu konzentrieren, sich gar in der Arbeit zu verlieren. Freizeit hingegen muss erst zu etwas gestaltet werden, das man genießen kann.

Arbeiten ist Genuss - eine krasse These, aber mit einem wahren Kern: Aus dem grauen Alltagsmeer ragen lauter kleine Glücksinseln. Man muss sie nur wahrnehmen. Toptipp der Gesundheitspsychologen: dankbar sein. Oder wenigstens mal gnädiger auf sich und die Umstände gucken. Auch das wäre dann eine jener "Musterunterbrechungen", die aufs Jahr gesehen sogar besser erholen als ein mehrwöchiger Urlaub.

Alina Oberndorf glaubte lange, sie brauche Weit-weg-Sonne-sofort-Urlaube. Im Frühjahr flog sie mit ihrer Familie nach Gomera, im Herbst noch mal ans Mittelmeer. Damit gehörte sie zu jenen 16 Prozent Deutschen, die sich eine Zweit- oder Drittreise leisten. Kürzlich machte sich die Bauingenieurin selbstständig, jetzt verdient sie weniger Geld. Schlimm, so ohne Gomera im März? "Nö, ich leide nicht, ich mach jetzt Downshifting." Ein Trendwort aus den USA, wörtlich: runterschalten, frei übersetzt: Weniger ist mehr.

Die 49-Jährige fängt gerade an, Dinge zu tun, die sie zuletzt als junge Frau tat: eine Freundin spontan fragen, ob sie noch am selben Abend mit ins Kino kommt, oder mitten am Tag durchs Viertel streunen. "Es ist das Unerwartete, was ich am meisten suche." Das findet sie sogar zu Hause wenn alle ausgeflogen sind. "Dann bleibe ich nachts auf, spiele stundenlang Querflöte oder lese und lese." Herrlich. Und sie fährt öfter mit dem Fahrrad los, alleine, das hat sie erst jüngst für sich entdeckt: an deutschen Flüssen oder der holländischen Küste entlang, mit Übernachtung im Zelt oder in Jugendherbergen. "Das ist nicht teuer, und es ist immer gut."

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Liebes Chrismon-Team,

jetzt muss ich doch mal ein Feedback geben, nachdem ich das Editorial gelesen habe - über Beschimpfungen von Lesern, unglaublich was man als Publizist/in alles ertragen muss. Ihre Zeitung ist eine meiner Lieblingszeitschriften, immer tolle Themen - hätte ich auch nicht gedacht, dass mich mal eine christliche Publikation interessiert. Danke für das Thema Verkehr und die Beiträge aus anderen Städten - endlich wird mal das Fussgänger-Dasein beleuchtet, gehen kann so schön und befreiend sein. Bitte weiter so - Alles Gute J. Metz

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