Religion für Einsteiger - Was macht eine Gemeinde aus?
Religion für Einsteiger - Was macht eine Gemeinde aus?
Lisa Rienermann
Was macht eine ­Gemeinde aus?
Dass man hier tauft, das Abendmahl feiert 
und das Wort Gottes hört – ja. Und dass sich Leute aus ihren Häusern herausrufen lassen...
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
29.10.2018

Vorgelesen: Religion für Einsteiger "Wozu ist die Gemeinde gut?"

Von Januar bis März öffnet die St.-Leonhardsgemeinde in Stuttgart jeden Morgen ihre Kirche: für Einsame, Arme und Obdachlose. Ehrenamtliche und Sozialarbeiterinnen schenken Tee und Kaffee aus und verteilen Decken – manche Besucher mussten im Freien übernachten. Tierärztinnen versorgen Hunde. Bisweilen sind es 1000 Gäste, die regelmäßig da sind, um Zeitung zu lesen, Musik zu hören, Schach oder Skat zu spielen und mit Diakoninnen und Diakonen zu reden. Um halb zwölf gibt es ein warmes Mittagessen, am Nachmittag Essensbeutel zum Mitnehmen. Um viertel nach vier schließt die Vesperkirche mit einer Andacht.

Typisch Gemeinde? Eher nicht. Oft müht sich ein Pastor oder eine Pastorin wie ein Alleinunterhalter ab, trommelt Senioren zum wöchentlichen Café zusammen, bändigt Jugendliche beim Konfirmandenunterricht und predigt vor fast leeren Kirchenbänken. Was macht eine christliche Gemeinde aus? Sie ist die Gemeinschaft der Getauften, die das Wort Gottes hören und gemeinsam Abendmahl feiern. Fragt man Gottesdienstbesucher, fühlen sie sich oft wenig mit den anderen verbunden, die über die Bänke verteilt sitzen.

Eine Ortsgemeinde ist zunächst ein Stück Heimat. Wenn Dorfbewohner in Brandenburg und Mecklenburg ­ihre Kirche retten, obwohl sie selbst ­keiner Kirche angehören, geht es ihnen um mehr als nur ein Gebäude. Wer den Kirchturm aus der Ferne sieht, kommt heim. Die Kirche steht für die kulturelle Identität: wie man heiratet, Kinder tauft, erwachsen wird, die ­Toten bestattet und die Gräber pflegt.

Die Gemeinde soll Menschen mehr geben als nur eine Heimat

Auf ähnliche Weise verbinden Kirchengemeinden die Menschen auch weltweit. Wer ein paar Jahre im Ausland verbringt, sucht oft Anschluss in der Auslandsgemeinde. Im Gottesdienst singt man vertraute Lieder und trifft Menschen, die die ­eigene Sprache sprechen und die gleichen Umgangsformen haben.

Kirchengemeinden bestätigen Menschen aber nicht nur in dem, wie sie sind. Gute Pastoren regen in ­ihren Predigten dazu an, grundsätzlich über das eigene Leben nachzudenken. Sie zeigen, dass das Leben mehr bereithält, als der eintönige Alltag herzugeben scheint: die Botschaft von der Liebe Gottes, die einen auch in großer Not tragen kann.

Im Zentrum aller Kirchengemeinden steht der sonntägliche Gottes­dienst. Da kann man schon mal den Eindruck haben, es kämen vor allem die, die um diese Zeit sonst niemanden haben, die Aufmunterung, Trost und Gesellschaft suchen. Während andere lieber ausschlafen – und selten zum Sonntagsgottesdienst kommen. Nach Katastrophen, Atten­taten oder schlimmen Unfällen trauen aber die meisten Deutschen es immer noch den Kirchen zu, ihrem Entsetzen Ausdruck zu verleihen.

Eines sind Kirchengemeinden nicht: religiöse Kultvereine

Eines sollten Kirchengemeinden auf keinen Fall sein: in sich verschlossene religiöse Gruppen. Wie ihre jüdischen Vorfahren empfanden schon die ersten Christen ihre gemeinsamen Feiern nicht als "religiösen Kult" (griechisch: "thiasos"), sondern als "ekklesia". Das griechische Wort für Kirche geht auf das Verb "ek-kalein" zurück, "herausrufen" – nämlich aus den Privathäusern in die öffentliche Versammlung. Die St.-Leonhards­gemeinde Stuttgart zeigt jedes Jahr in der kalten Jahreszeit, was es bedeutet, herausgerufen zu sein – in dem Fall: zum Dienst am Nächsten.

Was aber, wenn die christlichen Kirchen weiter Mitglieder verlieren und das Christentum eines Tages nur noch Sache einer Minderheit in Deutschland ist? Auch dann bleiben Christen Herausgerufene.

Jedes Jahr feiert die Andreas­gemeinde in der Südvorstadt von ­Leipzig den Heiligabend mit Menschen, die sonst in ihrer Wohnung oder auf der Straße allein wären. Über 500 Gäs­te kommen in die Messehalle. Sechzig freiwillige Helferinnen und Helfer schmücken einen Weihnachtsbaum, decken Tische, ver­packen Geschenke und verbringen den Abend mit den Fremden. Freiwillige finden sich ­immer, auch wenn nur jeder ­achte Leipziger der sächsischen Landes­kirche angehört. Schon deshalb, weil dies eine besonders festliche Weihnacht ist.

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Na da feiern wir laut und teuer 10 Jahre lang Reformation und kein Jahr später vergisst der hauseigene Kommunikations-Theologe die ekklesiologischen Grundlagen, die der Brennstoff des evangelischen Feuers sind.
Wer ruft denn zusammen zur Ekklesia? Jesus Christus. Der Gottessohn, der Haupt der Kirche ist.
Die wird hier theologisch kurzerhand geköpft.
Und weil dann halt das Hirn fehlt, werden alle Nicht-Amtsträger, in den Gemeinden wahlweise ignoriert oder verspottet.
Dabei hatte Gerhard Wegener der hauseigene Soziologe im Kirchengemeindebaromter sauber herausgearbeitet, dass für die Evangelischen nur ihre Ortsgemeinde zählt, die längst nicht mehr Pfarrerzentriert ist, wie das hier suggeriert wird.
Als ich Theologie studierte, war Entmythologisierung ein wichtiges theologisches Kriterium.
Das scheint nicht mehr so zu sein, der Text strotzt nur so vor ekklesiologischen und soziologischen Mythen.
Tobias Faix hatte gerade in seiner empirica Studie herausgefunden, das auch hochreligiöse Jugendliche und Junge Erwachsene keine Affinität zur Institution Kirche haben.
Wundert mich nach diesem Artikel nicht mehr.

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Wir lesen im Artikel: "Nach Katastrophen, Atten­taten oder schlimmen Unfällen trauen aber die meisten Deutschen es immer noch den Kirchen zu, ihrem Entsetzen Ausdruck zu verleihen."

Auch zu Weihnachten sind manche Kirchen noch voll. Ist es erlaubt, daraus zu schließen, dass es sich bei Weihnachten um eine Katastrophe, ein Attentat oder einen schlimmen Unfall handelt?

Wäre ich Religionseinsteiger, käme mir womöglich diese Überlegung in den Sinn.

Fritz Kurz

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Gerade in der heutigen Zeit, in der christliche Kirchen immer mehr Mitglieder verlieren, ist es besonders wichtig, dass religiöses Leben nicht nur in der Kirche stattfindet und sich Christen als „Herausgerufene“ verstehen. „Gehet hinaus in alle Welt und verkündet das Evangelium allen Völkern!“ hat Jesus uns aufgetragen. Er fordert uns auf, die Frohe Botschaft zu verkünden und den Menschen das Gebot der Liebe, der Nächstenliebe, nahezubringen.
Wenn es der Kirche gelingt, auf die Menschen zuzugehen, sich für sie zu interessieren in Freud und Leid, ihnen vor allem zu vermitteln, dass Religion, Glauben und Kirche das Leben bereichern, wird so mancher den Weg dahin wiederfinden, nicht zuletzt auch der Kinder wegen.
Nach meinen langjährigen Erfahrungen mit Grundschülern im Religionsunterricht haben Kinder ein besonderes Bedürfnis nach diesem „Fach“. So fragte mich mal ein Zweitklässler: „Wann kommst du wieder in unsere Klasse und erzählst uns von dem tollen Mann?“ Er meinte Jesus, der die Menschen liebte, ihnen sagte, was gut und böse ist und wie man friedlich miteinander leben kann.
Diese Chance sollte man nutzen und auch den Heranwachsenden geben, was ihre Persönlichkeitsentwicklung in besonderer Weise fördert. Schließlich leben wir in einem von christlicher Kultur geprägten Land.

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