Was Christen können
Eine Kundgebung in Chemnitz am Sonntag zeigt, dass die Kirche ein Ort sein kann, den wir dringend brauchen - um Fragen zu stellen, nachzudenken und zu streiten. Ohne Hass
Tim Wegner
03.09.2018

Es sind die drastischen Bilder, die es aus Chemnitz in unsere Köpfe schaffen: laut grölende Rechte, die Jagd auf Menschen anderer Herkunft machen und Journalisten und Reporter angreifen, obwohl die AfD doch einen Trauermarsch angekündigt hatte. Wie Hass und Trauer zusammenpassen? Der mittlerweile unverhohlen rassistisch agierenden AfD wird, wie so oft, schon noch eine Relativierung dafür einfallen.

Es gibt aber auch eine andere, gute Entwicklung. Leider aber werden die Bilder der kirchlichen Kundgebung weniger in Erinnerung bleiben als die vom Samstag: Ebenfalls in Chemnitz haben nämlich am Sonntag rund 1000 Menschen ein Zeichen gegen Gewalt und Fremdenhass gesetzt. Sie waren einem Aufruf der evangelisch-lutherischen Landeskirche gefolgt und waren auf den Neumarkt gekommen. Die Versammlung stand unter dem Motto: "Wir in Chemnitz – aufeinander hören, miteinander handeln". Zu den Teilnehmern gehörte auch Landesbischof Carsten Rentzing.

Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.
Viele Christen in Sachsen haben lange auf deutlichere Zeichen ihrer Landeskirche gegen rechts gewartet. Endlich kommen diese Signale – von ganz oben. Schon Mitte der Woche hatte Landesbischof Carsten Rentzing mit klaren Worten auf die Proteste nach dem gewaltsamen Tod eines Chemnitzers reagiert, der mutmaßlich von zwei Asylsuchenden getötet worden war: Man koche mit "kaltem Herzen" ein eigenes politisches Süppchen mit Hass- und Rachegedanken, so der Bischof. "Kalte Herzen, genährt durch ungerechte Beschuldigungen und Hetze, sind das Gegenteil des Evangeliums."

Diese Worte sind wichtig, denn auch unter Christen gibt es rechts denkende Menschen. Sie verkehren die Botschaft des Evangeliums in ihr Gegenteil, indem sie die Nächstenliebe relativieren. Pfarrer wie der Bautzener Theologe Christian Tiede engagieren sich gegen diese Haltung. Sie werden durch Rentzings Worte gestärkt. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Signale folgen; viele Engagierte in Sachsen warten darauf.

Noch etwas sagte der sächsische Landesbischof: "Kirche ist häufig ganz dicht dran." Das stimmt, Kirchengemeinden sind ein Querschnitt der Bevölkerung, ganz unterschiedliche Positionen treffen hier aufeinander – nicht nur in Sachsen, sondern deutschlandweit. In Sachsen aber ist die Situation besonders schwierig, die AfD war bei der Bundestagswahl vielerorts stärker als die CDU. Entsprechend viele ihrer Wähler sitzen sonntags in den Kirchen.

Und die Kirche bietet eben auch eine Chance. Wie kaum ein anderer Ort sind Gemeinden dafür geeignet, Fragen, Zweifel und Kritik zu äußern, die es spätestens seit dem Herbst 2015 unüberhörbar gibt: Niemand muss begeistert sein, wenn Menschen anderen Glaubens in großer Zahl nach Deutschland kommen, eine Willkommenskultur lässt sich nicht verordnen. Integration erfordert Anstrengungen – für die, die neu im Land sind, gilt das ebenso wie für die, die Neue aufnehmen. Über den richtigen Weg lässt sich streiten, aber dieser Streit hat Grenzen: Zuhören? Ja! Erwidern? Ja! Aber Hass?

Nein, dafür ist in der Kirche kein Platz.

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Das Interview mit Bischof Rentzing? Das Video vom Protestmarsch? Und wieso war keine Kirchen-Prominenz da, die die Lizens zum "Sich-Einmischen" immer für sich reklamiert? Auf jesus.de habe ich bewegende Berichte gelesen, von Chemnitzer Pfarrern. Genau wie die Band Kraftklub sind sie auch noch da, wenn die Journalisten und Twitterer wieder ein leichtes Leben im Rest der Republik führen.
Wenn schon das eigene Corporate Publishing diese mutigen Christen weg-schweigt und ausblendet, wundert es doch nicht, dass andere Medien auch nicht hinschauen. Dann müssen wir eben wieder auf Monchi und Campino warten. Dabei hätten wir Christen viel mehr aus dieser Mitte mitnehmen können, von der immer alle reden.

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