Religion für Einsteiger - Wofür steht das Kreuz
Religion für Einsteiger - Wofür steht das Kreuz
Lisa Rienermann
Wofür steht das Kreuz?
Für das christliche Abendland, sagen manche. Doch damit werden sie seiner radikalen Botschaft nicht gerecht.
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
02.07.2018

Vorgelesen: Religion für Einsteiger "Wofür steht das Kreuz?"

"Was kann man von einer Religion erwarten, deren Symbol ein Folterinstrument ist?" Diese Frage war Mitte der 1980er Jahre als Graffito auf die Neustädter Marienkirche in Bielefeld gesprayt. Wer mit dem Kreuz das christlich-abendländische Territorium markieren will, muss sich diese Frage gefallen lassen. Denn der signalisiert ja mit dem Kreuz all denen, die seine Bedeutung gar nicht kennen: "Wenn du hier eindringst, wird es dir genauso ergehen!" Die Bedeutung des Kreuzes wäre in sein Gegenteil verkehrt.

Im Volksglauben wurde das Kreuzes­symbol tatsächlich immer wieder als Abwehrzauber missverstanden – gegen Dämonen, Vampire und unreine Geister. Kreuzfahrer zogen mit Kreuzen bestickte Hemden über ihre Rüstungen, als sei ausgerechnet das Kreuz ein Symbol männlicher Stärke und eine Verheißung für den Sieg. Ein archaisches Missverständnis.

Schon die ältesten religiösen Symbole der Menschheit seien aus Droh- und Abwehrgesten entstanden, schreibt die Religionswissenschaft­lerin Ina Wunn in dem Buch "Götter, Gene, Genesis" (Springer Spektrum, mit den Koautoren Patrick Urban und Constantin Klein). Aus Gesten, wie sie auch in der Tierwelt vor­kommen. Jäger der Steinzeit breiten ihre Arme 
aus und zeigen ihren erigierten ­Penis. Mit solchem Imponiergehabe ver­teidigen sie ihr Revier gegen Eindringlinge.

Zeichnungen und Ritzungen solcher Abwehrgesten finden sich überall auf der Welt, auch andere Zeichen wie Augen und erhobene Hände. Im Laufe der Jahrtausende wurden die Bilder immer schlichter und abstrakter. Irgendwann waren sie nur noch Strichzeichnungen, angedeutete Symbole. Sie galten nicht mehr menschlichen Eindringlingen. Sie sollten ­Dämonen und Geis­ter verjagen.

Das Kreuz-Symbol richtet sich an Christen, nicht an Fremde

Das Kreuz hat damit nichts zu tun. Griechen und Juden verstanden von Anfang an nicht, warum der ­Heiland ausgerechnet ein Gekreuzig­ter sein soll. Für sie sei das Wort vom Kreuz eine Torheit oder ein Ärgernis, schrieb der Apostel Paulus (1. Korinther 1,23). Kreuzigung – das war ja die grausamste Strafe, die sich die Römer ausgedacht hatten.

Solange im Römischen Reich Aufrührer gekreuzigt wurden, kam das Kreuz für Christen auch nicht als ­öffentliches Symbol in Betracht. Erst als 
Kaiser Konstantin diese Folter­strafe längst abgeschafft hatte, begannen Christen, Kreuze in ihren Kirchen zu zeigen. Sie sollten die Gläubigen erinnern, welch schrecklichen Tod der Heiland gestorben war. Richtige Kreuzigungen standen da – zum Glück – niemandem mehr vor Augen.

Das Symbol des Kreuzes war ­immer an Christen gerichtet, nicht an Fremde oder Eindringlinge. ­Christen sollen Anteil nehmen am Gefolterten. Sie sollen die Gewalt für falsch ­halten. Und sie sollen im Kreuz schon die Oster­botschaft erkennen: Der ­schwache und scheinbar hilflose Heiland überwindet in Wirklichkeit alle Bosheit, allen Hass und alle menschliche Sünde.

Der Glaube an den Gekreuzigten soll von Egozentrik befreien

Daran sollten ursprünglich auch die Kruzifixe in bayerischen Amts­stuben und Schulen die Richter, ­Lehrer und Schüler erinnern: dass Christus mit seinem teuren Blut für alle ihre Sünde vollkommen bezahlt habe. Man mag heute solche Symbole in Klassenzimmern für pädagogisch ungeeignet halten. Aber niemand wollte mit Kruzifixen das christlich-
abendländische Territorium markieren und gegen alles Fremde behaupten.

Als christliches Symbol wende sich das Kreuz gegen jede Egozentrik, gegen jede Selbstbezogenheit, sagte der Reformator Martin Luther während einer Disputation in Heidelberg am 26. April vor 500 Jahren. Luther deutete das Kreuz als die radikalste christliche Botschaft überhaupt: Jede noch so gute Tat sei abgrundtief böse, wenn sie aus Eigennutz geschehe – und sei es, dass man ihretwillen in den Himmel kommen wolle. Erst der Glaube, die vollständige Hingabe an den Gekreuzigten, befreie den Christen von seiner Selbstbezogenheit und mache ihn wirklich offen dafür, was sein Nächs­ter 
braucht. Egal wer er ist. Und woher sie kommt.

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Manches mag gegen christliche Symbole in staatlichen Einrichtungen sprechen. Den Medienberichten nach hängen in bayrischen Schulen heutzutage allerdings keine Kruzifixe ("Wofür steht das Kreuz" von Burkhard Weitz), sondern einfache Kreuze. Ich bezweifle, dass in einem Landstrich, in dem an jeder Kreuzung (sic!) ein Bildlstöckl mit Christus am Kreuz steht, irgendjemand das Kreuz im Eingangsbereich einer öffentlichen Einrichtung als die Androhung von Folter verstehen wird. Auch kann mich der Autor nicht davon überzeugen, dass das Kreuz früher im öffentlichen Gebrauch nur im Sinne der Osterbotschaft verwendet wurde. Der Beginn der Verwendung des Symbols fällt nicht zufällig zusammen mit der Erscheinung des Kreuzes vor einer Schlacht ("in hoc signo vinces") und der Erhebung zur Staatsreligion. Auch wird das Kruzifix in Schulen eher die Aufgabe gehabt haben, die Kinder zu Duldsamkeit zu erziehen, auf dass aus ihnen gute Untertanen und nicht zuletzt Soldaten werden. Insofern halte ich die heutige Verwendung des Kreuzes als rein kulturellen Hinweis für wesentlich harmloser.

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Das Kreuz ist - wenn überhaupt noch! - höchstens sekundär Symbol des Abendlandes.

Die überzeugendste Antwort auf die Frage , wofür das Kreuz steht, habe ich von dem Münchner P. Albert Keller SJ gehört: Christus hat mit dem Kreuz den Ausgleich für die Liebe, die wir - nach Paulus - immer einander schuldig bleiben , bezahlt! In diesem Sinne können wir uns an dem Kreuz orientieren.

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Ihr Artikel ist vorsichtig- viel zu vorsichtig- wie die zögerliche Stellungnahme von Bischof Heinrich Bedford-Strohm. Erstaunlich... der Bischof von München und Freising, Marx, hat nicht lange gezögert . Dann besann sich auch Bischof Bedford-Strohm.....:
Ein staatliches Organ hat nicht die Kompetenz ein Symbol einer Religionsgemeinschaft zu deuten und zum angeblichen Symbol eines angeblichen Kulturraums umzudeuten. Und das lächerliche und erschreckende Foto des Ministerpräsidenten Söder beim Aufhängen dieses Symbols eines grauenhaften Foltervorgangs für vordergründige wahlkampftaktische Effekte ! Hat Herr Söder während des Religionsunterrichts Schafkopf gespielt ?
Haben Sie als Redakteur so wenig Mut Ross und Reiter zu nennen ?
Sie irren , wenn Sie sagen, die Strafe der Kreuzigung sei mit der sog. Konstantinischen Wende abgeschafft worden. Nach meiner Kenntnis gilt die Kreuzigung weiter im Strafenkatalog des heutigen Staates Iran - im Koran verankert . Mit der sog. Konstantinischen Wende begann m.E. der Missbrauch des Kreuzesymbols für staatliche Zwecke. Konstantin - ein grauenhafter Verbrecher auf dem Kaiserthron- , hat nach der Legende , die die Kirche um ihn gesponnen hat, die Schlacht an der Mylvischen Brücke in einem von ihm angezettelten Bürgerkrieg , im Zeichen des Kreuzes geführt. Nachfolgend über weit mehr als ein Jahrtausend wurde das Kreuzessymbol missbraucht für Kriege und Verbrechen unglaublichen Ausmaßes.
Nun geht das in Deutschland schon wieder los. Da sollten alle Christen und Amtsträger der Kirchen von allen Kanzeln sagen , wer hier die Grenze seines öffentlichen Auftrags überschritten hat. Wer hier ein Symbol, das vielen heilig ist , machtpolitisch missbraucht.

Dass Gott, sein Sohn und deren theologisch sehr umstrittenes Zusammenspiel beim gewaltsamen Ableben des Juniors alle heilig sind, leuchtet dem aufgeklärten Zeitgenossen des dritten nachchristlichen Jahrtausends selbstverständlich ein. Jetzt soll aber auch noch das Symbol selber heilig sein ("Wer hier ein Symbol, das vielen heilig ist..."). Das kann nur zu einem Heiligen Krieg um die Frage führen, ob das alltägliche gute Zusammenspiel zwischen Staatsgewalt und Gläubigen besser mit oder ohne Kreuz auf dem Flur des Landesvermessungsamtes zum Ausdruck gebracht wird.

Fritz Kurz

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Anzunehmen, dass der bayerische Ministerpräsident diesen informativen Beitrag gelesen hat, so blauäugig kann niemand sein. Dennoch sind Burkhard Weitz‘ Ausführungen zum Thema Kreuz nicht „für die Katz“ zu Papier gebracht worden. Je mehr Menschen dieser Text erreicht hat, umso mehr sind nach der Lektüre hoffentlich immun gegen religiös verbrämtes Wahlkampfspektakel.

Uwe Tünnermann

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Dass die Bedeutung des Kreuzes nur wenig mit dem römischen Hinrichtungsinstrument zu tun haben soll, ist nicht plausibel, wurde doch Jesus genau mit diesem Instrument hingerichtet.
Vermutlich hätte Gott kein Problem damit gehabt, die Menschen auf unblutige Weise von ihren Sünden zu erlösen, wenn er sich dafür entschieden hätte.
Darf ich daran erinnern, dass der Tötung von Jesus eine beträchtliche Zahl von blutigen Ereignissen vorausgeht, die Gott befohlen hat: durch das gesamte Alte Testament zieht sich eine Blutspur.
Das Kreuz als Symbol der Liebe – darauf muss man erst mal kommen.

Nirgendwo im Artikel kommt das Wort Liebe vor. Wie kommen Sie darauf, dass das Kreuz ein Symbol für die Liebe sein soll? Laut Autor ist es ein Symbol für eine ganze Theologie, dargelegt im 7. Absatz von "Christen sollen Anteil nehmen..." bis "...alle menschliche Sünde." Eine ganz schöne Latte Arbeit für zwei gekreuzte Latten.

Auch beim großen Reformator steht das Kreuz für ganz viel Rechtfertigungstheologie. Ob jedem Kreuz klar ist, für wieviel ausgearbeitetes Glaubensgut es steht?

Fritz Kurz

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