Das Pfarrhaus in dem Annette Lapp mit ihrer Familie lebt
Das Pfarrhaus in dem Annette Lapp mit ihrer Familie lebt
Anna-Kristina Bauer
Im Pfarrhaus brennt noch Licht
Pastorin in Dankelshausen, das klingt doch sehr gemütlich! In Wahrheit ist ganz schön was los im Leben von Annette Lapp.
Tim Wegner
28.05.2018

Ausgerechnet jetzt! Kurz vor sieben, in zehn Minuten treffen sich die Eltern der Konfirmanden. Es wäre blöd, wenn sie vor verschlossener Tür stehen. Aber die Pastorin hat zwei Autos vor sich, das eine schleppt das andere ab. Überholen geht nicht, zu viele Kurven. Für ein paar Minuten ist Annette Lapp ausgebremst. Aber dann biegen die Autos vor ihr ab.

Annette Lapp parkt den alten, blauen Polo mit dem Fisch-Aufkleber vor dem Gemeindehaus in Jühnde dann doch auf die Minute pünktlich. Mit klarer, fester Stimme grüßt sie in die Runde. "Guten Abend!" Sofort steht sie im Mittelpunkt. "Haben die Kinder was von der Konfirmandenfreizeit erzählt?", fragt sie. Ja, dass die Pastorin ganz schön streng gewesen sei, sagt eine Mutter. Der karge Raum füllt sich, zehn Mütter und ein Vater sind es schließlich. "Marlon möchte sich für den Kirchenvorstand auf­stellen lassen, wenn er älter ist", erzählt eine andere Mutter, "so begeistert war er von der Freizeit!"

Aber nach der Freizeit kommt nun erst mal die Konfirmation, deshalb hat Pastorin Lapp die Eltern eingeladen, gut zwei Monate sind es noch bis zum Fest. "Ich mache den Gottesdienst, den Rest machen Sie!", erklärt Annette Lapp. Blumenschmuck? Und sollen Kirchenbänke für Familien reserviert sein? "Das überlasse ich alles Ihnen, ich möchte nur gern wissen, wer was macht." Sie muss so klar sein, sie kann sich nicht um alles kümmern.

Dankelshausen, ein Volltreffer, so fühlte sich das an

Annette Lapp, Jahrgang 1982, dunkelblondes, schulter­langes Haar, ist seit zwei Jahren Pastorin auf Probe in den evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden ­Scheden-Dankelshausen-Mielenhausen und Jühnde-­Barlissen-Meensen im Süden Niedersachsens. Verteilt auf sechs Ortschaften leben hier gut 2000 evangelische ­Gemeindeglieder. Das Pfarrhaus steht in Dankelshausen, 260 Einwohner, umgeben von Wiesen, Wäldern und ­Hügeln. Hier wohnt Annette Lapp mit ihrem Mann ­Tobias und den beiden Töchtern. "Wenn draußen Sturm ist, zieht es im Pfarrhaus so sehr, dass die Buchseiten ­flattern, wenn man liest", sagt die Pastorin. Das Haus ist eine ihrer Baustellen. Aber sie mag es – die knarrenden Dielen, das Fachwerk, den Ausblick. Sie weiß noch genau, wie es war, als sie einzogen. Der Kirschbaum vor dem Fenster stand in voller Blüte, auf den Feldern leuchtete der Raps, der ­Kuckuck sang. Dankelshausen, ein Volltreffer, so fühlte sich das an. Endlich angekommen im Pfarramt nach Studium, Geburt der Töchter und Vikariat.

Im Gottesdienst spielt Annette Lapp gern Gitarre

Zwei Jahre später sitzt Annette Lapp am Schreibtisch mit dem Kirschbaum-Blick. Es ist Donnerstagmorgen, sie hat Sprechstunde. "Jeder Tag ist anders. Manchmal mit fünf Terminen hintereinander. Manchmal kann ich auch sieben Stunden am Stück arbeiten und in Ruhe eine ­Predigt durchdenken. Und manchmal kommt doch wieder alles anders."

Auch an diesem Morgen ist das so. Die Organistin möchte gern beizeiten wissen, was sie sonntags spielen soll, also versucht Annette Lapp die Lieder für den Gottesdienst am Sonntag immer schon donnerstags zusammenzustellen, "In dir ist Freude", hat sie sich gerade notiert. "Pling!", macht der Computer, eine E-Mail. Die Frau des Tischlers und Bestatters hat geschrieben. "Oh, Samstag ist eine Trauerfeier, eine ältere Dame ist gestorben", sagt Annette Lapp. Sie zieht die Augenbrauen hoch – dann müsste sie schnell das Trauergespräch mit den Hinter­bliebenen führen, am besten gleich heute Nachmittag. Dass ­Familien ihre Toten mittlerweile oft samstags unter die Erde bringen möchten, ist dem Wandel der Zeit geschuldet. Die Menschen ziehen der Arbeit hinterher, wohnen über Deutschland verstreut und haben eine ­weite Anreise. "Urlaub möchte sich auch nicht jeder nehmen, wenn eine alte Tante beerdigt wird", sagt Annette Lapp. Aber für sie ist der Samstag oft der einzige Tag, an dem sie ihre Predigt schreiben kann. Und wenn vormittags Trauerfeiern sind, muss das Frühstück mit ihrer Fa­mi­lie ausfallen. Sie wählt die Nummer der Tischlerei im Nachbardorf. "Hallo Frau Stichtenoth, ich rufe an wegen der Trauerfeier. Aber Sie wissen doch, Frau Stichtenoth, ­samstags eigentlich echt nicht so gern." Schnell klärt sich alles auf, die Bestatterin hat sich vertan, die Beerdigung ist erst in zwei Wochen. Annette Lapp kann erst mal in Ruhe weiterarbeiten.

Aber nicht an der Predigt und nicht an der Liedauswahl. Karin Meier, die Mitarbeiterin aus dem Pfarr­büro, hat die Post gebracht. Was da nicht alles auf dem Schreibtisch landet! Das Kirchenkreisamt will, dass die Kirchenvorstände über Wegrechte abstimmen, die ein Haus­besitzer beantragt hat. Wie jetzt genau? Das Juristen­deutsch ist nicht leicht zu verstehen. Und diese Flurkarten, puh, Architektin müsste sie sein, um da Details zu erkennen!

Die Pastorin steht auf und zieht eine Urkunde aus einem Regal, ein langer Satz steht darauf: "Die Ordinierte hat sich vor Gott und der Gemeinde verpflichtet, den ihr über­tragenen Dienst der Verkündigung in Bindung an das Wort Gottes, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und in den Bekenntnisschriften der evangelisch-­lutherischen Kirche bezeugt ist, wahrzunehmen, in dieser Bindung zu ständig neuem Bekennen bereit zu sein und sich in ihrer Amts- und Lebensführung so zu verhalten, wie es dem Auftrag entspricht." Die Urkunde gab’s zur Ordination. Was genau das alles zu bedeuten hat – ­Annette Lapp musste 
es erst herausfinden. Arbeitsverträge, die auflisten, wie viele Stunden für Konfirmandenarbeit und für Religions­unterricht in der Schule vorgesehen sind, bekommen in ihrer Landeskirche nur Pastorinnen und Pastoren mit halben Stellen. Annette Lapp findet es aber gut, dass sie ihr Amt selber gestalten kann – einerseits. Anderer­seits arbeite sie wie eine Unternehmerin, die immer spontan reagieren muss. Die Kirche hat ja nie Pause.

Im Konfi-Unterricht ist auch Zeit für Gespräche: Liebt Gott auch mich?

Und sie verliert Mitglieder. Knapp 22 Millionen ­Menschen zählen zur Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Vor 20 Jahren waren es noch fast 27 Millionen. In ihrer "Erhebung zur Kirchenmitgliedschaft" hat die EKD herausgefunden: Wer die Kirche noch wahrnimmt, "nimmt vor allem die Geistlichen vor Ort wahr, insbe­sondere ihr Kasualhandeln. Die evangelische Kirche ist eine ‚Vor-Ort-Kirche‘". Kasualien, das sind Taufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigung. Und die Kirche vor Ort – das sind die Gemeindepfarrer. Sie prägen das Bild, das die Menschen von ihrer Kirche haben. So ging es Annette Lapp selbst, als Jugendliche. Sonderlich gläubig war ­ihre Familie im hessischen Weilburg nie. Aber der Pfarrer in ihrer Gemeinde, der beeindruckte sie. Was der alles ­wusste! Wie gut er schon den Kleinen im Kindergottesdienst klarmachen konnte, dass es Gott gibt! Und wie er ihr Mut zusprach, als sie nach dem passenden Beruf für sich suchte: "Annette, studier doch Theologie!"

Schmuck an der Kaffetaffel? Genau das will Annette Lapp nicht sein

Der Verwaltungskram wird auch dem Weilburger Gottesmann damals die Tage geraubt haben, aber diesen Teil der Arbeit sah Annette Lapp nicht. Im Vikariat in ­Bovenden bei Göttingen hatte sie auch noch mehr Zeit für Verkündigung und Besuche. Jetzt geht sie, sooft sie eben kann. Geburtstagsbesuche bei älteren Gemeindegliedern sind ihr wichtig. Unangekündigt, wenn das Fest schon ­gefeiert ist, Annette Lapp will kein Schmuck an der Kaffee­tafel sein. Und die Jubilare erzählen viel mehr, wenn Ruhe ist. Aber dann bloß nicht dran denken, was zu Hause auf dem Schreibtisch liegen bleibt!

Es ist früher Nachmittag geworden, Annette Lapp muss ihre jüngere Tochter Junia aus dem Kindergarten abholen, er schließt um 14 Uhr – nicht so einfach für Eltern, die arbeiten. Oft holt auch Annettes Mann Tobias die Kinder. Der promovierte Physiker arbeitet nur 50 Prozent, damit seine Frau Vollzeitpfarrerin sein kann. Aber er muss ­pendeln, nach Göttingen sind es 25 Kilometer, das kostet viel Zeit.

Die Kita des Deutschen Roten Kreuzes ist so ein Ort, an dem Annette Lapp spürt, dass es immer noch etwas Besonderes ist, die Pastorin zu sein. Zumindest hier, auf dem Land. Die Kita-Leiterin duzt alle Eltern, nur Annette Lapp nicht. Und die Pastorin mag ihr nicht das Du anbieten, weil sie älter ist.

Junia, sechs Jahre alt, hat heute gut gegessen. Sie ist satt und hat gute Laune, da kann die Mutter noch mit ihr den Einkauf erledigen. Als sie wieder vom Parkplatz fahren, winkt ein Paar schüchtern der Pastorin im Auto zu. Sie hat ein Kind der beiden getauft. Danach erhielt sie auf Facebook eine Freundschaftsanfrage und erschrak – der Mann teilte fremdenfeindliche Inhalte. Annette Lapp weiß viel über die Menschen um sie herum – aber die Menschen wissen eben auch, wer sie ist.

So ein bisschen hat die Pastorin das Gefühl, allen zu gehören

"So ein bisschen hat man als Pastorin das Gefühl, ­allen zu gehören", so empfindet sie das. Und zugleich ist sie ­immer die Instanz, die da auch Maßstäbe setzt. Im Herbst musste ihr Mann auf Dienstreise nach China. Sie nahm Urlaub, damit sie Zeit hätte für die Kinder. Eine Vertretung war benannt. Eines Abends brachte sie gerade ihre Töchter ins Bett, da klingelte es. Die Kirchenvorsteherin, tränenüberströmt. "Meine Mutter ist gestorben, und ich wünsche mir so, dass du sie beerdigst." Was sollte sie tun? Wenn sie ihren Urlaub unterbrechen würde, spräche sich das herum. Dann kämen alle, Urlaub hin oder her. Und hatte sie nicht gerade einer jungen Familie den Wunschtermin für die Taufe ausreden müssen? Annette Lapp nahm die Kirchenvorsteherin in den Arm: Ja, ich beerdige deine Mutter. Es war wohl richtig, viele Menschen aus dem Ort standen am Grab, sie spürte die Dankbarkeit.

Nach der Kirche verabschiedet die Pastorin alle Besucher mit Handschlag

Trotzdem bleibt nach solchen Erlebnissen ein komisches Gefühl. "Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich mich permanent dafür entschuldigen, dass ich nicht das leiste, was ein Pastor vor 30 Jahren leisten konnte." ­Kirchengemeinden umfassen heute oft mehrere Orte. Mehrere Kirchen. Früher aber hatte jede Kirche ihren ­eigenen Pastor. Und der hatte Zeit, durchs Dorf zu gehen, mit den Menschen zu reden. Annette Lapp läuft fast ­nirgends hin, sie ist aufs Auto angewiesen. Aber die Ansprüche der Menschen sind geblieben. Neulich war sie auf einer Veranstaltung mit 200 Teilnehmern. "Und hinterher beschwert sich einer, er sei nicht persönlich begrüßt ­worden." Ein Bekannter riet ihr, sich ein dickeres Fell zuzulegen. Aber das will sie gar nicht. "Als Pastorin muss ich empathisch sein, ein dickes Fell stört dabei."

Sie musste sich hineinruckeln ins Amt. Einmal wollte das Kirchenkreisamt einen Auszug aus dem Protokollbuch des Kirchenvorstandes. Was war das nun wieder? Annette Lapp ging zur Gemeindesekretärin und fragte. Und die fragte zurück: "Was habt ihr eigentlich gelernt in eurem Studium?" – "Predigen hab ich gelernt", antwortete die Pastorin. Dass Menschen Schwäche zeigen, das liebt sie an ihrem Glauben. "Ich habe eben auch so meine Auferstehungsmomente. Das Thema Gnade ist mir wichtig, dass Gott alle Menschen lieb hat, auch die, die scheitern."

Ausgerechnet am Vorabend des 500. Jahrestages der Reformation bahnte sich so ein Auferstehungsmoment an. Annette Lapp sagte zu ihrem Mann: "Ich fühle mich nicht in der Lage, morgen zu predigen." Sie tat es dann doch, und wie überall in Deutschland war die Kirche voll, über 100 Menschen! Die Pastorin hatte abends wieder Mut gefasst und das, was ihr an Luthers Reformation wichtig ist, in eine persönliche, sehr persönliche Predigt geschrieben. "Tief drinnen spüre auch ich, dass ich nicht gut genug bin", hörte sie sich sagen. In der Kirche wurde es immer stiller. "Auch ich brauche Gnade wie das tägliche Brot. Die Gnade und die Vergebung der Menschen um mich herum. Meines Mannes. Meiner Kinder. Weil ich immer wieder hinter Erwartungen zurückbleibe." Trotz der vielen Be­sucher sei das ein sehr intimer Gottesdienst geworden, an die Blicke der Menschen beim Abendmahl denkt sie heute noch. "Ich hatte das Gefühl, ich lege meine Seele offen." Man habe eine Aura gespürt, sagte ihr jemand später.

Die Pastorin nimmt es als Geschenk, was die Menschen ihr anvertrauen

Die Pastorin nimmt es als Geschenk, was die Menschen ihr anvertrauen, die Einblicke in das Leben der anderen. Sie ist überrascht, wie oft in ihrer Region die Familien noch um Aussegnungen bitten, wenn sie ihre Verstorbenen zu Hause aufgebahrt haben. Nach der Segnung fragt sie ­immer: "Wenn es in Ordnung ist für Sie, möchte ich gern ein Gebet mit Ihnen sprechen." Und dann könnten die Leute endlich weinen. Oder Silvester in der Kirche, wenn sie die Menschen segnet, für ein gutes neues Jahr. "Die Blicke, ich sehe da oft einen Hunger nach Spiritualität, das macht mir Mut."

Tobias Lapp ist nach Hause gekommen, das Ehepaar tauscht sich kurz darüber aus, was los war. Und wann sie sich abends in Hannoversch Münden treffen, Tobias Lapp hält dort einen Vortrag, "Am Anfang war der Urknall". Die Babysitterin ist schon bestellt. Der Physiker ist ein gläubiger Mann, etwas anderes hätte sie sich auch nicht vorstellen können für ihre Partnerschaft, sagt die Pastorin. Aus dem Kinderzimmer kommt Tochter Johanna, neun Jahre, mit einer Freundin. "Mami, dürfen wir in die Felder und ein bisschen Picknick machen?" Annette Lapp nickt, sie muss gleich los, wieder mit dem Auto – Konfirmanden­unterricht. "Dürfen wir auch Buchstabenkekse mit­nehmen?", will Johanna noch wissen. "Ja, aber die muss Papa euch raussuchen."

Auf ein großes, weißes Blatt Papier hat Annette Lapp eine Frage geschrieben. "Die Bibel bedeutet mir im ­Moment …" Das Blatt liegt auf dem Fußboden, wieder in Jühnde, wieder im kargen Gemeindehaus. Die Vor-­Konfirmanden, alle um die 13 Jahre alt, sollen mit einem dicken Stift aufs Papier schreiben, was sie denken. Ehrlich sind sie, die Jugendlichen. Als die Pastorin das Blatt an die Wand hängt, steht dort zehnmal: "Nicht so viel." Oder: "Nicht mein Geschmack." Nur ein Junge hat "Neues zu ­erkunden und zu entdecken" notiert.

Die meisten Konfirmanden haben keine Ahnung von der Bibel

Die Pastorin wundert das nicht. "Die allermeisten ­Konfirmanden haben keine Ahnung, wenn sie in den ­Unterricht kommen." Sie kränkt das nicht – es ist ihr ein Ansporn. Offen sind die Mädchen und Jungen jedenfalls für die großen Fragen des Lebens. Annette Lapp hat die Kon­firmanden reihum einen Liebesbrief laut vorlesen lassen, er ist zusammengesetzt aus Bibelversen, angelehnt an den Psalm 139. "Liebes Kind, ich kenne dich ganz genau, selbst wenn du mich vielleicht nicht kennst." Danach diskutieren sie über die Zeilen. Emma will es genau wissen.

"Gott kann sich doch gar nicht jeden einzelnen ­Menschen vorstellen, es gibt doch viel zu viele, wie will der mich kennen?" Annette Lapp antwortet: "Ich glaube doch, dass Gott so groß ist. Auch du warst geplant!"

Emma ist nicht überzeugt: "Wenn er so groß ist, hätte er es doch auch so einrichten können, dass wir friedlicher auf der Erde zusammenleben können."
Darauf die Pastorin: "Gott hat den Menschen die Freiheit gegeben, sich zu entscheiden, ob sie Gutes oder Böses tun wollen. Er will ein Gegenüber, das eigenständig ist."

Alle sechs Jahre sind Wahlen zum Kirchenvorstand, da muss die Pastorin hin

Die Entscheidung für ihre eigene Zukunft ­werden die Lapps bald treffen. Die Probezeit der Pastorin ist zu zwei Dritteln vorbei. Die Familie will sich beheimaten, auch der ­Kinder wegen. Die Große hatten sie um­schulen ­müssen, als sie nach Dankelshausen zogen. Junia musste die Kita wechseln. Nun wollen sie Wurzeln schlagen. Annette Lapp möchte gern bleiben. Sie hat viele Pläne, zusammen mit ihrem Mann, der all das macht, was Gemeinden früher von einer Pfarrersfrau erwarteten. Und ein bisschen mehr. Wenn irgendwo eine Lampe kaputt ist, aber der Küster fehlt, fährt er hin und sorgt für Licht. Und weil er es aus seiner Arbeit gewohnt ist, Projekte zu managen, schreibt er Anträge, mit denen die beiden Gemeinden um För­dergelder kämpfen. Gerade kam die Zu­sage der hannoverschen Landeskirche, 1400 Euro für einen Beamer, damit sie WM-Spiele in der Kirche über­tragen können. Einen noch viel größeren Antrag, über 100 Seiten lang, hat Tobias Lapp auch noch geschrieben, sie wollen Leuchtturmprojekt werden, "Lebendige Kirche auf dem Land". Etwa 200 000 Euro dürften sie dann ausgeben.

Was man damit alles machen könnte! Annette Lapp blickt wieder raus in den Garten. Rechts vom Kirschbaum, auf der Rasenfläche, hat ihr Mann Tobias im Sommer ein ­Vater-Kind-Zelten veranstaltet. Die Pastorin findet, dass die Kirche nicht nur theologische Debatten führen darf, die kaum jemand versteht. Raus zu den Menschen müsse man. Und zeigen, dass Glaube auch Zusammenhalt ist. Deswegen dauern die Konfirmandenstunden bei ihr auch immer bis in den Abend hinein, alle essen noch gemeinsam. Das Paar träumt von einem kleinen Café unten im Pfarrhaus. In Dankelshausen gibt es keinen öffentlichen Ort zum ­Plaudern, mal abgesehen von der Bushaltestelle. Aber ein Café, wäre das nicht zu viel, immerzu Leute im Pfarrhaus, ein Leben wie im Schaufenster? "Ach, wir wohnen doch oben. Und den Garten links des Kirschbaumes, den würden wir für uns behalten. Dann kann auch niemand sagen: ,Hat doch die Pastorin wieder nicht Unkraut gejätet.‘"

Vorteil der Heimarbeit: Annette Lapp kann ihrer Tochter helfen, in den Tag zu kommen

Sie lächelt. So sind sie eben, die Menschen. Wer ­vorne steht wie Annette Lapp, der ist auch interessant. Sie hält das aus. Und vergisst nicht, dass es eigentlich nicht um sie geht. Das hat sie neulich auch einer Dame aus dem Chor gesagt. Die hatte sie nämlich nur als Annette Lapp an­gesprochen, lief rot an und korrigierte sich. "Ich meine natürlich: Frau Pastorin Lapp." Und die Pastorin sagte nur: "Macht nichts, wir sind hier nicht meinetwegen, wir sind hier wegen Gott."

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Kein Zweifel: viele Pastorinnen/Pastoren arbeiten hart und intensiv, oft über die eigenen Kräfte hinaus. Das gilt sicher auch für Frau Lapp.
Zugleich zeigt der Bericht das Dilemma, das inzwischen offenkundig und allgegenwärtig ist. Kirche verliert immer mehr an Einfluss, an Möglichkeiten, an Mitgliedern. Das liegt nicht an der "bösen Welt", sondern u.a. daran, dass Sprache, Lieder, inhaltliche Formen und die Inhalte selbst die heutigen Menschen weithin verfehlen (müssen). Wir brauchen dringend eine Kirchenreform, die dazu führt, dass aus einer "Komm-Kirche" eine "Geh-Kirche" wird, die nicht dem Irrtum erliegt, das Entscheidende geschehe am Sonntag unter der Kanzel und am Altar.
Bei allem Respekt vor Frau Lapp: ihre Aussage, im Studium das Predigen erlernt zu haben, kann ich nur begrenzt teilen. Nach fast 30 Jahren Dienst (in Gemeinden, im Gefängnis, im Krankenhaus und in Seniorenheimen) merke ich immer mehr: wenn mir die Predigtarbeit gelingt, dann durch die Menschen, die mir geholfen haben, meinen Weg zu finden - nicht durch das Studium, so großartig diese Zeit auch war. Wir brauchen auch eine dringende Reform des Theologiestudiums, zumindest da, wo es zur Gemeindearbeit führen soll.
Aber wird es die nötigen Reformen auch geben? Ich habe Zweifel.

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