Muslime und Rechtfertigungsdruck
Muslime und Rechtfertigungsdruck
Linda Wölfel
In der Sackgasse
Ein Gerichtsurteil und die Menschenrechts­verletzungen in der Türkei setzen Deutschlands Muslime unter Rechtfertigungsdruck
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
16.03.2018

Am 9. November 2017 erhielten zwei muslimische Verbände vom Oberverwaltungsgericht in Müns­ter einen Riesen­dämpfer. Der eher arabisch geprägte Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) mit Sitz in Köln und der Islamrat in Bonn bekamen schwarz auf weiß: Sie sind gar keine Religionsgemeinschaften. Es fehle ihnen, so die Richter, die religiöse Lehrautorität gegenüber ihren Mitgliedern. Beim Zentralrat geht es dabei um 300 Gemeinden und zwei Dutzend Verbände.

Eine Religionsgemeinschaft wie im Grundgesetz beschrieben wären diese Verbände – es sind nur zwei von einer ganzen Reihe – sehr gern. Denn dann könnten sie, so die Absicht der Kläger, in ganz Nord­rhein-Westfalen Religionsunterricht an staatlichen Schulen durchführen: für 360 000 statt nur für 20 000 muslimische Schülerinnen und Schüler.

Portrait Eduard KoppLena Uphoff

Eduard Kopp

Eduard Kopp, ­Jahrgang 1953, ist ­Leitender Redakteur (Theologie) bei ­chrismon. Die ­Integration der ­Muslime beschäftigt ihn, seitdem er 
1981 als Christ aus 
einer Moschee 
in Marokko raus­geworfen wurde

Wut und Enttäuschung wechseln sich bei den Verbänden ab. Hatten Muslime nicht seit Jahrzehnten bewiesen, dass sie verlässliche Partner des Staates beim Thema Religions­unterricht sind? Wenn auch nur indirekt über einen Beirat, der eine Vielzahl islamischer Organisationen vertritt. Von dieser Hilfskonstruktion wollten die Verbände weg. Doch daraus wird so bald nichts werden.

Nun wird der Rechtsstreit weiter­gehen, wie Aiman Mazyek, Vorstandsvorsitzender des Zentralrats, im chrismon-Interview ankündigt. "Wir sind bereit, bis zum Bundes­verfassungsgericht zu gehen. Das sind wir den Schülerinnen und ­Schülern, aber auch den Lehrerinnen und ­Lehrern schuldig." Nicht zuletzt wirft er den Richtern in Münster vor, dass sie die plurale Struktur des ­Islams verkennen und die Kirchen zum Maßstab nehmen.

Dieses Urteil wollen die Verbände nicht akzepieren

Das will Mazyek nicht akzeptieren. Sowohl die gesetzlich erforderliche Größe der Verbände stimme, auch ihr Bestand sei auf Dauer gesichert, und es gebe eine "Durchlässigkeit der Ebenen von oben nach unten und umgekehrt". Will sagen: Bundes-, Landes- und Gemeindeebene sind miteinander verzahnt. Also eine ordentliche, wohlorganisierte Religions­gemeinschaft. Die Richter sahen das nicht so.

Dass es auch anders gehen kann, zeigt die Erfolgsgeschichte des islamischen Religionsunterrichts in Hessen. Dort, wo er schon seit 2013 als ordentliches Lehrfach gilt – in deutscher Sprache unterrichtet und unter staatlicher Aufsicht –, würdigte Kultus­minister Alexander Lorz 2014 die beteiligten Verbände als "verlässlich und konstruktiv": den türkisch-deutschen Landesverband der Ditib (mit vollem Namen "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V.") und die islamische Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya. Gutachten hatten dem Land Hessen bestätigt, dass es sich bei beiden um Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes handelt. So wurden sie von der Landesregierung in Wiesbaden anerkannt – der reguläre Unterricht konnte beginnen. Es waren allerdings andere Verbände als jene, die nun in Nordrhein-Westfalen erfolglos klagten. Inzwischen hat sich in Hessen allerdings das Blatt gewendet. Der Kultusminis­ter droht der Ditib damit, sie aus der Mitverantwortung für den Religionsunterricht rauszuwerfen, wenn sie bis Ende des Jahres nicht glaubhaft ihre Unab­hängigkeit von Ankara beweist.

Verdächtig wortkarg angesichts von Erdogans "Säuberungen"

Die Muslime in Deutschland stehen gegenwärtig mit dem Rücken zur Wand. Die Nähe des deutsch-­türkischen Dachverbandes Ditib, des mit 900 Moscheegemeinden größten muslimischen Verbandes, zur Re­gierung in Ankara richtet indes größeren Schaden an als die Niederlage vor dem Gericht in Münster. Die Ditib ist weitgehend blind gegenüber den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und verdächtig wortkarg angesichts Recep Tayyip Erdogans ­"Säuberungen" des Landes. Das könnte – rein taktisch – klug sein, denn viele deutsch-türkische Muslime bewundern ihren Präsidenten sehr.

Die Ditib hat ein unauflösbares Grundproblem. Sie ist abhängig von der Regierung in Ankara, genauer: der türkischen Religionsanstalt Diyanet. Diese hat ein Budget von weit über einer Milliarde Euro, bezahlt rund 100 000 Mitarbeiter, darunter die meis­ten Imame in der Türkei, aber auch Hunderte in Deutschland. Die Ditib versucht, ihre Nähe zu Ankara zu leugnen, aber davon lässt sich kein Politiker und keine Verwaltung täuschen. Bis in die Satzungen von Ditib-Gemeinden und -Verbänden hinein zeigt sich der starke Einfluss der Religionsanstalt in Ankara. Journalisten, denen es im Januar 2017 gelang, sich die Satzung der Ditib zu besorgen, konnten es belegen. Und in wissenschaftlichen Arbeiten, zum Beispiel von Muhammet Yanik von der Universität Bremen, ist zu lesen: Ditib-Imame und -Mitarbeiter sind den Religionsattachés der türkischen Konsulate berichtspflichtig.

Nicht nur Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, sondern auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) forderte mit Recht, die Ditib müsse sich glaubhaft von Ankara lösen. Die türkische Religionsanstalt als "spirituelle Instanz" für die deutschen Ditib-Gemeinden zu verkaufen, wie es der bis 2017 amtierende Generalsekretär Bekir ­Albog˘a tat, ist ebenso geschönt wie seine Behauptung fragwürdig: Eine staatliche Einflussnahme aus der Türkei sei eine "unbewiesene Unterstellung".

Ditib-Gemeinden, die für einen erfolgreichen Krieg beten

Seitdem es staatsanwaltliche Ermittlungen gegen 19 Ditib-Imame wegen Schnüffelei gegen Gülen-An­hänger gab, ist die Skepsis gegenüber der Ditib weiter gewachsen. Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft wurden zwar inzwischen eingestellt (sieben wegen mangelnden Tatverdachts, fünf wegen geringfügiger Vorwürfe, sieben Imame waren nicht mehr auffindbar). Doch erst vor kurzem fiel ein Imam aus Stadtallendorf in Hessen auf, der offensichtlich in seiner Moschee für einen erfolgreichen türkischen Krieg in Nord­syrien beten ließ, für die "Operation Olivenzweig". Der Hessische Rundfunk zeigte eine Videoaufnahme, die aus diesem Gottesdienst stammen soll. Auch etliche weitere Ditib-Gemeinden hatten nach Beobachtung des "Spiegels" auf ihren Facebook-Seiten zum Gebet für den Sieg aufgerufen.

Aber es gibt auch Integrationshindernisse auf der anderen Seite: Rechtspopulisten säen Hass und ­Islamfeindschaft. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gemeinden und Verbänden werden bedroht und mussten schon von der Polizei geschützt werden. Die Saat islamfeindlicher Reden ist aufgegangen. An der Beschädigung des gesellschaftlichen Friedens haben Pegida und AfD, aber auch Rechts­extreme einen großen Anteil.

Für Aiman Mazyek, den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, ist deshalb die Fokussierung auf die Gewalt von Muslimen realitätsfremd: "Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Laut Verfassungsschutz gibt es derzeit in Deutschland 400 mus­limische Gefährder und über 10 000 ­gewaltbereite Rechtsextremisten." Drohungen mit Mord und Anschlägen, auch gegen ihn persönlich, ­kämen immer wieder vor. Auch antimuslimische Hetzkampagnen in den sozialen Medien hätten in den vergangenen Jahren extrem zugenommen.

Sagen, was wir am Islam bewundern und was uns stört

Das muss jeden zum Protest aufrufen, dem an einer pluralen, offenen Gesellschaft gelegen ist. Ein engeres Zusammenleben und eine gute In­tegration der Muslime nutzen uns ­allen. Deshalb ist es nicht nur legitim, sondern unverzichtbar, klar zu sagen, was wir am Islam bewundern und was stört. Denn Entscheidendes kann sich nur ändern, wenn wir in offenen Gesprächen die Schmerzpunkte benennen.

Dazu gehört neben mangelnder Achtung gegenüber Frauen, neben religiösem Fundamentalismus oder Vorbehalten gegenüber dem Rechtsstaat auch die Gewaltfrage. Die Verbände haben sich regelmäßig von jeder Form von Gewalt und Terrorismus distanziert. Aber: Es gibt bei einigen jugendlichen Flüchtlingen eine erhöhte Gewaltbereitschaft. Interessant ist: Das hat kaum religiöse Gründe. Ursache ist vielmehr, dass die Betroffenen nicht wissen, ob sie im Land bleiben dürfen, und dass ihnen ihre Familien fehlen.

Und auch das Folgende hat mit dem Thema Gewalt zu tun: die von der Bundesregierung genehmigten umfangreichen Rüstungsexporte. Die beiden Erzfeinde Saudi-Arabien (mit seiner wahhabitisch-sunnitischen Regierung) und Iran (von Schiiten ­regiert) führen im Jemen und in ­Syrien brutale Stellvertreterkriege. Vielfach kommen deutsche Waffen zum Einsatz. Was sind Politikerplä­doyers für einen friedlichen Islam wert, wenn  mit Genehmigung der deutschen Regierung Waffen in kriegführende Länder geliefert werden? 

Welche Islam tut unserer Gesellschaft gut?

Der Islam gehört zu Deutschland. Der Islam, der unserer Gesellschaft guttut und sie bereichert, sollte friedens­orientiert, tolerant und den Menschenrechten verpflichtet sein. Er sollte die Gleichberechtigung der Frauen achten wie auch jede sexuelle Orientierung. Er sollte sich der Freiheit der Lehre, Religions- und Ge­wissensfreiheit verpflichtet sehen.

Diesen liberalen Islam gibt es in Deutschland, und er gewinnt erfreulicherweise an Einfluss. Er muss noch viel stärker werden. In der ­"Islamischen Charta" des Zentralrats finden sich viele Formulierungen, die man nur begrüßen kann: "Muslime bejahen die vom Grundgesetz garantierte gewaltenteilige, rechtsstaatliche und demokratische Grundordnung" (Ziffer 11). Oder: "Der Zentralrat . . . verurteilt Menschenrechtsver­letzungen überall in der Welt und bietet sich hier als Partner im Kampf gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Sexismus und Gewalt an" (Ziffer 18). Dies hilft, Generalverdächtigungen gegenüber Muslimen den Boden zu entziehen.

Muslimische Verbände tragen Mitverantwortung in der Krankenhausseelsorge, Militärseelsorge, Gefängnisseelsorge, in den Schulen und Universitäten. Islamisch-theologische Lehrstühle zur Ausbildung vor allem von Lehrerinnen und Lehrern gibt es inzwischen an vielen Fakultäten. Eine standardisierte Ausbildung von Imamen und Imaminnen nach ihrem Theologiestudium, gemeinsam durchgeführt von Universitäten und Gemeinden, steht noch aus. Sie wäre eine Alter­native zum Zustrom ausländischer Imame in deutsche Moscheen.

Integration muss auch in unseren Köpfen beginnen. Ein Rezept gegen eigene Überheblichkeit kann es sein, sich vor Augen zu rufen, wie viel ­Europa dem Islam verdankt, historisch und gegenwärtig. Jahrhunderte bewahrten Muslime das Wissen, das im Westen verloren zu gehen drohte. Nachdem der christliche Kaiser ­Jus­ti­nian im Jahr 529 die Akademie in Athen geschlossen hatte, koppelte sich Europa immer mehr vom Denken der Antike ab. Die antiken Mathe­matiker, Naturforscher, Mediziner und Philosophen wurden im Westen nicht mehr gelesen. Das neue internationale Geisteszentrum war Bagdad. Zur Zeit der ­Abbasiden-Dynastie – Mitte des achten bis Mitte des 13. Jahrhunderts – blühten im ganzen islamischen Reich die Wissenschaften. Erst allmählich eigneten sich die Länder des christlichen Westens und Nordens dieses Wissen wieder an und entwickelten es weiter.

Der Islam hat unserer säkularisierten Gesellschaft einiges zu sagen

Muslime bereichern bis heute unsere Literatur, Medizin, Wissenschaft, Architektur. Die Ditib-Zentralmoschee in Köln, eröffnet im Juni 2017, ist ein außerordentlich ­eindrucksvoller Bau (sieht man einmal von den endlosen Querelen ­zuvor zwischen dem Bauherren, den deutschen Architekten und der Öffent­lichkeit ab).

Auch sozial und religiös hat der Islam unserer säkularisierten Gesellschaft einiges zu sagen. Er kann uns kritisch die Stärken und Schwächen unserer Mehrheitskultur spiegeln. Zum Beispiel im Blick auf den Zusammenhalt der Familien. So wachsen deutlich mehr Kinder mit türkischem Hintergrund in einer Familie mit Vater und Mutter auf. Was das über den inneren Zustand der muslimischen Familien sagt, darüber gehen die Auffassungen allerdings auseinander.

Und religiös ist bemerkenswert: Nach der Shell-Jugendstudie 2015 hat der Glauben bei muslimischen Jugendliche mehr Bedeutung für ihre Lebensführung als bei ihren Altersgenossen. Es ist nicht die schlechteste Frucht des Zusammenlebens, dass wir Säkularisierte uns von religiösen Muslimen herausfordern lassen.

Was könnte den Muslimen helfen, aus der gegenwärtigen Sackgasse herauszukommen? Die traurige Realität ist: Wer als Politiker, als Verwaltungsmann, als Wissenschaftler, als Journalist "die" authentische Stimme des Islam sucht, hat es schwer. Das zersplitterte Erscheinungsbild des ­Islams in Deutschland hat nicht nur mit konfessionellen Unterschieden zu tun (mit Sunniten, Schiiten, Liberalen, Ahmadiyya, Aleviten . . . ), zu den konfessionellen kommen die nationalen hinzu.

Die Vielfalt der Strukturen macht die Lage unübersichtlich

Eine ganze Reihe Länder mit einer muslimischen Bevölkerung haben eigene muslimische Gemeinden in Deutschland, und in ihnen spiegeln sich die politischen und militärischen Konflikte ihrer Heimat­länder wider. Zu allem Überfluss gibt es noch die Konkurrenz der muslimischen Verbände untereinander, die alle um politischen Einfluss ringen. Selbst diese repräsentieren nur ein gutes ­Drittel der Muslime in Deutschland.

Tatsächlich weiß niemand, wie viele Muslime in Deutschland leben. Es soll 2500 Moscheen geben, die Zahl der Muslime wird auf 4,7 Mil­lionen geschätzt. Mitgliederlisten gibt es in den Gemeinden oft nicht, oder sie werden erst angelegt. Eine rechtlich verbindliche Mitgliedschaft mag für die Christen und ihre Kirchen ­typisch sein, für Muslime und ihre Moscheen gilt das nicht. Und wo es Mitgliederverzeichnisse gibt, kommt es vor, dass pro Familie nur eine ­Person gelistet ist: der Vater.

Die Vielzahl der Verbände macht die Lage unübersichtlich. Deshalb regte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) 2015 in einer Rede an der Humboldt-Universität Berlin einen weiteren Staatsvertrag an. Ein solcher erlaube es, "die muslimischen Gemeinschaften enger an den Verfassungsstaat und seine Werte heranzuführen". Im Gegenzug seien die Muslime auf­gefordert, ihren Teil zu einer Anerkennung durch Staat und Gesellschaft beizutragen. Und er forderte die Gemeinschaften (er sprach nicht von Religionsgemeinschaften) auf, sich "besser mitgliedschaftlich zu orga­nisieren".Es ist die eigentliche Aufgabe der deutschen Muslime, sich eine Form und Struktur zu geben, die sie für die Öffentlichkeit und Politik berechenbarer macht.

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„Integration in unser Wertesystem“ ist für bekennende (sic!) Muslime eine fast nicht zu stemmende Aufgabe. Denn erstens hat der Islam all die religionskulturellen Transformationen nicht mitgemacht, die unser sog. westliches Wertesystem mitbestimmen. Ich nenne nur fünf solcher Transformationen:
- Die Subjektivierung des Religiösen (Reformation)
- Die Ethisierung des Religiösen (Aufklärung)
- Die Historisierung des Religiösen (19. Jahrhundert)
- Die „Entlarvung“ des Religiösen (Freudianismuns, Marxismus, traditionelles linksliberales Milieu)
- Die Individualisierung des Religiösen/ Religion als nur noch individuelle Lebensoption (Postmoderne)
Zweitens ist bislang keine einzige muslimische Organisationen bereit, diese Transformationen nachzuvollziehen – sie meinen offensichtlich gute Gründe für diese Verweigerung zu haben. Wann ist es endlich publizistisch möglich, diese kulturellen Tiefendimensionen in die gegenwärtigen Diskussionen mit einzubeziehen, ohne „political correctness“ zu verletzen? Dann wäre es jedenfalls möglich, sich von bloßen Oberflächenphänomenen wie „DITIB“ und ähnliches nicht mehr ablenken zu lassen.

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Es ist sicherlich lobenswert, daß die der Leitende Redakteur Eduard Kopp den liberalen Islam verweist. Doch wie sieht die Realität aus? Umfragen ergeben, daß ca- 50 % der in Deutschland lebenden Muslime die Scharia, welche sie als gesellschaftliches Modell favourisieren, nicht als kompatibel mit dem Grundgesetz ansehen. Ein besonders brisantes Thema ist der muslimische Antisemitismus. Jüngst thematisierte der Redakteur der 'Jüdischen Allgemeine' Philipp Peyman Engel die Sicherheitsfrage. Es gibt keine Synagoge in Deutschland, die nicht unter Polizeischutz steht, selbst Kinderfeste der Gemeinden müssen von Polizei und Sicherheitsdiensten geschützt werden. Für Juden kann es gefährlich sein, erkannt zu werden. "Mit Kippa oder einem T-Shirt meines Fußballvereins Makkabi ist die Wahrscheinlichkeit hoch, in Berlin, Bochum oder Essen angepöbelt oder angegriffen zu werden", erklärte Engel. Es traue sich fast kein Jude mehr wegen des muslimischen Antisemitismus in Berlin-Neukölln, Duisburg oder Bochum mit Kippa auf die Straße. Die jüdische Gemeinde in Bochum riet ihren Mitgliedern kürzlich davon ab, sich auf der Straße als Juden zu erkennen zu geben.

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Dreeinhalb Jahre sehr intensive Arbeit mit geflüchteten Menschen aus dem Nahen Osten und aus Afrika haben mir gezeigt: Sich selbst kleiner machen als man tatsächlich ist, wirkt dem Dialog und der Integration entgegen. Das wird als anbiedernd erlebt und gilt als unehrenhaft. Freilich, zu irgendeinem christlichen oder westlichen Triumphalismus haben wir ebenso wenig Anlass, der würde noch verheerender wirken.
Richtig ist, dass der christliche Kaiser Justinian 529 die Akademie in Athen geshlossen hat. Nur, bis zum Beginn der Blüte der Wissenschaften in Bagdad sind es noch gut zweihundert Jahre! Es waren Christen der orientalischen (nicht byzantinischen) Kirchen, die als Wissenschaftler (Philosophen, Naturwissenschaftler und Ärzte) das antike Erbe bewahrt und an die Araber weitergegeben haben. Auch die Übersetzungen der griechischen antiken Literatur ins Arabische wurde von christlichen Wissenschaftlern geleistet. Sie waren am Hof in Bagdad hoch angesehen und wurden von den Khalifen sehr geschätzt.
Wann steigen wir westlichen Christen endlich von unserem hohen Ross herab und anerkennen die nicht zu überschätzenden Beiträge der orientalischen Kirchen zur Geschichte des Christentums und ihre Weitergabe des antiken Erbes als Geschenk für die gesamte Menschheit?! Zu dieser Anerkennung der orientalischen Kirchen, die sich ja bekanntlich in lebensbedrohlicher Lage befinden, würde auch gehören, deren Erfahrungen mit dem Islam aus mehr als 13 Jahrhunderten für unser heutiges Gespräch mit dem Islam fruchtbar zu machen.

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Sehr geehrter Herr Kopp,
erlauben Sie mir, Ihrem interessanten Artikel einen kritischen Aspekt hinzuzufügen. Die von Ihnen als Ausweg aus der Sackgasse in den Blick genommene institutionelle Anerkennung muslimischer Religionsgemeinschaften für in Deutschland lebende muslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger steht aus meiner Sicht entgegen, dass muslimische Demonstranten so wie im Dezember 2017 in Berlin eine israelische Fahne sowie ein Banner mit dem jüdischen Davidstern verbrannt und "Juden ins Gas" skandiert haben. Offener wie versteckter Antisemitismus ist unter Muslimen unterschiedlicher Nationalitäten und Glaubensrichtungen nicht selten. Aktuelle statistische Erhebungen zu muslimisch motivierten antisemitischen Haltungen gibt es meines Wissens nicht. Sie lassen sich aber auch schwerlich erwarten. Die Bewohner der Berliner Sonnenallee warten nicht gerade auf Fragebögen der Bundeszentrale für politische Bildung. Vermutlich wissen viele jener, die "Yehoudi" grummelnd vor einem Kippaträger ausspucken, dass ihre Meinung die Grenze zur Straftat häufig schnell zu überschreiten droht. Auch ohne Statistik über muslimisch motivierten Antisemitismus lässt sich aber beobachten, wie Hamasführer, die Israel jedes Existenzrecht verweigern, dieser Tage wieder von Menschen auf dem Hermannplatz in Berlin/Neuköln als Helden und Märtyrer im Kampf gegen den Judenstaat gefeiert werden. Dem Antisemitismus unter Muslimen ist m.E. größere Aufmerksamkeit zu schenken, als Sie dies in Ihrem Artikel tun. Er erschwert die wichtige und notwendige Integration muslimischer Bürgerinnen und Bürger erheblich, eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft macht er für alle muslimischen Gemeinschaften, die diese Thematik egal ob wissentlich oder unwissentlich übergehen, unmöglich.

Lassen Sie mich außerdem noch auf zwei von Ihnen erwähnte Zahlen eingehen, deren Bedeutung ohne ein Wissen um den statistischen Hintergrund kaum richtig einzuordnen ist. Sie zitieren (unwidersprochen) Herrn Aiman Mazyek, den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime: "...Laut Verfassungsschutz gibt es derzeit in Deutschland 400 mus­limische Gefährder und über 10 000 ­gewaltbereite Rechtsextremisten." Ganz abgesehen von der Frage, ob der Vergleich zwischen "Gefährdern" und "Gewaltbereiten" nicht eher dem Vergleich von Äpfeln mit Birnen gleichkommt, möchte ich darauf hinweisen, dass alle unaufgeklärten Straftaten gegenüber Juden oder jüdischen Einrichtungen von der Polizei als "politisch motiviert rechts" gewertet werden und auch als solche in die Statistiken eingehen. Dies ist vor dem oben geschilderten Hintergrund der Berliner Demonstrationen zumindest als fragwürdig zu bewerten. Egal ob Neonazis oder muslimische Fundamentalisten Juden angreifen - beides ist gleich widerlich. Die gängige Praxis polizeilicher Statistik sollte aber weder Herrn Mazyek noch Ihnen oder Ihren Leserinnen und Lesern Anlass bieten zu einer Bagatellisierung antisemitischer Haltungen und Straftaten innerhalb der muslimischen Gemeinden.

Sie suchen - wenn ich Sie richtig verstehe - nach einem Ausweg aus der Sackgasse mangelnder institutioneller Toleranz für alle in unserem Land lebenden Menschen, die sich zu einer ihrem gemeinsamen Glauben entsprechenden Religionsgemeinschaft zusammentun wollen? Robert Menasses Buch "Hauptstadt" fällt mir ein. Wie wäre es mit einem jüdisch-christlichen-muslimischen Sakralbau in Auschwitz? Obwohl: nein, lieber nicht, sonst bräuchte es auch dort am Ende noch eine religions- und helmfreie UNO-Mission.

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