Annette Humpe in 'Fragen an das Leben'
Annette Humpe
Dirk von Nayhauß
"Ich vermeide Schuldgefühle"
Die führen nämlich zu gar nichts, findet die Musikerin Annette Humpe. Ihr Rezept: sofort um Verzeihung bitten, wenn sie jemanden verletzt hat
Dirk von Nayhauß
21.02.2018

chrismon: Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Annette Humpe: Wenn ich mich einsam fühle oder ängstlich bin, lehne ich mich zurück und sage: ,,Ich bin einverstanden." Dann ­werde ich sofort ruhig. Das ist wahrscheinlich das Gleiche wie ,,Herr, dein Wille geschehe" im Vaterunser. Mir reicht aber das humanistische Gedankengut, um klarzukommen. Man kann auch ohne Religion versuchen, ein guter Mensch zu sein. Die Vorstellung, dass da oben jemand sitzt und mich beäugt oder beschützt, habe ich nicht.

Dirk von Nayhauß

Annette Humpe

Annette Humpe, ­geboren 1950 in ­Hagen, studierte sechs Semester Schulmusik, Hauptfach Klavier. Anfang der 80er Jahre wurde sie als Sängerin der Neue-Deutsche-Welle-Gruppe "Ideal" bekannt. Mit ihrer Schwester Inga ­gründete sie "Humpe & Humpe", 2004 bis 2010 bildete sie mit Adel Tawil das Duo "Ich + Ich". Sie textete, komponierte und produzierte auch für Udo Lindenberg, Die Prinzen, Nena und Max Raabe (zuletzt "Der perfekte ­Moment . . . wird heute verpennt"). Annette Humpe hat einen Sohn und lebt in Berlin.

Muss man den Tod fürchten?

Nicht, wenn man intensiv gelebt hat. Wenn der Tod ­morgen käme, wäre das für mich in Ordnung. Ich durfte mich entfalten, war gesund, lebte in Friedenzeiten, hatte genug zu essen und zu trinken und habe geliebt! – Ja was denn noch? Und dann guck ich, dass ich jetzt schon alle Querelen befriede. Ich möchte nicht in Wut und Enttäuschung auf jemanden sterben. Da muss man früh genug anfangen, sich zu entschuldigen, ebenso zu verzeihen – im eigenen Interesse. Auch wenn ich manche Menschen nicht mehr in meinem Leben haben möchte, wünsche ich ihnen von Herzen alles Gute.

Wer oder was hilft in der Krise?

Die Probleme genau anzugucken und zu analysieren. Und mit Freunden darüber sprechen. Für Notfälle habe ich ­einen Therapeuten, der immer eine Stunde für mich frei hat. Ich habe viel Therapie gemacht in meinem Leben, auf der Couch gelegen und meine Familie aufgestellt. Darüber hinaus versuche ich, gut für mich selbst zu sorgen, ich bin meine eigene Mutter und Krankenschwester.

"Heiraten war nichts für mich"

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Ich habe keine feste Beziehung, aber sehr gute Freunde, mit denen ich reise und viel unternehme. Das ist auch eine Art von Liebe. Diese Freundschaften sind lebenswichtig für mich, und ich pflege sie sehr. Heiraten war nichts für mich, das wusste ich schon mit zwölf. "Bis dass der Tod uns scheidet!" – und nach fünf Jahren geht man sich auf die Nerven oder trifft einen anderen. Warum soll ich das besser können als die vielen Geschiedenen? Ich will mein Wort nicht brechen. Am liebsten hätte ich eine Freundschaft zu einem Mann, der eher ein Komplize wäre. ­
So wie Old Shatterhand und Winnetou.

Wie wäre ein Leben ohne Disziplin?

Hätte ich mehr geübt, wäre ich eine bessere Pianistin geworden. Man braucht Disziplin, um seine Technik zu verbessern: Immer und immer wieder üben, um einen bestimmten Finger schneller zu kriegen. Das dauert. Ich kann Disziplin, aber Faulheit kann ich noch besser. Es gibt Ideen für ein Buch, aber ich setze mich nicht hin und ­fange an zu schreiben. Das ist o. k., ich bin alt genug, ich muss nichts mehr leisten.

Wie gehen Sie mit Schuldgefühlen um?

Die vermeide ich! Schuldgefühle führen zu gar nichts. Wenn ich merke, ich habe jemanden verletzt, bitte ich ­sofort um Verzeihung, damit es aus der Welt ist. 

"Nur die Gegenwart kann ich gestalten"

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn ich mit Freunden diskutiere, wenn ich am Meer entlanggehe, beim Yoga. In der Zukunft wohnt die Angst, in der Vergangenheit wohnen Trauer und Wut. Nur die Gegenwart kann ich gestalten. Natürlich schaffe ich das nicht jede Sekunde, aber es gelingt immer mehr – und deswegen fühle ich mich im Hier und Jetzt lebendiger denn je.

Hat das Leben einen Sinn?

Nur den, den ich ihm gebe. Durch Achtsamkeit – dass ich andere in ihrer Schönheit wahrnehme und auf ihre Probleme menschlich reagiere. Es gibt natürlich auch Phasen, in denen ich auf mich selbst konzentriert bin.

Was hätten Sie gerne schon mit 16 Jahren gewusst?

Dass ich mir keine Sorgen machen muss, dass aus mir noch etwas wird.

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Schönes Interview Frau Humpe. Ich schreibe nie Leserbriefe, aber dieses Mal mach ich das sehr gerne.

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