Sául gibt nicht auf
Ein peruanischer Bauer klagt gegen einen deutschen Energiekonzern. Er sieht durch den Klimawandel seine Lebensgrundlage gefährdet
Präses der ev. Kirche Westfalen, Annette KurschusBarbara Frommann
23.01.2018

"Sául gegen Goliat“, so könnte man – in Anlehnung an die bekannte biblische David­erzählung – die Geschichte betiteln, die im Sommer erstmals vor Gericht verhandelt wurde und in der dann Ende November nochmals eine Entscheidung erging. Da nahm das Oberlandesgericht Hamm in zweiter Instanz die Klage des peruanischen Bauern Sául Luciano Lliuya gegen den deutschen Energieriesen RWE an.

Der deutsche Konzern nämlich – so die Klageschrift – sei durch die Betreibung klimafeindlicher Braunkohlekraftwerke mitverantwortlich für das zunehmende Gletscherwasser des 
Andengletschers, das Sáuls Haus und seine Lebensgrundlage wegzu­schwemmen droht. Sául fordert von RWE Geld, um sich gegen das Überlaufen des Gletschersees schützen zu können. Der physikalische Effekt der globalen Erwärmung ist seit Jahrzehnten bekannt. Und auch der menschliche Anteil daran lässt sich nicht ernsthaft bestreiten. Mit anderen Worten: Der Strom, der für uns so preiswert, verlässlich und einfach aus der Steck­dose kommt, verschlingt woanders Lebenschancen, lässt ­Gletscher schmelzen und Staudämme bersten. So weit, so bekannt.

Was allerdings bisher undenkbar war: Diejenigen, die auf diese Weise Energie gewinnen, könnten auch für die Folgen haftbar gemacht werden und müssten die Kosten tragen. Dann wäre der braune Strom sehr bald wirklich so teuer, wie er schon jetzt Leuten wie Sául zu stehen kommt. Natürlich, es ist nicht illegal, aus Braunkohle Strom zu machen. Aber ist es deshalb gerecht? Und natürlich lassen nicht nur Stromkonzerne die Gletscher schmelzen. Aber sind sie deshalb alle Verantwortung los? Ob die jetzt zugelassene Klage Erfolg hat?

Die Klage ist ein Vertrauensbeweis in die Kraft des Rechts

Mir nötigt allein schon der Versuch dieser Klage ­Respekt ab. Der peruanische Bauer und seine Unter­stützer finden sich nicht ab mit der leichtfertigen und beinahe zynischen Behauptung, das Recht schütze doch ohnehin nur die Reichen. Seine Klage ist nicht nur eine originelle Protestaktion, sie ist ein Vertrauensbeweis in die Kraft des Rechts.

Zugleich stellt sie unbequeme und notwendige Fragen an ein Rechtssystem, das an manchen Stellen allzu tiefe Lücken aufklaffen lässt zwischen dem, was erlaubt ist, und dem, was rechtmäßig ist. Der Protest des Bauern demaskiert das Kalkül mancher Konzerne, mit dem sie die wirklichen Kosten ihrer Produkte wehrlosen Dritten aufhalsen – statt sie von den Aktionären zu verlangen und den Kundinnen und Kunden, also uns. Die würden sich nämlich bedanken!

Noch wichtiger aber ist etwas anderes: Sául und ­seine Mitstreiter könnten eines der größten Hindernisse für wirkliche Veränderungen einreißen. Die Meinung nämlich, Einzelne könnten nichts ausrichten gegen den Zwang der Verhältnisse. Und außerdem sei am Ende ja doch kein Kraut gewachsen gegen die Interessen der Reichen und Mächtigen – so ungleich, wie die Einflussmöglichkeiten verteilt sind.

In der biblischen Erzählung von David und Goliat (1. Buch Samuel, Kapitel 17) gibt es eine rührende und fast komische Szene. Als man den jungen Kerl vor dem Kampf mit dem Riesen in eine Kriegsrüstung steckt, da kann er kaum laufen, so schwer ist die. Und das Schwert, das man ihm in die Hand drückt, kann er nicht einmal hochheben. Also legt er die Rüstung ab und das Schwert beiseite. Sucht sich einen Kieselstein, nimmt Anlauf, zielt, schleudert und . . .
So weit, so bekannt. Man darf gespannt sein.

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Wäre es nicht sinnvoll gewesen, der Bauer Saul hätte auch einige repräsentative Verbraucher des von RWE erzeugten Stroms verklagt? Also z.B. Frau Kurschus, deren jährlicher privater Stromverbrauch sich bestimmt um ein Drittel reduzieren ließe, ohne dass die Familie im Dunkeln sitzt. Oder die Chrismon-Herausgeber, weil man viel Energie sparen könnte, wenn Chrismon nur alle zwei Monate erscheinen würde. "David gegen Goliath" ist doch arg naiv und eindimensional.

Danke, dass Sie die Selbstgerechtigkeit dieses Artikels auf den Punkt bringen. Merke Frau Kurschus: wir - Sie und ich - sind der Stau!

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Der Beitrag von Frau Kurschus zeugt von einem erschreckenden Realitätsverlust der Autorin. Letzterer ist zeigt sich in etlichen Äußerungen führender Kirchenvertreter und ist, da kein Einzelfall, einer der Gründe für die zahlreichen Kirchenaustritte. Es kämpft hier nicht David gegen Goliat. Hier wird ein einfacher Bauer für die Interessen anderer mißbraucht. Unabhängig wie man zur Kohleverstromung steht, diese steht nach wie vor im Einklang mit dem Gesetz und wird nicht nur in Deutschland praktiziert. Die Klage wäre daher gegen die Gesetzgeber zu richten.
Nach der Logik der Kläger müßte man jeden verklagen, dessen Verhalten zu vermeidbarem Schadstoffausstoß beiträgt, z. B. Menschen, die viel Fleisch verzehren, Haltern von Kraftfahrzeugen mit hohem Treibstoffverbrauch, Vielflieger um nur einige abstruse Beispiele zu nennen.
Jesu Forderung, das Reich Gottes anzunehmen wie ein Kind, bedeutet nicht, auch der Realität dieser Welt mit kindlicher Naivität zu begegnen.

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Sehr geehrte Frau Kurschus,
als evangelischer Christ bin ich stolz auf Luthers Entlarven des Ablasshandels und meiner persönlichen Freiheit und Verantwortung bewusst. Somit weiß ich, dass das EEG der moderne Ablasshandel einer auf Verbrauch ausgelegten Gesellschaft ist, der CO2-Anteil beim Stromverbrauch an letzter Stelle liegt beim sogenannten CO2-Fußbadruck. Fliegen (keine Kerosinsteuer), Fleischverzehr (hoch subventioniert), privater Konsum, Autofahrten - all das gefährdet Sáuls Leben und es liegt an mir und Ihnen umzukehren. Der Verzicht auf Kohle bei der Verstromung wird nur erkauft werden können durch gigantische Speicher - also durch seltene Erden aus Afghanistan und China, durch Kobalt aus Kongo (vgl. dazu "Das Kongotribunal"). Somit muss ich Ihnen leider sagen: "Si tacuisses, philosophus mansisses."
H.Frauenknecht

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Ich habe lange überlegt, ob ich auf diesen Artikel reagieren soll. Es hat mich erschreckt und erbost, mit welcher Leidenschaft evangelische Offizielle und Würdenträger/innen sich darüber freuen, dass endlich deutsche Konzerne weltweit verklagt werden. Hier kommt wieder die Realitätsferne von Gutmenschen zum Vorschein. Die Braunkohleverstromung wird absehbar zu ihrem Ende kommen, aber der deutsche Anteil an der CO2 Produktion ist weltweit minimal und eine Klage gegen Russland, China, USA,etc ist diesbezüglich aussichtslos. Wir sollten unsere zuverlässige Grundlastversorgung nicht erneut sinnlos zerstören und wir sollten aufhören, uns für alles Leid der Welt verantwortlich zu fühlen und unserer Geld mit dem Füllhorn zu verteilen. Ein beweisbarer Zusammenhang zwischen der Braunkohleverstromung in Deutschland und der Gletscherschmelze in Peru ist nicht zu erkennen. Vielleicht kümmert sich Frau Präses aus NRW mal gelegentlich um das Wohl der Bevölkerung und die Arbeitsplätze in ihrer Region. Der Vergleich mit David ist hier völlig deplaziert. Die evangelische Kirche sollte nicht ständig ihre Wirtschaftsfeindlichkeit demonstrieren sondern auch mal überdenken, wodurch unser Wohlstand erarbeitet wird.

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Frau Kurschus will uns also allen Ernstes weismachen, der peruanische Kleinbauer Saúl habe so mir nichts, dir nichts eine Klage wegen CO2-Emmissionen gegen RWE im fernen Deutschland eingereicht und kommt auch schon mal persönlich zu einer Gerichtverhandlung über Land und Meer nach Hamm.
Es ist aber davon auszugehen, dass die Autorin bei den Recherchen zu diesem Fall schon mitbekommen haben muss, dass das Ganze eine PR-Aktion von German Watch-Aktivisten ist und eben nicht die tapfere Tat eines Einzelnen: letzterer wurde von German Watch schlicht instrumentalisiert. Dass Frau Kurschus -vermutlich wider besseres Wissen- die Mär vom tapferen Kleinbauern aus Peru auftischt, ist schlichte Flunkerei, mit der sie letztlich die eigene Botschaft desavouiert, wonach Einzelne eben doch eine Chance haben, gegen den Zwang der Verhältnisse vorzugehen. Schade eigentlich.

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Die Klage von Saul ist an sich berechtigt, aber nicht gegen RWE als einzigen Beklagten. Weil kein Kausalzusammenhang zwischen RWE und dem Land von Saul nachweisbar ist, kann er nicht Recht bekommen. Saul wird vom Klimawandel bedroht, aber daran hat RWE den geringsten Anteil, weit hinter den USA, China und vielen anderen. Nur weil RWE finanzkräftig ist und juristisch zu belangen scheint, darf es nicht die Suppe für alle Klimasünder auslöffeln müssen. Hätte Saul die USA, Deutschland und andere verklagt, weil sie Betriebe mit übermäßigen CO2-Emissionen genehmigt haben, sähe die Sache anders aus.

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Ich freue mich, dass die Mehrzahl der bisherigen Zuschriften klar erkannt hat, dass RWE das falsche Objekt der Klage von Saul ist. RWE trägt nur minimal bzw. In nicht messbaren Anteilen zur globalen Klimaerwärmung bei. Wenn überhaupt, hätte Saul China, die USA, die BRD verklagen müssen, weil sie ihren Betrieben die CO2-Emissionen genehmigt haben. Aber Saul ist nur die Strohpuppe derer, die unsere Wirtschaft niedermachen wollen.

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Der Bericht über die Klage des peruanischen Bauern Saul Lliuya zeugt von der Blauäugig- und Gutgläubigkeit der Deutschen. Spricht Herr Lliuya Deutsch, dass er seine Anklage in Deutschland einreichen konnte? Bezieht er den Spiegel oder die SZ, um zu wissen, dass RWE ein Stromkonzern ist.
Sicher nicht. Seine sogenannten Mitstreiter sind entweder amerikanische oder deutsche Rechtsanwälte, die den Bauern als Strohmann benutzen, um sich goldene Nasen in Deutschland zu verdienen. Warum wird die Klage nicht in Brasilien mit seinen Dreckschleudern und Brandrodungen eingereicht? Warum nicht in China, das bekanntermaßen im eigenen Smog fast erstickt, nicht zu vergessen die riesigen brennenden offenen Steinkohlenflöze? Warum nicht in Indien oder den USA, die doch alle Klimaverbesserungen torpedieren? Weil dort die Anklageschrift erst garnicht angenommen würde. In Deutschland beim schlafmützigen Michel, der es allen gerecht machen will, dort wissen diese Herren, dass sie Erfolg haben werden und gut verdienen. Deshalb ist Herr Lliuya für mich kein David , sondern ein Strohmann, der dafür dann ein Almosen erhält.

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Anmerkungen der Redaktion:

Zur Klage des peruanischen Kleinbauern Saúl Lliuya gegen den Energiekonzern RWE gab es von Seiten einiger Leserinnen und Leser Kritik. Zur Faktenlage ist zu sagen:

  1. Das OLG Hamm hat eine Beweisaufnahme angeordnet, ein Gutachter soll die rechtliche Lage beurteilen. Das sind Zeichen dafür, dass das Gericht diese Klage Lliuyas nicht für sinnlos oder absurd hält. Freuen wir uns darüber, dass es in Deutschland unabhängige Gerichte gibt.
  2. Es geht Lliuya nicht darum, dem Energiekonzern RWE die alleinige Urheberschaft der Klimaerwärmung zur Last zu legen. Dies hat der Kläger auch nicht behauptet. Einen Rechtfertigungsgrund „Die anderen machen es doch auch!“ kann es allerdings auch nicht geben.  
  3. Dass Lliuya von einer Umweltschutz-Organisation unterstützt wird, ist nicht zu beanstanden. Wollte man dies kritisieren, müsste man auch den 5000 bis 6000 Lobbyisten in Berlin, darunter sehr viele von Unternehmen und Unternehmsverbänden, die Arbeit untersagen.

Eduard Kopp, Redaktion chrismon

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