Ursula Ott, Chefredakteurin von chrismon
Ursula Ott, Chefredakteurin von chrismon
Foto: Katrin Binner
Laternen
Tonpapier im Hunderterblock? Das hat Ursula Ott hinter sich - eigentlich. Und ihr Sohn kommt da ganz nach ihr
Tim Wegner
09.10.2016

Neulich im Bastelgeschäft. Schon dieser Einstieg! Ich! Im Bastelgeschäft! Ich habe drei linke Hände, mir fehlt jegliche Fantasie, und Vokabeln wie „Gaffer Tape“ und „Heißklebepistole“ hätte ich bis vor einigen Jahren im Waffengesetz vermutet. Ich weiß inzwischen, was das ist, jede Mutter weiß das, zumindest in Köln, wo mit viel Gaffer Tape alljährlich ein Karnevalskostüm zusammengekleistert wird, das bei allen Müttern so aussieht wie ein Kölner Dom. Nur bei mir immer aussah wie die Zerbombung der christlichen Kirchen in Mossul. Mit viel zu viel Gaffer Tape.  

Vorbei, hallelujah, Kinder 16 aufwärts – dennoch verschlug es mich ins Bastelgeschäft. Der Große kam vom Auslandsjahr zurück, und ich wollte ein Willkommensschild basteln. Aus buntem Ton­papier. Leider hatte das Bastelgeschäft nur Ton­papier im Hunderterblock. „Vom Rest“, sagte die Verkäuferin, „können Sie ja Sankt-Martins-Laternen basteln.“ Laternen! Ich hätte es als Kompliment nehmen ­können, Mütter meines Alters schreiben gerade viele Bücher darüber, wie schmerzlich es ist, dass der kleine Jonas jetzt Tüten baut und keine Schultüten mehr.

Aber den Laternen heule ich keine Sekunde nach. Also sagte ich tapfer: „Laternen? Das hab ich hinter mir, ich habe eher ein Entsorgungsproblem.“ Es folgte das Coming-out der anderen Mütter. Alle, wirklich alle, waren genervt von den alten Laternen im Keller. Von Harry Potter, dessen Pfeifenputzerbrille immer die Strümpfe kaputt reißt, von Shaun, dem Schaf, auf das man jedes Mal tritt beim Marmeladeholen. Keine traut sich, diese hässlichen, verstaubten, kleisterverschmierten Laternen zu entsorgen.

Ich verließ den Laden mit 100 Blatt buntem Tonpapier und dem sicheren Gefühl, eines der letzten Tabus moderner Elternschaft gelüftet zu haben. Tags darauf stand ich mit meinem „Welcome“-Plakat am Frankfurter Flughafen. Das Kind kam durchs Gate, sagte als Erstes: „Tu das peinliche Plakat weg.“ ­Und da wusste ich: Er ist jetzt erwachsen. Und er kommt ganz nach mir. 

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Sehr geehrte Damen und Herren,

ich finde es geschmacklos, das Frau Ott in ihrer Kolumne ihre misslungene Bastelarbeit mit der " Zerbombung der christlichen Kirchen in Mossul" vergleicht.

Ihre treue Leserin

Gerda Bibow, Henstedt-Ulzburg

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Liebe Frau Otts,

warum hiess die Überschrift .... diesmal  "Mama"-Sein, dieses übermässige Geführsorge 100 Blatt für 1 Blättchen WELCOME, dass man in jedem Copyshop (auch in der Kleinstad Köln) für'n "Groschen" bekomm und dabei dann noch das ganze Haus umräumt und an Schultüten und Laternen hängenbleibund EINE Zeit für die Kinder und den Haushalt hat.

Wie gut, dass Sie einen Sohn haben, der sagt: "Mama, bleib sitzen, ich bin's doch nur, willst 'n Tee, Kekse hab' ich mitgebracht!"

Wenn er nach Ihnen käme, wäre er mit Flagge und Trommel gekommen, er ist doch nicht mehr unt

Mit freundlichem GrussBenno Hubert, der auch immer die Kinder mit Pauken und Trompeten und was man noch so alles auftreiben könnte, empfängt. Sie kommen auch ganz nach mir.

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Liebe Frau Ott,

als ich heute Ihren Beitrag “endgültige Absage : Laternen” las ,  war ich so begeistert, dass ich Ihnen schreibe.

Mit Ihrer Kolumne sprechen Sie mir jedes Mal aus dem Herzen! Ich freue mich immer neu auf das Chrismon-Heft und schlage als erstes “Erledigt. Frau Otts endgültige Ablage” auf.

..und finde mich durchweg wieder! Ja, mir geht es ganz genauso – ja, ich habe die Kita-Basteleien mit meinen Töchter nicht gemocht (und mich versucht zu drücken wo ich konnte... zum Laternenumzug hab ich eh gleich die Oma geschickt ...)  - (und das gilt übrigens auch für die Backorgien “für Mami und Kind”  und die “gesunde-Frühstücks-Raspeleien”, bei denen bei mir stets verunglückte Werke heraus kamen und ich meine Zeit als nur verschwendet betrauerte)

Es kam nun  erschwerend dazu, dass ich mich dieser Gefühle aufrichtig schämte und mir um meine armen Kinder -  ob ihrer egoistischen und und uneinfühlsamen Mutter -  Sorgen machte.

Alle Mamas waren klaglos und allezeit bereit, sich und ihre Bedürfnisse komplett zu ignorieren ... nur ich nicht. Ich wollte lieber arbeiten gehen als Laternen zu basteln! Geht so etwas gut ?

Meinen Kühlschrank und wo möglich auch noch den halben Flur wollte ich nicht wirklich gerne mit Kritzeleien  und grausigen Muttertagsbasteleien der lieben Kleinen dekorieren ... warum hatten mein Mann und ich  uns mit der Inneneinrichtung so viel Gedanken gemacht, unseren Geschmack geschärft und zäh verhandelt um jede Anschaffung ...wenn dann ein Pappdeckel mit Wollknäul-Nase drübergeklebt wird ??? Als die Schubladen überquollen und auch die angeratenen  längst nicht Sammelmappen nicht mehr reichten – habe ich unter  Gewissensbissen die Kunstwerke und Kreationen meines Nachwuchses der blauen Tonne übergeben. Meine Töchter waren da 16 und 19 Jahre alt ... und hatten ihrerseits schon längst vergessen, dass sie je eine Laterne gebastelt hatten!

Zu erkennen, dass ich  zumindest nicht die einzige von dieser Sorte  bin , erleichtert ungemein!

Dafür DANKE!!!

Ganz herzliche Grüße
Anke Augustin, Pfarrerin
Essen

Antwort auf von Leserbrief

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und was tue ich, die ich anders denke, weil mich der banale kram gar nicht interessiert ! ich verliere den respekt ! muss ich nun wirklich aus dieser geistlosen kirche austreten ?

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Tja dieses juste milieu, dem die Wohnungseinrichtung kostbarer ist als die Entwicklung des eigenen Kindes, lebt scheints immer noch. In Medien, die wirklich gekauft werden, klingt das anders. Vielleicht steckt in den Verfasserinnen und Lesern mehr Pippi Langstrumpf nach als die Prusseliese. Wohl jede in unserem Alter hat schon an diesem Frankfurter Flughafen gestanden, um das Kind aus allen Ecken der Welt wieder daheim zu empfangen. Wir machen immer ein großes Fest draus, mit Luftballons, Pfannkuchen, Gitarre, Riesenposter, Sekt und allem, was dazu gehört. Genau wie die anderen, die am Gate stehen und offenbar auch Astrid Lindgren bevorzugen.

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