Das Priestertum aller Gläubigen, von den Reformatoren neu entdeckt, veränderte die Kirche von Grund auf
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
01.10.2013

Es ist einer der kraftvollen programmatischen Sätze Martin Luthers: »Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht einem jeglichen ziemt, solch Amt auszuüben.“ So schreibt der Reformator 1520 in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“. Und er erklärt kurz und bündig, dass „wir alle gleichmäßig Priester sind“. Unabhängig vom Rang in der kirchlichen Hierarchie, so sein Votum, kommt allen Getauften eine Mitverantwortung für die Sache Jesu zu.

Vor allem die Reformatoren um Martin Luther rückten das „allgemeine Priestertum aller Gläubigen“ in den Mittelpunkt. Es ist eine theologische Grundaussage mit erheblichen Konsequenzen für das Leben der Kirche. Das lässt sich besonders deutlich an der verstärkten Mitwirkung der Frauen ablesen: Auffallend viele beteiligten sich an der Neugestaltung von Lehre und Leben in der Kirche, unter ihnen so berühmte Frauen der Reformation wie Katharina Zell und Argula von Grumbach. Die „Neuentdeckung“ des Priestertums aller Gläubigen zeigte sich ebenso deutlich an der wachsenden Beteiligung von „Laien“ in den Gemeinden.

Befreit von der Rolle der Betreuten und Beherrschten

Es hat einen historischen Grund, dass die Reformatoren die Mitwirkung aller Getauften betonten: In der spätmittelalterlichen Kirche schien der Dienst der Kleriker zu einer  „Herrschaft über die Seelen geworden zu sein“, so der Evangelische Erwachsenen-Katechismus (EEK). Die Reformation versuchte, die „einfachen Gläubigen“ aus der Rolle der Betreuten und Beherrschten zu befreien und sie als aktiv Mitwirkende in die Verantwortung und Mitwirkung zu rufen. Nicht nur ein bestimmter Stand, der der Kleriker, sondern das ganze Volk sollte priesterlich tätig werden. 

Die Aufwertung der Gemeindeglieder ist keine Erfindung Martin Luthers, sondern ergibt sich zum Beispiel auch aus dem 1. Petrusbrief. Dort steht: „Ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus. Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht“ (1 Petrus 2,5.9).

"Priester zu sein ist noch viel mehr als König sein"

Hinter diesen Worten, die an neugetaufte Christen gerichtet wurden, stehen zentrale theologische Aussagen: „Die Getauften sind Glieder des Volkes Gottes und haben als Priester in Glauben und Gebet unmittelbar Zugang zu Gott. Sie sollen sich als lebendige Steine in das geistliche Haus Gottes, in die Kirche, einfügen. Sie sollen sich Gott mit ihrem ganzen Leben zur Verfügung stellen: im Dienst an anderen Menschen, in der Hilfe für die Armen, in der tätigen Liebe . . . Und sie sollen die Wohltaten Gottes verkündigen, also das Evangelium weitergeben. Hingabe an Gott und den Nächsten – das ist der Dienst des Priestertums aller Gläubigen.“ (EEK)

Der Evangelische Erwachsenenkatechismus schreibt dazu: „Weil das Recht, priesterlich vor Gott zu treten, in der Taufe gründet, kann man vom »Priestertum aller Getauften« sprechen; weil dieses Recht im Glauben in Anspruch genommen wird, kann man vom »Priestertum aller Gläubigen« sprechen.“

Dazu noch einmal im Original-Ton Martin Luther: „Überdies sind wir Priester, das ist noch viel mehr, denn König sein, darum, dass das Priestertum uns würdig macht, vor Gott zu treten und für andere zu bitten. Denn vor Gottes Augen zu stehn und zu bitten, gebührt niemand denn den Priestern. Also hat uns Christus erworben, dass wir können geistlich voreinander treten und bitten, wie ein Priester vor das Volk leiblich tritt und bittet. Wer kann nun ausdenken die Ehre und Höhe eines Christenmenschen? Durch sein Königreich ist er aller Dinge mächtig, durch sein Priestertum ist er Gottes mächtig, denn Gott tut, was er bittet und will, wie da geschrieben steht im Psalter: ›Gott tut den Willen derer, die ihn fürchten und erhöret ihr Gebet‹, zu welchen Ehren er nur allein durch den Glauben und durch kein Werk kommt.“

Auch die Wahl von Kirchenvorständen und Synoden gehört dazu

Die Theologie vom Priestertum aller Gläubigen hat erhebliche Folgen für Selbstverantwortung des Einzelnen in ethischen Fragen. Es gab vermehrt Bewegungen, die dieses allgemeine Priestertum zur Geltung brachten. Im Pietismus, in den Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts, in vielfältigen Laienbewegungen (zum Beispiel Christlicher Verein junger Menschen [CVJM], Jugendverbände, Evangelische Akademien, Deutscher Evangelischer Kirchentag, Evangelisches Männerwerk, Evangelische Frauenarbeit, Evangelische Orden und Bruderschaften, Hauskreise und so weiter) eröffneten sich Möglichkeiten, Gemeinschaft im Glauben zu pflegen und die vielfältigen Gaben der einzelnen Christen einzubringen, so der EEK. Eine Konsequenz dieses Kirchenverständnisses ist auch, dass seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Gemeindeglieder Kirchenvorstände und Synoden wählen.

Welche Folgen das wiederum für das kirchliche Amt hat, dazu hat sich Luther nie umfassend geäußert. Er formulierte seine Position aber in aktuellen Auseinandersetzungen. Grundsätzlich kann man sagen: Er hielt an der besonderen Bedeutung des geistlichen Amtes fest. Während er immer wieder betonte, dass das von Gott eingesetzte Predigtamt der Kirche allen Christen gemeinsam gegeben, blieb für ihn die öffentliche Ausübung an die Berufung, also eine ordentliche Übertragung der Aufgabe, durch die Gemeinde gebunden.

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Das "Priestertum aller Gläubigen" endet für hauptberufliche Kirchenmusiker*innen - die von ihrer Ausbildung her eine ganze Menge von Theologie, Gottesdienst und Kirche verstehen - in manchen Landeskirchen an der Stelle, wo sie sich in Kirchenvorstände oder Synoden wählen lassen wollen. Dann sind sie nicht mehr "Priester" oder "Gläubige", sondern einfach nur (wenn auch aus der Taufe gekrochene) Angestellte.
Das finde ich besonders ärgerlich, da aus den landeskirchlichen Statistiken oftmals hervorgeht, das gerade die Kirchenmusik das Angebot ist, das die meisten Ehrenamtlichen in den Gemeinden und Kirchen bewegt. Schon aus diesem Grund - mal abgesehen vom theologischen Auftrag der Kirchenmusik, ohne jetzt Luther zu bemühen - müssten die Berufskirchenmusiker*innen genauso in den Leitungsgremien vertreten sein, wie die Berufstheolog*innen.

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